Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. E***** G*****, gegen die beklagte Partei J***** S.A., *****, vertreten durch Hasch & Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Wien, wegen 150.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Oktober 2009, GZ 2 R 156/09i, 2 R 157/09m-34, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 25. Februar 2009, GZ 22 Cg 77/06a-26, bestätigt wurde, sowie über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. März 2007, GZ 2 R 43/07v-12, womit das Versäumungsurteil des Handelsgerichts Wien vom 25. Februar 2009, GZ 22 Cg 77/06a-7, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
I. Der außerordentliche Revisionsrekurs gegen den Beschluss ON 12 wird zurückgewiesen.
II. Der außerordentlichen Revision gegen das Urteil ON 34 wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
B e g r ü n d u n g :
Zu I.
Der Beschluss des Berufungsgerichts ON 12 wurde dem Kläger am 2. 5. 2007 (!) zugestellt. Sein dagegen am 7. 12. 2009 (!) zur Post gegebener „außerordentlicher Revisionsrekurs“, der am 9. 12. 2009 beim Erstgericht einlangte, ist verspätet. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht nicht gemäß § 527 Abs 2 ZPO ausgesprochen, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weshalb der „außerordentlicher Revisionsrekurs“ auch jedenfalls unzulässig gewesen wäre.
Zu II.
Der Kläger, ein österreichischer Rechtsanwalt, begehrte zunächst die Verpflichtung der Beklagten, eines französischen Unternehmens, zur Zahlung von 75.000 EUR aus dem Titel des Anwaltshonorars, wobei er zur Höhe der Klagsforderung auf eine „Liste der Leistungen“ verwies, sich die Klagsausdehnung vorbehielt und als Beweis unter anderem „PV, Korrespondenz“ anführte.
Das Berufungsgericht hob mit Beschluss ON 12 ein vom Erstgericht am 22. 1. 2007 gefälltes Versäumungsurteil über Berufung der Beklagten auf und verwies die Sache an das Erstgericht zur Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurück. In der Sache selbst vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, der Kläger habe die Höhe seiner Gesamtforderung nicht präzisiert; es sei auch nicht klar, welche konkreten Leistungen er durch den eingeklagten Pauschalbetrag abgegolten haben wolle. Aufgrund dieser Unschlüssigkeit des Klagebegehrens hätte das Erstgericht ein klagsstattgebendes Versäumungsurteil nicht erlassen dürfen. Die Berufung könne aber auch nicht zu einer sofortigen Abweisung des Klagebegehrens führen. Vielmehr sei das Urteil zwecks Durchführung eines Verbesserungsverfahrens aufzuheben.
Der Kläger dehnte daraufhin sein Begehren auf 150.000 EUR aus und legte zunächst eine Tabelle seiner erbrachten Leistungen mit einem Gesamtsaldo von (netto) 205.407,80 EUR vor, die zwar - chronologisch geordnet - Einzelleistungen ihrer Art und Dauer nach auswies, jedoch kein Entgelt je Einzelleistung. Nach mehrfachen Aufforderungen durch das Erstgericht legte der Kläger eine Liste seiner erbrachten Leistungen mit einem Gesamtsaldo von nunmehr (brutto) 327.128,54 EUR vor, die die Einzelleistungen unter Angabe von Zeit, Dauer und Honoraranspruch in chronologischer Reihenfolge auflistet.
Die Beklagte wendete hinsichtlich der Höhe des Klagebegehrens Unschlüssigkeit ein.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab, das Berufungsgericht sprach darüber hinaus aus, dass die Revision nicht zulässig sei. In der Sache selbst vertraten sie übereinstimmend die Auffassung, es sei unklar, auf welcher Honorarbasis der Kläger seine Leistungen verrechnet habe und insbesondere, auf welcher konkreten Honorarbasis er welche Leistungen im Verfahren begehre; der Hinweis des Klägers auf Urkunden könne ein entsprechendes Vorbringen nicht ersetzen. Seine Vorgangsweise überlasse es außerdem dem Gericht zu entscheiden, über welche Leistungen abgesprochen werden solle; eine derartige alternative Klagenhäufung widerspreche jedoch dem Bestimmtheitserfordernis.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.
