Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 13. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klein als Schriftführerin in der Strafsache gegen Zaurbek B***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 2. Dezember 2009, GZ 420 Hv 2/09p-158, sowie die (implizierte) Beschwerde des Angeklagten gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
G r ü n d e :
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Zaurbek B***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 26. August 2008 in Wien Edip S***** durch das Zufügen mehrerer - im angefochtenen Urteil näher beschriebener - Stichverletzungen mit einem Klappmesser mit neun cm langer Klinge vorsätzlich getötet.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 5 und 6 des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.
Der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf „Einvernahme des Erwin K***** als sachverständigen Zeugen zum Beweis dafür, dass der Angeklagte die Tat in verminderter Zurechnungsfähigkeit aufgrund eines Belastungssyndroms begangen hat“, Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt. Begründet wurde der Antrag im Wesentlichen damit, der - gemäß § 249 Abs 3 StPO zur Unterstützung des Verteidigers beigezogene - Erwin K***** habe als Experte für „psychische Probleme von Folteropfern“ den Beschwerdeführer untersucht und wisse über dessen „kulturellen Hintergrund Bescheid“; zudem hätten die gerichtlich bestellten Sachverständigen erklärt, keine Aussage darüber treffen zu können, „welche psychischen Störungen der Beschwerdeführer aufgrund seiner Biographie auch insbesondere aufgrund der Folterungen“ habe (ON 157 S 43).
Die gerichtlich bestellten Sachverständigen haben die an sie gerichteten Fragen im Zusammenhang mit der Zurechnungsfähigkeit (§ 11 StGB) des Beschwerdeführers im Tatzeitpunkt sowie den Voraussetzungen für eine Unterbringung gemäß § 21 Abs 1 oder Abs 2 StGB abschließend - ohne dass das Antragsvorbringen diesbezüglich Mängel im Sinn des § 127 Abs 3 StPO behauptet hätte - beantwortet und dabei seine Herkunft und Kriegserlebnisse (in Tschetschenien) berücksichtigt (vgl ON 86 S 15 und 19, ON 126 S 21 und 29 sowie ON 157 S 31 ff und 35 ff). Unterlassene Beweisaufnahme im Zusammenhang mit „verminderter Zurechnungsfähigkeit“ als bloßem Milderungsgrund (§ 34 Abs 1 Z 11 StGB) - von der das Erstgericht im Übrigen ohnehin ausging (US 7 - vgl RIS-Justiz RS0099135; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 342) - kann hingegen aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 345 Abs 1 StPO nicht gerügt werden (RIS-Justiz RS0099187). Zudem sind Zeugen - mögen sie auch über besondere Fachkenntnisse verfügen - bloß über ihre sinnlichen Wahrnehmungen von Tatsachen, nicht jedoch über (nach Art eines Gutachtens gezogene) Schlussfolgerungen, die hier aber gerade das Beweisthema bildeten, zu vernehmen (RIS-Justiz RS0097540). Einen „sachverständigen Zeugen“ im Sinn des Beweisantrags kennt die Strafprozessordnung demnach nicht. Ergänzendes Vorbringen zur Relevanz des Beweisthemas (etwa zur Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 76 StGB) im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde unterliegt dem Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).
Wird im Rahmen der Fragenrüge (Z 6) unterlassene Fragestellung kritisiert, erfordert prozessordnungsgemäße Darstellung dieses Nichtigkeitsgrundes die deutliche und bestimmte Bezeichnung eines in der Hauptverhandlung vorgekommenen, die beantragten (Eventual-)Fragen - vorliegend (ON 157 S 47 ff) in Richtung Totschlag (§ 76 StGB), absichtliche schwere Körperverletzung (§ 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB), Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83, 86 StGB) und fahrlässige Tötung (§ 80 StGB) - indizierenden Tatsachensubstrats und zwar samt Angabe der Fundstellen in den Akten (RIS-Justiz RS0117447). Diesen Anforderungen wird die Rüge, welche die ohnehin gestellten - jedoch zufolge Bejahung der Hauptfrage nicht beantworteten - Eventualfragen nach absichtlicher schwerer Körperverletzung und nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang schlicht übergeht (vgl Blg ./A zu ON 157), mit dem pauschalen Hinweis auf „das Beweisverfahren“ und „die Aussage des Angeklagten selbst“, in keiner Weise gerecht. Dieser machte im Übrigen in der Hauptverhandlung (erstmals - vgl ON 16 S 9 ff) zwar Angaben zu einem Streit mit dem späteren Opfer im Vorfeld der eigentlichen Tat, gab jedoch an, sich an Einzelheiten im Zusammenhang mit der Eskalation der Auseinandersetzung, dem Einsatz der Tatwaffe und den tödlichen Messerstichen gerade nicht erinnern zu können (ON 152 S 47, 53 ff, 69, 75 und 89 ff). Weshalb sein - nicht näher beschriebenes - Verhalten nach der Tat, das „als Erschrecken über das Geschehene interpretiert werden kann“, oder die Aussage des Sachverständigen Dr. Heinz P*****, die Frage nach Persönlichkeitsstörungen außerhalb der von diesem beurteilten Kriterien (§§ 11, 21 StGB) sei „Sache der Beweiswürdigung“ (ON 157 S 37 ff), nach allgemeiner Lebenserfahrung ernst zu nehmende Indizien (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23) für die begehrte Fragestellung abgeben sollen, bleibt schließlich völlig im Dunkeln.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen sowie die (implizierte) Beschwerde des Angeklagten resultiert (§§ 285i, 344, 498 Abs 3 StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E93740European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0140OS00021.10K.0413.000Im RIS seit
31.05.2010Zuletzt aktualisiert am
31.05.2010