Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Agrargemeinschaft N*****, vertreten durch Dr. Peter Lechner, Dr. Hermann Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Gemeinde N*****, vertreten durch Dr. Andreas Brugger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 7.757 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. September 2008, GZ 2 R 258/07s-21, womit aus Anlass der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 6. März 2007, GZ 11 C 49/06g-12, sowie das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
1. Das Verfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.
2. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
B e g r ü n d u n g :
Ob den Liegenschaften EZ *****, EZ ***** und EZ *****, je Grundbuch *****, Bezirksgericht Innsbruck, ist jeweils zur TZ ***** die Einleitung des Regulierungsverfahrens angemerkt; zur TZ ***** ist jeweils aufgrund des Bescheids des Amts der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz vom 17. 11. 1961, Zahl IIIb 1-1169/17, das Eigentumsrecht der Klägerin einverleibt. In diesem Bescheid des Amts der Tiroler Landesregierung wurden das gemeinschaftlich genutzte Gebiet bestehend aus bezeichneten Grundparzellen der EZ *****, EZ ***** und EZ ***** je GB ***** (das Regulierungsgebiet) sowie - gemäß § 60 iVm § 79 Tiroler Flurverfassungslandesgesetz (TFLG), LGBl 1952/32, - die anteilsberechtigten Parteien festgestellt und deren Namen zu einer Liste der Parteien zusammengestellt. Als am gemeinschaftlich genutzten Gebiet anteilsberechtigte Parteien wurden „die politische Gemeinde N***** als solche“ und die jeweiligen Eigentümer näher bezeichneter Liegenschaften (Stammsitzliegenschaften) in der Gemeinde N***** angeführt. In diesem Bescheid wurde weiters festgestellt, dass das Gebiet Gemeindegut der Beklagten darstelle, weiters, dass es sich daher um agrargemeinschaftliche Grundstücke iSd § 36 Abs 2 lit d TFLG handle.
Mit einem weiteren Bescheid des Amts der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz vom 30. 4. 1963, Zahl IIIb 1-1019/159, wurde das Eigentum der Klägerin an den genannten Liegenschaften festgestellt, dies im Zuge einer agrarischen Operation.
Ab dem Jahr 1964 hat die Klägerin über die genannten Liegenschaften verfügt, sie veräußerte Teile dieser Liegenschaften und überließ andere zum Gebrauch etwa auch an die Beklagte.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin für fünf im Einzelnen bezeichnete Pachtflächen auf diesen Gründstücken Grundbenützungsgebühr von der Beklagten. Das entsprechende Pachtentgelt beruhe auf Vereinbarungen, die erst nach der Einleitung des Regulierungsverfahrens getroffen worden seien. Die Beklagte habe die Zahlungen für das Jahr 2005 jedoch nicht geleistet.
Die Beklagte brachte dagegen vor, dass nicht die Klägerin, sondern sie selbst Eigentümerin der Grundstücke sei, für deren Benützung sie daher auch kein bereicherungsrechtliches Benützungsentgelt schulde. Verträge zwischen den Streitteilen seien nicht vereinbart worden, selbst wenn dies der Fall sei, schulde die Beklagte nichts, weil die Klägerin keine Leistung erbringe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme eines Teils des Zinsenbegehrens statt. Zwischen den Streitteilen seien ab 1983 zahlreiche Vereinbarungen getroffen worden, nach denen die Klägerin der Beklagten diverse Grundflächen gegen Zahlung eines entsprechenden Entgelts zur Verfügung gestellt habe. Diese Vereinbarungen seien bis 2004 von der Beklagten eingehalten worden, die Streitteile seien bis 2004 auch davon ausgegangen, dass die Klägerin verfügungsberechtigte Eigentümerin der Liegenschaften sei. Ob die Klägerin tatsächlich Eigentümerin der Liegenschaften sei, könne dahingestellt bleiben, sie sei jedenfalls erkennbar verfügungsberechtigt gewesen. Die Beklagte schulde daher die vereinbarten Entgelte, das Verfahren habe keine Ergebnisse für eine unentgeltliche Gebrauchsüberlassung ergeben. Daran ändere nichts, dass die Beklagte seit 2005 den Standpunkt vertrete, sie sei Eigentümerin dieser Liegenschaften.
