TE OGH 2010/4/28 3Ob252/09v

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Veröffentlicht am 28.04.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, gegen die beklagte Partei Gottfried N*****, vertreten durch Bruckner & Emberger & Ullrich-Pansi Rechtsanwälte OG in Leibnitz, wegen Einwendungen gegen den Anspruch (§ 35 EO), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 29. September 2009, GZ 4 R 202/09v-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Leibnitz vom 1. April 2009, GZ 2 C 144/08w-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird im Umfang der betriebenen Kostenforderung von 1.648,80 EUR zurückgewiesen.

Im Übrigen wird ihr Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung insgesamt lautet:

„Der Anspruch der beklagten Partei aus dem Beschluss des Bezirksgerichts Leibnitz vom 7. Jänner 2008, AZ 8 Nc 42/01f, (32.383,43 EUR samt 4 % Zinsen seit 7. Jänner 2008) zu dessen Hereinbringung dieses Gerichts ihr gegen die klagende Partei die zwangsweise Pfandrechtsbegründung ob der Liegenschaft EZ ***** des Grundbuchs ***** bewilligt hatte, ist erloschen.

Dagegen wird das weitere Begehren, es sei auch deren Anspruch aus dem Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 31. März 2008, AZ 7 R 24/08p, (1.648,80 EUR samt 4 % Zinsen seit 31. März 2008) erloschen, abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.297,75 EUR (darin 730,20 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.121 EUR (darin 934 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 2.808,40 EUR (darin 1.234 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem ihm am 31. Oktober 2001 zugestellten Bescheid einer Bezirkshauptmannschaft vom 3. Oktober 2001 wurde der Beklagte [gemäß § 117 WRG] verpflichtet, der nunmehr klagenden Republik Österreich 4.782.290,70 S zu zahlen.

In der Folge brachte jener einen Antrag auf Feststellung des Nichtbestehens der Kostenersatzpflicht gemäß § 31 Abs 3 WRG beim Erstgericht ein. Dieses verpflichtete ihn mit Beschluss vom 7. Jänner 2008 zum Kostenersatz nach dem WRG von 43.572,79 EUR samt 4 % Zinsen seit 2. Jänner 2002, dagegen die Republik zu einem Verfahrenskostenersatz von 32.383,43 EUR. Das von beiden Parteien angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und verpflichtet die nunmehrige klagende Partei zum Ersatz der Rekurskosten von 1.648,80 EUR. Die nicht mehr bekämpfte Entscheidung zweiter Instanz wurde dem Rechtsvertreter der Klägerin am 11. April 2008, dem des Beklagten am 10. April 2008 zugestellt.

Mit Schreiben vom 10. April 2008 machte der Vertreter des Beklagten sein Kostenpfandrecht nach § 19a RAO gegenüber der Klägerin geltend. Mit Antwortschreiben vom 21. April 2008 erklärte diese, die ihr zuerkannte Forderung von 43.572,79 EUR mit den dem Beklagten im selben Verfahren zugesprochenen Kostenersatzansprüchen erster und zweiter Instanz aufzurechnen.

Am 3. Oktober 2008 brachte der Beklagte aufgrund beider Kostentitel samt Anhang sowie der Kosten des Antrags gegen die klagende Partei den Antrag auf Bewilligung der Exekution durch zwangsweise Pfandrechtsbegründung an einer Liegenschaft ein, dem am 13. Oktober 2008 stattgegeben wurde.

Mit ihrer auf § 35 EO gestützten Klage machte die klagende Partei Erlöschen der betriebenen Kostenforderungen durch Aufrechnung geltend. Die spätestens mit Zustellung des Bescheids der Wasserrechtsbehörde entstandene Gegenforderung sei schon bei Entstehen des Kostenersatzanspruchs aufrechenbar und fällig gewesen. Mit dem Bescheid vom 3. Oktober 2001 sei dem Beklagten nach § 31 Abs 3 WRG der Ersatz von Kosten der Sanierung nach einem Ölunfall binnen zwei Monaten vorgeschrieben worden.

Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, nach Geltendmachung des Kostenpfandrechts durch seinen Vertreter sei die Aufrechnung gegen die mit dessen Pfandrecht behaftete Forderungen nicht mehr zulässig gewesen. Auch sei der Bescheid durch die Anrufung des Titelgerichts außer Kraft getreten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Nach seiner Ansicht könne nach neueren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs eine Aufrechnung nach dem Zeitpunkt des Verlangens des Rechtsanwalts nach Zahlung an ihn nicht mehr mit Tilgungswirkung (wirksam) erfolgen, selbst wenn die Gegenforderung der mit dem Pfandrecht nach § 19a RAO belasteten Kostenforderung bei deren Entstehen bereits aufrechenbar und fällig gegenüber gestanden sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge. Es sprach aus, die ordentliche Revision sei mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage „nicht unzulässig“.

Das Berufungsgericht verwies zunächst nach § 500a ZPO auf die von ihm als zutreffend erachtete Begründung des Ersturteils. Ergänzend wird ausgeführt, die Kostenersatzforderung werde nur mit der Belastung durch das gesetzliche Pfandrecht nach § 19a RAO existent, sodass dem dadurch gesicherten Rechtsanwalt niemand zuvorkommen könne (RIS-Justiz RS0003766). Da eine Aufrechnung die Fälligkeit beider Forderungen voraussetze und daher die klagende Partei nicht vor Entstehen (Rechtskraft) der Kostenforderung wirksam aufrechnen habe können, aber zu diesem Zeitpunkt der Aufrechnung die schon abgegebene Erklärung des Anwalts entgegengestanden sei, sei die erstgerichtliche Entscheidung nicht zu beanstanden.

Rechtliche Beurteilung

Im Umfang der betriebenen Kostenforderung zweiter Instanz (von 1.891,44 EUR sA) ist die Revision jedenfalls unzulässig. Im übrigen Umfang ist die außerordentliche Revision zulässig und auch berechtigt.

1. Der Streitwert der Oppositionsklage richtet sich nach dem Wert des betriebenen Anspruchs (stRsp, RIS-Justiz RS0001622; RS0001618; Jakusch in Angst, EO² § 35 Rz 84 und Dullinger in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO § 35 Rz 77 je mwN). Im darüber geführten Prozess sind betriebene Forderungen aufgrund von verschiedenen Exekutionstiteln nicht zusammenzurechnen; eine Bewertung entfällt, wenn es um das Erlöschen von Geldforderungen geht (3 Ob 232/03v ua; RIS-Justiz RS0001618). Da die betriebene Kostenforderung aus dem zweitinstanzlichen Titelverfahren bei weitem nicht die nunmehr maßgebliche Grenze von 5.000 EUR erreicht, ist in deren Ansehung die Revision jedenfalls unzulässig (§ 502 Abs 2 ZPO idF BGBl I 2009/52).

2. Die Revision, die sich für ihren Standpunkt auf die Ansicht von Tades/Hoffmann (MSA RAO8 Anm 1 zu § 19a, übereinstimmend mit dem Rechtssatz RIS-Justiz RS0072082) berufen kann, ist im Übrigen zulässig, weil die jüngeren oberstgerichtlichen Entscheidungen zur Bedeutung des § 19a Abs 4 RAO für die Aufrechnung mit einer vor der Kostenforderung entstandenen und fälligen Gegenforderung eine Klarstellung erfordern.

3. In der Sache ist zunächst festzuhalten, dass der Geltendmachung einer Aufrechnung gegen eine Forderung auf Ersatz von Verfahrenskosten in einer Klage nach § 35 EO der Einwand, die Kompensation hätte schon im Titelverfahren vorgenommen werden müssen, nicht entgegensteht (3 Ob 57, 58/89 = SZ 62/122; 3 Ob 43/02y = SZ 2002/121; hier Kostenforderung kein Annex zur Hauptforderung wie zu 3 Ob 290/05a = SZ 2006/43).

4. Der Ansicht der Revisionswerberin, ihre Kostenersatzforderung (Kosten einer Ersatzvornahme) nach (wohl richtig) § 31 Abs 3 WRG sei - entsprechend dem die Fälligkeit iSd § 117 Abs 1 WRG voraussetzenden Zinsenlauf nach dem Exekutionstitel ab 2. Juni 2002 - lange vor den Forderungen des Beklagten auf Ersatz von Verfahrenskosten im gerichtlichen Verfahren nach § 117 Abs 4-7 WRG fällig geworden, ist zuzustimmen. § 118 WRG ist dagegen nicht einschlägig. Von der Einräumung von Zwangsrechten zu Lasten des Beklagten geht es im Verfahren nicht. Tatsächlich ist aber der Anspruch der Klägerin auf Ersatz der Kosten ihrer Ersatzvornahme (§ 31 Abs 3 WRG), ein zivilrechtlicher Anspruch wie derjenige auf Enteignungsentschädigung (§ 117 Abs 1 WRG), bereits mit der Ersatzvornahme entstanden (8 Ob 52/00b für den Aufwandsersatz eines Beauftragten; RIS-Justiz RS0115416 zum Aufwandsersatz nach § 1042 ABGB; RIS-Justiz RS0113252 zum Aufwandsersatz des Kommissionärs). Ob die Fälligkeit des Ersatzanspruchs schon ab dem Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs oder erst ab Verlangen des Gläubigers eintritt, kann hier dahingestellt bleiben, weil jedenfalls beides lange vor Entstehen der Kostenforderung des Beklagten stattfand.

