Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23. März 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Gotsmy als Schriftführer, in der Strafsache gegen Erwin O***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB, AZ 3 U 156/08v des Bezirksgerichts Hall in Tirol, über den Antrag der Generalprokuratur auf Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 362 StPO) in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 11. September 2008, GZ 3 U 156/08v-9, welches im Übrigen unberührt bleibt, wird in dem den Tatzeitraum 13. Oktober 2003 bis 24. März 2005 betreffenden Teil des Schuldspruchs, demzufolge auch im Strafausspruch sowie der Beschluss auf Erteilung einer Weisung aufgehoben und es wird im Umfang der Aufhebung die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügt.
Text
Gründe :
Mit rechtskräftigem, gekürzt ausgefertigtem (§ 458 Abs 3 StPO idF vor BGBl I 2009/52) Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 11. September 2008, GZ 3 U 156/08v-9, wurde Erwin O***** des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
Danach hat er von 13. Oktober 2003 bis 10. September 2008 in Rum dadurch, dass er für seine mj Tochter Katharina R*****, geboren am 15. April 1996, keinerlei Zahlungen leistete, seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gröblich verletzt und dadurch bewirkt, dass der Unterhalt der Unterhaltsberechtigten ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre.
Mit unter einem verkündeten Beschluss wurde Erwin O***** die Weisung erteilt, „ein Jahr hindurch, beginnend mit Oktober 2008, bis zum 15. jeden Monats dem Gericht unaufgefordert den Nachweis zu erbringen, dass er zusätzlich zum laufenden Unterhalt 100 Euro an Rückstandszahlungen leistet“.
Weder der Verurteilte noch die Bezirksanwältin gaben hiezu eine Erklärung ab. Die mangels sofortigen Rechtsmittelverzichts nach § 498 Abs 2 StPO idF BGBl I 2007/93 verlangte Beschlussausfertigung, die eine die Weisung betreffende Begründung samt Rechtsmittelbelehrung enthält, unterblieb.
Nach der im Akt erliegenden Strafregisterauskunft (ON 8) weist Erwin O***** zahlreiche einschlägige Vorstrafen auf. Dem Vorstrafakt des Landesgerichts Leoben, AZ 14 Hv 177/03k, ist zu entnehmen, dass sich Erwin O***** unter Anrechnung der Vorhaft in der Zeit von 24. September 2003 bis 23. Dezember 2003 in Haft befand (S 277, Strafantrittsbericht ON 40, Strafvollzugsbericht ON 43).
Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 2. November 2005, GZ 29 U 203/05x-17, wurde Erwin O***** ua von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe in der Zeit von 1. Jänner 2004 bis 24. März 2005 in Salzburg und andernorts für seine mj Tochter Katharina R*****, geboren am 16. Mai 1996 (richtig offenbar: 15. April 1996), keine Unterhaltszahlungen geleistet und seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gröblich verletzt und dadurch bewirkt, dass der Unterhalt der Unterhaltsberechtigten ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Dieser Umstand war im Verfahren des Bezirksgerichts Hall in Tirol nicht aktenkundig.
