TE OGH 2010/4/22 8Ob164/09i

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Veröffentlicht am 22.04.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Dr. Brenn als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen

1. der klagenden Partei Mag. V***** V*****, vertreten durch Dr. Manfred C. Müllauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M***** V*****, vertreten durch Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 2.100 EUR sA und Zuhaltung durch Übergabe, und

2. der klagenden Partei M***** V*****, vertreten durch Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1) V***** V*****, 2) J***** V*****, ebendort, und 3) mj L***** V*****, ebendort, alle vertreten durch Dr. Manfred C. Müllauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung des besseren Mietrechts und Unterlassung des Gebrauchs,

über die außerordentliche Revision der beklagten Partei im führenden Verfahren bzw der klagenden Partei im verbundenen Verfahren gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 24. September 2009, GZ 38 R 62/09p-43, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Bei einem von den Vorinstanzen angenommenen Scheingeschäft wollen die Parteien schon bei Geschäftsabschluss die mit dem Rechtsgeschäft verbundenen Rechtsfolgen nicht oder nicht so wie vertraglich niedergelegt eintreten lassen. Ein solches Scheingeschäft ist nach § 916 Abs 1 ABGB nichtig, weil es (so) von den Parteien nicht gewollt war und auch keine der Parteien auf die Wirksamkeit der Erklärungen vertraute. Gesamtnichtigkeit tritt dann ein, wenn die Parteien nicht die Absicht hatten, ein Rechtsgeschäft abzuschließen (RIS-Justiz RS0018131). Wollten sie hingegen mit ihrer Vereinbarung ein anderes Rechtsgeschäft verdecken, so ist das dissimulierte Geschäft nach seiner wahren Beschaffenheit zu beurteilen und in der Regel wirksam, wenn es den Erfordernissen eines gültigen Rechtsgeschäfts entspricht (RIS-Justiz RS0018090; 1 Ob 58/02i; 7 Ob 116/05t). Ob im Einzelfall ein Scheinvertrag vorliegt, die Willenserklärungen der Vertragspartner also im beiderseitigen Einverständnis nur zum Schein abgegeben wurden, oder ob die Vereinbarung dem wahren Willen der Parteien entspricht, ist keine Rechtsfrage, sondern eine Feststellung tatsächlicher Art (RIS-Justiz RS0043610; 1 Ob 58/02i).

1.2 Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Annahme, beim schriftlichen Mietvertrag vom 4. 1. 1995 über die spätere Ehewohnung top 8 und den darüber befindlichen (erst später ausgebauten) Dachbodenraum handle es sich um ein Scheingeschäft iSd § 916 ABGB.

Beim Argument der Beklagten, dass nach dem wahren Willen ein Leihvertrag hätte abgeschlossen werden sollen und dieses verborgene Rechtsgeschäft nach seiner wahren Beschaffenheit zu beurteilen sei, handelt es sich um eine unzulässige Neuerung. Dementsprechend hat sie sich auch noch im Berufungsverfahren (ON 39) ausschließlich auf das wirksame Zustandekommen eines Mietvertrags bei vereinbarter Befreiung von der Mietzahlungspflicht berufen. Außerdem kann eine in zweiter Instanz unterlassene Rechtsrüge in dritter Instanz nicht mehr nachgeholt werden.

Soweit die Beklagte ausführt, dass der Zeitpunkt der Abrede der Unentgeltlichkeit der Gebrauchsüberlassung nicht festgestellt worden sei, weicht sie von der Sachverhaltsgrundlage ab. Nach den Feststellungen sollten nach dem beiderseitigen Willen des damaligen Liegenschaftseigentümers und der Beklagten bei Abschluss des schriftlichen Mietvertrags die daraus resultierenden Rechtsfolgen nicht eintreten. In ihrer rechtlichen Beurteilung haben die Vorinstanzen auch ausdrücklich auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags Bezug genommen. Mit seiner Aussage, dass Mietzinszahlungen ab der Hochzeit überhaupt kein Thema mehr gewesen seien, grenzt das Erstgericht die Zeit nach der Eheschließung von jenem Zeitraum ab, in dem die Beklagte durch die (schein-)vertragliche Regelung vor einem Wohnungsverlust abgesichert werden sollte. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass auch die in den Mietvertrag aufgenommenen Regelungen über den Mietzins nicht von einem entsprechenden Rechtsfolgewillen getragen waren. Die Annahme eines ursprünglich wirksamen Mietvertrags, der später durch einen Verzicht auf die Einhebung der Mietzinszahlungen abgeändert wurde, findet in der Tatsachengrundlage keine Deckung.

Schließlich geht auch der Hinweis der Beklagten auf eine beiderseitige nicht durchschaute Mentalreservation nicht von den Feststellungen aus. Tatsächlich hatten der damalige Liegenschaftseigentümer und die Beklagte den übereinstimmenden Willen, die Rechtsfolgen des Mietvertrags nicht eintreten zu lassen. Demnach bestand gerade kein beiderseitiger unaufgeklärter Vorbehalt, den Vertrag nicht als Mietvertrag schließen zu wollen (vgl RIS-Justiz RS0014727). Aus diesem Grund hat auch keiner der „Vertragspartner“ auf die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts als Mietvertrag vertraut.

Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht,Streitiges Wohnrecht

Textnummer

E93914

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0080OB00164.09I.0422.000

Im RIS seit

17.06.2010

Zuletzt aktualisiert am

12.12.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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