Es ist nämlich auch die früher eingetretene Fälligkeit des Ersatzanspruchs der Klägerin trotz des Umstands zu bejahen, dass nach § 117 Abs 1 WRG von der Wasserrechtsbehörde bzw im außerstreitigen Verfahren allenfalls vom Gericht eine Zahlungsfrist auszusprechen ist. Dabei handelt es sich lediglich um eine für den nach materiellem Recht zu beurteilenden Eintritt der Fälligkeit nicht maßgebliche Stundung. Damit erübrigen sich Erörterungen über die sukzessive Kompetenz nach § 117 Abs 4 WRG und über eine Bindungswirkung des Zinsenzuspruchs im gerichtlichen Ersatzverfahren.

5. § 19a Abs 1 RAO räumt dem Rechtsanwalt, der die Partei zuletzt vertreten hat, ein gesetzliches Pfandrecht an deren Kostenersatzforderung aus gerichtlichem Zuspruch oder vergleichsweiser Zusage ein. Nach Abs 4 dieser Bestimmung kann die zum Kostenersatz verpflichtete Partei die Kosten jederzeit an den pfandberechtigten Anwalt und, solange dieser die Bezahlung nicht an ihn gefordert hat, auch an die Partei wirksam bezahlen. Vor der Beschlussfassung des Nationalrats über diese Gesetzesbestimmung wurde immer wieder die Frage erwogen, ob nicht ein direktes Recht des Anwalts an den zugesprochenen Kosten gegen die unterlegene Partei festgesetzt werden solle. Dies führte zur Einfügung des letzten Halbsatzes des Abs 4 im Justizausschuss und damit zu einer Ergänzung der Regierungsvorlage (298 BlgNR 3. GP 47 und 338 BlgNR 3. GP 7). Durch diese Ergänzung sollte eine doppelte Exekutionsführung vermieden, dem Anwalt jedoch weitestgehende Sicherheit für seine Kostenforderung geboten werden. Im Gegensatz zur sonst für das Pfandrecht geltenden Regelung nach den §§ 459 ff ABGB erhält der Rechtsanwalt mit der Geltendmachung seines Pfandrechts gegenüber dem kostenersatzpflichtigen Gegner bereits das Recht auf Einzug seiner Forderung (3 Ob 68/90 = AnwBl 1990, 741). Dies vermag aber nichts daran zu ändern, dass Gläubigerin des Kostenersatzanspruchs selbst nach der Erklärung im Sinn des Abs 4 des § 19 RAO die Partei selbst bleibt (8 Ob 291/98x = SZ 72/100 = JBl 2000, 456 mwN; zum letzten Satz ebenso weitere E zu RIS-Justiz RS0038757; RS0072078), mochte auch der Justizausschuss eingeräumt haben, „dass der Pfandnatur einigermaßen nahegetreten wird“.

6. Bevor auf die Besonderheiten des gesetzlichen Pfandrechts des Rechtsanwalts einzugehen ist, ist klarzustellen, dass ein vertragliches Pfandrecht an einer Forderung deren Kompensation durch den Schuldner derselben (Drittschuldner) mit einer schon vor der Verpfändung entstandenen Gegenforderung nicht hindern kann. Dasselbe gilt für gesetzliche und richterliche Pfandrechte (stRsp; Dullinger in Rummel, ABGB³ § 1440 Rz 24 mwN; Griss in KBB² § 1440 Rz 7; zum Pfandrecht nach § 19a RAO SZ 12/217). Eine noch mangelnde Fälligkeit im Zeitpunkt der Aufrechnung macht nach hA die Aufrechnung unwirksam (s die Nachweise je aaO). Schließlich steht ungeachtet des Wortlauts des § 1439 ABGB der Aufrechnung gegen eine Forderung vor deren Fälligkeit im Allgemeinen kein rechtliches Hindernis entgegen (Griss aaO § 1439 Rz 1, dort „Hauptforderung“), weil ja auch vor deren Eintritt - abgesehen von denkbaren besonderen Konstellationen (zB vertragliches Verbot) - gezahlt werden dürfte.

