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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Zurückweisung einer bei der OBDK erhobenen "Beschwerde" eines Rechtsanwaltes gegen die Enthebung eines mittlerweiligen Stellvertreters durch den Ausschuß der Tiroler Rechtsanwaltskammer; Enthebung eines mittlerweiligen Stellvertreters nicht als zum Kernbereich der civil rights gehörend zu qualifizieren; keine Bedenken gegen die diesbezüglichen, einen Instanzenzug vom zuständigen Ausschuß der Rechtanwaltskammer an die ODBK nicht vorsehenden Bestimmungen der RAO; Zurückweisung des Individualantrags mangels unmittelbarer Betroffenheit des AntragstellersSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.
II. Der Individualantrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Der Beschwerdeführer war Rechtsanwalt in Tirol. Mit Schreiben vom 1. Juli 1992 verzichtete er auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft. Am 16. Juli 1992 bestellte der Ausschuß der Tiroler Rechtsanwaltskammer - gestützt auf §28 Abs1 lith RAO - Dr. G zum mittlerweiligen Stellvertreter.
1.2. Mit Bescheid vom 21. März 1996 enthob der Ausschuß der Tiroler Rechtsanwaltskammer Dr. G als mittlerweiligen Stellvertreter. Dies wurde wie folgt begründet:
"Dr. ... (Name des Rechtsanwaltes) hat seine Enthebung als mittlerweiliger Stellvertreter des (Name des Beschwerdeführers) beantragt. Diesem Antrag war stattzugeben, da nach der Mitteilung des Dr. (Name des Rechtsanwaltes) ein mittlerweiliger Stellvertreter nicht mehr erforderlich ist und über das Vermögen des (Name des Beschwerdeführers) das Konkursverfahren eröffnet und ein Masseverwalter bestellt wurde."
1.3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 29. April 1996 ein als "Beschwerde" bezeichnetes Rechtsmittel, in dem er den Antrag stellte, der angefochtene Bescheid wolle dahingehend abgeändert werden, daß dem Antrag des mittlerweiligen Stellvertreters auf Enthebung nicht entsprochen wird. In eventu beantragte er die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
2. Mit Bescheid vom 4. November 1996 wies die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) die von ihr als Berufung qualifizierte Eingabe zurück. Die OBDK begründete ihre Entscheidung im wesentlichen wie folgt:
"Die Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer (§28 Abs1 lith RAO) ist die notwendige Folge bestimmter in der RAO bzw im DSt 1990 angeführter Ereignisse, nämlich: Tod eines Rechtsanwaltes; Erlöschen der Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft gemäß §34 Abs1 RAO; Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft (ua) infolge Eröffnung des Konkurses über einen Rechtsanwalt; Erkrankung oder Abwesenheit eines Rechtsanwaltes, sofern dieser nicht selbst einen Stellvertreter namhaft gemacht hat oder namhaft machen konnte (§34 Abs3 RAO). Die diesfalls notwendige Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters dient den Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung und nicht jenen des betroffenen Rechtsanwaltes; letztere sind gegebenenfalls von einem Rechtsvertreter, einem Sachwalter oder einem Abwesenheits- oder Verlassenschaftskurator zu wahren, während im Fall der Konkurseröffnung der Masseverwalter die Interessen der Konkursgläubiger wahrzunehmen hat. Ein subjektives Recht des betroffenen Rechtsanwaltes des Inhalts, daß nur ein bestimmter Rechtsanwalt zum mittlerweiligen Stellvertreter bestellt oder nicht bestellt bzw der bestellte mittlerweilige Stellvertreter enthoben oder nicht enthoben werden dürfe, kann den bezughabenden Bestimmungen der RAO, ausgehend vom dargelegten Zweck der mittlerweiligen Stellvertretung, nicht entnommen werden. Lediglich bei Bestellung im Fall des Todes oder des Verlusts der Eigenberechtigung soll auf die Wünsche der Angehörigen des Rechtsanwaltes Bedacht genommen werden (vgl §18 GeoRAK Tirol); in allen anderen Fällen ist aber eine solche Bedachtnahme auf Wünsche des Betroffenen nicht vorgesehen.
...
Da nach dem Gesagten gegen den bekämpften Bescheid ein Rechtsmittel an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission sohin nicht zulässig ist, war die Berufung zurückzuweisen."
