Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 8. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Rumpl als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Martin B***** wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 9. Juli 2009, GZ 13 Hv 35/09f-11, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch I sowie demgemäß auch im Strafausspruch ebenso wie die - verfehlt im Rahmen des Urteils erteilte - Weisung im Sinn des § 26 Abs 2 FinStrG aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die auf die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Martin B***** eines Finanzvergehens „der teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1 iVm § 38 Abs 1 lit a FinStrG, 13 Abs 1 FinStrG“ - gemeint: mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG und eines solchen Finanzvergehens nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a, 13 FinStrG - (I) und des Finanzvergehens der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach „§§ 33 Abs 2 lit b iVm § 38 Abs 1 FinStrG“ (II) schuldig erkannt.
Danach hat er „in Steyr als Abgabepflichtiger im Bereich des Finanzamtes Kirchdorf-Perg-Steyr, wobei es ihm darauf ankam, sich durch wiederholte Begehung der Taten eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen“,
I/ „in den Jahren 2000 bis 2003 unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht für diese Veranlagungsjahre eine Verkürzung an Umsatz- und Einkommenssteuer in Höhe von insgesamt Euro 129.794,41, wobei es betreffend die Einkommenssteuer für das Jahr 2001 in Höhe von Euro 24.726,93 beim Versuch blieb, bewirkt, teils zu bewirken versucht, indem er seine Einnahmen aus unternehmerischer Tätigkeit nicht erklärte, wodurch die Umsatzsteuer infolge Unkenntnis der Behörde vom Abgabenanspruch nicht mit Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist festgesetzt werden konnte und die Einkommenssteuer bescheidmäßig zu niedrig festgesetzt wurde bzw zu niedrig festgesetzt werden sollte“,
II/ „im Jahr 2000 unter Verletzung der Pflicht zur Führung von dem § 76 EStG 1988 entsprechenden Lohnkonten eine Verkürzung an Lohnsteuer und Dienstgeberbeiträgen zum Lastenausgleichsfonds für Familien in Höhe von ATS 43.500 (ATS 30.000 Lohnsteuer, ATS 13.500 Dienstgeberbeiträge sohin gesamt Euro 3.161,27) bewirkt, indem er Schwarzlöhne zahlte und die anfallenden Lohnabgaben nicht abführte, wobei er die Abgabenverkürzung nicht nur für möglich, sondern für gewiss hielt“.
Rechtliche Beurteilung
Der Angeklagte bekämpft das Urteil mit einer auf Z 5 und nominell Z 9 lit a (der Sache nach Z 10) des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Soweit er die Subsumtion der zu II genannten Tat nach „§ 38 Abs 1“ (zu ergänzen: lit a) FinStrG aus Z 10 in Frage stellt, geht er nicht von den getroffenen Feststellungen aus, während die gleichgerichtete Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) deshalb versagt, weil unerfindlich bleibt, warum eine im bloßen Verweis auf den hohen Schadensbetrag, den längeren Tatzeitraum sowie die Vielzahl von gleich gelagerten, aber auch unterschiedlichen Tathandlungen bestehende Begründung für auf Erzielung fortlaufender Einnahmen durch wiederkehrende Begehung von Abgabenhinterziehung gerichtete Absicht offenbar unzureichend sein sollte. Mit Plausibilitätsüberlegungen aber wird - aus Z 5 unzulässig - bloß die Beweiswürdigung des Schöffengerichts bekämpft.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof vom Vorliegen einer dem Urteil anhaftenden, vom Angeklagten nicht geltend gemachten, ihm nachteiligen Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO, die gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO zu seinen Gunsten von Amts wegen wahrzunehmen war:
Nach den zum Schuldspruch I hinsichtlich der äußeren Tatseite getroffenen, hier zusammengefassten Feststellungen gründete der Angeklagte im Jahr 2000 die „M*****“, worauf er unter deren Namen als „Geschäftsführer“ agierte, de facto jedoch als Einzelunternehmer in Österreich handelte, während die Gesellschaft ihren Sitz vorgeblich in London hatte, tatsächlich aber nie in England tätig und in Österreich nicht steuerlich erfasst war. Den Konstatierungen zufolge betrug der steuerpflichtige Umsatz der M***** im Jahr 2000 zumindest 1.000.000 ATS , während der Angeklagte im Jahr 2001 einen Umsatz von insgesamt (gemeint:) 400.000 ATS (und nicht, wie im Urteil angeführt, 400.000 EUR ; vgl ON 2 S 7) und im Jahr 2002 einen solchen von 7.200 EUR erzielte (US 4).
