Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Georg Zanger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Gottfried Zandl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. August 2009, GZ 2 R 103/09w-66, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 10. März 2009, GZ 26 Cg 40/06i-60, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Berufungsgerichts wird - soweit damit der Berufung der Klägerin Folge gegeben wurde - aufgehoben und in der Sache mit Teilurteil zu Recht erkannt:
Das erstgerichtliche Urteil wird in seinem abweisenden Teil (Punkt 2) wiederhergestellt.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Zwischen den Parteien besteht ein Betriebshaftpflichtversicherungsvertrag, dem die AHVB 1993 und EHVB 1993 mit einer Versicherungssumme in der Sparte Produkthaftpflicht von 145.345,67 EUR pro Versicherungsfall zu Grunde liegen. Die EHVB 1993 (in der Folge EHVB) lauten auszugsweise:
„Abschnitt A:
Allgemeine Regelungen für alle Betriebsrisken
...
2. Produktehaftpflichtrisiko
Das Produktehaftpflichtrisiko ist nach Maßgabe der AHVB und EHVB sowie insbesondere der nachstehend angeführten Bedingungen wie folgt mitversichert:
...
4. Versicherungsschutz aufgrund besonderer Vereinbarung
...
4.2 Besondere Regelungen für Fälle des Punkt 4.1
...
4.2.4 Serienschaden
Abweichend von Art. 1, Pkt 1.2 AHVB gelten mehrere Lieferungen als ein Versicherungsfall, wenn sie aus derselben Ursache Schäden auslösen. Ferner gilt als ein Versicherungsfall, wenn mehrere Lieferungen aus gleichartigen Ursachen Schäden auslösen, sofern zwischen diesen Ursachen ein rechtlicher, wirtschaftlicher oder technischer Zusammenhang besteht. ...“
Die Klägerin verpflichtete sich zwei Unternehmen gegenüber zur Lieferung von Hartsplitten aus ihrem Steinbruch in B***** mit einem Polierwert (PSV-Wert) von größer/gleich 50. Dieser Wert entspricht den Anforderungen an das Gesteinsmaterial für Deckschichten von Straßen. Der von der Klägerin gelieferte Splitt wurde bei drei verschiedenen Bauabschnitten auf Autobahnen verwendet. Bei allen drei Bauprojekten wurden Mängel des Straßenbelags beanstandet, die von den Vertragspartnern der Klägerin zumindest teilweise darauf zurückgeführt wurden, dass der gelieferte Hartsplitt nicht den bestellten PSV-Wert aufwies.
Die Klägerin verständigte die Beklagte von den Schadenfällen mit dem Ersuchen, ihr die Höhe der Deckungssumme bekannt zu geben. Die Beklagte teilte mit, dass sie den Versicherungsschutz ablehne.
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Deckung der Beklagten für die drei Schadenfälle „in vollem Umfang“. Sie habe die gelieferten Hartsplitte in ihrem Steinbruch in B***** abgebaut, aufbereitet und anschließend an die zwei Unternehmen geliefert. Die Abnehmer hätten die Hartsplitte weiterverarbeitet und für Straßenbauprojekte verwendet. Die Klägerin sei im Besitz der erforderlichen gültigen Prüfzeugnisse gewesen, die bescheinigt hätten, dass ihr Produkt den Qualitätsanforderungen entsprochen habe. Die Klägerin habe keinen Anlass gehabt, von einer etwaigen Mangelhaftigkeit ihrer Hartsplitte auszugehen. Die Frage, ob ein Serienschaden vorliege, sei im vorliegenden Verfahren nicht zu klären, weil ein Feststellungsbegehren erhoben worden sei und der Einwand nur die Höhe des Schadens betreffe.
Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung. Der Klägerin sei aufgrund von (zurückbehaltenen) Prüfungsergebnissen bekannt gewesen, dass ihre Hartsplitte nicht die Qualität gehabt hätten, um ein positives Prüfzeugnis zu erhalten. Soweit für das vorliegende Verfahren relevant, wurde auch bestritten, dass die Beklagte „Deckung in vollem Umfang“ zu leisten habe. Es handle sich nämlich um einen Serienschaden nach den EHVB, sodass nur ein Versicherungsfall vorliege und sie jedenfalls - im Gegensatz zum Begehren der Klägerin - nur „einmal volle Deckung“ zu gewähren habe.
Das Erstgericht sprach aus, dass die Beklagte verpflichtet sei, für die drei Schadenfälle Deckung in vollem Umfang, höchstens jedoch bis (gemeint: insgesamt) 145.345,67 EUR zu gewähren (Punkt 1). Das darüber hinausgehende Begehren, es möge festgestellt werden, dass die Beklagte (ohne Beschränkung) in vollem Umfang Deckung zu gewähren habe, wies es ab (Punkt 2). Es sei der Klägerin nicht anzulasten, dass sie den Eintritt des Schadens ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe. Sie habe auf die Übereinstimmungszeugnisse vertrauen dürfen. Soweit hier von Relevanz vertrat es die Rechtsansicht, dass der gelieferte Hartsplitt in allen drei Schadenfällen wegen seines unter dem vereinbarten Wert liegenden PSV-Werts als (Mit-)Schadenursache anzunehmen sei. Es liege daher ein Serienschaden im Sinne der EHVB vor.
