Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller 1) Mag.W***** Z*****, 2) E***** B*****, ebendort, 3) H***** K*****, und 4) V***** K*****, ebendort, alle vertreten durch Lattenmayer Luks & Enzinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Antragsgegnerin Stadt Wien, 1082 Wien, Rathaus, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, wegen Einräumung eines Notwegs, über den Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 22. Dezember 2009, GZ 44 R 575/09y-85, berichtigt durch den Beschluss vom 9. Februar 2010 (ON 90), mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 28. September 2009, GZ 36 Nc 12/07h-78, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Antragsteller sind schuldig, der Antragsgegnerin die mit 1.595,38 EUR (darin enthalten 265,90 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
B e g r ü n d u n g :
Die Erst- und Zweitantragsteller sind jeweils Hälfteeigentümer der Liegenschaft EZ ***** mit dem Gst 796/8, die Dritt- und Viertantragsteller sind zu einem Sechstel bzw fünf Sechstel Eigentümer der Liegenschaft EZ ***** mit dem Gst 796/7. Ihre Liegenschaften sind derzeit nur über einen ca 90 cm breiten Servitutsweg („Servitutsweg 1“) erreichbar. Parallel zum Servitutsweg 1 verläuft ein in der Natur etwa 3 m breiter, überwiegend unbefestigter Weg („Servitutsweg 2“); die Antragsteller sind zur Benützung dieses Wegs nicht berechtigt. Nordwestliche Nachbarn der Antragsteller sind einerseits Dr. S***** (EZ *****) und andererseits P***** S***** (EZ *****). Zwischen den Grundstücken der Antragsteller sowie (nordwestlich davon) der genannten Anrainer verläuft ein 8 m breiter Grundstreifen, bei dem es sich um einen straßenmäßig nicht ausgebauten Teil der Gerhard-Fritsch-Gasse handelt, die an ihrem nordwestlichen Ende in die ausgebaute Twarochgasse mündet. Bei der beschriebenen Grundfläche zwischen den Grundstücken der beiden Anrainer handelt es sich um das Gst 798/12, das - so wie auch die Gst 796/6, 798/19 und 795/7 - zum Gutsbestand der EZ ***** (öffentliches Gut) der Antragsgegnerin gehört. An diesem Gst 798/12 steht, jeweils in einer Breite von 4 m, den beiden Anrainern das ausschließliche Nutzungsrecht gemäß § 17 Abs 1 der Wiener Bauordnung zu, und zwar bis zur Übergabe dieser Fläche in den physischen Besitz der Antragsgegnerin aufgrund eines entsprechenden Übertragungsauftrags. Der nördliche, 4 m breite Streifen dieser Grundfläche wird von der Anrainerin P***** S***** ausschließlich genutzt. Schon im Jahr 1997 war dieser Grundstreifen sowohl zur Twarochgasse als auch zum Grundstück der Rechtsvorgängerin des Anrainers Dr. S***** hin durch einen alten, ungepflegten Maschendrahtzaun abgegrenzt, während das restliche Grundstück mit einem neueren Zaun umgeben war. Beim käuflichen Erwerb ihrer Liegenschaften (im Jahr 2004 bzw 1997) war den Antragstellern die Wegesituation bekannt. Sie gingen jedoch davon aus, dass nach erfolgter Grundabtretung an die Stadt Wien der für den Ausbau der Gerhard-Fritsch-Gasse als öffentliche Straße erforderliche Beschluss durch die Bezirksvorstehung gefasst werde. Tatsächlich liegt ein solcher Ausbaubeschluss bislang nicht vor. Bis zur Herstellung der erforderlichen Verkehrsfläche sind die Liegenschaften der Antragsteller mit einem vorläufigen Bauverbot belegt.
