Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 8. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mag. Christian T***** und Wolfgang E***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 25. November 2009, GZ 34 Hv 63/09w-42, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
G r ü n d e :
Mit dem angefochtenen Urteil - das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Teilfreisprüche von gleichartiger Delinquenz enthält - wurden Mag. Christian T***** und Wolfgang E***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt gemäß § 302 Abs 1 StGB (E***** als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB) schuldig erkannt.
Danach haben in Wien
I) Mag. Christian T***** als Staatsanwalt, somit als Beamter, mit dem Vorsatz, nachgenannte Personen an ihrem im Datenschutzgesetz 2000 verankerten Grundrecht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten, an denen diese Personen ein schutzwürdiges Interesse haben, zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich missbraucht, dass er im elektronischen Abfragesystem der Justiz (VJ) Verfahrensdaten dieser Personen abfragte und die Abfrageergebnisse Wolfgang E***** bekanntgab, und zwar
1) am 8. November 2007 zu Sonja W*****, wobei er bekanntgab, dass kein Verfahren anhängig sei;
2) am 26. November 2007 zu Rene O*****, wobei er bekanntgab, dass dieser in der Justizanstalt Josefstadt wegen eines Suchtmitteldelikts inhaftiert sei;
II) Wolfgang E***** zu nicht mehr feststellbaren Zeiten im November 2007 in zwei Angriffen Mag. Christian T***** zur Ausführung der unter Punkt I genannten Tathandlungen bestimmt, indem er diesen aufforderte, Verfahrensdaten zu den unter Punkt I 1 und 2 genannten Personen zu erheben und ihm das Ergebnis mitzuteilen.
Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit a StPO, die des Erstangeklagten Mag. T***** auch aus Z 4 und 8 leg cit, die des Zweitangeklagten E***** auch aus Z 10 leg cit.
Rechtliche Beurteilung
Rechtlich ist grundsätzlich vorauszuschicken:
Das Ermitteln personenbezogener Daten stellt ein Amtsgeschäft im Rahmen der Hoheitsverwaltung dar. Die nur für dienstliche Belange bestehende rechtliche Erlaubnis, das Grundrecht auf Datenschutz (§ 1 DSG) zu durchbrechen, wird von einem Beamten dann missbräuchlich in Anspruch genommen, wenn eine Ermittlung personenbezogener Daten ohne dienstliche Rechtfertigung erfolgt. Der Befugnismissbrauch führt (nur) bei deliktsspezifischem Schädigungsvorsatz zur Haftung nach § 302 Abs 1 StGB, ohne dass an sich ein tatsächlicher Schadenseintritt erforderlich wäre. In der Verletzung des Grundrechts auf Datenschutz durch eine missbräuchliche Datenermittlung liegt allerdings bereits die konkrete Schädigung eines Dritten (14 Os 31/96, SSt 62/95; 12 Os 182/97, SSt 63/13; 12 Os 57/98; 14 Os 128/00, SSt 63/110; 11 Os 109/01, SSt 64/48; 12 Os 113/04 [betraf auch eine VJ-Abfrage]; 12 Os 2/09z - je mwN; überdies Kienapfel/Schmoller, StudB BT III² § 302 RN 29, 50 und 63 mit weiteren Judikaturnachweisen).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten:
Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die Abweisung (ON 41 S 17, auch US 27) des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Vernehmung der „Zeugen Hannes R***** und Patricia W*****, beide Präsidium des L*****,
zum Beweis dafür, dass Auskünfte der hier vorgeworfenen Art jedermann erteilt wurden und werden, ohne dass nach Namen gefragt oder gar Ausweise verlangt werden, und ohne dass die Erteilung solcher Auskünfte dokumentiert wird;
weiters dazu, dass solche Auskünfte sogar telefonisch ohne Überprüfung der Anrufer erteilt werden, insbesondere wenn nur beiläufig behauptet wird, für eine Anwaltskanzlei tätig zu sein. Dies gilt auch für die Auskunft, ob jemand inhaftiert ist. Diese werden jedermann erteilt, der sie verlangt, nicht bloß den Angehörigen des Häftlings. Man muss nicht einmal sagen, dass man ihn besuchen, ihm schreiben oder ihm Geld anweisen will. Eine andere, überprüfende und die Berechtigung recherchierende Vorgangsweise würde den Betrieb in den Einlaufstellen zum Erliegen bringen. Dem Angeklagten wird mit den beantragten Zeugen der Beweis gelingen, dass die Weitergabe von Informationen der vorgeworfenen Art, üblich, gängig und auch für die Verantwortlichen im BMJ zumindest bis zum Beginn dieses Verfahrens unbedenklich war“ (ON 41 S 16).