3.1. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende (zu B227/97 protokollierte) Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein faires Verfahren geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird. Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor, daß über sein gegen den Bescheid des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer erhobenes Rechtsmittel kein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht im Sinne der EMRK entschieden habe. Der Beschwerdeführer vertritt mit näherer Begründung die Ansicht, daß der Ausschuß der Tiroler Rechtsanwaltskammer nicht als Tribunal im Sinne des Art6 EMRK qualifiziert werden könne. Er zieht daraus die Schlußfolgerung, daß eine Verletzung dieser Konventionsbestimmung stattgefunden habe.
3.2. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.
4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
4.1.1. Gemäß §28 Abs1 lith RAO gehört die Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters in den von der RAO oder dem DSt angeordneten Fällen zum Wirkungskreis des Ausschusses der zuständigen Rechtsanwaltskammer. Abs2 des §28 RAO ordnet an, daß dem Ausschuß (der zuständigen Rechtsanwaltskammer) außerdem alle Aufgaben obliegen, die nicht durch Gesetz einem anderen Organ zugewiesen sind. Da eine anderslautende gesetzliche Anordnung nicht existiert, fällt die Zuständigkeit zur Enthebung eines mittlerweiligen Stellvertreters somit in den Wirkungskreis des Ausschusses. Gemäß §18 Abs3 der Geschäftsordnung für die Tiroler Rechtsanwaltskammer und deren Ausschuß vom 19. Juni 1986 idF des Beschlusses der Vollversammlung der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 5. Mai 1993 (im folgenden: Geo RAK Tirol) ist der Ausschuß der Tiroler Rechtsanwaltskammer berechtigt, vor der Bestellung und nach derselben Erhebungen zu pflegen, den mittlerweiligen Stellvertreter zu entheben und einen anderen zu bestellen.
4.1.2.1. Soweit das - nicht sehr deutlich formulierte - Beschwerdevorbringen dahingehend zu verstehen ist, daß aufgrund der Verfassungsbestimmung des Art6 EMRK ein Rechtszug gegen die Entscheidung des Ausschusses einer Rechtsanwaltskammer betreffend die Enthebung eines mittlerweiligen Stellvertreters an ein Tribunal im Sinne dieser Konventionsbestimmung von Verfassungs wegen geboten wäre, so vermag der Verfassungsgerichtshof diesem Vorbringen nicht zu folgen: Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner jüngeren Judikatur - beginnend mit VfSlg. 11500/1987 - wiederholt den (im Vergleich zum EGMR restriktiveren) Standpunkt vertreten, daß (nur) über jene Ansprüche und Verpflichtungen, die zum "Kernbereich" der civil rights zu zählen seien, ein den Anforderungen der Art6 EMRK entsprechendes Tribunal in der Sache selbst zu entscheiden habe, und daß in solchen traditionell der Ziviljustiz zuzuzählenden Angelegenheiten die (bloß) nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes nicht hinreiche. Dies gelte für Entscheidungen über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen selbst, wie etwa die Entscheidung über den Ersatz von Jagd- und Wildschäden (vgl. dazu zB VfSlg. 11591/1987), die Schlichtung von Streitigkeiten über eine Vertragsauslegung durch eine Schiedskommission nach dem ASVG (vgl. VfSlg. 11729/1988 und 12083/1989) bzw. dem Krankenanstaltenrecht (vgl. dazu VfSlg. 13001/1992), die Entscheidung über den Ersatz von Pflege- und Sondergebühren (vgl. VfSlg. 12470/1990), die Entscheidung von Streitigkeiten über die Angemessenheit des Pachtzinses (VfSlg. 12003/1989 zum Kleingartengesetz) oder den Zuspruch einer Enteignungsentschädigung (vgl. VfSlg. 11760/1988 und 11762/1988). Hingegen genüge für Entscheidungen über Streitigkeiten, die über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen nur in ihren Auswirkungen, also nicht über "civil rights" selbst, entstanden seien, wie zB die Erteilung bzw. Versagung einer Bewilligung zum Bau eines Hauses (vgl. zB VfSlg. 11500/1987) oder einer Straße (VfSlg. 11645/1988), einer Bewilligung nach §13 des Viehwirtschaftsgesetzes (VfSlg. 12082/1989), den Entzug einer Apothekenkonzession (VfSlg. 11937/1988), die Festsetzung eines Entgeltes für einen nach §80 Abs8 BDG 1979 zugewiesenen Parkplatz (VfSlg. 12929/1991), die Untersagung der Bewilligung der Beschäftigung von Ausländern (VfSlg. 13505/1993) oder die Zuerkennung von Pensionen (VfSlg. 14210/1995) die nachprüfende Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes.