Die Antragsteller begehrten zuletzt die Einräumung eines Notwegs zum Zweck der Anbindung ihrer Liegenschaften an die Twarochgasse, und zwar in einer Breite von 4 m (unter anderem) in der Mitte des Gst 798/12 laut Einreichplan Beilage ./L; in eventu in einer Breite von 4 m auf der nördlichen Teilfläche des Gst 798/12 laut Einreichplan Beilage ./AP; in eventu in einer Breite von 3 m auf der nördlichen Teilfläche des Gst 798/12 laut Einreichplan Beilage ./BL. Die Antragsgegnerin sei Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** mit den Gst 798/12, 796/6, 798/19 und 795/7. Diese Grundstücke seien im Flächenwidmungsplan seit Jahrzehnten als Straße ausgewiesen. Da diese Straße bisher nicht errichtet worden sei, seien ihre Liegenschaften nicht an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen, weshalb ein vorläufiges Bauverbot bestehe. Zur Erlangung der Baubewilligung seien sie auf die Einräumung eines Notwegs angewiesen. Die Inanspruchnahme der Gst 798/12 und 796/6 stelle die einzige Möglichkeit zur Anbindung ihrer Liegenschaften an das öffentliche Verkehrsnetz dar. Durch die beantragte Wegführung werde die Liegenschaft der Antragsgegnerin nur in einem zu vernachlässigenden Ausmaß beeinträchtigt.
Die Antragsgegnerin erwiderte, dass insbesondere das Gst 798/12 noch nicht in ihren physischen Besitz übernommen worden sei. Aus diesem Grund stehe den Anrainern das Nutzungsrecht gemäß § 17 Abs 1 der Wiener Bauordnung zu. Diese Fläche werde von den Anrainern als eingefriedeter Vorgarten iSd § 4 Abs 3 NWG genutzt. Demgegenüber würden über die 3 m breite Privatstraße (Servitutsweg 2) bereits zumindest sechs Liegenschaften aufgeschlossen; mit dieser Variante würden fremde Liegenschaften weniger belastet. Außerdem hätten die Antragsteller ihre Grundstücke ohne ausreichende Verbindung zum öffentlichen Wegenetz erworben, weshalb ihnen auffallende Sorglosigkeit nach § 2 Abs 1 NWG anzulasten sei. Es bestehe auch kein Erfordernis für eine Zufahrt über eine 4 m breite Straße.
Das Erstgericht räumte den Antragstellern einen Notweg in Form des zweiten Alternativbegehrens (laut Einreichplan Beilage ./BL) ein und erteilte diesen gleichzeitig verschiedene Auflagen; zudem wurden sie zur Zahlung eines Entschädigungsbetrags an die Antragsgegnerin sowie zum Kostenersatz verurteilt. Eine auffallende Sorglosigkeit iSd § 2 NWG könne den Antragstellern nicht angelastet werden, weil sie vor Abschluss ihrer Kaufverträge entsprechende Erkundigungen zur Anbindung ihrer Liegenschaften an das öffentliche Straßennetz eingeholt hätten. Die ihnen erteilten Informationen seien jedoch unzureichend und missverständlich gewesen. Die Einräumung des beantragten Notwegs stelle die einzige Möglichkeit für eine Baureifmachung der Liegenschaften dar, weshalb dieser notwendig sei. Da das Gst 798/12 als Straßenfläche gewidmet sei, könne die Antragsgegnerin nicht belastet sein. Ein Eingriff in das Eigentumsrecht der Anrainerin, die den nördlichen Teil des Gst 798/12 nutze, finde nicht statt. Der beantragten Variante sei daher gegenüber dem Servitutsweg 2 der Vorzug zu geben. Die Auflagen beruhten auf der zustimmenden Erklärung der Antragsteller.
Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung ab und wies das Begehren der Antragsteller auf Einräumung eines Notwegs einschließlich der Eventualbegehren ab. Nach § 4 Abs 3 NWG sei die Einräumung eines Notwegs über eingefriedete Gärten ausgeschlossen. Von den Antragstellern werde nicht bestritten, dass die gemäß § 17 Abs 1 der Wiener Bauordnung genutzten Grundstücksstreifen umzäunt und in die Vorgärten rund um die Wohnhäuser der Nutzungsberechtigten einbezogen seien. Unter dieser Voraussetzung gelte die Schutznorm des § 4 Abs 3 NWG auch für Grundflächen, an denen ein solches Nutzungsrecht bestehe. Da zu dieser Frage eine höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle, sei der Revisionsrekurs zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsteller, mit dem sie die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts anstreben; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.
Mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Antragsgegnerin, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zulässig. Er ist jedoch nicht berechtigt.
