TE OGH 2010/4/15 6Ob246/09h

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Veröffentlicht am 15.04.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** A*****, vertreten durch Prochaska Heine Havranek Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei D***** AG, *****, vertreten durch Simma Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen 167.598,01 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. Oktober 2009, GZ 1 R 189/09t-18, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 24. April 2009, GZ 38 Cg 130/08b-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

B e g r ü n d u n g :

Die Klägerin und M***** B***** B***** hatten bereits in den 90iger-Jahren des vorigen Jahrhunderts bei der beklagten österreichischen Bank mitgebrachte Bargeldbeträge auf anonymen Wertpapierkonten in australischen Dollars angelegt.

1998 eröffneten sie aufgrund geänderter gesetzlicher Rahmenbedingungen ein Nummernwertpapierdepot mit der Nummer *****502, ein dazu gehöriges Nummernverrechnungskonto und ein Nummernkonto bei der Beklagten. Sie unterfertigten dabei auf dem Depoteröffnungsantrag mit Unterschrift und Losungswort jeweils neben dem Vermerk „VK“; dies stand für „Verfügungsberechtigter Kontoinhaber“. M***** B***** B***** unterfertigte außerdem einen Depoteröffnungsantrag betreffend das Nummerndepot mit der Nummer *****050, ein dazu gehöriges Nummernverrechnungskonto und ein Nummernkonto.

Bei Einrichtung der Nummerndepots wurde mit der Beklagten vereinbart, dass die Klägerin und M***** B***** B***** auf ihren Verrechnungskonten jeweils Überziehungen zum Zweck des Ankaufs von Wertpapieren tätigen können, dies bis zu einem Wert von zwei Drittel der auf dem Nummerndepot erliegenden Werte. Für den Fall des Überschreitens dieser Grenze wurde besprochen, dass dann eine Nachschusspflicht bestünde oder entsprechende Verkäufe zur Reduktion des Obligos stattfinden müssten.

Sämtliche Verfügungen über die bei der Beklagten eingerichteten Depots der Klägerin und M***** B***** B*****’ erfolgten über ausdrückliche Veranlassung der Kunden, zu keinem Zeitpunkt jedoch über Empfehlung von Mitarbeitern der Beklagten.

Im Laufe des Jahres 2002 entwickelte sich der Wert des Nummerndepots *****050 derart negativ, dass die Belehnungsgrenze von zwei Drittel des Wertes des Depots auf dem dazu gehörigen Verrechnungskonto erreicht wurde. Daher forderte die Beklagte M***** B***** B***** auf, Nachschüsse zu bringen oder entsprechende Verkäufe durchzuführen, um das Obligo zu reduzieren. M***** B***** B***** war jedoch der Ansicht, die Wertpapiere würden sich wieder erholen und die Unterdeckung auf dem Verrechnungskonto sich wiederum von selbst beheben. Anlässlich eines Gesprächs in den Räumlichkeiten der Beklagten am 4. 7. 2002 bot M***** B***** B***** deshalb auch an, eine Liegenschaft in den Niederlanden zur Besicherung zur Verfügung zu stellen.

Bei einem weiteren Gespräch im Juli 2003 zog M***** B***** B***** zwar das Anbot einer Liegenschaftspfandbestellung wieder zurück, stellte jedoch andere Sicherheiten in Aussicht. So bot er an, das Wertpapierdepot mit der Nummer *****502 als Besicherung zur Verfügung zu stellen. Aufgrund dieses Gesprächs übermittelte die Beklagte M***** B***** B***** am 17. 10. 2003 das Schreiben Beilage ./C, in welchem die Rede von der Beibringung einer Besicherung durch M***** B***** B***** im Gegenzug zum (weiteren) Zuwarten der Beklagten bis zu einer Erholung der Börse ist; sollte sich die Börsensituation dahin entwickeln, dass der ungedeckte Betrag noch ansteigt, so werde diesfalls eine Obergrenze von 1 Mio EUR vereinbart; in diesem Fall sei die Beklagte ermächtigt, sofort sämtliche auf dem Depot mit der Nummer *****050 befindlichen Werte zu liquidieren.

Am 19. 11. 2003 übermittelte die Beklagte M***** B***** B***** das Schreiben Beilage ./D, in welchem ausgeführt ist, die Beklagte halte aufgrund der zwischenzeitig geführten Telefonate nachfolgende Ergänzung der Vereinbarung vom 17. 10. 2003 dahin fest, dass M***** B***** B***** die Beklagte unter anderem ausdrücklich ermächtige, auch die auf dem Depot mit der Nummer *****502 erliegenden Werte allenfalls zur Abdeckung des Sollsaldos auf dem Verrechnungskonto M***** B***** B*****’ zu verwenden.

