Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Michael Umfahrer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Michael Kerschbaumer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter, in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ilse P*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Rumpl, Rechtsanwalt in Mödling, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Witwenpension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Februar 2009, GZ 9 Rs 149/08k-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 14. Juli 2008, GZ 13 Cgs 66/08b-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihres Vertreters einen mit 185,76 EUR (darin 30,96 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Anteil an den Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Dr. Emmerich P*****, der Ehegatte der Klägerin, verstarb am 24. 7. 2007. Sein letztes Dienstverhältnis hatte im November 2002 durch Austritt geendet. Aufgrund eines am 5. 11. 2003 mit seinem Arbeitgeber abgeschlossenen Vergleichs erhielt Dr. P***** im November 2003 einen Betrag von 121.829,29 EUR netto (129.600 EUR brutto) an Abfertigung. Im Jahr 2003 betrug sein Anspruch auf Arbeitslosengeld insgesamt 13.447 EUR. In den Jahren 2004 bis 2006 erhielt er an Krankengeld und Notstandshilfe einen Betrag von 33.661,16 EUR. Die Klägerin bezog in den letzten zwei Jahren vor dem Tod ihres Mannes im Monat ein durchschnittliches Einkommen von 2.335,62 EUR.
Der Pensionsanspruch von Dr. Emmerich P***** wurde bescheidmäßig ab 1. 3. 2007 mit 2.025,95 EUR festgesetzt.
Mit Bescheid vom 9. 1. 2008 hat die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Anspruch der Klägerin auf Witwenpension nach ihrem verstorbenen Ehemann ab 25. 7. 2007 anerkannt und die Pension mit monatlich 0 EUR zuzüglich einer Höherversicherung von 4,19 EUR, insgesamt daher 4,19 EUR festgesetzt. Da die Berechnungsgrundlage der Witwe 56.054,88 EUR und die Berechnungsgrundlage ihres verstorbenen Ehegatten 22.440,77 EUR betrage, erhebe sich ein Hundertsatz der Witwenpension von Null. Der so bemessenen Witwenpension seien bei Vorliegen einer Höherversicherung 60 vH des besonderen Steigerungsbetrags zuzuschlagen.
Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage insoweit statt, als es die beklagte Partei verpflichtete, der Klägerin ab 25. 7. 2007 eine monatliche Witwenpension von 1.032,42 EUR zuzüglich 4,19 EUR Höherversicherung, insgesamt 1.036,61 EUR zu erbringen. Seiner rechtlichen Beurteilung legte das Erstgericht zugrunde, dass § 264 Abs 4 ASVG für die Berechnungsgrundlage des Verstorbenen auf das Einkommen in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Tod, geteilt durch 24, abstelle; wenn dies für den Überlebenden günstiger sei, sei das Einkommen in den letzten vier Kalenderjahren vor dem Tod, geteilt durch 48, heranzuziehen, falls die Verminderung des Einkommens in den letzten beiden Kalenderjahren vor dem Tod des Versicherten auf Krankheit oder Arbeitslosigkeit zurückzuführen sei. Der Wortlaut des Gesetzes lasse offen, zu welchem Zeitpunkt der Grund für die Verminderung des Einkommens (Krankheit oder Arbeitslosigkeit) eingetreten sei. Ausschlaggebend sei nur, dass die Verminderung des Einkommens selbst innerhalb der letzten zwei Jahre vor Tod des Versicherten eintrete. Nicht notwendig sei daher, dass Krankheit oder Arbeitslosigkeit ausschließlich in den letzten zwei Jahren vor Tod des Versicherten auftrete. Auch im Fall des Ehegatten der Klägerin sei es nach Beendigung seines Dienstverhältnisses (Oktober 2002) zu einer auf Krankheit bzw Arbeitslosigkeit zurückzuführenden Verminderung des Einkommens in den letzten beiden Kalenderjahren (2005 und 2006) vor seinem Tod gekommen, weshalb der Beobachtungszeitraum für die Berechnungsgrundlage auf vier Jahre zu verlängern sei. Zwar sei der Abfertigungsanspruch bereits mit Beendigung des Dienstverhältnisses im Jahr 2002 entstanden, jedoch erst am 11. 