1.1 Die EZ ***** umfasst Grundflächen, die in das öffentliche Gut übertragen, aber noch nicht als Straße ausgebaut wurden. Nach der maßgeblichen aktuellen Nutzung kommt ihnen noch kein Charakter als öffentlicher Weg zu. Auch auf die im Flächenwidmungs- und Bebauungsplan vorgesehene Widmung als Straße können die Antragsteller nicht verwiesen werden, weil die Stadt Wien nach gefestigter Spruchpraxis des VwGH zum Ausbau öffentlicher Straßen nicht verpflichtet ist (vgl VwGH 15. 1. 1985, 82/05/0139).
1.2 Die den Antragstellern vom Erstgericht eingeräumte Notwegvariante führt unter anderem in einer Breite von 3 m über das Gst 798/12, an dem nach entsprechenden Grundabtretungen den Eigentümern der angrenzenden Liegenschaften - bis zur Übergabe in den physischen Besitz an die Stadt Wien - jeweils in einer Breite von 4 m das ausschließliche Nutzungsrecht nach § 17 Abs 1 der Wiener Bauordnung zusteht. Die vom Erstgericht in Betracht gezogene Variante betrifft nur den nördlichen Teil des Gst 798/12 und damit nur die Anrainerin P***** S*****.
2.1 Nach § 4 Abs 3 NWG ist die Einräumung eines Notwegs (unter anderem) über bei Häusern befindliche, zur Verhinderung des Zutritts fremder Personen eingefriedete Gärten ausgeschlossen. Im gegebenen Zusammenhang stellt sich die in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch nicht geklärte Frage, ob sich diese Schutzbestimmung auch auf einen Grundstreifen nach § 17 Abs 1 der Wiener Bauordnung bezieht, der zusammen mit der angrenzenden Liegenschaft als Haus- bzw Vorgarten genutzt wird. Diese Frage ist zu bejahen.
2.2 Nach § 17 Abs 1 der Wiener Bauordnung (schon seit LGBl 1930/11, s dazu 2 Ob 604/93) trifft den jeweiligen Eigentümer bei der Schaffung oder Änderung eines Bauplatzes die Verpflichtung zur Abtretung (in das öffentliche Gut) und zur Übergabe (an die Stadt Wien) von näher bestimmten Grundteilen für die Errichtung von Verkehrsflächen. Bis zur Übergabe der abgetretenen Grundfläche in den physischen Besitz der Stadt Wien aufgrund eines entsprechenden Übertragungsauftrags bleibt dem jeweiligen übergabepflichtigen Eigentümer das Nutzungsrecht an der in das öffentliche Gut abgetretenen Grundfläche erhalten. In der Entscheidung 2 Ob 604/93 wurde dazu ausgesprochen, dass dem Voreigentümer - bis zur Übergabe an die Stadt Wien - bloß obligatorische Rechte gegen den neuen Liegenschaftseigentümer (Stadt Wien) zustehen. Das Eigentumsrecht verbleibt somit nicht beim übergabepflichtigen Nutzungsberechtigten. In der Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass die Nutzungsrechte bis zur Übergabe an die Stadt Wien in ihrem früheren Umfang aufrecht bleiben (RIS-Justiz RS0052376). Der Antragsgegnerin kann somit beigepflichtet werden, dass das Nutzungsrecht nach § 17 Abs 1 der Wiener Bauordnung inhaltlich mit der Ausübung des Eigentumsrechts vergleichbar ist.
