Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 8. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Rumpl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Anton G***** und andere Angeklagte wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB, AZ 38 Hv 164/08i des Landesgerichts Salzburg, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 10. September 2009, AZ 10 Bs 255/09k (= ON 39), und einen anderen Vorgang erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache gegen Anton G***** und andere Angeklagte wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB, AZ 38 Hv 164/08i des Landesgerichts Salzburg, verletzen das Gesetz
1. das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 10. September 2009, AZ 10 Bs 255/09k, in den Bestimmungen des § 259 Z 3 und der §§ 474, 489 Abs 1 StPO,
2. das Unterbleiben der Aufhebung des in Ansehung des Angeklagten Anton G***** gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gefassten Beschlusses des Landesgerichts Salzburg vom 19. Dezember 2008 (ON 21 S 5) in dem sich aus §§ 494a Abs 1, 498 Abs 3 dritter Satz StPO ergebenden Grundsatz der Abhängigkeit von nach § 494a StPO gefassten Beschlüssen vom aufrechten Bestand eines konnexen Strafausspruches.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 10. September 2009, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in seinem Ausspruch, wonach hinsichtlich des Angeklagten Anton G***** dem Erstgericht die Straffestsetzung für den Schuldspruch wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB (I/a) aufgetragen wird, aufgehoben.
Dem Oberlandesgericht Linz wird aufgetragen, über die Neubemessung der Strafe in Ansehung des Angeklagten Anton G***** und nach Aufhebung des vom Landesgericht Salzburg gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gefassten Beschlusses mit Blick auf das Verschlechterungsverbot über das Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht und die Probezeitverlängerung in der Sache selbst zu entscheiden.
Text
G r ü n d e :
Die Staatsanwaltschaft Salzburg legte - soweit hier von Bedeutung - Anton G***** und Ingrid G***** mit Strafantrag vom 7. November 2008 zur Last, sie hätten am 28. Februar 2008 in Salzburg
1. vor dem Landesgericht Salzburg in der Strafsache gegen Anton Thomas G***** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB durch im Strafantrag genannte Äußerungen als Zeugen bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache falsch ausgesagt und
2. durch dieselben Äußerungen Anton Thomas G*****, der am 7. April 2007 in Salzburg Günther F***** durch Versetzen von Faustschlägen ins Gesicht „schwer am Körper verletzt”, mithin eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen habe, der Verfolgung absichtlich zu entziehen versucht,
und hiedurch die Vergehen (1) der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB und (2) „der versuchten Begünstigung“ nach §§ 15 Abs 1, 299 Abs 1 StGB begangen (ON 11).
Das Landesgericht Salzburg erkannte mit Urteil vom 19. Dezember 2008, GZ 38 Hv 164/08i-21, dessen Spruch übrigens im Hauptverhandlungsprotokoll entgegen § 271 Abs 1 Z 7 StPO nicht enthalten ist (vgl ON 20 S 9), unter anderem Anton G***** und Ingrid G***** in Übereinstimmung mit dem Strafantrag jeweils der Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB (1/a und b) und der versuchten „Begünstigung“ nach §§ 15, 299 Abs 1 StGB (2) schuldig, Letzteres, was Anton G***** betrifft, ungeachtet der Feststellung, dass er Onkel des Anton Thomas G***** ist (US 11; vgl § 299 Abs 3 erster Fall StGB).
Gemeinsam mit dem Urteil fasste das Landesgericht den Beschluss, unter anderem hinsichtlich Anton G***** vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht abzusehen und die Probezeit auf fünf Jahre zu verlängern (§ 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO; ON 21 S 5).
Während der Genannte die Entscheidungen unbekämpft ließ, ergriff Ingrid G***** Berufung, die sie nur wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe ausführte (ON 35).
Das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht hob mit Urteil vom 10. September 2009, AZ 10 Bs 255/09k (ON 39 des Hv-Aktes) „in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO“ (im Hinblick auf § 299 Abs 3 erster Fall StGB, ON 39 S 6) das Urteil des Landesgerichts Salzburg „hinsichtlich Anton G***** und Ingrid G***** zu Faktum 2. - betreffend Anton G***** unter Anwendung der §§ 290, 471, 489 Abs 1 StPO“ (gemeint: §§ 489 Abs 1 zweiter Satz, 471, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) - und demzufolge auch im Strafausspruch auf und sprach Anton und Ingrid G***** vom „wider sie erhobenen Vorwurf, sie hätten jeweils durch die im Punkt 1.a)-d)“ - richtig: 1/a und b des erstgerichtlichen Urteils (ON 21 S 2 f) - „angeführten Behauptungen“ Anton Thomas G*****, „der am 07. 04. 2007 in Salzburg Günther F***** durch Versetzen von Faustschlägen in das Gesicht schwer am Körper verletzt, mithin eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen hat, der Verfolgung absichtlich zu entziehen versucht und hiedurch jeweils das Vergehen der versuchten Begünstigung nach §§ 15 Abs 1, 299 Abs 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO“ frei.