Aus Anlass einer von der Beklagten gegen dieses Urteil erhobenen Berufung hob das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss das Urteil des Erstgerichts samt dem vorangegangenen Verfahren als nichtig auf und wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Das von der Agrarbehörde eingeleitete Regulierungsverfahren sei noch nicht abgeschlossen, sodass sich für den hier zu behandelnden Rechtsstreit gemäß § 72 TFLG die Zuständigkeit der Agrarbehörde ergebe. Diese Zuständigkeit erstrecke sich nach § 72 Abs 5 lit c TFLG auch auf Streitigkeiten über Gegenleistungen für die Benutzung von in das Verfahren einbezogenen Grundstücken. Während des anhängigen Regulierungsverfahrens sei die Zuständigkeit der Gerichte daher ausdrücklich gesetzlich ausgeschlossen, sodass auch nicht auf die Klagebehauptungen abgestellt werden könne, aus denen sich die Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs gemäß § 1 JN ergäbe. Gegenstand des Rechtsstreits sei zwar konkret ein Benützungsentgelt für von der Beklagten genutzte Grundstücke; der entstandene Streit stehe jedoch in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang mit der Zusammenlegung. Das hier als Vorfrage strittige Eigentumsrecht der Klägerin an jenen Grundstücken, die die Beklagte für Gemeindezwecke nutze, lasse zumindest den Anschein des Zusammenhangs mit dem Regulierungsverfahren bestehen, denn die Agrarbehörde sei für Streitigkeiten über das Eigentum oder den Sachbesitz an in das Zusammenlegungsverfahren einbezogenen Liegenschaften zuständig. Dies gelte auch für eine Streitigkeit, die solchen Angelegenheiten aus besonderen Gründen gleichzuhalten sei. Damit sei der ordentliche Rechtsweg nicht zulässig.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der als „Revisionsrekurs“ bezeichnete Rekurs der Klägerin (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO) aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben und die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.
Die Beklagte beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
I. Das Landesgericht Innsbruck hat mit rechtskräftigem Beschluss vom 28. 1. 2010 den im Rekurs enthaltenen Antrag auf Ablehnung der Mitglieder des Berufungssenats zurückgewiesen, sodass das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof mit Beschluss wieder aufzunehmen war.
II. Die Rekurswerberin behauptet einen Mangel des Berufungsverfahrens, weil der Beschluss auf Wiedereröffnung der Berufungsverhandlung nicht begründet und daher nichtig sei. Der behauptete Verfahrensmangel liegt schon deshalb nicht vor, weil die Rekurswerberin nicht ausführt, worin seine Relevanz für das Verfahren liegen soll (RIS-Justiz RS0043027).
III. Inhaltlich führt die Rekurswerberin zusammengefasst aus, dass die Zuständigkeit der Gerichte gegeben sei, weil die zwischen den Streitteilen getroffenen Vereinbarungen viele Jahre nach Einleitung des Regulierungsverfahrens getroffen worden seien und mit diesem und insbesondere den Verhältnissen im Zeitpunkt der Einleitung des Regulierungsverfahrens in keinem Zusammenhang stünden. Zweifellos sei die Klägerin Eigentümerin der genannten Liegenschaften. Die rechtsgestaltende Wirkung der Bescheide des Amts der Tiroler Landesregierung müsse beachtet werden. Entgeltvereinbarungen vor Einleitung des Regulierungsverfahrens seien nicht getroffen worden. Durch die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht werde das Recht der Klägerin auf den gesetzlichen Richter verletzt.
Mit diesen Ausführungen vermag die Rekurswerberin keine Unrichtigkeit des angefochtenen Beschlusses aufzuzeigen:
III.1 Für die Zulässigkeit des Rechtswegs ist der Wortlaut des Klagebegehrens und der in der Klage behauptete Sachverhalt maßgeblich (Ballon in Fasching/Konecny² I § 1 JN Rz 72; RIS-Justiz RS0045584; RS0005896). Ohne Einfluss ist hingegen, was der Beklagte einwendet; auf dessen Vorbringen ist erst in der Sachentscheidung Bedacht zu nehmen (1 Ob 156/03b uva). Es kommt darauf an, ob nach dem Inhalt der Klage ein Anspruch erhoben wird, über den die Zivilgerichte zu entscheiden haben. Im Zweifel müssen bürgerliche Rechtssachen mangels anderer Anordnung durch die Gerichte entschieden werden. Soll eine bürgerliche Rechtssache ausnahmsweise der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte entzogen werden, dann muss dies in einem besonderen Gesetz klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden; eine ausdehnende Auslegung von Vorschriften, die die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde anordnen, ist unzulässig (1 Ob 156/03b mwH; RIS-Justiz RS0045474). Eine solche Sonderbestimmung ist, wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, auch § 72 Abs 5 TFLG (1 Ob 156/03b; SZ 59/212 = 7 Ob 700/86; 4 Ob 158/02t ua; ebenso VfSlg 7.800; VfSlg 15.352 ua).