Ohne die Möglichkeit der Berücksichtigung der ergänzenden Ausführungen zum Beweisthema in der Beschwerde (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325; RIS-Justiz RS0099117, RS0099618) zeigt sich, dass dem Beweisbegehren zu Recht nicht entsprochen wurde, weil es in seiner spekulativen Allgemeinheit versäumt, den aufgrund des völlig unterschiedlichen Aufgaben- und Tätigkeitsbereichs keineswegs ohne weiteres erkennbaren Konnex zu fallbezogen erheblichen Tatumständen herzustellen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 328, 341; RIS-Justiz RS0118319). Zur Abrundung sei lediglich angemerkt, dass niemandem - und schon gar nicht dem qualifiziert Tätigen - die Berufung auf allfälliges unkorrektes Verhalten anderer (noch dazu in gänzlich anderem Zusammenhang - kann man doch füglich eine gerichtliche Einlaufstelle nicht mit einem Gastlokal, in dem unter anderem verbotene Suchtgifte konsumiert werden, vergleichen) zur eigenen Rechtfertigung oder Entschuldigung offen steht.
Der Mängelrüge (Z 5) entgegen wurde das konstatierte (US 15) Wissen des Erstangeklagten um den Befugnismissbrauch durch die Hinweise auf die Ausbildung des Beschwerdeführers und die Umstände der justizinternen Abfragemöglichkeiten (US 15, 21) keineswegs offenbar unzureichend begründet (vgl 12 Os 113/04), wenngleich die aufgezeigte Verwendung des gesetzlich definierten Begriffs „sensible Daten“ (§ 4 Z 2 DSG) im Ersturteil in einem allgemeineren Sinn erfolgte, was schon daraus erhellt, dass „besonders schutzwürdige Daten“ im Sinne der erwähnten Definition im Verfahren überhaupt nicht berührt waren.
Die Tatsachenrüge (Z 5a) verfehlt mit dem Hinweis auf die „Aktenlage (siehe Angaben Ru***** und E*****)“ die Bezugnahme auf konkrete Beweismittel (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 487) und ergeht sich sonst nur in eigenständig beweiswürdigende Überlegungen zur Aussage der Zeugin Sonja W*****.
§ 281 Abs 1 Z 5a StPO will als Tatsachenrüge nur schlechterdings unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).
Eine Anklageüberschreitung (Z 8) erblickt der Rechtsmittelwerber darin, dass zum Faktum O***** die Weitergabe der Information, „dass dieser in der Justizanstalt Josefstadt inhaftiert sei“, angeklagt worden sei (ON 27 S 2), der Schuldspruch aber zusätzlich die Angabe „wegen eines Suchtmitteldelikts“ enthalte (US 3).
Aus welchem Grund bei der vorliegend sinnfälligen Tatidentität im prozessualen Sinn (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502; Lewisch, WK-StPO § 262 Rz 22, 29 und 32 ff) § 263 StPO zur Anwendung gelangen hätte sollen, bleibt im Dunkeln. Ebenso wenig ist dem Vorbringen die fallaktuelle Notwendigkeit einer Information im Sinne von § 262 StPO zu entnehmen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 545; Lewisch, WK-StPO § 262 Rz 86 ff), gelangte doch ohnedies die angeklagte strafbare Handlung zur Verurteilung und kommt dem relevierten Tatumstand bei der in Rede stehenden rechtlichen Kategorie lediglich illustrative Bedeutung zu (vgl die eingangs dargestellte Rechtslage).