Vom Obersten Gerichtshof wurde auch schon ausgesprochen, dass sich Nachteile iSd § 2 Abs 1 NWG nur auf Liegenschaften beziehen können, die mit einem Notweg belastet werden sollen. Darunter sind jedoch nicht nur die Liegenschaften zu verstehen, über die der Notweg führen soll, sondern auch solche, die in wirtschaftlicher Einheit mit den genannten Liegenschaften bewirtschaftet bzw genutzt werden (3 Ob 183/03p). Außerdem ist zu beachten, dass nach § 5 Abs 2 NWG der Entschädigungsanspruch nach Abs 1 leg cit dem Eigentümer der belasteten Liegenschaft gegen den wegbedürftigen Eigentümer unmittelbar zukommt. Andere an der belasteten Liegenschaft Berechtigte, wie etwa Nutzungsberechtigte oder Bestandnehmer, sind mit ihren Entschädigungsansprüchen an den Eigentümer dieser Liegenschaft verwiesen. Dem Nutzungsberechtigten stehen somit keine direkten Ansprüche gegen den Notwegebedürftigen zu. Der bloß obligatorische Nutzungsberechtigte bzw Anrainer genießt nach ständiger Rechtsprechung im Notwegeverfahren auch keine Beteiligtenstellung (RIS-Justiz RS0006946; vgl auch 3 Ob 235/05p). Aus diesen Grundsätzen folgt, dass der Eigentümer der belasteten Liegenschaft dem Nutzungsberechtigten für die Wahrung seiner Rechte einzustehen hat (2 Ob 115/02d) und im Notwegeverfahren nur er die Interessen des Nutzungsberechtigten wahrnehmen kann. Aus diesem Grund muss sich der Eigentümer auch dann auf die Schutzbestimmung des § 4 Abs 3 NWG berufen können, wenn nicht er, sondern ein in besonderer Rechtsbeziehung zu ihm stehender Nutzungsberechtigter die eingefriedete Grundfläche als Vorgarten nutzt.
Nach diesen Wertungen ist bei der Einräumung eines Notwegerechts auch auf die Interessen bloß obligatorischer Nutzungsberechtigter von Grundflächen, über die der Notweg führen soll, Bedacht zu nehmen, wenn sie diese nutzen und gemeinsam mit ihrer Liegenschaft bewirtschaften. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Stadt Wien von der Inanspruchnahme der Übergabepflicht nach § 17 Abs 1 der Wiener Bauordnung überhaupt absehen könnte. Im vorliegenden Fall lässt sie Widmung des Gst 798/12 als Straße immerhin schon seit mehreren Jahrzehnten ungenützt. Die Berücksichtigung der Interessen der Nutzungsberechtigten im Notwegeverfahren ist demnach auch sachlicher gerechtfertigt.
Der erkennende Senat gelangt daher zum Ergebnis, dass auch eine Grundfläche nach § 17 Abs 1 der Wiener Bauordnung, an der ein obligatorisches Nutzungsrecht besteht, unter die Schutzbestimmung des § 4 Abs 3 NWG fällt, wenn sie nach der aktuellen Nutzung mit der angrenzenden Liegenschaft als eingefriedeter Haus- bzw Vorgarten genutzt wird.
Entgegen der Ansicht der Antragsteller gilt dieses Ergebnis vor der Übergabe an die Stadt Wien ungeachtet der - allerdings noch nicht umgesetzten - Widmung der Grundfläche als Straße sowie ihrer Übertragung in das öffentliche Gut. Ebenso bleibt unerheblich, dass die Nutzung nicht durch den Grundeigentümer selbst erfolgt.
2.4 Das Argument der Antragsteller, dass ein alter, ungepflegter bzw provisorischer Maschendrahtzaun nicht als Einfriedung iSd § 4 Abs 3 NWG geeignet sei, ist nicht stichhaltig. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob die Einfriedung ein tatsächliches Hindernis für das Betreten des Grundstücks darstellt. Ausreichend ist vielmehr jede Einfriedung, die die Absicht des Grundeigentümers oder Nutzungsberechtigten erkennen lässt, Fremde vom Zutritt auf das Grundstück auszuschließen (Höfle, Notwegerecht 106 f).
3.1 Nach der Entscheidung 1 Ob 457/56 besteht der Sinn des § 4 Abs 3 NWG darin, der Einräumung eines Notwegs im Interesse der Wahrung des Hausfriedens und einer ungestörten Benützung der Liegenschaft eine Schranke zu setzen. Weder aus dem Gesetz selbst noch aus den Erläuterungen könne entnommen werden, dass nur Hausgärten allein gemeint seien. Auf die Größe des Gartens könne es demnach nicht ankommen. In späteren Entscheidungen (2 Ob 312/74; 5 Ob 528/78) wurde diese Sichtweise relativiert. Demnach sind Notwege, die zwar durch eingefriedete Gärten verlaufen, jedoch in einer größeren Entfernung vom Wohnhaus gelegen sind, nicht generell ausgeschlossen. In der Entscheidung 3 Ob 115/98b wurde ausgesprochen, dass die Inanspruchnahme eines eingefriedeten Gartens jedenfalls insoweit ausgeschlossen sei, als es sich um an Wohnhäuser anschließende Gärten handle.
