TE OGH 2010/4/8 12Os18/10d

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Veröffentlicht am 08.04.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T.Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christoph K***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Jugendgeschworenengericht vom 3. Dezember 2009, GZ 16 Hv 73/09t-92, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) sowie im Ausspruch nach § 21 Abs 2 StGB ebenso aufgehoben wie der Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO und dem Erstgericht die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung aufgetragen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil wurde der am 18. Februar 1990 geborene Angeklagte Christoph K***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 10. Juni 2008 in Klagenfurt Franz B***** dadurch getötet hat, dass er ihm heftige Faustschläge in das Gesicht versetzte, wodurch der Genannte zu Boden stürzte, und sodann dem bereits wehrlos am Boden liegenden Opfer wiederholt - mehrere Meter Anlauf nehmend - wuchtige Fußtritte gegen das Gesicht und den Kopf versetzte, wodurch der Genannte ausgedehnte blutunterlaufene Weichteilprellungen im Gesichtsbereich bzw im Bereich der Kopfschwarte rechtsseitig mit multiplen kurzstreckigen Quetschverletzungen im Bereich beider Augenregionen sowie Augenbindehautblutungen, Schädelfrakturen mit Trümmerbruchverletzung der Nase bzw der Nasenscheidewand und der inneren Augenhöhlenwand links mit Blutansammlungen und Einblutungen in die Nasennebenhöhlen verbunden mit Blutaspiration bis in periphere Lungenbezirke beidseits erlitt, dadurch Speisebrei einatmete, was wiederum zu einem apallischen Syndrom und einer Aspirationspneumonie führte, an deren Folgen er am 9. Juli 2008 verstarb.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil mit einer auf die Z 5 und 13 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der aus dem letztgenannten Grund teilweise Berechtigung zukommt.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) lehnte der Schwurgerichtshof den vom Verteidiger gestellten Antrag auf „Beiziehung eines weiteren Sachverständigen aus dem Fachgebiet Psychiatrie und Neurologie bzw Kinder- und Jugendpsychiatrie zum Beweis dafür, dass der Angeklagte aufgrund der angegebenen Alkoholisierung sowie der eingenommenen Medikamente und Drogen zum Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig war, sowie dass beim Angeklagten keine geistig-seelische Abartigkeit höheren Grades vorhanden ist und keine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Genannte unter Einfluss einer geistig-seelischen Abartigkeit künftighin ähnliche Gewaltdelikte mit schweren Folgen begehen werde“, zu Recht ab (S 16 f in ON 91).

Ein weiterer Sachverständiger ist im Strafverfahren nur beizuziehen, wenn das bereits vorliegende Gutachten mangelhaft im Sinne des § 127 Abs 3 erster Satz StPO ist und diese Bedenken durch nochmalige Befragung des bestellten Sachverständigen nicht behoben werden können. Ein aus § 345 Abs 1 Z 5 StPO garantiertes Überprüfungsrecht hinsichtlich eines bereits durchgeführten Sachverständigenbeweises hat der Beschwerdeführer demnach nur dann, wenn er in der Hauptverhandlung einen in § 127 Abs 3 erster Satz StPO angeführten Mangel von Befund oder Gutachten aufzeigt und das dort beschriebene Verbesserungsverfahren erfolglos bleibt (vgl RIS-Justiz RS0117263; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351).

Einen solchen Mangel des zu diesem Beweisthema bereits eingeholten Befundes und Gutachten des neuropsychiatrischen Sachverständigen Dr. Max N***** (ON 32, S 11 in ON 51 und S 13 ff in ON 91) hat der Nichtigkeitswerber bei der Antragstellung jedoch nicht bezeichnet. Das bloße Verlangen einer Partei, neue Befunde und Gutachten abzufordern, um die vom beigezogenen Sachverständigen erbrachten Ergebnisse zu überprüfen, zielt auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung ab.

Das ergänzende Vorbringen im Rechtsmittel, womit erstmalig Zweifel an einer vollständigen Explorierung und damit Befundung der Psyche des Angeklagten geäußert wurden, ist aufgrund des Neuerungsverbots im Nichtigkeitsverfahren unbeachtlich.

In diesem Umfang war daher die Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO).

Der Sanktionsrüge (Z 13) kommt hingegen Berechtigung zu.

Der Rechtsmittelwerber zeigt zutreffend auf, dass die Tatbegehung während anhängiger Ermittlungen in einem anderen Strafverfahren (gemeint offenbar betreffend die mit Beschluss vom 28. April 2009 - ON 64 - ausgeschiedenen Fakten 1./ und 2./ der Anklageschrift ON 62, welche nach Aktenlage bislang unerledigt blieben) nicht als erschwerend herangezogen hätte werden dürfen (Z 13 zweiter Fall).

Abgesehen davon, dass die Delinquenz während eines anhängigen Strafverfahrens nicht als eigener (besonderer) Erschwerungsgrund im Sinne des § 33 Z 2 StGB, sondern allenfalls als Strafzumessungsaspekt nach § 32 Abs 2 StGB zu werten wäre (vgl Ebner in WK² § 33 Rz 9), erlangt dieser Umstand bei der Strafbemessung nur dann Bedeutung, wenn das im Zeitpunkt der nunmehr abzuurteilenden Tat bereits anhängig gewesene Strafverfahren Straftaten betrifft, zu denen entweder bereits ein rechtskräftiger Schuldspruch vorliegt oder deren der Angeklagte unter einem schuldig erkannt wurde. Denn nur in diesem Fall kommt einem bereits laufenden und in eine Verurteilung mündenden Verfahren eine Warnfunktion zu, deren fehlende Beachtung infolge neuerlicher Delinquenz von einer gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnenden oder gleichgültigen Einstellung zeugt.

Indem das Erstgericht aber ohne einen zumindest gleichzeitig ergehenden Schuldspruch zu den bereits anhängig gewesenen Straftaten mit der nunmehr abgeurteilten Tatbegehung eine Missachtung dieser Warnfunktion unterstellte, damit einen Schuldspruch im noch anhängigen Verfahren voraussetzte, verstieß es gegen die Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK (vgl RIS-Justiz RS0119271).

Der Strafausspruch erweist sich daher als nichtig. Dies führt auch zur Aufhebung des Einweisungserkenntnisses. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Einwände in der Sanktionsrüge.

Im Übrigen haftet dem Ausspruch nach § 21 Abs 2 StGB auch der von Amts wegen wahrzunehmende (§§ 290 Abs 1, 344 StPO) Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z 13 StPO an. Denn das Erstgericht begnügte sich mit der nicht näher substantiierten Feststellung, dass beim Angeklagten als Ausfluss der konstatierten geistig-seelischen Abartigkeit von höherem Grad zu befürchten sei, er werde im Zusammenhang mit einer nur leichten Alkoholisierung weiterhin zumindest schwere Körperverletzungen im Sinne des § 84 Abs 1 StGB begehen.

Mit Befürchtung im Sinne des § 21 StGB ist die Bejahung einer hohen Wahrscheinlichkeit der Begehung einer mit einem Jahr übersteigender Freiheitsstrafe bedrohten Tat zu verstehen (vgl Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 21 bis 25 Rz 4; Leukauf-Steininger Komm3 § 21 Rz 12). Die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes reicht daher nicht aus, um die hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung derartiger Prognosetaten zum Ausdruck zu bringen.

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass war somit das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) sowie im Ausspruch nach § 21 Abs 2 StGB ebenso aufzuheben wie der Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO und dem Erstgericht die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung aufzutragen (§§ 285e, 344 StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E93778

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0120OS00018.10D.0408.000

Im RIS seit

03.06.2010

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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