TE OGH 2010/4/28 3Ob17/10m

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Veröffentlicht am 28.04.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Johann R***** sen, verstorben am 1. Juli 2008, wegen Akteneinsicht, über den Revisionsrekurs des Johann R***** jun, *****, vertreten durch Dr. Karl Heinz Kramer M.E.S. und Dr. Norbert P. Tischitz, Rechtsanwälte in Villach, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 16. Dezember 2009, GZ 2 R 295/09y-103, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 23. November 2009, GZ 28 P 38/02g-100, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung lautet:

Dem Antragsteller Johann R***** jun wird die Einsicht in jene Teile des Aktes bewilligt, die sich auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen beziehen. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

Text

Begründung:

Der Nachlass des Betroffenen wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 7. August 2009 dem nunmehrigen Antragsteller als einzigem Erben eingeantwortet.

Dieser beantragte, seinen bevollmächtigten Vertretern in den Sachwalterschaftsakt Einsicht zu gewähren, insbesondere in die Abrechnungen der bestellten Sachwalterin.

Das Erstgericht wies diesen Antrag mit Hinweis auf § 141 AußStrG ab. Der Erbe gehöre nicht zu jenen Personen oder Stellen, denen Auskünfte erteilt werden dürften. Die ältere Rechtsprechung erscheine durch diese neue Bestimmung überholt.

Das Gericht zweiter Instanz gab seinem dagegen gerichteten Rekurs nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Nach Auffassung des Rekursgerichts gelte § 141 AußStrG aufgrund seiner Einordnung in das II. Hauptstück des Gesetzes auch im Sachwalterschaftsverfahren und stelle eine Sondernorm zu den §§ 22 AußStrG und 219 ZPO dar. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts dieser Norm komme dem Erben Akteneinsicht in den Sachwalterschaftsakt nicht zu. Die dazu im RIS-Justiz veröffentlichten Entscheidungen seien nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des AußStrG ergangen und seien nach der dargestellten Rechtslage nicht mehr tragfähig. Selbst nach der Entscheidung 3 Ob 69/05b würde der Antragsteller als Erbe nicht in die Persönlichkeitsrechte des Erblassers eintreten. Daran habe § 141 AußStrG nichts geändert.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob der Erbe des Betroffenen mit dem Pflegebefohlenen iSd § 141 AußStrG (in vermögensrechtlicher Hinsicht) gleichzusetzen (und damit die frühere Judikatur weiterhin anzuwenden) sei. Für diese Meinung ließen sich gute Gründe ins Treffen führen.

Bejahte man aber das Recht des Erben auf Akteneinsicht im Hinblick auf § 141 AußStrG, stelle sich die Frage, was nach der Rechtsprechung unter „Rechnung des Sachwalters“ zu verstehen sei. Jedenfalls würde sich die Notwendigkeit ergeben, die von der Akteneinsicht betroffenen Aktenstücke im Bewilligungsbeschluss im Einzelnen anzuführen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist teilweise berechtigt.

Der Revisionsrekurswerber führte aus, er schließe sich der vom Rekursgericht als ebenfalls denkbar dargestellten Meinung an. Aus § 547 ABGB folge, dass in Beziehung auf einen Dritten Personenidentität zwischen Erben und Erblasser gegeben sei. Daraus leite sich auch das Recht des Erben auf Einsicht in den Sachwalterschaftsakt ab. Gegenteiliges könne auch weder der Bestimmung des § 141 AußStrG entnommen werden, noch könne dem Gesetzgeber eine derartige Absicht unterstellt werden. Hätte der Gesetzgeber den Erben von der Auskunft ausschließen wollen, hätte er dies wohl ausdrücklich geregelt. Gegen eine Auslegung wie jene des Rekursgerichts bestünden auch verfassungsrechtliche Bedenken nach Art 7 B-VG, Art 5 StGG und § 6 MRK. Demnach komme dem Erben nach wie vor das Auskunftsrecht über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Pflegebefohlenen zu.