Die Gleichstellung der Aufrechnung als Erfüllungssurrogat (Dullinger in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO § 35 Rz 47 ff) mit der Zahlung wird allerdings im gegebenen Zusammenhang in Rechtsprechung und Lehre häufig vertreten (RIS-Justiz RS0033792; 3 Ob 199/99g; 3 Ob 5/10x; Thiele, Anwaltskosten 13; ähnlich Dullinger in Rummel, ABGB³ § 1440 Rz 24 f; M. Bydlinski in Fasching/Konecny, ZPO² § 41 Rz 19). Wenn in zahlreichen Entscheidungen zu § 19a RAO formuliert wird, Aufrechnung „sei“ Zahlung, steht dies allerdings in einem gewissen Spannungsverhältnis zu § 1438 ABGB, wonach die Kompensation Zahlung nur „bewirkt“. Demnach wird im Schrifttum formuliert, jene habe „Zahlungsfunktion“ (Griss aaO § 1438 Rz 4) bzw wirke wie Zahlung (Dullinger aaO § 1438 Rz 13; Heidinger in Schwimann, ABGB³ § 1438 Rz 14). Darüber hinaus wird ihr aber auch eine Sicherungsfunktion zugebilligt (Griss aaO; einschränkend Dullinger aaO § 1438 Rz 1), die jedenfalls im Konkurs zum Tragen kommt (§§ 19 f KO), kann sich doch der Gläubiger der Einbringlichkeit seiner Forderung sicher sein (Welser, Bürgerliches Recht II13 102). Gerade diese Sicherheit würde ihm durch die völlige Gleichstellung von Kompensation und Zahlung genommen. Diese benachteiligte einen über eine aufrechenbare Gegenforderung verfügenden (Dritt-)Schuldner gegenüber einem, der eine Geldschuld nur durch Zahlung erfüllen könnte. Dieser wird durch die Pfändung nicht belastet, weil er im Ergebnis im Zuge der Pfandverwertung eben nur an einen anderen zahlen muss, sich für ihn aber sonst nichts ändert. Derjenige, dem ohne Pfändung (und Verständigung davon) die Aufrechnung möglich wäre, muss im Fall der Verneinung der Aufrechnungsmöglichkeit aus dem Grund des § 19a RAO dagegen nicht nur eigene Geldmittel einsetzen, sondern wird durch die (Ver-)Pfändung einem vorher nicht bestehenden Insolvenzrisiko ausgesetzt (einen maßgebenden Unterschied verneinend aber schon SZ 15/60). Insofern ist Heidinger (aaO § 1438 Rz 3) zu folgen, dass die Sicherung aus dem Bestehen wechselseitiger Forderungen und nicht aus der Kompensation selbst folgt.

7. Zum Unterschied von der Rechtslage bei der Verpfändung und der gerichtlichen Pfändung, bei welchen in der Regel die Verständigung des Drittschuldners (im Sinn des § 452 ABGB bzw nach § 294 Abs 3 EO das ihm gegenüber ausgesprochene Zahlungsverbot) das Entstehen des Pfandrechts bewirkt, entsteht das Pfandrecht des Rechtsanwalts nach § 19a RAO schon zugleich mit dem Zuspruch der Kostenforderung (nach RIS-Justiz RS0072048 mit dessen Rechtskraft), unabhängig von einem sachenrechtlichen Modus und vom Verlangen des Anwalts nach Zahlung an ihn gemäß Abs 4 leg cit. Diese bevorzugte dingliche Sicherung rechtfertigt die RV (aaO) damit, dass „in Wahrheit“ (gemeint wohl: wirtschaftlich betrachtet) ein nur formell eigener, materiell aber fremder Anspruch der Partei vorliege; die Konstruktion schütze den Anwalt gegen fraudulose Zession oder Einziehung der Kostenforderung durch seinen Mandanten. Allerdings führt erst das Zahlungsverlangen des Rechtsanwalts dazu, dass der Kostenschuldner nicht mehr mit schuldbefreiender Wirkung an den von jenem Vertretenen zahlen kann. Erst darin liegt das mit einer Pfändung unmittelbar verbundene Zahlungsverbot an den (Dritt-)Schuldner.

8. Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 19a RAO kann wie dargelegt gegen ge- oder verpfändete Forderungen mit schon vorher entstandenen Gegenforderungen aufgerechnet werden. Die Interessenlage wird gleich wie bei der Zession gesehen ([Griss-]Reiterer, Aufrechnung 28; Dullinger, Handbuch der Aufrechnung 72 f mwN). Nach § 19a RAO besteht insofern ein Unterschied, als die Zeitpunkte des Entstehens des Pfandrechts und des Wirksamwerdens des Zahlungsverbots auseinander fallen können, wenn das Zahlungsverlangen erst später gestellt wird. Dabei hängt die Beurteilung unter Umständen auch davon ab, wann die mit dem Pfandrecht belastete Kostenforderung entsteht (s etwa M. Bydlinski aaO § 41 Rz 18; 3 Ob 5/10x, je mwN). Jedenfalls bedeutete wegen der oben zu 6. dargestellten Gleichsetzung das Zahlungsverbot zumindest grundsätzlich zugleich auch ein Aufrechnungsverbot.

9. Einigkeit besteht wohl in Rechtsprechung und Lehre, dass der Kostenforderungsberechtigte vor dem in § 19a Abs 4 RAO genannten Zeitpunkt - wie er auch das Pfandrecht durch Verzicht zum Erlöschen bringen kann (M. Bydlinski aaO Rz 18 mwN) - ohne weiteres mit einer beliebigen Gegenforderung aufrechnen kann (SZ 15/60 ua; RIS-Justiz RS0033792; Dullinger, Aufrechnung 74; dieselbe in Rummel³ § 1440 Rz 25; M. Bydlinski aaO Rz 18; Heidinger aaO § 1440 Rz 20). Fraglich und für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidend ist, ob nach dem Zugang des Zahlungsverlangens des Rechtsanwalts zumindest mit vor diesem schon entstandenen oder mit schon davor fälligen (kompensablen) Gegenforderungen wirksam aufgerechnet werden kann.

10. Die wohl überwiegende Rechtsprechung vertrat die zweitgenannte Variante: Demnach kann der Kostenschuldner, sobald der Rechtsanwalt Zahlung an seine Person verlangt hat, gegenüber dem Gläubiger nur noch mit einer der Kostenforderung schon im Zeitpunkt deren Entstehens aufrechenbar gegenüber stehenden Forderung aufrechnen (SZ 12/217 ua; RIS-Justiz RS0072082; 1 Ob 16/33 = ÖAnwZ 1933, 267; M. Bydlinski aaO Rz 19; Tades/Hoffmann aaO; Heidinger aaO). Dagegen reicht es nach einer Mindermeinung wie ganz allgemein aus, dass die Gegenforderung bis zum Zeitpunkt des § 19a RAO zumindest schon entstanden ist (SZ 19/296 uva; RIS-Justiz RS0033778; ebenso Dullinger, Aufrechnung 75; dieselbe in Rummel³ § 1440 Rz 25). Der Entscheidung 3 Ob 122/07y ist aber zu entnehmen, dass ab dem Zugang des Verlangens jede Aufrechnungserklärung gegenüber dem Rechtsanwalt unwirksam sei, dies allerdings nur unter Hinweis auf den Rechtssatz RS0033778 und ohne Bezugnahme auf die Zeit des Entstehens der Gegenforderung.

