Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 13. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klein als Schriftführerin in der Strafsache gegen Stephan O***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 30. November 2009, GZ 42 Hv 59/09h-13, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die „Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld“ werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
G r ü n d e :
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Stephan O***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB (erkennbar - ohne einen Günstigkeitsvergleich vorzunehmen - richtig idF vor BGBl I 2009/40 [siehe US „... von einem Strafrahmen von bis zu 5 Jahren auszugehen ...“]) schuldig erkannt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er gegen Ende Oktober 2007 in Felixdorf eine wehrlose Person, nämlich den infolge übermäßigen Alkoholgenusses beeinträchtigt schlafenden Walter T*****, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er einen Oralverkehr, sohin eine geschlechtliche Handlung, an ihr vornahm.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus den Gründen der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene (fälschlich als „Berufung wegen Nichtigkeit“ bezeichnete) Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.
Indem die Mängelrüge (Z 5) Unvollständigkeit der angefochtenen Entscheidung (Z 5 zweiter Fall), ohne - durch exakten Hinweis auf entsprechende Aktenstellen - in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse zu bezeichnen, die das Erstgericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung unberücksichtigt gelassen haben soll, führt sie den herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht prozessordnungskonform aus.
Die gesetzliche Anordnung, die Nichtigkeitsgründe bestimmt zu bezeichnen (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO), schließt nämlich in den Fällen, in denen die eingewendete Nichtigkeit nach dem Gesetz aus den Akten zu entwickeln ist, als logisch ersten Schritt bestimmter Bezeichnung die Notwendigkeit ein, die diesbezüglichen Fundstellen zu nennen. Der Oberste Gerichtshof hat dies zunächst in Bezug auf die Verfahrensrügen (§ 281 Abs 1 Z 2, 3, 4, StPO) ausdrücklich festgehalten und dabei fallbezogen hervorgehoben, dass es bei besonders umfangreichem Aktenmaterial der genauen Angabe der Aktenstelle bedarf (RIS-Justiz RS0124172). In einer Folgeentscheidung hat er diese Aussage dahin präzisiert, dass in solchen Fällen der exakte Aktenbezug unerlässlich ist (13 Os 67/09s). Damit wird klargestellt, dass bei geringen Aktenumfängen die Bezeichnung der Fundstelle keinesfalls entbehrlich ist, sondern nur die Anforderungen hinsichtlich der Genauigkeit des unmittelbaren Hinweises niedriger sein können. So wird etwa bei Aktenstücken, die nur eine einzige Seite umfassen, das Nennen der Ordnungsnummer oder (soweit nicht für mehrere Aktenstücke gleich) des in der Aktenübersicht aufscheinenden Datums hinreichen, weil sich schon daraus die genaue Fundstelle ergibt. Zusammengefasst muss also stets - unabhängig vom Umfang der Akten - die Aktenseite auf der die argumentative Basis der Nichtigkeitsbeschwerde zu finden ist, (wenn auch - in besonderen Ausnahmefällen wie dem beispielsweise beschriebenen - nur konkludent, so doch) exakt bezeichnet werden (in diesem Sinn schon 13 Os 183/08y zu § 281 Abs 1 Z 5a StPO).
Soweit der Beschwerdeführer unter aus dem Zusammenhang gelöster Darstellung der Depositionen des Zeugen Walter T***** einen „krassen Widerspruch“ in dessen Aussage behauptet, weil der von diesem geschilderte Tritt gegen einen Spind aufgrund der dadurch bewirkten Lärmentwicklung nicht mit der Anwesenheit weiterer Personen in Einklang zu bringen sei, stellt er den erstgerichtlichen Überlegungen bloß eigene Auffassungen und Erwägungen gegenüber und bekämpft damit die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im Schöffenverfahren unzulässigen Schuldberufung (RIS-Justiz RS0099455).
Weshalb ausgehend vom Urteilssachverhalt weitere Feststellungen darüber, „wo die beiden weiteren Anwesenden im Vorfallszeitpunkt (gemeint: exakt) waren“, für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage erforderlich gewesen wäre, lässt die auf Z 9 lit a gestützte Rechtsrüge (nominell verfehlt auch Z 5) offen. Indem die Beschwerde mit dem weiteren Vorbringen, wonach „eine genaue Zuordnung der tatsächlich Ausübenden“ nicht möglich wäre, die gegenteiligen Urteilsannahmen (US 4) bekämpft, erschöpft sie sich neuerlich in einem unzulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung des Erstgerichts.
Demnach war die Nichtigkeitsbeschwerde - ebenso wie die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene „Berufung wegen Schuld“ - schon bei der nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung wegen des Strafausspruchs folgt (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
ZivilrechtTextnummer
E94041European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0140OS00028.10I.0413.000Im RIS seit
01.07.2010Zuletzt aktualisiert am
01.07.2010