Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Irene Kienzl und MR Dr. Richard Warnung (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E***** M*****, als Fortsetzungsberechtigte nach dem am 27. März 2009 verstorbenen F***** M*****, vertreten durch Estermann & Partner KG, Rechtsanwälte in Mattighofen, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen Pflegegeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. Dezember 2009, GZ 12 Rs 187/09w-29, womit das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. Juli 2009, GZ 14 Cgs 34/08x-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Erstgericht wies das Klagebegehren des früheren Klägers (künftig: Pflegebedürftiger), ihm ab 1. 2. 2008 (höheres) Pflegegeld der Stufe 3 zu gewähren, ab. Es stellte - soweit im Revisionsverfahren von Interesse - fest, dass der Pflegebedürftige Hilfe und Betreuung auch zum täglich einmal notwendigen Bandagieren seiner Beine benötigte und diese Pflegeleistung im Rahmen der medizinischen Hauskrankenpflege erbracht wurde. Es ging von einem Pflegebedarf von durchschnittlich 110 Stunden im Monat aus, sodass weiterhin nur Pflegegeld der Stufe 2 gebühre. Verrichtungen der medizinischen Hauskrankenpflege seien eine Pflichtleistung der Krankenversicherung und daher bei der Bemessung des Pflegegelds nicht zu berücksichtigen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Der für das Anlegen elastischer Binden geltend gemachte besondere Betreuungsbedarf von weiteren 15 Stunden monatlich sei nicht zu berücksichtigen. Im Anlassfall komme es nicht darauf an, ob ein Rechtsanspruch des Versicherten auf die Erbringung qualifizierter Pflegeleistungen im Rahmen der medizinischen Hauskrankenpflege bestehe, was einen Pflegegeldanspruch von vornherein ausschließe, auch wenn der Betroffene die Hauskrankenpflege nicht in Anspruch nehme. Im vorliegenden Fall habe der Pflegebedürftige die medizinische Hauskrankenpflege als Sachleistung - einschließlich des Anlegens der Bandagen - tatsächlich erhalten. Es stelle sich daher die Frage, ob solche schon auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachte Leistungen, auch wenn es sich um keine qualifizierten Pflegeleistungen handelte, sondern um solche, die in den Tätigkeitsbereich der Pflegehelfer fielen, zusätzlich als besonderer Betreuungsaufwand bei der Bemessung des Pflegegelds berücksichtigt werden könnten. Das sei nicht der Fall. Beim Anlegen von Bandagen und Verbänden handle es sich, wie bei der Durchführung von Sondenernährung bei liegenden Magensonden, nicht um eine ausschließlich pflegerische Maßnahme gemäß § 84 Abs 2 und 3 GuKG, sondern um eine Tätigkeit, die im Einzelfall nach schriftlicher ärztlicher Anordnung und unter Aufsicht von Angehörigen des gehobenen Dienstes oder von Ärzten im Rahmen der Mitarbeit bei therapeutischen Verrichtungen auch von Pflegehelfern, grundsätzlich aber genauso von den Angehörigen des gehobenen Dienstes selbst - etwa im Rahmen der medizinischen Hauskrankenpflege - durchgeführt werden können. Erbringe die gesetzliche Krankenversicherung aus ihren Mitteln eine solche Leistung tatsächlich als Sachleistung, auch wenn es sich dabei um keine Pflichtleistung handle, auf die der Versicherte einen Rechtsanspruch hätte, gewähre die Krankenversicherung insoweit jedenfalls eine Leistung iSd § 79 GSVG (§ 117 ASVG), sodass der Versicherte, solange die Sachleistung tatsächlich gewährt werde, von vornherein keinen entsprechenden Pflegebedarf habe. Insbesondere aus den in den §§ 6, 7, 12 und 20 BPGG zum Ausdruck kommenden Wertungen ergebe sich, dass eine Doppelversorgung mit Leistungen der Pflegegeld- und Krankenversicherungsträger grundsätzlich ausgeschlossen sein solle. So sei das Pflegegeld bei Zusammentreffen mehrerer Ansprüche nur einmal zu leisten. Anderweitige Geldleistungen wegen Pflegebedürftigkeit seien auf das Pflegegeld anzurechnen. Der Anspruch auf Pflegegeld ruhe während eines stationären Aufenthalts in einer Krankenanstalt. Werde der durch das Pflegegeld angestrebte Zweck nicht erreicht, seien anstelle des gesamten oder nur eines Teils des Pflegegelds Sachleistungen zu gewähren. Aus alldem folge, dass ein pflegegeldrelevanter Betreuungsaufwand für das Anlegen der Bandagen zusätzlich zu der im Rahmen der medizinischen Hauskrankenpflege in Anspruch genommenen - die Anstaltspflege ersetzenden - Sachleistung nicht geltend gemacht werden könne.
Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Bemessung des Pflegegelds bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von Sachleistungen der Krankenversicherung (hier: von nicht qualifizierten Pflegetätigkeiten) fehle.
Rechtliche Beurteilung
Die unbeantwortet gebliebene Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht bezeichneten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Die Revisionswerberin behauptet, die Hauskrankenpflege sei von ihr und vom Pflegebedürftigen bezahlt worden. Dies ist eine im Revisionsverfahren unbeachtliche Neuerung (§ 502 Abs 4 ZPO; RIS-Justiz RS0042049). Im Verfahren erster Instanz wurde von den Parteien außer Streit gestellt, dass das Anlegen der elastischen Bandagen im Rahmen der medizinischen Hauskrankenpflege erbracht wurde. Der vom Berufungsgericht daraus und aus der entsprechenden Feststellung im Urteil des Erstgerichts gezogene Schluss, dass diese Leistung vom Krankenversicherungsträger als Sachleistung (§ 151 Abs 2 ASVG; § 99 Abs 2 GSVG) erbracht wurde, ist nicht mit einem Verfahrensfehler behaftet, hat doch die Klägerin gar nicht behauptet, der Pflegebedürftige habe nicht die Vertragspartner oder die eigenen Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) des Krankenversicherungsträgers zur Erbringung der medizinischen Hauskrankenpflege in Anspruch genommen (§ 151 Abs 4 ASVG; § 99 Abs 4 GSVG). Die Rüge, dass von den Vorinstanzen nicht geprüft worden sei, ob ein Rechtsanspruch des Pflegebedürftigen auf Übernahme der Kosten durch den Krankenversicherungsträger bestehe, ist daher nicht berechtigt.
2. Im Übrigen genügt es, auf die Richtigkeit der Begründung des Berufungsgerichts hinzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Revisionswerberin setzt dem entgegen, dass die vom Berufungsgericht verneinte Vergleichbarkeit des Anlassfalls mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 122/08a durchaus gegeben sei. Dem ist zu erwidern, dass in dieser Entscheidung nicht zu beurteilen war, ob eine - im Hinblick auf § 84 Abs 4 Z 4 GuKG - nicht zu den Leistungen der medizinischen Hauskrankenpflege zählende Verrichtung (Sondenernährung bei liegender Magensonde), die aber tatsächlich im Rahmen einer als Sachleistung gewährten medizinischen Hauskrankenpflege erbracht wurde, bei der Bemessung des Pflegegelds zu berücksichtigen ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 2 lit b ASGG. Das ein Kostenersatz aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse billig wäre, macht die Rechtsmittelwerberin nicht geltend.
Schlagworte
SozialrechtTextnummer
E93603European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:010OBS00030.10Z.0323.000Im RIS seit
14.05.2010Zuletzt aktualisiert am
04.11.2011