11. 2003 liquidiert worden. Erst zu diesem Zeitpunkt sei es zu einer realen Vermögensveränderung für den Verstorbenen und die Klägerin gekommen, sodass der Betrag der Abfertigung in den vierjährigen Beobachtungszeitraum (2003 bis 2006) falle. In diesen Zeitraum ergebe sich ein Gesamteinkommen von 176.708,11 EUR (Arbeitslosengeld von insgesamt 13.447 EUR im Jahr 2003; Krankengeld und Notstandshilfe von 33.661,14 EUR und Abfertigung von 129.600 EUR). Der Gesamtbetrag von 176.708,11 EUR geteilt durch 48 ergebe 3.681,42 EUR als Berechnungsgrundlage. Diesem Betrag stehe ein monatliches Durchschnittseinkommen der Klägerin in den Jahren 2005 und 2006 von 2.335,62 EUR gegenüber. Der Anteil der Berechnungsgrundlage der Klägerin an der Berechnungsgrundlage ihres verstorbenen Mannes betrage 63,55 % (§ 264 Abs 4 ASVG). Die Klägerin habe demnach einen Anspruch auf 50,96 % des Pensionsanspruchs ihres verstorbenen Mannes. Die monatliche Witwenpension betrage daher 1.032,42 EUR.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das angefochtene Ersturteil im Sinne eines Zuspruchs nur der bescheidmäßig zuerkannten Witwenpensionsleistung ab.
Nach § 49 Abs 3 Z 7 ASVG gelte eine Abfertigung nicht als Entgelt iSd § 91 Abs 1 Z 1 ASVG, weshalb eine Einbeziehung der im November 2003 ausgezahlten Abfertigung in die Berechnungsgrundlage des Verstorbenen nicht in Betracht komme. Werde die Abfertigung aus der Berechnung des Einkommens ausgeklammert, so mache es keinen Unterschied mehr, ob der Berechnung die letzten vier (Erstgericht) oder die letzten zwei Kalenderjahre (wie es die Berufung anstrebt) der Pensionsberechnung zugrunde gelegt würden. Die Berechnungsgrundlage der Klägerin als Witwe betrage gemäß § 264 Abs 3 ASVG 2.335,62 EUR (ausgehend von 56.054,88 EUR dividiert durch 24). Bei einem Berechnungszeitraum von vier Jahren (2003 bis 2006) ergebe sich aus den Feststellungen ein zu berücksichtigendes Einkommen des Verstorbenen von 47.108,16 EUR. Geteilt durch 48 (§ 264 Abs 4 ASVG) betrage die Berechnungsgrundlage 981,42 EUR. Ausgehend von einem Berechnungszeitraum von zwei Jahren (2005 und 2006) errechne sich unter Zugrundelegung des Einkommens des Verstorbenen für diese Zeit von 22.440,77 EUR bei Division durch 24 eine Berechnungsgrundlage von 935,03 EUR. Setze man diese beiden Berechnungsgrundlagen gemäß § 264 Abs 2 ASVG in Beziehung zu jener der Klägerin, errechne sich in beiden Fällen ein Hundertsatz von Null.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in § 264 ASVG festgelegte Berechnungsweise bestünden im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung des klagsstattgebenden Ersturteils.
Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Hinblick auf die Klärung verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die maßgebende Gesetzeslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
In ihrer ausführlichen Revision vertritt die Klägerin kurz zusammengefasst folgende Rechtsansichten (die auch als Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung ausgeführt werden):
a) Vor allem ein Vergleich mit dem dem Hinterbliebenenpensionsrecht in mancher Hinsicht verwandten Unterhaltsrecht zeige, dass die dem Verstorbenen im Jahr 2003 zugeflossene Abfertigung in die Berechnungsgrundlage einzubeziehen sei.
b) Gegen die gesetzliche Regelung über den auf Seite des Verstorbenen maßgeblichen Beobachtungszeitraum von vier bzw zwei Kalenderjahren vor dem Tod bestünden insoweit verfassungsrechtliche Bedenken, als ein Abstellen auf diesen Zeitraum untauglich sei, der Witwe eine dem zuletzt erworbenen Lebensstandard nahe kommende Versorgung zu sichern.
c) Darüber hinaus sei der Vertrauensschutz der Klägerin, für den Fall des Todes ihres Mannes mit einer den langjährigen hohen Beitragsleistungen und dem langjährigen Lebensstandard entsprechenden Witwenpension rechnen zu können, durch die Novellierung des § 264 ASVG verletzt worden.