1. Der Kläger hat seinen Revisionsschriftsatz am 7. 12. 2009, dem letzten Tag der gemäß § 505 Abs 2 ZPO vierwöchigen Revisionsfrist, zur Post gegeben; der Schriftsatz langte am 9. 12. 2009 beim Erstgericht ein. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Revision trotz des Umstands, dass der Kläger die Eingabe ohne Beifügung der Glaubhaftmachung nach § 11 Abs 1a ERV 2006 nicht auf elektronischem Weg eingebracht hat, weder (formell) unzulässig noch verspätet; dieser Umstand betrifft nämlich (lediglich) die Art der Übermittlung der Eingabe, verwirklicht aber keinen die geschäftsordnungsgemäße Behandlung der Eingabe hindernden Formmangel (9 ObA 106/08s mwN).
2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann die Schlüssigkeit einer Klage nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden; ob eine Klage schlüssig ist, sich also der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt, kann daher an sich nie eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO sein (RIS-Justiz RS0037780).
Der Oberste Gerichtshof hat allerdings ebenfalls bereits mehrfach klargestellt, dass die Zulässigkeit einer Revision nicht mit dem erwähnten Einzelfallargument verneint werden kann, wenn die Annahme der Unschlüssigkeit der Klage durch die Vorinstanzen auf einem erheblichen Rechtsirrtum (8 Ob 611/93; 7 Ob 517/95; 8 Ob 512/95; 7 Ob 523/95) oder einer krassen Fehlbeurteilung (8 Ob 7/99h; 8 Ob 205/99a uva) beruht.
Eine derartige korrekturbedürftige Fehlbeurteilung ist hier den Vorinstanzen unterlaufen:
3. Der Kläger stützte letztlich sein Klagebegehren auf die Behauptung, für die Beklagte auftragsgemäß anwaltliche Leistungen erbracht zu haben. Diese Leistungen ergäben sich aus der mit Schriftsatz vom 31. 10. 2007, ON 21, vorgelegten Tabelle (mit einem Gesamthonorarbetrag von 327.128,54 EUR), wobei die darin verzeichneten Kosten der erbrachten Einzelleistungen ausgehend von einer Bemessungsgrundlage von 4 Mio EUR ermittelt worden seien. Der Kläger mache nur einen Teilbetrag von 150.000 EUR geltend, wobei die erbrachten Einzelleistungen in chronologischer Reihenfolge der vorgelegten Tabelle (beginnend mit der ältesten Leistung) begehrt würden; sollte das Gericht Einzelleistungen als nicht oder nicht in der verzeichneten Höhe honorierbar ansehen, werde auf die zeitlich nachfolgende(n) Leistung(en) abgestellt.
Die Vorinstanzen haben dieses Vorbringen als unschlüssig angesehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bedürfe es zur Schlüssigkeit einer Klage der Behauptung der rechtserzeugenden Tatsachen; der Hinweis auf angeschlossene urkundliche Belege genüge nicht. Im Übrigen sei unklar geblieben, welche konkreten Leistungen durch den eingeklagten Betrag abgegolten werden sollten; der Kläger ziele vielmehr darauf ab, dem Gericht die Wahl zu überlassen, welchem Begehren es stattgeben wolle, was einer unzulässigen alternativen Klagenhäufung gleich komme.
4. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hat der Kläger sein Vorbringen hinsichtlich der von ihm erbrachten und daher seiner Auffassung nach zu honorierenden Einzelleistungen ausdrücklich auf die mit Schriftsatz ON 21, der im Übrigen auch anlässlich der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 20. 12. 2007 verlesen wurde (AS 131), vorgelegte Tabelle gestützt. Darin sind die Einzelleistungen ihrer Art nach, geordnet nach Datum und unter Angabe des auf sie jeweils entfallenden Teilhonorars (dies im Gegensatz zur ursprünglichen Tabelle Beilage ./A) aufgelistet. Der Inhalt dieser Tabelle entspricht somit der Forderung der ständigen Rechtsprechung, wonach jeder von mehreren in einer Klage geltend gemachten Schadenersatzansprüchen ziffernmäßig bestimmt und individualisiert sein muss (RIS-Justiz RS0031014).