M***** B***** B***** unterfertigte beide Schreiben und erklärte mit seiner Unterschrift, mit den in diesen Schreiben genannten Bedingungen und Regelungen ausdrücklich einverstanden zu sein. In weiterer Folge erklärte er allerdings gegenüber der Beklagten in mehreren Schreiben, die Unterfertigung dieser Vereinbarungen sei lediglich aufgrund von Druckausübung durch die Beklagte erfolgt, er stimme einer Veräußerung der Wertpapiere nur im Gegenwert in Höhe des Einkaufspreises oder darüber zu, er sei nicht Eigentümer der auf dem Depot mit der Nummer *****502 erliegenden Werte, er widerrufe seine erteilte Ermächtigung und behalte sich Schadenersatzansprüche vor.

In der Kalenderwoche 34 des Jahres 2005 verwertete die Beklagte die auf dem Depot mit der Nummer *****050 erliegenden Werte zu einem Preis von knapp über 1 Mio EUR, wodurch auf dem dazu gehörigen Verrechnungskonto ein Sollsaldo von rund 379.000 EUR verblieb. In der Kalenderwoche 37 verwertete die Beklagte auch die auf dem Depot mit der Nummer *****502 erliegenden Werte zu einem Preis von 152.199 EUR, wobei das dazu gehörige Verrechnungskonto zu diesem Zeitpunkt einen Sollsaldo von 89.909,49 EUR aufgewiesen hatte.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten 167.598,01 EUR. Bei den auf dem Depot mit der Nummer *****502 erliegenden Werten habe es sich um ihr Eigentum gehandelt, M***** B***** B***** sei lediglich als ihr Vertreter tätig geworden. M***** B***** B***** sei nie über die Risken der vorgenommenen Veranlagungen aufgeklärt worden, das Vermögen sei von einem Mitarbeiter der Beklagten verwaltet worden. Den Vereinbarungen vom 17. 10. und vom 19. 11. 2003 habe M***** B***** B***** lediglich unter Druck zugestimmt, wobei er zur Liquidierung der Werte auf dem Depot mit der Nummer *****502 gar nicht berechtigt gewesen wäre. Seine Zustimmung zur Verwertung sei nichtig, jedenfalls sei die Zustimmung von ihm widerrufen worden.

Die Beklagte hält diesem Begehren entgegen, M***** B***** B***** sei Mitbegründer, Mitinhaber und Mitberechtigter des Depots mit der Nummer *****502 gewesen, ebenso einzelverfügungsberechtigt. Die Beklagte habe das veranlagte Vermögen nicht verwaltet, sondern lediglich Aufträge der Kunden ausgeführt. Bei Abschluss der Vereinbarungen vom 17. 10. und vom 19. 11. 2003 habe M***** B***** B***** nicht unter Druck gehandelt, sondern nach einer Überlegungsfrist die Schreiben postalisch an die Beklagte übermittelt. Trotz der Realisierung der Werte auf beiden Depots bestehe nach wie vor ein Außenstand der Beklagten von rund 300.000 EUR.

Das Erstgericht wies, nachdem es ursprünglich das Verfahren auf den Grund des Anspruchs eingeschränkt hatte, das Klagebegehren ab. Es verneinte eine Verwaltungstätigkeit der Beklagten sowie eine Druckausübung bei Abschluss der erwähnten Vereinbarungen; die Androhung der Verwertung der erliegenden Werte habe keine ungerechte Furcht iSd § 870 ABGB ausgelöst. M***** B***** B***** sei außerdem berechtigt gewesen, auch über das Depot mit der Nummer *****502 zu verfügen, von der erteilten Ermächtigung zur Verwertung habe M***** B***** B***** nicht einseitig wieder abgehen können.

Das Berufungsgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht besteht und dass die Revision nicht zulässig ist. In der Sache selbst teilte das Berufungsgericht zwar die Ausführungen des Erstgerichts hinsichtlich der Verfügungsberechtigung M***** B***** B*****’, hinsichtlich des Umstands, dass die Beklagte keine Verwaltungstätigkeit ausgeführt hatte, und hinsichtlich der Verneinung einer Drucksituation für M***** B***** B***** iSd § 870 ABGB, meinte es jedoch, M***** B***** B***** habe der Beklagten lediglich eine Ermächtigung zur Verwertung der auf dem Depot mit der Nummer *****502 erliegenden Werte erteilt. Auf eine solche Ermächtigung fänden die vollmachtsrechtlichen Regeln der §§ 1002 ff ABGB Anwendung, womit sie frei widerrufbar gewesen sei; einen derartigen Widerruf habe M***** B***** B***** jedoch vorgenommen. Da die Beklagte trotz dieses Widerrufs verwertet habe, sei sie der Klägerin gegenüber schadenersatzpflichtig geworden; die Höhe des Schadens sei vom Erstgericht mit Endurteil zu ermitteln.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Auslegung einer nach Form und Inhalt unbestrittenen Urkunde eine Frage der rechtlichen Beurteilung. Wurden allerdings zur Auslegung der einer Urkunde zugrunde liegenden Absicht der Parteien andere Beweismittel herangezogen, werden damit Tatsachenfeststellungen getroffen (RIS-Justiz RS0043422; aus jüngster Zeit 3 Ob 243/08v).