Mit dem AußStrG 2005 wurde jene Rechtsprechung, wonach in Verfahren außer Streitsachen § 219 ZPO sinngemäß anzuwenden sei, dadurch kodifiziert, dass nach § 22 AußStrG unter anderem die Bestimmungen der ZPO über Akten sinngemäß anzuwenden sind. Demnach hat der Oberste Gerichtshof schon wiederholt ausgesprochen, dass es insofern durch das neue Außerstreitrecht zu keiner Änderung der Rechtslage gekommen ist (RIS-Justiz RS0005803 [T9]). Soweit nicht § 141 AußStrG zu einer anderen Beurteilung nötigt, was, wie zu zeigen sein wird, nicht der Fall ist, kann daher die bisherige Rechtsprechung fortgeführt werden. Wie nun der Oberste Gerichtshof schon mehrmals ausgesprochen hat, gehen die Rechte des durch eine Sachwalterschaft Betroffenen auf seinen Erben über und diesem ist ein rechtliches Interesse zuzubilligen, in die Rechnung des Sachwalters Einsicht zu nehmen (RIS-Justiz RS0106077). In der Entscheidung 4 Ob 2316/96a vertrat der Oberste Gerichtshof unter Berufung auf § 547 ABGB, wonach der Erbe in Rücksicht auf die Erbschaft den Erblasser vorstelle und beide in Beziehung auf einen Dritten für eine Person gehalten würden, die Auffassung, das Sachwalterschaftsverfahren ende mit dem Tod des Betroffenen, weshalb dessen Alleinerbe nicht in das Verfahren eingetreten sei. Dennoch seien die Rechte des Betroffenen auf den Alleinerben übergegangen und schon allein daraus folge das rechtliche Interesse daran, in die Rechnung des Sachwalters Einsicht zu nehmen, selbst wenn er keine Behauptungen über ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht aufstelle. Das bedeutet wohl, dass nach dieser Entscheidung § 219 Abs 1 ZPO sinngemäß anzuwenden ist, der für die Akteneinsicht der Parteien gilt. Im Gegensatz dazu vertrat derselbe Senat in Ansehung derselben Parteien in der Entscheidung 4 Ob 125/97d die Auffassung, mangels Eintritts in das Sachwalterschaftsverfahren sei der Alleinerbe eine dritte Person, weshalb (der Sache nach) § 219 Abs 2 ZPO anzuwenden sei und ohne Zustimmung der Parteien nur bei Bescheinigung eines rechtlichen Interesses Akteneinsicht zu gewähren sei. Während sich das rechtliche Interesse an der Einsicht in die Rechnungen des Sachwalters schon aus der Erbenstellung ergebe, treffe das für die Einsicht in den restlichen Sachwalterschaftsakt nicht zu. Die personenbezogenen Daten im Akt seien für die Wahrung der mit dem Nachlass verbundenen Rechte ohne Bedeutung. Die Persönlichkeitsrechte des Erblassers gingen auf den Erben nicht über. Im zu beurteilenden Fall hatte weder der Antragsteller Umstände behauptet, die auf ein berechtigtes Interesse schließen ließen, noch waren solche sonst ersichtlich.

Nach Auffassung des erkennenden Senats ist hier der erstzitierten Entscheidung des 4. Senats zu folgen, weil wegen der Universalsukzession des (hier) Alleinerben in die Rechtsstellung des Erblassers auch dessen Rechte als Partei auf ihn übergehen. Demnach ist grundsätzlich § 219 Abs 1 ZPO iVm § 22 AußStrG die für die Akteneinsicht, was die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Erblassers betrifft, maßgebliche Rechtsnorm. Insoweit kam es ja zur Universalsukzession und es gibt keinen sachlichen Grund, den Alleinerben insoweit als Dritten zu behandeln (in diesem Sinn wohl auch zu verstehen Graf, Akteneinsicht im Außerstreitverfahren und § 141 AußStrG, Zak 2007, 427 [430]). Für sonstige personenbezogene Daten des Sachwalterschaftsverfahrens hat die Entscheidung 4 Ob 125/97t ein Recht des Erben auf Akteneinsicht ohne Rücksicht auf ein bescheinigtes berechtigtes Interesse verneint. Darauf ist im vorliegenden Verfahren aber nicht weiter einzugehen, weil ungeachtet der uneingeschränkten Aufrechterhaltung des erstinstanzlichen Antrags im Revisionsrekursverfahren der Antragsteller allein dafür plädiert, ihm Einsicht in die Sachwalterrechnungen bzw in Daten der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Pflegebefohlenen zu gewähren.