Höfle (aaO 106) folgt der in den Entscheidungen 2 Ob 312/74 und 5 Ob 528/78 vertretenen Auffassung. Nach Hofmann (aaO Rz 8) umfasst die Ausnahme nicht Gärten jeder Größe und Verwendung. Egglmeier-Schmolke (aaO Rz 5) vertritt - jedoch aufgrund eines nicht zutreffenden Hinweises auf 2 Ob 312/74 - die Ansicht, dass es auf die Größe des Gartens nicht ankomme.
3.2 Bei der Beurteilung ist in erster Linie auf den Zweck der Schutzbestimmung des § 4 Abs 3 NWG, nämlich die Wahrung des Hausfriedens bzw der Privatsphäre und die Ermöglichung der ungestörten Benützung der Liegenschaft abzustellen. Im Sinn des Grundsatzes der einschränkenden Auslegung der Bestimmungen zur Einräumung eines Notwegs (RIS-Justiz RS0070966; 3 Ob 115/98b; Hofmann in Rummel3 § 480 ABGB Rz 5) ist zu Gunsten der geschützten Grundflächen (hier Haus- bzw Vorgärten) kein kleinlicher Maßstab anzulegen. Für die Beurteilung der Frage, ob ein besonders geschützter, beim Haus befindlicher Vorgarten oder aber keine absolut geschützte Grundfläche vorliegt, wird es vor allem auf die Entfernung des Notwegs zum Haus ankommen.
3.3 Den Antragstellern ist zuzustimmen, dass die Entfernung des Hauses der betroffenen Nutzungsberechtigten zu dem vom Erstgericht eingeräumten Notweg nicht festgestellt wurde. Diesem Umstand kommt im vorliegenden Fall allerdings im Ergebnis keine Bedeutung zu.
Schon nach allgemeinen Grundsätzen ist eine Beeinträchtigung fremden Eigentums nur bei Fehlen anderer Möglichkeiten bzw Notwegvarianten gerechtfertigt. Das Interesse bloß an einer kürzeren Wegverbindung genügt in der Regel nicht (Hofmann aaO Rz 5). Zudem ist die Bewilligung einer neuen Weganlage restriktiv zu handhaben (Egglmeier-Schmolke aaO Rz 4). Eine sich auf einen schon bestehenden Weg beziehende Notwegvariante schließt eine neue Weganlage daher in der Regel aus, außer sie erweist sich als unzumutbar. Der Notwegebedürftige muss demnach auf eine schon bestehende Wegvariante zurückgreifen, auch wenn die Distanz zur Anbindung an das öffentliche Wegenetz größer wird und die Kosten für die Herstellung und Erhaltung dieser Verbindung höher sind.
Nach den Feststellungen steht zur Sicherstellung der ordentlichen Bewirtschaftung der Liegenschaften der Antragsteller (vgl dazu RIS-Justiz RS0070979; 7 Ob 208/02t) sowie zur Herstellung der vom Erstgericht beschriebenen Voraussetzungen für die Aufhebung des vorläufigen Bauverbots eine weitere Notwegvariante in Form des in der Natur 3 m breiten Servitutswegs 2 zur Verfügung. Die vom Erstgericht dazu festgestellten Umstände, nämlich die längere Distanz im Vergleich zu dem vom Erstgericht eingeräumten Notweg und die aufgrund der längeren Wegverbindung höheren Kosten, rechtfertigen die angestrebte Herstellung einer neuen Weganlage grundsätzlich nicht. Warum der Servitutsweg 2 als Notwegvariante unzumutbar sein soll, wird im Revisionsrekurs nicht dargestellt. Vielmehr berufen sich die Antragsteller darauf, dass das Erstgericht diese Variante einer Notwegeeinräumung als mögliche Variante qualifiziert habe.
Nach diesen Grundsätzen können die Antragsteller die von ihnen beantragten Notwegvarianten somit nicht in Anspruch nehmen.