Das Berufungsgericht gab sowohl der Berufung der Klägerin als auch der Berufung der Beklagten Folge und hob das Ersturteil sowohl im stattgebenden als auch abweisenden Teil auf. Nach der Rechtsprechung sei zwar bei Direktklagen des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer die Feststellung der Haftung auf den Rahmen des Versicherungsvertrags und im Fall einer Haftung nach den Vorschriften des EKHG mit Haftungshöchstbeträgen im Spruch der Entscheidung zu begrenzen. Die vertragsmäßige Begrenzung des Haftungsumfangs hingegen sei nur eine Beschränkung der Haftung des Versicherers im Rahmen des Versicherungsvertrags und betreffe daher nur die Höhe des Schadens, für den der Versicherer einzustehen habe, was Gegenstand einer allfälligen künftigen Leistungsklage und der dort zu erhebenden Einwendungen sei. Es sei daher in dem auf Feststellung gerichteten Verfahren kein Raum, über die betragsmäßige Beschränkung der Haftung der Beklagten abzusprechen.
Soweit das Berufungsgericht auch der Berufung der Beklagten Folge gab, das angefochtene Urteil auch im Zuspruch zu Punkt 1 des Ersturteils aufhob und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwies (weil die getroffenen Feststellungen zur Frage, ob der Schaden vorsätzlich zugefügt oder mit Wahrscheinlichkeit von der Klägerin billigend in Kauf genommen und erwartet habe werden müssen, weder nachvollziehbar seien noch für eine abschließende rechtliche Beurteilung ausreichten), ist dies nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.
Im Hinblick auf die aufhebende Entscheidung über die Berufung der Klägerin erklärte das Berufungsgericht den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil nach der oberstgerichtlichen Judikatur die Feststellungsklage neben dem Ausschluss der Gefahr der Verjährung insbesondere auch der Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten und der Klarstellung der Haftungsfrage dem Grunde und dem Umfang nach diene. Es sei zweifelhaft, ob zu der mit der Feststellungsklage bezweckten Klarstellung der Haftungsfrage dem Grunde nach auch eine Entscheidung darüber gehöre, ob ein Serienschaden im Sinne der EHVB 1993 vorliege.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit einem Abänderungsantrag.
Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig, er ist auch berechtigt.
Die Klägerin begehrt ausdrücklich die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für drei konkret genannte „Schadensfälle“ in „vollem Umfang“. Ihr Begehren zielt eindeutig auf die Deckung für drei Versicherungsfälle ab. Diese Auslegung wird auch durch ihre (bemängelte) Streitwertbewertung mit 1.500.000 EUR unterstützt. Die Beklagte bestreitet das Vorliegen von drei Versicherungsfällen. Es liege ein Serienschaden nach den EHVB vor.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Erhebung einer Feststellungsklage nicht nur dem Ausschluss der Gefahr der Verjährung, sondern auch der Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten und der Klarstellung der Haftungsfrage dem Grunde und dem Umfang nach dient (RIS-Justiz RS0038976). Mit der Feststellungsklage soll auch die abschließende Klärung der (Mit-)Verschuldensfrage erfolgen (RIS-Justiz RS0038976 [T3, T7, T9 und T15]). Es besteht ein rechtliches Interesse an der Feststellung, wenn ein aktueller Anlass zur präventiven Klärung des strittigen Rechtsverhältnisses besteht, was insbesondere dann der Fall ist, wenn das Rechtsverhältnis durch eine ernsthafte Unsicherheit gefährdet erscheint, etwa, wenn der Beklagte ein Recht des Klägers hartnäckig bestreitet (7 Ob 278/06t mwN).
Die Frage, ob zu Recht oder zu Unrecht die Deckung für drei Versicherungsfälle begehrt wird oder ob lediglich ein Serienschaden und damit ein Versicherungsfall vorliegt, ist nicht eine Frage der Höhe des Anspruchs, sondern betrifft den Grund, nämlich ob und welcher Versicherungsfall gegeben ist. Dies hat nichts mit der Frage zu tun, in welcher Höhe ein zu deckender Schaden überhaupt entstanden ist. Es besteht kein Grund, die oben dargelegten Grundsätze zur Feststellungsklage, dass nämlich auch die Haftungsfrage dem Grund und dem Umfang nach zwischen den Parteien endgültig abgeklärt werden soll, nicht auch auf Deckungsklagen zu übertragen.
Ein zwischen den Parteien zu klärender Streitpunkt ist hier, ob ein Serienschaden oder mehrere getrennt zu deckende Versicherungsfälle vorliegen. Die Klägerin bestreitet im Rekurs den Einwand der Beklagten nicht einmal substanziiert. Sie stützt sich nur darauf, dass die Frage in diesem Verfahren nicht zu prüfen sei.
Schon nach ihrem eigenen Vorbringen - soweit sie nicht ohnehin die Ansicht vertritt, selbst kein schadenbegründendes Verhalten gesetzt zu haben - entstand der Schaden durch die Lieferung von Hartsplitten aus derselben Schottergrube zur Erfüllung von Lieferverpflichtungen mit jeweils demselben Qualitätserfordernis. Die gelieferten Hartsplitte aus dieser Schottergrube waren insgesamt ungeeignet. Den Schäden bei den drei Bauprojekten liegt daher dieselbe Ursache, nämlich derselbe Qualitätsmangel, zu Grunde. Alle aus dieser Ursache entstandenen Schäden sind daher als ein Serienschaden nach den EHVB zu beurteilen und gelten damit als ein Versicherungsfall.
Auch bei der Feststellungsklage ist der Zuspruch eines Minus zulässig (RIS-Justiz RS0037485). Es ist daher - wie das Erstgericht diesbezüglich zutreffend erkannt hat - schon nach dem Vorbringen der Klägerin mit einer Teilabweisung vorzugehen, soweit Deckung für mehr als einen Versicherungsfall begehrt wird.
Ob allerdings die Klägerin überhaupt einen Anspruch auf Deckung hat, wird erst im fortzusetzenden Verfahren zu klären sein.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf §§ 393 iVm 52 ZPO.
Textnummer
E93453European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0070OB00245.09V.0303.000Im RIS seit
25.04.2010Zuletzt aktualisiert am
16.02.2012