Zu prüfen ist demnach, ob aus § 141 AußStrG tatsächlich, wie das Rekursgericht meint, eine Einschränkung des Akteneinsichtsrechts abzuleiten wäre. Schon das AußStrG 1854 enthielt in seinem § 209 (zuletzt idF KindRÄG 2001 BGBl I 2000/135) eine mit § 141 AußStrG fast identische Regelung, wenn man davon absieht, dass nunmehr auch Einkommensverhältnisse und sonstige Stellen angeführt sind. Nach den ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 90 f soll diese Schutzvorschrift für die Geheimhaltung der Vermögensverhältnisse vom Pflegebefohlenen auch im Sachwalterschaftsverfahren gelten. Ausdrücklich wird aber festgehalten, dass von dieser Bestimmung das einer Verfahrenspartei in diesem Zusammenhang zustehende Recht auf Akteneinsicht unberührt bleibt. Die weiteren Darlegungen in den EB betreffen allein das Pflegschaftsverfahren.

Die Frage, ob § 141 AußStrG der Akteneinsicht eines Dritten, der ein berechtigtes rechtliches Interesse geltend macht, entgegensteht, konnte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 Ob 15/07g offen lassen. Zu 7 Ob 119/08p = iFamZ 2008/165 (Parapatits) wies der Oberste Gerichtshof einen außerordentlichen Revisionsrekurs gegen eine Entscheidung zurück, mit der unter Berufung auf § 141 AußStrG ein Ersuchen auf Akteneinsicht abgelehnt worden war. Es fehlten jegliche Anhaltspunkte dafür, weshalb § 141 AußStrG gerade in der vorliegenden Sachwalterschaftssache unanwendbar sein sollte. Auch nach Graf (aaO 429) schränkt § 141 AußStrG die Akteneinsicht im Sachwalterschaftsverfahren für Dritte ein. Überhaupt gelangt sie zur Auffassung, dass im Anwendungsbereich von § 141 AußStrG Dritten grundsätzlich kein Recht auf Akteneinsicht zustehe (allenfalls mit der Ausnahme, wenn diese zur Wahrung der Interessen des Pflegebefohlenen Einsicht nehmen wollen). Dieser Ansicht ist zu folgen, weil der Zweck der Geheimhaltung der von § 141 AußStrG erfassten Daten, die keine Ausnahme kennt, vereitelt würde, wenn über die Möglichkeit der Akteneinsicht das Geheimzuhaltende doch wiederum an Dritte offenbart werden könnte.

Da aber der Erbe, wie dargelegt, was vermögensrechtliche Belange angeht, nicht Dritter iSd § 219 ZPO ist, sondern in die Rechte des Betroffenen im Sachwalterschaftsverfahren eingetreten ist, besteht ihm gegenüber kein Bedürfnis auf Geheimhaltung, ist er doch Universalsukzessor aller Vermögensrechte des Betroffenen (zutreffend Graf aaO 430).

Daraus folgt aber, dass der Erbe des Betroffenen ein Recht auf Akteneinsicht in den Sachwalterschaftsakt hat, soweit dieser Einkommens- und Vermögensangelegenheiten betrifft. Dem steht § 141 AußStrG nicht entgegen.

In diesem Umfang ist daher dem Revisionsrekurs Folge zu geben.

Für andere Angelegenheiten trifft § 141 AußStrG keine Anordnungen. Dass insofern der Erbe auch ein Recht auf Akteneinsicht hätte, wird in dritter Instanz nicht mehr releviert.

Einer ausdrücklichen Bewilligung der Akteneinsicht auch für Bevollmächtigte des Erben bedarf es nicht, weil die Akteneinsicht stets auch durch Bevollmächtigte wahrgenommen werden kann (3 Ob 154/08f, Gitschthaler in Rechberger, ZPO3 § 219 Rz 2 mwN). Entgegen der Ansicht der zweiten Instanz ist es nicht erforderlich, jene Aktenteile im Einzelnen aufzuzählen, die das Recht auf Akteneinsicht umfasst bzw die von dieser Einsicht auszunehmen sind. Es wird Sache des Erstgerichts sein, vor der Einsicht jene Stücke aus dem Akt zu entnehmen, die sich auf andere (höchstpersönliche) Angelegenheiten des Betroffenen als Einkommens- und Vermögensverhältnisse beziehen.

 

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht,Familienrecht

Textnummer

E94188

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0030OB00017.10M.0428.000

Im RIS seit

12.07.2010

Zuletzt aktualisiert am

06.02.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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