Dazu wurde erwogen (im Folgenden wird im Hinblick auf das Geschlecht der Klägerin zur Vereinfachung lediglich der Ausdruck „Witwenpension“ und nicht auch „Witwerpension“ verwendet):
1. Zur Entwicklung der Rechtslage in Bezug auf die Berechnung der Höhe der Witwenpension:
1.1. Ausgangspunkt der Berechnung der Höhe der Witwenpension war ab 1. 1. 1995 das zu Lebzeiten des Versicherten erzielte Haushaltseinkommen und dessen Verteilung auf die beiden Ehepartner. Verglichen wurden die Pensionsbemessungsgrundlagen des Verstorbenen und des überlebenden Ehepartners. Die Witwenpension betrug (auf der Grundlage eines komplizierten Berechnungsvorgangs) mindestens 40 %, höchstens 60 % der Pension des Verstorbenen. Mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 (SRÄG 2000 - BGBl I 2000/92) wurde die Formel zur Ermittlung der Höhe der Witwenpension neu geregelt: Um sowohl Aktiv- als auch Pensionseinkommen berücksichtigen zu können, war für jeden der beiden Ehepartner eine „Berechnungsgrundlage“ zu ermitteln. Bei gleicher Höhe der Berechnungsgrundlagen hatte die Witwenpension ein Ausmaß von 40 % der Pension des Verstorbenen. Die maximale Witwenpension betrug 60 % (wenn die Berechnungsgrundlage des Verstorbenen mindestens dreimal so hoch war wie die des überlebenden Ehegatten). War hingegen die Berechnungsgrundlage der hinterbliebenen Ehegatten größer, dann verminderte sich die Pensionshöhe pro 1 % Unterschied um 0,3 % bis auf 0 %. Durch das SRÄG 2000 wurde daher mit Wirkung ab 1. 10. 2000 eine Spreizung zwischen 0 % und 60 % der Pension des verstorbenen Ehegatten bei gleichzeitiger Änderung der Berechnungsformel eingeführt.
Der Oberste Gerichtshof hegte gegen diese Neuregelung keine verfassungsmäßigen Bedenken (10 ObS 382/02b = RIS-Justiz RS0117422: Höhe der Witwenpension 0 EUR).
1.2. Aufgrund eines Drittelantrags von Nationalratsabgeordneten auf Aufhebung der Pensionsreform 2000 hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 27. 6. 2005, G 300/02 ua (VfSlg 16.923), § 264 Abs 2 bis 5 ASVG idF BGBl I 2001/67 als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des 30. 6. 2004 in Kraft tritt. Diese Entscheidung wurde mit Unsachlichkeit der antragsgegenständlichen Bestimmungen begründet, weil dem für die Spreizung maßgeblichen Vergleich die in § 264 Abs 3 und 4 ASVG geregelten Berechnungsgrundlagen zugrunde gelegt würden, die nicht die tatsächliche „Pensionshöhe" widerspiegelten.
1.3. Als Reaktion auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs hat der Nationalrat am 16. 6. 2004 mit dem 2. SVÄG 2004 eine Novellierung der Abs 2 - 6 des § 264 ASVG beschlossen. Nach den Absätzen 3 und 4 werden die Berechnungsgrundlagen der Witwe und des Verstorbenen von ihrem jeweiligen Einkommen in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Zeitpunkt des Todes des Versicherten gebildet. Angesichts des Inhalts des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom 27. 6. 2005, G 300/02 ua, hielt der Oberste Gerichtshof die Neuregelung für verfassungskonform (RIS-Justiz RS0121071). Mit dem SVÄG 2006, BGBl I 2006/130, wurde § 264 Abs 4 ASVG um eine Regelung ergänzt, wonach beim Verstorbenen als Berechnungsgrundlage das Einkommen der letzten vier Kalenderjahre vor dem Zeitpunkt des Todes, geteilt durch 48, heranzuziehen ist, wenn die Verminderung des Einkommens in den letzten beiden Kalenderjahren vor dem Tod des Versicherten auf Krankheit oder Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist oder in dieser Zeit die selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit wegen Krankheit, Gebrechen oder Schwäche eingeschränkt wurde und dies für die Witwe günstiger ist.
