TE OGH 2010/4/8 12Os2/10a

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Veröffentlicht am 08.04.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Michael S***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen nach § 3g VG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Jürgen W***** und Roland L***** sowie die Berufungen des Angeklagten Thorsten H***** und der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten Jürgen W***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Jugendgeschworenengericht vom 10. Juni 2009, GZ 25 Hv 15/09m-105, sowie die Beschwerden der Angeklagten Roland L***** und Thorsten H***** gegen Beschlüsse gemäß §§ 50 Abs 1, 52 Abs 1 StGB nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten Jürgen W***** und Roland L***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

G r ü n d e :

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil, das hinsichtlich des Angeklagten Michael S***** zur Gänze sowie in Bezug auf den Schuldspruch des Angeklagten Thorsten H***** in Rechtskraft erwachsen ist und rechtskräftige Teilfreisprüche (II./) enthält, wurden Michael S***** des Verbrechens (richtig: der Verbrechen) nach § 3g VG (I./a./1./) und des Vergehens der Verhetzung nach § 283 Abs 1 StGB (I./a./2./), Jürgen W***** des Verbrechens (richtig: der Verbrechen) nach § 3g VG (I./b./1./) und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (I./b./2./), Roland L***** des Verbrechens nach § 3g VG (I./c./) und Thorsten H***** des Vergehens der Verhetzung nach § 283 Abs 2 StGB (I./d./) schuldig erkannt.

Soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Relevanz haben danach (I./)

b./ Jürgen W*****

1./ sich dadurch auf andere als die in §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, dass er im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Michael S***** zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im Zeitraum 2006 bis August 2007 in Ebensee an öffentlichen Orten den rechten Arm zum „Hitlergruß“ erhob;

2./ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt ca im April 2007 in Ebensee Stefan M*****, Michael A*****, Thomas Sch*****, Werner Mü*****, Michael S*****, Markus St***** und Thorsten H***** durch die Äußerung, er werde Bilder von ihnen an „B***** & H*****“ schicken, wenn ihn jemand von ihnen verrät, mithin durch gefährliche Drohung, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von einer Information der Strafverfolgungsbehörden genötigt;

c./ Roland L*****

sich dadurch auf andere als die in §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, dass er am „Tag der volkstreuen Jugend“ am 17. März 2007 in St. Johann im Pongau teilgenommen und auf der Zugfahrt dorthin öffentlich das Eröffnungslied des HJ-Liederbuchs „Ein junges Volk steht auf“ mitsang, dessen Text wie folgt lautet:

„Ein junges Volk steht auf, zum Sturm bereit! Reißt die Fahnen höher, Kameraden! Wir fühlen nahen unsre Zeit, die Zeit der jungen Soldaten. Vor uns marschieren mit sturmzerfetzten Fahnen die toten Helden der jungen Nation und über uns die Heldenahnen. Deutschland, Vaterland, wir kommen schon! Wir sind nicht Bürger, Bauer, Arbeitsmann; haut die Schranken doch zusammen, Kameraden! Uns weht nur eine Fahne voran, die Fahne der jungen Soldaten! Vor uns marschieren mit sturmzerfetzten Fahnen die toten Helden der jungen Nation, und über uns die Heldenahnen. Deutschland, Vaterland, wir kommen schon! Und welcher Feind auch kommt mit Macht und List, seid nur ewig treu, ihr Kameraden! Der Herrgott, der im Himmel ist, liebt die Treue und die jungen Soldaten. Vor uns marschieren mit sturmzerfetzten Fahnen die toten Helden der jungen Nation, und über uns die Heldenfahnen. Deutschland, Vaterland, wir kommen schon!“

Die Geschworenen hatten die betreffend den Angeklagten Jürgen W***** anklagekonform gestellten Hauptfragen nach dem Verbrechen gemäß § 3g VG (II./) sowie dem Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (VIII./) und hinsichtlich des Angeklagten Roland L***** nach dem Verbrechen gemäß § 3g VG (V./; unter Entfall des Frageteils a./) bejaht.

Rechtliche Beurteilung

Diese Schuldsprüche bekämpfen die Angeklagten Jürgen W***** und Roland L***** mit Nichtigkeitsbeschwerden, die vom Angeklagten W***** auf Z 9, 10, 10a und 11 lit a sowie vom Angeklagten L***** auf Z 11 lit a, jeweils des § 345 Abs 1 StPO, gestützt werden. Ihnen kommt - wie schon die Generalprokuratur zutreffend ausführt - keine Berechtigung zu.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Jürgen W*****:

Nichtigkeit aus Z 9 des § 345 Abs 1 StPO liegt vor, wenn die Antwort der Geschworenen auf die gestellten Fragen - also der Wahrspruch (maW die Feststellungsebene) - undeutlich, unvollständig oder in sich widersprechend ist, wenn also trotz undeutlicher oder widersprüchlicher Feststellungen oder fehlender Antworten zu entscheidenden Tatsachen den Geschworenen die Verbesserung des solcherart mangelhaften Wahrspruchs nicht aufgetragen wurde oder der Auftrag ohne Erfolg blieb (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 69). Mit der unsubstantiierten Behauptung, die Wahrsprüche zu den Hauptfragen II./ und VIII./ seien nicht nachvollziehbar auf unvertretbare Weise begründet worden, wird der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund mangels deutlicher und bestimmter Darlegung der Nichtigkeit bewirkenden Umstände nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt (vgl Fabrizy StPO10 § 281 Rz 2).

