TE OGH 2010/3/17 15Os163/09y

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Veröffentlicht am 17.03.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. März 2010 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Stuhl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Jürgen K***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 11. September 2009, GZ 407 Hv 2/09t-81, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden und auch einen rechtskräftigen (Teil-)Freispruch enthaltenden Urteil wurde Jürgen K***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (A./) und des (richtig:) Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (B./) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt sowie gemäß § 21 Abs 2 StGB seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat er in Wien

A./ am 24. März 2009 Albrecht M***** vorsätzlich getötet, indem er ihn zu Boden stieß, wiederholt mit beiden Beinen auf dessen Kopf auf- und absprang sowie mit seinem Fuß kräftig und mit voller Wucht gegen dessen Kopf und Oberkörper trat, sodass dessen Schädel zertrümmert wurde;

B./ am 28. September 2008 Sandis P***** eine schwere Körperverletzung absichtlich zuzufügen versucht, indem er auf ihn einschlug, sodass dieser zu Boden fiel, und ihm in weiterer Folge mit voller Wucht mit dem Fuß einen Schlag ins Gesicht versetzte, wodurch dieser zumindest ein Hämatom im Augenbereich und Nasenbluten erlitt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil vom Angeklagten aus den Gründen der Z 8, 10a und 12 des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde schlägt fehl.

Die Instruktionsrüge (Z 8) ist nicht im Recht. Nach § 321 Abs 2 StPO können Gegenstand der Rechtsbelehrung nur rechtliche Umstände sein, nämlich die Darlegung der gesetzlichen Merkmale der aktuellen strafbaren Handlung, auf die sich die Fragestellung richtet, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes, das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander sowie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder an die Geschworenen gerichteten Frage (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 53). Die Ausführungen des Rechtsmittels hingegen beschränken sich auf die Behauptung, die Rechtsbelehrung gehe auf die Auswirkungen von Suchtmittel auf den Bewusstseinszustand „überhaupt nicht ein“ (vgl aber die Belehrung zur Zusatzfrage A) und lasse die Folgen eines „Zusammenwirkens von Alkohol und Suchtmittel“ unerwähnt, und verweisen hiezu auf „aktenkundige“ Ergebnisse des Beweisverfahrens. Die Zurückführung der in die Fragen aufgenommenen gesetzlichen Merkmale auf den konkreten Fall ist jedoch Sache der nach § 323 Abs 2 StPO abzuhaltenden Besprechung, sodass die Rüge insofern nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt ist (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 64 f). Angemerkt sei, dass hinsichtlich der in der Rechtsbelehrung beispielhaft hervorgehobenen Höhe der Blutalkoholkonzentration klar zum Ausdruck gebracht wird, dass dem Ausmaß der Alkoholkonzentration im Blut von 3 Promille lediglich Indizwirkung im Sinne einer - dem Bereich der Beweiswürdigung zuzuzählenden - groben Faustregel zukommt, und dass vielmehr „jeder Fall individuell zu beurteilen“ ist, wobei auf das konkrete Täterverhalten und die Tätereigenart abzustellen ist. Eine Irreführung der Geschworenen ist somit auszuschließen.

Der formelle Nichtigkeitsgrund nach Z 10a greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen (13 Os 43/03, 12 Os 38/04), nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, maW intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht (RIS-Justiz RS0119583).

Weder mit Hinweisen auf die - im Übrigen widersprüchliche (so behauptete der Angeklagte, „links“ ein Hühnerauge und beim „anderen [somit rechten] Fuß“ ein „kaputtes“ Knie gehabt zu haben [„Da haut es mich auf“, S 33 unten in ON 78], zugleich führte er jedoch aus, er „schätze“, mit dem rechten Fuß getreten zu haben, weil das „kaputte Knie“ sei „am linken Fuß“ [S 35 oben in ON 78]) - Verantwortung des Angeklagten, er habe aufgrund einer Knieverletzung „nur“ mit einem Fuß hingetreten noch durch den Verweis auf die Beschreibung des Zeugen Nasuh Ka*****, der Täter habe - anders als der Angeklagte - eine „helle Hose“ getragen (S 63 in ON 13; 155 in ON 78), gelingt es dem Beschwerdeführer solch erhebliche Zweifel zu wecken.

Inwieweit der Beschwerdeführer oder sein Verteidiger im Zusammenhang mit der bemängelten Unterlassung der „Erhebung dieses Tatumstands“ bzw der Befragung des Sachverständigen an einer zweckentsprechenden Antragstellung gehindert war, sagt die Beschwerde nicht. Ebenso im Dunkeln bleibt, aus welchem Grund es dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen wäre, den Zeugen Christoph Pa***** (S 17 ff in ON 80) „nach Art und Farbe der vom Zeugen Fr***** getragenen Kleidung“ zu befragen.