11. Für eine solche Auslegung könnte zwar der aus den Materialien ablesbare Zweck der Sonderregelung sprechen, den Rechtsanwälten als wirtschaftlichen Inhabern der Kostenforderung (auf Betreiben ihrer Kammer) weitergehenden Schutz zu gewähren als nach allgemeinem Privatrecht (in den zuletzt zitierten E: „Sicherungszweck“). Dagegen ist aber einzuwenden, dass dem Anwalt weder ein eigenes Klagerecht noch die Forderung an sich zukommt (s oben 5.), weshalb es nicht gerechtfertigt ist, ihm (zumindest ab seinem Zahlungsverlangen) eine sogar gegenüber einem Zessionar als Vollrechtsinhaber (§ 1394 ABGB) bevorzugte Rechtsstellung (s oben 8.) einzuräumen. Damit würde der Pfändung in Verbindung mit dem Verlangen an den Gegner die Wirkung eines uneingeschränkten Aufrechnungsverbots zugebilligt. Das kann weder aus dem knappen Wortlaut des § 19a RAO abgeleitet noch mit dem mit dieser Konsequenz aus den Materialien nicht ableitbaren Schutzzweck gerechtfertigt werden. Eine solche Auslegung würde die Sicherungsfunktion der Aufrechnungsmöglichkeit (oben 6.) vernachlässigen und dem Aufrechnenden ohne gesetzliche Grundlage diese gerade im Fall einer Insolvenz entscheidende Sicherung nehmen. Zur Aufrechnung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird in Rechtsprechung und Lehre die Sicherungsfunktion der vorher bestandenen Aufrechnungslage betont und die Gegenforderung als eine einem Absonderungsrecht vergleichbare Deckung betrachtet (SZ 58/169; Schubert in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze §§ 19, 20 KO Rz 3 mwN). Daraus folgt der bessere Rang (die Priorität) der Gegenforderung wegen der Rückwirkung der Aufrechnungserklärung gegenüber dem später nach § 19a RAO entstandenen Pfandrecht des Rechtsanwalts.

Noch zu 3 Ob 43/02v = SZ 2002/121 bejahte der erkennende Senat unter Berufung auf eine ständige Rechtsprechung entgegen der Berufung des Oppositionsbeklagten die Zulässigkeit der Aufrechnung auch nach Abgabe der Erklärung nach § 19a Abs 4 RAO in Ansehung von fälligen Unterhaltsansprüchen für Zeiten vor dem Entstehen der Kostenforderung. Der im Ergebnis gegenteiligen Auffassung in der Entscheidung 3 Ob 122/07y, in der die Frage des früheren Entstehens der Gegenforderungen aber nicht erörtert wurde, ist nicht zu folgen. Zutreffend - hier aber nicht relevant - ist die zu 3 Ob 5/10x vertretene Ansicht, dass nach dem Verlangen des Rechtsanwalts im Sinn des § 19a Abs 4 RAO nicht mehr mit einer später entstandenen Gegenforderung aufgerechnet werden kann.

Berücksichtigt man nun, dass die zitierten jüngeren Entscheidungen die bisherige Rechtsprechung nicht (begründet) ablehnen, sondern in einem Fall sogar bekräftigen, ist daran festzuhalten, dass ein Kostenschuldner auch nach dem Zahlungsverlangen des Rechtsanwalts mit einer Gegenforderung aufrechnen kann, die noch vor der betriebenen Kostenforderung entstand und fällig wurde.

12. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht die (gerade) noch nicht eingetretene Fälligkeit der Kostenforderung des Beklagten im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung einer Aufrechnung nicht entgegen. Auf die Fälligkeit der Hauptforderung (hier die betriebene Kostenforderung des Beklagten) kommt es nämlich entgegen dem Wortlaut von § 1439 ABGB nicht an, wenn der Aufrechnende zur vorzeitigen Zahlung berechtigt ist (RIS-Justiz RS0033731; RS0033762; Griss aaO § 1439 Rz 1 mwN), wogegen bei einer Prozesskostenschuld nichts spricht, weil eben nicht erst nach, sondern „binnen“ der Leistungsfrist zu leisten ist und § 406 ZPO nur eine Exekutionsstundung bedeutet (4 Ob 337/78 = SZ 51/76; 6 Ob 123/08v) und für § 37 Abs 2 AußStrG nichts anderes gelten kann. Es liegt bloß „reine“ Stundung vor (dazu etwa Bollenberger in KBB² § 904 ABGB Rz 4), weil die Frist am Lauf der Verzugszinsen nichts ändert.

Die Vorinstanzen haben demnach zu Unrecht der Aufrechnung gegenüber dem Beklagten die Wirksamkeit abgesprochen. Der Revision ist daher im Umfang des Kostenersatzanspruchs für das Titelverfahren erster Instanz (32.383,43 EUR samt 4 % Zinsen p.a. seit 7. Jänner 2008) Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 43 Abs 2 ZPO, im Rechtsmittelverfahren auch auf § 50 ZPO.

Schlagworte

Exekutionsrecht,Zivilverfahrensrecht

Textnummer

E94073

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0030OB00252.09V.0428.000

Im RIS seit

04.07.2010

Zuletzt aktualisiert am

28.02.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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