Die Rüge wegen Unterlassung des Moniturverfahrens (Z 10 zweiter Fall) scheitert an der prozessualen Voraussetzung der - hier nicht vorliegenden - Behauptung eines oder mehrerer Geschworenen, ihnen sei bei der Abstimmung ein Missverständnis unterlaufen (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 72). Mit dem allgemeinen Einwand, die in der Niederschrift der Geschworenen aufgezeichnete Begründung zur Beantwortung der Hauptfragen II./ und VIII./ sei in sich widersprüchlich und nicht geeignet, eine Tatbestandsmäßigkeit darzulegen, wird die Rüge nicht der Verfahrensordnung gemäß dargestellt, weil logisch und empirisch unhaltbare Begründung, maW ein Widerspruch zwischen Niederschrift (§ 331 Abs 3 StPO) und Wahrspruch ohne - hier nicht vorliegenden (und auch gar nicht behaupteten) - Verbesserungsauftrag unter dem Aspekt der Nichtigkeitsgründe bedeutungslos ist, verlangt doch das Gesetz von den Laienrichtern weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht eine „anfechtungsfeste“ Begründung ihres Wahrspruchs (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 69, 71; RIS-Justiz RS0118546).

Die Tatsachenrüge (Z 10a) zu I./b./1./ vermag mit dem Vorbringen, die belastenden Beweisergebnisse aus dem „Vorverfahren“ seien im Zuge der Hauptverhandlung nicht aufrecht erhalten worden, keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch festgestellten entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen.

Gleiches gilt in Ansehung der Ausführungen zu I./b./2./. Denn mit Betonung selektiv günstiger Verfahrensresultate und den daran geknüpften eigenständigen Beweiswert- und Plausibilitätserwägungen wird bloß die ausschließlich den Geschworenen vorbehaltene Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung bekämpft.

Mit der zu I./b./1./ aufgestellten These, durch das inkriminierte Verhalten sei lediglich ein Verwaltungsstraftatbestand (gemeint: Art III Abs 1 Z 4 EGVG 2008; davor: Art IX Abs 1 Z 4 EGVG 1991) erfüllt worden, wird die Rechtsrüge (Z 11 lit a) nicht den Prozessgesetzen entsprechend ausgeführt, weil sie in Anbetracht der subintelligierten Unrechtsform des Vorsatzes (vgl Schindler, WK-StPO § 312 Rz 61, 63; Rechtsbelehrung S  3 unten, 14 oben in ON 102) und der in der Verwaltungsstrafbestimmung enthaltenen Subsidiaritätsklausel („wenn die Tat nicht gerichtlich strafbar ist“) nicht darlegt, weshalb die vom Geschworenengericht gezogene rechtliche Konsequenz unrichtig sein soll. Denn der erwähnte verwaltungsrechtliche Straftatbestand unterscheidet sich von jenem des § 3g VG nur dadurch, dass ersterer nicht den Vorsatz verlangt, nationalsozialistische Zielsetzungen zu reinstallieren (vgl Lässig in WK² VG Vorbem Rz 5).

Die Erfüllung des Tatbestands der Verwaltungsübertretung nach Art III Abs 1 Z 4 EGVG 2008 bildet im Übrigen keinen Strafausschließungsgrund oder Strafaufhebungsgrund zu den Verbrechen nach dem Verbotsgesetz (vgl RIS-Justiz RS0049613).

Schließlich geht auch der Einwand mangelnder Öffentlichkeit der Tathandlungen fehl, weil er sich weder an der im Wahrspruch zur Hauptfrage II./ getroffenen Konstatierung zur Tatverübung an öffentlichen Orten noch an § 3g VG orientiert, dem ein derartiges Tatbildmerkmal nicht zu entnehmen ist.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Roland L*****:

Die Rechtsrüge (Z 11 lit a) verfehlt mit der Argumentation, der alleinige Umstand, dass das inkriminierte Lied, das keine explizit nationalsozialistischen Parolen oder Schlagworte enthalte, im HJ-Liederbuch abgedruckt war, rechtfertige nicht die Beurteilung der Tat als Verbrechen nach § 3g VG, zumal in diesem Liederbuch auch unpolitische Volkslieder enthalten gewesen seien und dessen Text auch nicht mit dem auf die SA Bezug nehmenden „Horst Wessel“-Lied (vgl RIS-Justiz RS0104962) vergleichbar sei, die gesetzmäßige Ausführung.

Denn mit diesem Vorbringen wird mangels strikter Beachtung des gesamten, im Wahrspruch zur Hauptfrage V./b./ festgestellten Sachverhalts nicht dargelegt, weshalb im öffentlichen Absingen dieses im HJ-Liederbuch als Eröffnungslied eingetragenen Liedes einer nationalsozialistisch ausgerichteten Organisation bei der gebotenen Betrachtung des gesamten Liedtextes ein nach außen hin in Erscheinung tretendes Verhalten, das eine auf Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinn hinweisende Tendenz erkennen lässt (vgl RIS-Justiz RS0079829), nicht erblickt werden kann und demzufolge die Subsumtion der im Wahrspruch festgestellten Tat unter den „Auffangtatbestand“ (vgl RIS-Justiz RS0080024 [T1]) des § 3g VG verfehlt gewesen sei.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidiger des Angeklagten L***** gemäß §§ 285d Abs 1, 344 StPO bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die (implizierten) Berschwerden gegen die - sanktionslos im Urteil enthaltene statt mit gesondert auszufertigenden (vgl Schroll in WK² § 50 Rz 16; RIS-Justiz RS0101841) Beschlüssen ergangene - Anordnung von Bewährungshilfe (§§ 285i, 344, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E93742

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0120OS00002.10A.0408.000

Im RIS seit

31.05.2010

Zuletzt aktualisiert am

31.05.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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