In Hinsicht auf ein Verkürzungsverhalten heißt es in den Entscheidungsgründen in diesem Zusammenhang, dass der Angeklagte zwar „Ausgangsrechnungen mit Ausweis der Umsatzsteuer“ - in nicht konstatierter Höhe - unter der Bezeichnung M***** ausgefertigt, die - dem Betrag nach nicht festgestellte - Umsatzsteuer als de facto Einzelunternehmer jedoch einbehalten hat. Auf „den Ausgangsrechnungen“, so führten die Tatrichter dazu nur aus, wurden „mehrere Facharbeiter, Hilfsarbeiter und Lehrlinge abgerechnet“ (US 4).
Ab Jänner 2001 erzielte der Angeklagte durch Verleitung von im Urteil angeführten Personen zu Zahlungen „für und im Zusammenhang mit Gesellschaftsgründungen“ und zum Zweck der Kreditbeschaffung weitere Umsätze (US 5 ff), und zwar 2001 von 1.375.000 ATS und 2002 - wie in den Entscheidungsgründen ungeachtet dessen angeführt wird, dass seit Ablauf des 28. Februar 2002 der Euro das einzige gesetzliche Zahlungsmittel in Österreich ist (§§ 1 und 2 des Eurogesetzes, BGBl I 2000/72) - von „ATS 339.000“. Umsatz- und Einkommensteuer hat der Angeklagte für diese Tätigkeit nicht abgeführt (US 8).
Hinsichtlich des Jahres 2003 finden sich in den Entscheidungsgründen - obwohl der Schuldspruch I auch dieses Jahr umfasst - gar keine Feststellungen über ein steuerlich relevantes Geschehen.
Zu welchen Verkürzungsbeträgen das Verhalten des Angeklagten in Ansehung der einzelnen Abgabenarten in den vom Schuldspruch I erfassten Jahren führte (vgl RIS-Justiz RS0124712), ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen, obwohl davon die Gerichtszuständigkeit abhängt (§ 53 Abs 1 lit b FinStrG).
Stattdessen findet sich die in Betreff des Verkürzungsausmaßes angesichts dessen, dass die Höhe des Hinterziehungsbetrags kein Tatbestandsmerkmal ist (RIS-Justiz RS0086282), bedeutungslose Feststellung zur inneren Tatseite, dass der Angeklagte es für möglich hielt und sich damit abfand, „als Abgabepflichtiger unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht eine Verkürzung an Umsatz- und Einkommenssteuer in der Höhe von insgesamt 129.794,41 EUR zu bewirken bzw dies zu versuchen“ (US 9).
Fehlende Feststellungen werden durch den Spruch des Urteils nicht ersetzt (RIS-Justiz RS0114639, RS0098936; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 8).
Der Rechtsfehler mangels Feststellungen zur Überschreitung der Wertgrenze nach § 53 (hier: Abs 1 lit b) FinStrG bewirkt Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 626), die zur Aufhebung des Schuldspruchs I führt.
Wegen des unberührt gebliebenen Schuldspruchs II bleibt anzumerken: Erwächst ein Urteil mit einem Schuldspruch wegen Finanzvergehen mit einem die gerichtliche Zuständigkeitsgrenze nicht erreichenden Wertbetrag in Teilrechtskraft, ist bei nachfolgendem Nichterreichen dieser Grenze durch einen Schuldspruch im folgenden Rechtsgang und Fehlen anderer die gerichtliche Zuständigkeit begründender Umstände hinsichtlich des erstgenannten Schuldspruchs trotzdem gemäß § 214 FinStrG vorzugehen, weil res iudicata nur für den Fall des Erreichens der Wertgrenze und solcherart auflösend bedingt gilt (RIS-Justiz RS0121978; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 8).
Das Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO bewirkt - im Unterschied zur Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde - keine Kostenersatzpflicht.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E93805European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00107.09Y.0408.000Im RIS seit
09.06.2010Zuletzt aktualisiert am
09.06.2010