1.4. Dagegen, dass die Witwenpension auf der Grundlage eines Einkommensvergleichs bemessen wird, bestehen aus Sicht des Obersten Gerichtshofs weiterhin keine verfassungsrechtlichen Bedenken; eine solche Regelung liegt auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers.
2. Zur Nichteinbeziehung der Abfertigung in die Berechnungsgrundlage:
2.1. Nach § 264 Abs 5 ASVG gelten als Einkommen nach Abs 3 und 4 ua Erwerbseinkommen gemäß § 91 Abs 1 ASVG. Nach dieser Bestimmung, die in den Ersten Teil, Abschnitt VI („Leistungsansprüche“) des ASVG eingebettet ist, gilt als Erwerbseinkommen bei unselbständig Erwerbstätigen grundsätzlich „das aus dieser Tätigkeit gebührende Entgelt“. Das ASVG geht von einem vom Arbeitsrecht und Lohnsteuerrecht abweichenden Entgeltbegriff aus (vgl Oberster Gerichtshof 10 ObS 126/06m = SSV-NF 20/56; W. Geppert in W. Geppert [Hrsg], Sozialversicherung in der Praxis [3. ErgLfg] Kap 4.8.1). Nur dasjenige, das unter diesen Entgeltbegriff fällt, ist - im Rahmen der Höchstbeitragsgrundlage - beitrags- und meldepflichtig sowie leistungswirksam. Die Abfertigung (alt) ist zwar im Arbeitsrecht dem Begriff des Entgelts zu unterstellen; § 49 ASVG regelt aber für den Bereich des Sozialversicherungsrechts gesondert, was unter „Entgelt“ eines Dienstnehmers aus unselbständiger Tätigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn zu verstehen ist. Auch wenn sich die Begriffsbestimmung des § 49 ASVG im Unterabschnitt über die Beitragsgrundlagen findet, ist nicht davon auszugehen, dass dem Beitragsrecht und dem Leistungsrecht des ASVG von vornherein unterschiedliche Entgeltbegriffe zugrunde liegen würden.
2.2. Das Unterhaltsrecht wiederum kann für die Hinterbliebenenpensionen grundsätzlich nur dann Bedeutung haben, wenn es im Recht der Hinterbliebenenpensionen auf die - rechtlichen und/oder faktischen - Unterhaltsbeziehungen (etwa zwischen Ehegatten) ankommt. Es kann jedoch für das Recht der Hinterbliebenenpensionen nicht der Entgeltbegriff des Unterhaltsrechts übernommen werden, wenn es dafür im Sozialversicherungsrecht eine eigenständige Regelung (§ 49 ASVG) gibt.
2.3. Für die Ermittlung der Berechnungsgrundlagen für den Anspruch der Klägerin auf Witwenpension gelangt daher die Bestimmung des § 49 ASVG zur Anwendung (10 ObS 126/06m = SSV-NF 20/56; 10 ObS 156/06y = SSV-NF 20/87; vgl auch VwGH 2005/12/0187 mwN).
Gemäß § 49 Abs 1 ASVG sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus aufgrund des Dienstverhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält. In § 49 Abs 2 ASVG wird die Berücksichtigung von Sonderzahlungen als Entgelt geregelt. § 49 Abs 3 ASVG enthält eine Aufzählung jener Zahlungen des Dienstgebers, die nicht als Entgelt im Sinne der Abs 1 und 2 gelten. Dazu gehören gemäß Z 7 Vergütungen des Dienstgebers, die aus Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses gewährt werden, wie zum Beispiel Abfertigungen, Abgangsentschädigungen, Übergangsgelder. Bei der Abfertigung handelt es sich daher um eine sozialversicherungsbeitragsfreie Leistung, die nicht als Entgelt aus einer unselbständigen Erwerbstätigkeit iSd §§ 49, 91 ASVG und damit auch nicht als Einkommen iSd § 264 Abs 5 ASVG anzusehen ist. Die von der Klägerin angestrebte Einbeziehung der im November 2003 an ihren Ehegatten ausbezahlten Abfertigung in die Berechnungsgrundlage für ihren Anspruch auf Witwenpension kann daher nicht erfolgen.