Hinsichtlich Anton G***** trug es dem Erstgericht die Festsetzung der Strafe „für den verbleibenden Schuldspruch zu Faktum 1.a)“ auf.
Im Übrigen gab es der Berufung der Angeklagten Ingrid G***** wegen des Ausspruchs über die Schuld nicht Folge und verhängte über sie mit Blick auf den verbleibenden Schuldspruch eine Freiheitsstrafe.
Den hinsichtlich Anton G***** gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gefassten Beschluss des Landesgerichts Salzburg ließ das Berufungsgericht trotz der auch diesen Angeklagten betreffenden Aufhebung des Strafausspruchs unberührt.
Rechtliche Beurteilung
Der zuletzt genannte Vorgang und das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht stehen, wie die Generalprokuratur in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu Recht geltend macht, mit dem Gesetz nicht im Einklang:
1. Da Freispruch oder Schuldspruch stets in Hinsicht auf eine Tat und nicht nur eine Subsumtion ergehen, führt der Wegfall bloß einer rechtlichen Unterstellung der Tat nicht zu einem Freispruch von der irrig angenommenen strafbaren Handlung (sog Subsumtions- oder Qualifikationsfreispruch; RIS-Justiz RS0115553; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 563 mwN und Rz 633; Lendl, WK-StPO § 259 Rz 1; vom Erstgericht zu Unrecht bejahte Idealkonkurrenz begründet demnach Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 10 StPO: Ratz, WK-StPO § 281 Rz 647).
Das Berufungsgericht hätte daher statt mit Freisprüchen - die freilich für die Angeklagten nicht von Nachteil waren (§ 292 letzter Satz StPO) - mit ersatzloser Aufhebung der Schuldsprüche wegen des Vergehens der Begünstigung nach §§ 15, 299 Abs 1 StGB vorgehen müssen.
2. Eine kassatorische Entscheidung bloß zur Strafneubemessung kommt nach der auch im gegebenen Zusammenhang - bloßes Erfordernis der Strafneubemessung nach einem Vorgehen gemäß §§ 489 Abs 1 zweiter Satz, 471, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO - maßgeblichen Intention des Berufungsverfahrens gegen Urteile eines Einzelrichters nicht in Betracht (Ratz, WK-StPO § 476 Rz 7 mwN).
Dem Erstgericht die Festsetzung der Strafe für den verbleibenden Schuldspruch des Anton G***** aufzutragen war daher verfehlt und für diesen von Nachteil (Art 83 Abs 2 B-VG).
3. Bei den Beschlüssen nach § 494a StPO handelt es sich in allen Fällen um „bedingte“ Beschlüsse, deren rechtlicher Bestand von der Rechtskraft des Urteils abhängig ist, das den Anlass für ihr Ergehen bildet (SSt 61/119). Jede Abänderung oder Aufhebung des Strafausspruchs der Anlassverurteilung durch das Rechtsmittelgericht macht diese Beschlüsse - unabhängig davon, ob auch sie angefochten wurden oder nicht - hinfällig und bedingt deren Aufhebung (Jerabek, WK-StPO § 498 Rz 8, 10).
Das Oberlandesgericht hätte daher zufolge Aufhebung des gegen Anton G***** ergangenen Strafausspruchs zugleich auch den diesen Angeklagten betreffenden Beschluss (§ 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO) aufheben und nach Neubemessung der Strafe eine neue Entscheidung nach § 494a StPO in den durch das Verschlechterungsverbot (§ 290 Abs 2 StPO) gezogenen Grenzen treffen müssen. Das Unterbleiben einer derartigen Maßnahme war für den Angeklagten Anton G***** im Hinblick auf die Möglichkeit eines bloßen Absehens vom Widerruf bedingter Strafnachsicht (§ 494a Abs 1 Z 2 StPO) potentiell nachteilig.
Daher war gemäß § 292 StPO spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E93777European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00140.09A.0408.000Im RIS seit
03.06.2010Zuletzt aktualisiert am
04.06.2010