Vor dem Hintergrund dieser gefestigten Rechtsprechung läßt sich die Entscheidung hinsichtlich der Bestellung und der Enthebung eines mittlerweiligen Stellvertreters nicht als zum "Kernbereich" des Zivilrechts gehörend qualifizieren. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich daher auch aufgrund des Beschwerdevorbringens nicht veranlaßt, ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der im vorliegenden Beschwerdefall präjudiziellen Bestimmungen des §28 RAO einzuleiten.
4.1.2.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles auch keine Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des §18 Abs3 Geo RAK Tirol. Der Gerichtshof hat keinen Zweifel, daß diese Vorschrift in §28 Abs2 RAO ihre gesetzliche Deckung findet (vgl. die Ausführungen unter 4.1.1.). Er sieht sich daher nicht veranlaßt, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit dieser Bestimmung einzuleiten.
Aus dem Gesagten folgt, daß der Beschwerdeführer in seinen Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen nicht verletzt wurde.
4.2. Eine Verletzung des Beschwerdeführers in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten liegt ebenfalls nicht vor. Die OBDK ist - wie sich schon argumentum e contrario aus §5a RAO ergibt - hinsichtlich der Entscheidungen von Ausschüssen der Rechtsanwaltskammern nur dann Berufungsbehörde, wenn eine gesetzliche Vorschrift dies ausdrücklich anordnet. Solches ist jedoch hinsichtlich der in Rede stehenden Angelegenheit nicht geschehen, weshalb die Zurückweisung der bei der OBDK erhobenen "Beschwerde" zu Recht erfolgte.
Der Beschwerdeführer wurde daher durch den bekämpften Zurückweisungsbeschluß nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu erkennen, daß der Beschwerdeführer durch den Gesetzesvollzug in durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4.3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof war abzuweisen, weil die OBDK als Kollegialbehörde im Sinne des Art133 Z4 B-VG zu qualifizieren und die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gesetzlich nicht vorgesehen ist (vgl. zB VfGH 29.9.1997, B481/97, und VfGH 9.10.1997, KI-10/96).
5.1. Der Einschreiter stellt unter einem auch den Antrag, §18 Abs3 Geo RAK Tirol als gesetzwidrig aufzuheben. Der Einschreiter behauptet, die genannte Bestimmung stehe im Widerspruch zu §28 RAO, worin eine Enthebung des mittlerweiligen Stellvertreters nicht vorgesehen sei.
5.2. Die Vollversammlung der Tiroler Rechtsanwaltskammer hat eine Äußerung erstattet, in der sie die bekämpfte Verordnungsbestimmung verteidigt. Der Bundesminister für Justiz hat sich ihren Ausführungen angeschlossen.
5.3. Der Individualantrag ist unzulässig. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargetan hat, ist es Voraussetzung der Antragslegitimation, daß die bekämpfte Verordnungsstelle für den Antragsteller nicht bloß behaupteterweise, sondern tatsächlich ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist (vgl. die mit VfSlg. 8009/1977 eingeleitete und seither ständige Rechtsprechung: siehe zB VfSlg. 11726/1988 und 13944/1994). Im vorliegenden Fall ist die bekämpfte Bestimmung für den Einschreiter nicht unmittelbar wirksam geworden; vielmehr erfolgte die Enthebung des dem Beschwerdeführer bestellten mittlerweiligen Stellvertreters durch einen Bescheid des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer, gegen den der Antragsteller ein Rechtsmittel erhoben hat. Der Antragsteller war in der Lage, in der Verfassungsgerichtshofbeschwerde gegen den dieses Rechtsmittel zurückweisenden Beschluß der OBDK seine Bedenken gegen die von ihm als gesetzwidrig erachtete Verordnungsbestimmung vorzubringen. Der Individualantrag erweist sich sohin schon mangels unmittelbarer Betroffenheit als unzulässig, ohne daß zu prüfen war, ob seiner meritorischen Behandlung weitere Prozeßhindernisse entgegenstehen.
Der Antrag war daher zurückzuweisen.
6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz bzw. §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Rechtsanwaltskammer, Behördenzuständigkeit, VfGH / IndividualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:B227.1997Dokumentnummer
JFT_10019391_97B00227_00