2.4. Auch gegen dieses Ergebnis bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil es dem Gesetzgeber des ASVG durchaus freisteht, innerhalb der von der Verfassung gezogenen Grenzen einen eigenständigen Entgeltbegriff zu normieren, der sowohl im Beitrags- als auch im Leistungsrecht gilt (vgl 10 ObS 69/04a = SSV-NF 18/72).
3. Zur Frage der Verfassungskonformität der Zwei- bzw Vierjahresfrist der Absätze 3 und 4 des § 264 ASVG:
3.1. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner bisherigen Judikatur nach dem genannten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 27. 6. 2005, G 300/02 ua (VfSlg 16.923), die Verfassungskonformität der Zwei- bzw Vierjahresfrist der Abs 3 und 4 des § 264 ASVG bejaht (RIS-Justiz RS0121071). Im Rahmen dieser Rechtsprechung, die sich sowohl mit dem Argument einer zu geringen Dauer des Vergleichszeitraums (zB 10 ObS 132/05t uva) als auch mit dem Argument einer zu langen Dauer (10 ObS 95/08f) auseinanderzusetzen hatte, hat der Oberste Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die Wahl eines zweijährigen Zeitraums, in dem die Einkommen des Verstorbenen und des überlebenden Ehegatten gegenübergestellt werden, bei der gebotenen Durchschnittsbetrachtung auch unter Bedachtnahme auf den mit der Witwenpension angestrebten Zweck nicht als unsachlich erscheint, auch wenn sie zu Härtefällen bei der Berechnung der Höhe der Witwenpension führen kann. Härtefälle könnten - wenn auch nicht durchgehend - durch den in § 264 Abs 6 ASVG vorgesehenen Schutzbetrag abgefedert werden.
3.2. Der Umstand, dass der Oberste Gerichtshof mit einer vermehrten Zahl von Härtefällen aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 264 Abs 3 und 4 ASVG konfrontiert wurde, und die Gestaltung des konkreten Falles ließen eine Überprüfung der Verfassungskonformität der Regelung angezeigt erscheinen.
3.3. In diesem Zusammenhang beruft sich die Klägerin im Wesentlichen darauf, dass die Bestimmung des § 264 Abs 3 ASVG aufgrund der Kürze des zweijährigen Beobachtungszeitraums zur Ermittlung der Berechnungsgrundlage der Witwenpension zu unsachlichen Ergebnissen führe. Die Verfassungswidrigkeit ergebe sich zum einen aus dem Umstand, dass der Witwenpension aufgrund des zweijährigen Beobachtungszeitraums häufig - so auch im vorliegenden Fall - auf Seiten des Verstorbenen nur die „mageren“ Jahre zugrunde gelegt werden, die vielen „fetten“ Jahre der Berufstätigkeit hingegen ausgeblendet werden. Die Klägerin macht geltend, dass es sich bei dieser Konstellation nicht bloß um einzelne Härtefälle handle. Das sei alleine schon aus der Anzahl der bis dato an den Obersten Gerichtshof herangetragenen Fälle abzuleiten. Darüber hinaus sei weder der zweijährige (§ 264 Abs 3) noch der vierjährige Beobachtungszeitraum (§ 264 Abs 4 ASVG) geeignet, den „zuletzt erworbenen Lebensstandard“ zu repräsentieren. Es müsse vielmehr insbesondere bei lang dauernden Ehen ein erheblich längerer Zeitraum (zB die letzten zehn Jahre) herangezogen werden, da es der allgemeinen Lebenserfahrung entspreche, dass der letzte Lebensstandard nicht erst in den letzten zwei oder vier Jahren vor dem Tod eines Ehepartners erworben wird. Da der Lebensstandard des Weiteren gerade in der Zeit zwischen der Beendigung der aktiven Erwerbstätigkeit und dem Pensionsantritt typischerweise auf den Ersparnissen aufbaue, dürften diese auch für die Berechnungsgrundlage nicht unberücksichtigt bleiben.