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet zu den beiden Schuldspruchfakten das Fehlen schutzwürdiger Interessen der Betroffenen, übergeht dabei den festgestellten Schädigungsvorsatz (US 15) und leitet nicht methodisch fundiert ab, aus welchem Grund es bei der Verwirklichung des Tatbestands des § 302 Abs 1 StGB auf den Eintritt eines Schadens ankommt (vgl der Vollständigkeit halber neuerlich die oben ersichtlichen allgemeinen Ausführungen). Mit eigenständig beweiswürdigenden Überlegungen zur „Ansicht“ des Erstangeklagten, „mit den festgestellten Informationen keine Persönlichkeitsrechte zu verletzen und [dass er] damit auch keine verletzen wollte“, gelingt dem Rechtsmittelwerber nicht, Indizien für einen Feststellungsmangel in Richtung eines „(vorsatzausschließenden) Bedeutungsirrtums“ prozessordnungsgemäß zur Darstellung zu bringen, sondern entfernt er sich von der Sachverhaltsbasis der angefochtenen Entscheidung, die allein aber den Rahmen zur Geltendmachung materiellrechtlicher Nichtigkeit absteckt.
Die Kritik an den mit der Feststellung des Schädigungsvorsatzes verwobenen Argumenten für dessen Annahme (US 15) - der Sache nach § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO - zeigt keinen Verstoß gegen Logik und Empirie auf, weil die Ausführungen in ihrer Gesamtheit nicht auf fahrlässiges, sondern auf doloses Verhalten abzielen (vgl auch US 11, 12, 18 und 20).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Zweitangeklagten:
Die Mängelrüge (Z 5) übergeht mit der Behauptung fehlender Gründe für das „Vorliegen des Befugnismissbrauchs und der Schädigung der Rechtssphäre der angefragten Personen“ die erstgerichtlichen Ausführungen dazu (US 15 f). Überdies ist der Nichtigkeitswerber in diesem Zusammenhang auf die oben ersichtliche Darstellung der Rechtslage zu verweisen.
Das als Aufklärungsrüge erstattete Vorbringen aus § 281 Abs 1 Z 5a StPO unterlässt die Darlegung, wodurch der Angeklagte an einer Antragstellung in Richtung der vermissten Erhebungsschritte gehindert gewesen wäre (RIS-Justiz RS0114036; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480). Die Überzeugung des Gerichts von der Glaubwürdigkeit einer Person lässt sich mit Tatsachenrüge überhaupt nicht bekämpfen (RIS-Justiz RS0099649; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 491).
Die weitwendige Rechtsrüge (Z 9 lit a) erschöpft sich in allgemeinen juristischen Ausführungen (unter anderem zur hier nicht in Rede stehenden Abgrenzung zwischen §§ 51 und 52 DSG), übergeht aber dabei den festgestellten Schädigungsvorsatz (US 15 f), legt nicht dar, worin beim Faktum O***** die Vergleichbarkeit mit den rechtlichen Vorgaben des Meldegesetzes bestünde, und erklärt nicht, welche rechtliche Bedeutung die Motiv- und Interessenlage des Zweitangeklagten bei seiner Bestimmungshandlung entfalten sollte. Mit beweiswürdigenden Hypothesen (wovon der Beschwerdeführer „ausgehen musste“ und „[nicht] ausgegangen werden kann“) verlässt der Rechtsmittelwerber vollends den prozessordnungsmäßig vorgegebenen Rahmen der Geltendmachung materiellrechtlicher Nichtigkeit.
Die Subsumtionsrüge (Z 10) zielt auf die Anwendung des § 51 DSG ab, entfernt sich jedoch mit der Spekulation, die in Rede stehenden Informationen könnten „durch schlichte Anfrage bei den Registerbeamten des Gerichts von jedermann besorgt werden“, einmal mehr von den Urteilsannahmen (vgl konkret US 27). Auch das „Vertreten“ der Auffassung, „dass die weitergegebenen Daten überhaupt keiner Geheimhaltungspflicht unterliegen und die Weitergabe auch keinesfalls von einem Schädigungsvorsatz umfasst ist“, entzieht die Beschwerde meritorischer Erwiderung.
Der Vollständigkeit halber sei ein letztes Mal auf die eingangs ersichtliche Erörterung der Rechtslage verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E93802European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0120OS00028.10Z.0408.000Im RIS seit
06.06.2010Zuletzt aktualisiert am
06.06.2010