4.1 Richtig ist, dass das über einen Notwegeantrag entscheidende Gericht nach § 12 NWG an den Antrag nicht gebunden ist und auch andere Liegenschaften in die Entscheidung einbeziehen kann, sofern sich dies als zweckmäßig erweist (RIS-Justiz RS0087835; Hofmann aaO Rz 9; Egglmeier-Schmolke aaO Rz 1). In diesem Fall kommt auch den Eigentümern jener Liegenschaften, die vom Gericht in die Notwegeführung einbezogen werden, Beteiligtenstellung zu (3 Ob 235/05p). Die Verpflichtung des Gerichts zur amtswegigen Erhebung der für die Frage der Notwendigkeit des Notwegs und dessen Gestaltung maßgebenden Verhältnisse entfällt jedoch dann, wenn der Antragsteller eine in das Verfahren einbezogene, nahe liegende Notwegvariante nicht berücksichtigt und nicht in seinen Antrag aufnimmt.
4.2 Bei dem vom Erstgericht sowie vom gerichtlichen Sachverständigen so bezeichneten Servitutsweg 2 handelt es sich um die in der Äußerung der Antragsteller vom 23. 5. 2008 (ON 36, 9) angesprochene Privatstraße (vgl auch ON 71, 4). Der Sachverständige hat diesen Servitutsweg 2 in seinem Gutachten ON 46 (S 49 und 54) dargestellt. Auch in seinen Ergänzungsgutachten (ON 67, 8 ff und ON 73, 3 f und 9) ist er auf diese Wegführung eingegangen. Diese Notwegvariante war somit Gegenstand des Verfahrens. Die Antragsteller haben dazu auch ein Vorbringen erstattet und darin zum Ausdruck gebracht, dass die Privatstraße von vornherein zu schmal sei. Schon in ihrem Antrag haben sie ausgeführt, dass die Gst 796/6 und 798/12 die einzige mögliche Anbindung ihrer Liegenschaft an das öffentliche Verkehrsnetz darstellten (ON 1, 5).
Die Antragsteller haben die Notwegvariante in Form des Servitutswegs 2 somit nicht in ihren Antrag einbezogen, sondern diesen auf die bisherigen Alternativen beschränkt. Die Vorinstanzen konnten auf diese Variante auch mit Rücksicht auf § 12 NWG daher nicht mehr Bedacht nehmen.
4.3 Da die Antragsteller die in Rede stehende Notwegvariante keineswegs übersehen, sondern auch dazu Stellung genommen haben, vermögen sie keinen Erörterungsmangel aufzuzeigen (vgl RIS-Justiz RS0122365). Die sich aus der Schutzbestimmung des § 4 Abs 3 NWG ergebende Problematik haben sie ebenfalls nicht übersehen (ON 36, 6 und 9). Auch in dieser Hinsicht liegt kein Verfahrensmangel vor.
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auch eine Grundfläche, an der ein obligatorisches Nutzungsrecht nach § 17 Abs 1 der Wiener Bauordnung besteht, der Schutzbestimmung des § 4 Abs 3 NWG unterliegt, wenn sie mit der angrenzenden Liegenschaft als eingefriedeter Haus- bzw Vorgarten genutzt wird. Auch in einem solchen Fall kann sich der Eigentümer der Grundfläche im Notwegeverfahren auf die Schutzbestimmung berufen.
Vor der Bewilligung einer neuen Weganlage muss eine schon bestehende Notwegvariante in Anspruch genommen werden, außer diese wäre unzumutbar. Hat der Antragsteller eine in das Verfahren einbezogene Notwegvariante nicht in seinen Antrag aufgenommen, so kann auf diese auch nach Maßgabe des § 12 NWG nicht von Amts wegen Bedacht genommen werden.
Da die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des nördlichen Teils des Gst 798/12, an dem ein obligatorisches Nutzungsrecht nach § 17 Abs 1 der Wiener Bauordnung besteht, nicht vorliegen und die Antragsteller auf die Notwegvariante in Form des Serviutswegs 2 nicht Bedacht genommen haben, ist die Entscheidung des Rekursgerichts nicht zu beanstanden. Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 25 Abs 1 NWG.
Textnummer
E93774European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0080OB00023.10F.0323.000Im RIS seit
02.06.2010Zuletzt aktualisiert am
17.12.2012