Das zweite Argument, auf das die Klägerin ihre verfassungsrechtlichen Bedenken stützt, ist, dass die derzeitige Regelung der Witwenpension zu einem unsachlichen Eingriff in das Eigentum führe, der insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes beachtlich sei. Der kurze Beobachtungszeitraum des § 264 Abs 3 und 4 ASVG führe nämlich dazu, dass Personen, die vor ihrem Tod wenig verdient haben und Personen, die jahrzehntelang Höchstbeiträge - auch im Hinblick auf die Finanzierung einer Hinterbliebenenpension - geleistet haben, gleich behandelt werden. Die Novellen des ASVG, die zur Verkürzung des Beobachtungszeitraums für die Ermittlung der Berechnungsgrundlagen geführt haben, bewirken somit einen unsachlichen und ungerechtfertigten Eingriff in bereits erworbene Anwartschaften bzw den Vertrauensschutz.
3.4. Im Hinblick auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit hat der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 21. 7. 2009, 10 ObS 81/09y, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, § 264 Abs 3 und 4 ASVG in der Fassung BGBl I 2006/130 als verfassungswidrig aufzuheben.
3.5. Mit Erkenntnis vom 11. 3. 2010, G 228/09-9, hat der Verfassungsgerichtshof den Antrag abgewiesen.
Kurz zusammengefasst vertritt der Verfassungsgerichtshof in der Begründung seines Erkenntnisses die Ansicht, dass das System der Pensionsversicherung nach dem ASVG nicht allein auf dem Versicherungsprinzip beruht, sondern auch - im Besonderen in der Hinterbliebenenversorgung - auf dem Versorgungsgedanken. Der Gesetzgeber kann daher, ohne mit dem Gleichheitsgrundsatz in Widerspruch zu geraten, bei der Gestaltung des Leistungsrechts auch sozialpolitische Ziele verwirklichen und dabei eine Durchschnittsbetrachtung anstellen. Es kann nicht gesagt werden, dass die Rahmenzeiträume von zwei oder vier Jahren in Verbindung mit dem dabei vorgesehenen Günstigkeitsprinzip eine größere Zahl von „Härtefällen“ zulässt als dies bei einer längeren Frist der Fall wäre, weil es mit jeder Verlängerung der Frist ebenso denkbar ist, dass gerade damit Einkommenssituationen in die Betrachtung einbezogen werden, die für den Anspruch auf eine Witwenpension ebenso ungünstig sind (insbesondere durch die wahrscheinlichere Einbeziehung von Erwerbseinkünften). Dazu kommt, dass der anzustellende Vergleich der wirtschaftlichen Verhältnisse auch dadurch „verzerrt“ werden kann, dass derartige Änderungen in den Einkünften aus schicksalhaften Ereignissen im Betrachtungszeitraum auch bei der hinterbliebenen Person vorkommen können und diesfalls die hinterbliebene Person begünstigende Auswirkungen auf den Hinterbliebenenpensionsanspruch haben. Insgesamt können vom Gesetzgeber nicht durch eine ganz bestimmte Grenzziehung Härtefälle vermieden werden. Möglichen Härtefällen hat der Gesetzgeber jedenfalls dadurch eine bedeutsame Schranke gesetzt, als das aus dem eigenen Einkommen und der Hinterbliebenenpension gebildete Gesamteinkommen der Witwe bzw des Witwers nicht unter den in § 264 Abs 6 ASVG vorgesehenen Schutzbetrag von 1.671,20 EUR monatlich sinken kann. Angesichts dessen hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 264 Abs 3 und 4 ASVG über die Vergleichszeiträume den ihm im Pensionsversicherungsrecht zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht überschritten.
4. Nach der Zustellung dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs ist das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen.
5. Im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs sind auf den vorliegenden Fall die Absätze 3 und 4 des § 264 ASVG (in der Fassung BGBl I 2006/130) anzuwenden, sodass die Entscheidung des Berufungsgerichts zu bestätigen ist. Auf die zutreffende Begründung der angefochtenen Entscheidung, die sich an der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientiert (RIS-Justiz RS0121071 [T1]), kann verwiesen werden (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Im Hinblick auf die rechtlichen Schwierigkeiten des Falls entspricht es der Billigkeit, der Klägerin trotz ihres gänzlichen Unterliegens im Revisionsverfahren die Hälfte der von ihr verzeichneten Revisionskosten zuzuerkennen (10 Ob 26/08h, 10 ObS 144/09p ua).
Schlagworte
12 Sozialrechtssachen,Textnummer
E94026European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:010OBS00057.10W.0504.000Im RIS seit
30.06.2010Zuletzt aktualisiert am
04.10.2011