III.2 Gemäß § 87 Abs 2 TFLG 1996 ist dieses Gesetz im vorliegenden Fall in der Fassung des TFLG 1996 anzuwenden. Die Zuständigkeit der Agrarbehörde erstreckt sich gemäß § 72 Abs 4 TFLG von der Einleitung bis zum Abschluss eines (hier) Regulierungsverfahrens. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass das Regulierungsverfahren unstrittig für die hier wesentlichen Liegenschaften noch nicht beendet ist (zur Zuständigkeit der Gerichte in Angelegenheiten bürgerlichen Rechts nach Beendigung eines Zusammenlegungsverfahrens: RIS-Justiz RS0108939). Die Zuständigkeit der Agrarbehörde erstreckt sich auf die Verhandlung und Entscheidung über alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die zum Zweck der Durchführung der Regulierung in das Verfahren einbezogen werden müssen. Insbesondere erstreckt sich die Zuständigkeit der Agrarbehörde gemäß § 72 Abs 5 lit c TFLG 1996 auch auf Streitigkeiten über Gegenleistungen für die Benutzung von in das Verfahren einbezogenen Grundstücken. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass eine solche Streitigkeit hier vorliegt. Es kann dahin gestellt bleiben, aus welchem Titel die Gegenleistungen geltend gemacht werden, denn die Klägerin begehrt sie unzweifelhaft für die Benutzung der Liegenschaften durch die Beklagte.
III.3 Aus dem Gesetz ergibt sich für die Beurteilung der Zuständigkeit keine weitere Einschränkung als der Bezug der Streitfrage auf ein in ein Zusammenlegungsverfahren einbezogenes Grundstück. Für eine von Lang (Tiroler Agrarrecht I, 108 ff) geforderte restriktivere Auslegung der Zuständigkeitsbestimmung des § 72 TFLG 1996 besteht keine Grundlage. Das Zusammenlegungsverfahren - nichts anderes kann für das Regulierungsverfahren gelten - ist zu vereinfachen und zu beschleunigen. Diese Absicht wäre gefährdet, wenn in jedem Fall strittiger Eigentumsverhältnisse oder Besitzverhältnisse erst zu prüfen wäre, ob der entstandene Streit in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang mit der Zusammenlegung steht (RIS-Justiz RS0058985; vgl auch VfSlg 3.798; VfSlg 5.747). Auch Streitigkeiten aus einem Pachtvertrag, die in das Zusammenlegungsverfahren einbezogene Grundstücke betreffen, unterliegen der Zuständigkeit der Agrarbehörde (für gemeinsam verpachtete und teilweise in das Verfahren einbezogene Grundstücke: 8 Ob 525/90).
III.4 Dem Umstand, dass das Regulierungsverfahren im konkreten Fall bereits seit geraumer Zeit anhängig ist, kommt daher für die Frage der Beurteilung der Zuständigkeit keine Bedeutung zu; entscheidend ist, dass es noch nicht abgeschlossen ist. Ebenso ist im Sinn der dargestellten Rechtslage unbeachtlich, ob ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang dieses Rechtsstreits mit dem Regulierungsverfahren besteht, sodass auch nicht auf die von der Beklagten thematisierte Vorfrage der Eigentumsverhältnisse einzugehen ist. So sprach der Verfassungsgerichtshof etwa auch aus, dass die Agrarbehörde für eine beantragte Benützungsregelung über in ein Zusammenlegungsverfahren einbezogene Grundstücke nach § 89 Abs 2 und 3 TFLG 1952 (diese Bestimmungen entsprechen inhaltlich § 72 Abs 4 und 5 TFLG 1996) zuständig ist (VfSlg 15.352). Das Vorbringen der Agrarbehörde im damaligen Verfahren, dass die an sie zur Entscheidung herangetragene Angelegenheit weder mit einer erforderlichen agrarischen Operationsmaßnahme noch mit der zu treffenden Neuordnung der Eigentumsverhältnisse an den betroffenen Grundstücken im Zusammenhang stehe und das verfahrensgegenständliche Haus sich inmitten des Wohngebiets befinde, wo keine Maßnahmen der Bodenreform durchgeführt würden, verwarf der Verfassungsgerichtshof.
III.5 Wie ausgeführt, hat der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung die Zuständigkeit der Agrarbehörde in Richtung einer umfassenderen Konzentrierung hinsichtlich aller Fragen interpretiert, die im Zusammenlegungsverfahren einbezogene Grundstücke betreffen (Lang aaO 104). Der Gesetzgeber muss die Behördenzuständigkeit nach objektiven Kriterien exakt, klar und eindeutig festlegen (Mayer, B-VG4 Art 83 II.2 mwN). Diesen Anforderungen entspricht § 72 Abs 4 und 5 TFLG. Von der von der Rekurswerberin behaupteten Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter iSd § 83 Abs 2 B-VG kann daher keine Rede sein.
Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.
Textnummer
E93651European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0080OB00041.09A.0323.000Im RIS seit
22.05.2010Zuletzt aktualisiert am
12.12.2012