Ob diese Einzelleistungen tatsächlich erbracht wurden, ob sie überhaupt honorierbar sind und wenn ja, in welcher Höhe, ist keine Frage der Schlüssigkeit des Klagevorbringens, sondern eine solche des Beweisverfahrens und der rechtlichen Beurteilung. Keineswegs war es erforderlich, den Inhalt dieser Tabelle wortwörtlich in einen Schriftsatz zu übernehmen oder gar anlässlich einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung mündlich vorzutragen.
5. Begehrt ein Rechtsanwalt aus gesondert zu beurteilenden, wenn auch auf demselben Rechtsgrund beruhenden Rechtsverhältnissen nicht die Summe des Honorars, sondern einen Pauschalbetrag, so ist dieser Pauschalbetrag entsprechend aufzugliedern, um den Bestimmtheitserfordernissen des § 226 ZPO gerecht zu werden. Es geht nicht an, die Aufteilung des Pauschalbetrags auf die einzelnen Rechtsverhältnisse dem Gericht zu überlassen. Ohne eine solche Aufschlüsselung wäre es nicht möglich, den Umfang der Rechtskraft einer Teilabweisung des Zahlungsbegehrens zu bestimmen und damit die Frage zu beantworten, über welche der eingeklagten Forderungen (ganz oder teilweise) endgültig negativ abgesprochen worden ist. Nur wenn eine solche Aufgliederung erfolgt, kann in einem Folgeprozess die der Zulässigkeit einer weiteren Sachentscheidung allenfalls entgegenstehende materielle Rechtskraft der früheren Entscheidung beurteilt werden (1 Ob 294/00t).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger diesen Anforderungen entsprochen:
Abgesehen davon, dass der Kläger im vorliegenden Verfahren seinen Honoraranspruch nicht auf gesondert zu beurteilende Rechtsverhältnisse stützt, sondern sich auf ein konkretes Auftragsverhältnis bezieht, hat er entgegen der Auffassung der Vorinstanzen eine Aufschlüsselung seines Pauschalhonorars von 150.000 EUR vorgenommen. Er hat dabei auch nicht dem Erstgericht die Wahl überlassen, welchem seiner Begehren es stattgeben will (vgl dazu etwa 8 Ob 135/03s; 9 ObA 13/04h), sondern klargestellt, dass er grundsätzlich den Ersatz der von ihm zeitlich zuerst erbrachten Einzelleistungen begehrt. Das Erstgericht ist somit an die vom Kläger vorgegebene Reihung gebunden; es hat - in chronologischer Reihenfolge - die beanspruchten Einzelleistungen zu prüfen und insofern keine „Wahl, welchem Begehren es stattgeben will“. Damit ließe sich dann aber auch in einem Folgeprozess, in welchem der Kläger restliches Honorar beanspruchen sollte, klar feststellen, inwieweit bereits ein Zuspruch an Honorar für Einzelleistungen im vorliegenden Verfahren erfolgte.
6. Da somit das Vorbringen des Klägers entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht unschlüssig ist, waren deren Entscheidungen aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren die Berechtigung der einzelnen Ansprüche zu prüfen haben. Aus der Sicht des Obersten Gerichtshofs erscheint dabei nunmehr eine zügige Erledigung dieses Honorarprozesses vordringlich, vergingen doch bereits allein zwischen Schluss der Verhandlung erster Instanz und Ausfertigung der erstinstanzlichen Entscheidung etwa 14 Monate, wobei dem Akteninhalt ein Grund für eine dermaßen überlange Urteilserledigungsdauer nicht entnommen werden kann.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet auf § 52 ZPO.
Textnummer
E93652European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0060OB00258.09Y.0319.000Im RIS seit
20.05.2010Zuletzt aktualisiert am
21.01.2011