Gleichfalls keine erheblichen Bedenken begründen die für die Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten ins Treffen geführte - bloß selektiv herausgehobene - Aussage des Sachverständigen DI Dr. Günter Paul G*****, bei Einnahme „beider Substanzen“ (Alkohol und Amphetamine) könne er eine Wirkungsverstärkung nicht ausschließen (S 53 in ON 80 Mitte; vgl hingegen die klare Stellungnahme des psychiatrischen Sachverständigen Dr. B*****, er könne „keinen so schweren [Zurechnungsunfähigkeit bewirkenden] seelischen Ausnahmezustand feststellen“; S 71 in ON 80) und der Verweis auf einige Zeugenaussagen zum Alkoholisierungsgrad des Angeklagten im Lokal vor der Tat (vgl demgegenüber aber die Deposition des Barkeepers Alberto R***** Ra***** [S 47 ff in ON 21], wonach der Angeklagte trotz Wodkakonsums „relativ nüchtern“ wirkte [S 53] sowie die ein zielgerichtetes Verhalten während [Augenzeugen Nasuh Ka***** S 33 ff in ON 13; 139 ff in ON 78; Elvira F***** S 37 ff in ON 21; 81 ff in ON 78] und nach der Tat [Zufallszeugen Onur D***** S 183 ff in ON 13; 87 ff in ON 78; Gökhan D***** S 195 ff in ON 13; 91 f in ON 78; Spurenbeseitigung S 141 ff in ON 13] berichtenden Zeugenaussagen).

Letztlich behauptet der Beschwerdeführer aus diesem Nichtigkeitsgrund einen Begründungsmangel (sachlich § 345 Z 13 iVm § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 17; Murschetz aaO § 433 Rz 16 zweiter Absatz) der materiellen Grundvoraussetzung für eine Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB, stelle das Erstgericht doch eine Kausalbeziehung zwischen der konstatierten Persönlichkeitsstörung des Angeklagten und den verfahrensgegenständlichen Anlasstaten fest, wobei sich deren „zirkelschlüssige Begründung“ jedoch als „bloße Vermutung zum Nachteil des Angeklagten ohne beweismäßige Grundlage“ erweise. Inwieweit es an Klarstellungen zu dem für diese Maßnahme essentiellen Zustand einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades und zu dessen Einfluss auf die Anlasstaten (RIS-Justiz RS0115054; Ratz in WK² Vorbem zu §§ 21 bis 25 Rz 9) oder an Beweisergebnissen fehle, sagt die Beschwerde nicht. Die Annahme der Verknüpfung der festgestellten Abnormität und der verfahrensgegenständlichen Anlasstaten erweist sich schon angesichts der getroffenen klaren Feststellungen einer „kombinierten Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und emotional-instabilen Persönlichkeitszügen“, die mit den Anlasstaten insoweit in einer Kausalbeziehung stehen, als sie „weit über das Ausmaß instrumenteller Gewalt hinausgegangen“ sind (US 14 ff, insbesondere US 16), durch den - in zulässiger Form (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 396) - erfolgten Verweis auf Aktenbestandteile als mängelfrei begründet (US 16 f; vgl Gutachten des Sachverständigen DI Dr. Werner B***** ON 41, insbesondere S 45 f; S 63 ff in ON 80). Der gezogene Schluss, wonach die nicht anlassbezogenen Taten (grundloses Niederschlagen und Eintreten auf den Kopf der wehrlos am Boden liegenden Opfer) im Zusammenhang mit der „oben diagnostizierten kombinierten Persönlichkeitsstörung“ stehen (US 16 unten), ist somit logisch und empirisch mängelfrei und bar jeglicher Willkür.

In Bezug auf das Schuldspruchfaktum B./ bringt die Subsumtionsrüge (§ 345 Abs 1 Z 12 StPO) vor, die vom Opfer erlittenen (leichten) Verletzungen seien nicht mit der Tathandlung eines wuchtigen Fußtritts des Angeklagten in Einklang zu bringen, weshalb der Tatbestand des „versuchten Verbrechens nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB“ nicht erfüllt sein könne. Sie übergeht dabei, dass die Geschworenen durch den Ausspruch, die schwere Körperverletzung sei dadurch vom Angeklagten absichtlich zuzufügen versucht worden, dass er auf Sandis P***** „einschlug, sodass dieser zu Boden fiel und ihm in weiterer Folge mit voller Wucht mit dem Fuß einen Tritt ins Gesicht versetzte“, die tatsächliche Eignung dieser Tathandlung, einem anderen eine schwere Verletzung zuzufügen, bejahten. Indem der Beschwerdeführer die Konstatierungen (zur Wucht des Fußtritts bzw zur subjektiven Tatseite) bloß bestreitet und einen (unzulässigen) Rückschluss aus der erlittenen (leichten) Verletzung auf seinen Tatvorsatz zieht, entfernt er sich vom Wahrspruch der Geschworenen, womit es dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund an der prozessordnungsgemäßen Darstellung mangelt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E93557

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0150OS00163.09Y.0317.000

Im RIS seit

11.05.2010

Zuletzt aktualisiert am

11.05.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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