Rechtliche Beurteilung
Im Strafverfahren gegen Erwin O***** wegen § 198 Abs 1 StGB, AZ 3 U 156/08v des Bezirksgerichts Hall in Tirol, bestehen - wie die Generalprokuratur in ihrem Antrag zutreffend ausführt - gegen die Richtigkeit der dem Urteil vom 11. September 2009, GZ 3 U 156/08v-9, zugrunde gelegten Tatsachen betreffend den Tatzeitraum vom 13. Oktober 2003 bis zum 24. März 2005 aus nachstehenden Erwägungen erhebliche Bedenken:
1./ Die Unterlassung von Zahlungen eines Unterhaltsverpflichteten in Zeiten gerichtlicher Haft begründet in der Regel keine gröbliche Pflichtverletzung, zumal es dem Verpflichteten nicht möglich ist, in dieser Zeit einem Erwerb nachzugehen, sodass es diesbezüglich bereits am objektiven Tatbestand des § 198 Abs 1 StGB mangelt. Dasselbe gilt für die erste Zeit nach der Entlassung, weil dem Unterhaltspflichtigen nach der Haftentlassung ein angemessener Zeitraum zur Arbeitsbeschaffung zuzubilligen ist (Markel in WK2 § 198 Rz 55; 11 Os 105/06k). Nach dem Strafantrittsbericht ON 40 und dem Strafvollzugsbericht ON 43 des Landesgerichts Leoben, AZ 14 Hv 177/03k, befand sich der Verurteilte vom 24. September 2003 bis 23. Dezember 2003 in Haft. Den Schuldspruch für den Zeitraum von 13. Oktober bis 23. Dezember 2003 und einen Monat danach dennoch tragende Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners (vgl RIS-Justiz RS0095102 [T5]), etwa in Form von Vermögenserträgen, sind dem Referat der entscheidenden Tatsachen des gekürzt ausgefertigten Urteils des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 11. September 2008 nicht zu entnehmen, weshalb davon auszugehen ist, dass die erwähnte Haftzeit bei der Urteilsfällung unberücksichtigt geblieben ist. Es bestehen daher erhebliche Bedenken an der (implizit mitkonstatierten) Leistungsfähigkeit des Erwin O***** für die Zeit der Haft und für den daran anschließenden Zeitraum - fallaktuell (vgl die nachfolgenden Ausführungen) - bis 31. Dezember 2003.
2./ Das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol umfasst in Ansehung des Tatzeitraums vom 1. Jänner 2004 bis 24. März 2005 denselben Lebenssachverhalt wie das zuvor ergangene Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 2. November 2005, GZ 29 U 203/05x-17, mit welchem Erwin O***** vom entsprechenden Vorwurf nach § 198 Abs 1 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen wurde. Einer neuerlichen Verurteilung steht demnach das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegen (§ 17 StPO; RIS-Justiz RS0124619). Die am 11. September 2008 dennoch erfolgte Verurteilung des Erwin O***** durch das Bezirksgericht Hall in Tirol widerspricht demnach dem in Art 4 Z 1 des 7. ZPMRK verankerten und nunmehr auch in § 17 Abs 1 StPO normierten Grundsatz „ne bis in idem“ sowie dem aus dem 16. Hauptstück der StPO abzuleitenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft.
Die dem Schuldspruch zugrunde liegende verfehlte Annahme, ein strafgerichtliches Urteil betreffend die Verletzung der Unterhaltspflicht durch den Angeklagten im genannten Zeitraum sei noch nicht ergangen, führt demnach insoweit zur Aufhebung des Schuldspruchs in Ansehung des Tatzeitraums vom 1. Jänner 2004 bis zum 24. März 2005.
Mit Blick auf die notwendigen Erhebungen zur verlässlichen Beurteilung der allfälligen Leistungsfähigkeit des Erwin O***** für die Zeit vom 13. Oktober bis zum 31. Dezember 2003 erscheint jedoch auch im Umfang des vom Prozesshindernis „ne bis in idem“ betroffenen Tatzeitraums eine Entscheidung gemäß § 360 Abs 1 StPO nicht zweckmäßig.
Zufolge der Teilkassation des Schuldspruchs ist auch die Aufhebung der darauf gegründeten Weisung geboten.
Es waren daher das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 11. September 2008 in dem den Tatzeitraum vom 13. Oktober 2003 bis zum 24. März 2005 betreffenden Teil des Schuldspruchs und demzufolge auch im Strafausspruch sowie der Beschluss auf Erteilung einer Weisung aufzuheben. Im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs war im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Verfahrens zu verfügen und die Strafsache zur weiteren Amtshandlung gemäß § 358 StPO an das Bezirksgericht Hall zu verweisen.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E93732European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0110OS00030.10M.0323.000Im RIS seit
29.05.2010Zuletzt aktualisiert am
28.01.2013