TE OGH 2010/4/8 13Os153/09p

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Veröffentlicht am 08.04.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Rumpl als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Karl-Heinz T***** wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Finanzstrafbehörde gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12. August 2009, GZ 123 Hv 28/08a-114, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Punkt I des Freispruchs aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Karl-Heinz T***** von der wider ihn erhobenen Anklage freigesprochen, er habe in Wien

(I) vorsätzlich die Verkürzung von Abgaben bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten, und zwar

A) Umsatzsteuer dadurch, dass er unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 UStG 1994 entsprechenden Voranmeldungen keine Umsatzsteuervorauszahlungen entrichtete, nämlich

1) als Geschäftsführer der Ing. T***** GmbH von Mai 2003 bis zum 15. April 2004 für die Monate April, Mai, August und September 2003 sowie Februar 2004 von insgesamt 60.242,16 Euro;

2) als Geschäftsführer der E***** GmbH von August 2004 bis zum 15. September 2004 für Juli 2004 von 14.578 Euro;

B) von Juli 2004 bis zum 15. September 2004 Lohnsteuer von 13.409 Euro und Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen von 4.927 Euro für die Monate Juni bis August 2004 als Geschäftsführer der E***** GmbH dadurch, dass er unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von dem § 76 EStG 1988 entsprechenden Lohnkonten keine Lohnabgaben entrichtete;

(II) als Geschäftsführer der E***** GmbH zwischen Juni 2004 und 26. September 2004

A) in Kenntnis deren Zahlungsunfähigkeit grob fahrlässig die Befriedigung zumindest eines ihrer Gläubiger dadurch geschmälert, dass er kridaträchtig handelte (§ 159 Abs 5 StGB), indem er entgegen Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens

1) übermäßigen, mit den Vermögensverhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dieser Gesellschaft in auffallendem Widerspruch stehenden Geschäftsaufwand trieb (§ 159 Abs 5 Z 3 StGB),

2) Geschäftsbücher und geschäftliche Aufzeichnungen zu führen sowie sonstige geeignete und erforderliche Maßnahmen, die ihm einen zeitnahen Überblick über die wahre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage dieser Gesellschaft verschafft hätten, unterließ (§ 159 Abs 5 Z 4 StGB);

B) als Dienstgeber, und zwar als zur Vertretung der E***** GmbH befugtes Organ, Beiträge eines Dienstgebers zur Sozialversicherung von 40.713,09 Euro der Wiener Gebietskrankenkasse als berechtigtem Sozialversicherungsträger vorenthalten.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus Z 1, 5 und „9“ (lit a) des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde kommt aus dem erstgenannten Nichtigkeitsgrund in Betreff des Freispruchs zu Punkt I Berechtigung zu.

Die Beschwerdeführerin wendet ein, der Vorsitzende des Schöffensenats habe am 16. September 2008 vor der Hauptverhandlung in einem Telefonat mit einem Vertreter der Finanzstrafbehörde angekündigt, er werde „das gegenständliche Strafverfahren ohnedies einstellen“. Diese Voreingenommenheit habe weiters in einem Schreiben des Vorsitzenden vom 8. Juni 2009 (ON 104), in welchem dieser das Finanzamt ersucht habe, die Lohnabgaben zu Punkt I/B der Anklageschrift (ON 90 S 3) unter Außerachtlassung den Angeklagten belastender Verfahrensergebnisse neu zu berechnen, und schließlich in der „tendenziösen Befragung des Angeklagten in der Hauptverhandlung“ Ausdruck gefunden.

Der Rügeobliegenheit entsprach die Beschwerdeführerin - zulässigerweise außerhalb der Hauptverhandlung (RIS-Justiz RS0097452 [T6]) - mit ihrem schriftlich gestellten Ablehnungsantrag (ON 96). Der diesen abweisenden Entscheidung des Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien (ON 98) kommt für die Prüfung des Beschwerdevorbringens keine bindende Wirkung zu (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 131; Lässig, WK-StPO § 45 Rz 13).

Der Oberste Gerichtshof prüft die tatsächlichen Voraussetzungen einer Ausgeschlossenheit auf Basis des Rechtsmittelvorbringens, der Akten und allenfalls gemäß § 285f StPO angeordneter Aufklärungen in freier Beweiswürdigung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 34 und 132).

Während § 262 StPO eine Belehrung über wahrscheinliche Änderungen der rechtlichen Beurteilung gegenüber derjenigen der Anklageschrift gebietet und Absprachen (bloß) über den Verfahrensgang kein gesetzliches Hindernis entgegensteht (vgl nur § 245 Abs 1 zweiter Satz StPO über die Möglichkeit des Angeklagten, sich ohne lange Erklärungen schuldig zu bekennen, § 252 Abs 1 Z 4 StPO über einverständliche Verlesungen oder § 252 Abs 2a StPO über den Ersatz von Verlesungen durch ein zusammenfassendes Referat des Vorsitzenden, nicht zuletzt § 246 Abs 2 StPO, wonach Ankläger und Angeklagter im Laufe der Hauptverhandlung „Beweismittel fallen lassen“ können, „jedoch nur, wenn der Gegner zustimmt“), haben sich Richter jeder Äußerung über den Inhalt der noch nicht ergangenen Entscheidung in der Hauptsache (§§ 259, 260 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO, § 214 FinStrG) zu enthalten. Ein Vorsitzender, der - wie hier von ihm selbst gar nicht bestritten - außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt zu einem Beteiligten des Hauptverfahrens aufnimmt und dabei seine Entschlossenheit zu einer dessen Prozessstandpunkt zuwiderlaufenden Verfahrenserledigung in der Hauptsache zum Ausdruck bringt, setzt demnach ein Verhalten, welches das Vertrauen in die Unvoreingenommenheit des Richters auf eine vom Verfahrensrecht im Sinn des § 43 Abs 1 Z 3 StPO respektierte Weise erschüttert und ist folgerichtig ausgeschlossen (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 10-12), was Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 1 StPO und Urteilsaufhebung im Umfang des zu Punkt I ergangenen Freispruchs samt Anordnung einer neuen Hauptverhandlung und Verweisung an das Erstgericht in diesem Umfang nach sich zieht.

Soweit die Finanzstrafbehörde den zu Punkt II ergangenen Freispruch wegen des Vorwurfs real konkurrierender strafbarer Handlungen, die keine Finanzvergehen sind, bekämpft, fehlt ihr die Rechtsmittellegitimation (§ 200 Abs 1, Abs 2 lit a und Abs 4 FinStrG).

Die Berufung ist mangels Anfechtungsgegenstands (§ 283 StPO) erfolglos.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E93756

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00153.09P.0408.000

Im RIS seit

09.06.2010

Zuletzt aktualisiert am

28.01.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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