2. Die Parteien (die Klägerin dabei vertreten durch M***** B***** B*****) vereinbarten am 19. 11. 2003 (Beilage ./D) die Verwendung auch der auf dem Depot mit der Nummer *****502 bei der Beklagten erliegenden Werte zur Abdeckung des Sollsaldos auf dem Verrechnungskonto M***** B***** B*****’. In Punkt 3. dieser Vereinbarung ist von einer „Ermächtigung“ der Beklagten die Rede.

Bereits im Verfahren erster Instanz war zwischen den Parteien strittig, ob es sich dabei tatsächlich lediglich um eine (widerrufliche) Ermächtigung der Beklagten handelte oder ob M***** B***** B***** damit die Beklagte unwiderruflich besichern wollte. Das Erstgericht befragte dazu mehrere (von der Beklagten namhaft gemachte) Zeugen und M***** B***** B***** und stellte zum einen fest (US 17), bereits im Juli 2003 habe M***** B***** B***** „angeboten, das Wertpapierdepot als Besicherung zur Verfügung zu stellen“. Zum anderen führte das Erstgericht im Rahmen der Beweiswürdigung aus, es sei mit Vereinbarung Beilage ./D „auch eine Verwertung der auf dem Depot erliegenden Werte vereinbart“ worden (US 27), wobei es davon ausging, dass dies M***** B***** B***** auch bewusst gewesen sei. In rechtlicher Hinsicht schloss das Erstgericht schließlich daraus, dass M***** B***** B***** von der in Beilage ./D getroffenen Vereinbarung zur Verwertung des Wertpapierdepots nicht einseitig wieder abgehen habe können; „diese Vereinbarung [sei] keine vo[n] M***** B***** B***** einseitig widerrufbare Ermächtigung“ (US 32).

Damit ist das Erstgericht jedoch nicht von dem in der Vereinbarung verwendeten Begriff „Ermächtigung“, sondern auf Sachverhaltsebene - aufgrund von weiteren Beweisergebnissen - von einer dieser Vereinbarung zugrunde liegenden Absicht der Parteien dahin ausgegangen, dass M***** B***** B***** beziehungsweise die Klägerin von dieser „Ermächtigung“ der Beklagten zur Verwendung der Depotwerte nicht einseitig wieder abgehen konnten, sollten diese Werte doch der Besicherung der Beklagten dienen.

3. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Klagsstattgebung (dem Grunde nach) die Vereinbarung Beilage ./D wörtlich ausgelegt und „Ermächtigung“ im Sinne der Vollmachtsregeln der §§ 1002 ff ABGB als „frei widerrufbar“ verstanden. Es hat damit aber die als (verstreute) Feststellungen des Erstgerichts zu wertenden, unter 2. wiedergegebenen Ausführungen des Erstgerichts unbeachtet gelassen und ist damit bei Auslegung der Vereinbarung Beilage ./D auf Sachverhaltsebene von den Ergebnissen des erstinstanzlichen Verfahrens abgewichen, ohne eine Beweiswiederholung durchzuführen, eine Vorgangsweise nach § 488 Abs 4 ZPO zu wählen oder - sollte es die Feststellungen des Erstgerichts als unzureichend erachten - eine Beweisergänzung vorzunehmen.

Dies wird von der Beklagten in ihrer außerordentlichen Revision auch gerügt.

4. Die Frage der Bedeutung des Begriffs „Ermächtigung“ in der Beilage ./D wurde von den Parteien sowohl in der Berufung als auch in der Berufungsbeantwortung aufgegriffen und erörtert. Mit dieser Frage hätte sich daher das Berufungsgericht in verfahrensrechtlich einwandfreier, unter 3. dargelegter Weise auseinandersetzen müssen. Das Berufungsgericht wird dies im fortzusetzenden Verfahren nachzuholen, die Frage mit den Parteien anlässlich einer anzuberaumenden mündlichen Berufungsverhandlung zu erörtern und die Sachverhaltsgrundlage diesbezüglich zu verbreitern oder aber als Tatsacheninstanz klarzustellen haben, dass das Erstgericht ohnehin ausreichend Feststellungen zur tatsächlichen Absicht der Parteien getroffen hat.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E93876

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0060OB00246.09H.0415.000

Im RIS seit

16.06.2010

Zuletzt aktualisiert am

23.06.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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