TE OGH 2010/5/11 9ObA27/09z

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Veröffentlicht am 11.05.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Eva Pernt und Mag. KR Michaela Haydter als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** T*****, Kindergartenpädagogin, *****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Verein L*****, vertreten durch Dr. Helga Hofbauer, Rechtsanwältin in Wien, wegen 777,66 EUR brutto sA (Revisionsinteresse 685,72 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Dezember 2008, GZ 9 Ra 146/08v-8, womit über Berufung der klagenden Partei das (End-)Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 4. Juni 2008, GZ 16 Cga 114/08p-5, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass - unter Berücksichtigung der mangels Anfechtung bereits in Rechtskraft erwachsenen teilweisen Klageabweisung - das Ersturteil einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 225,07 EUR (darin 37,51 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

              Die Klägerin war beim beklagten Verein in der Zeit vom 4. 9. 2006 bis 31. 10. 2007 als Kindergartenpädagogin angestellt. Auf dieses Arbeitsverhältnis war der Mindestlohntarif für Angestellte in privaten Kinderbetreuungseinrichtungen anwendbar. Strittig ist im Revisionsverfahren nur mehr die Frage, ob es sich bei der früheren Tätigkeit der Klägerin bei der Stadt Wien als Kindergartenassistentin in der Zeit vom 1. 8. 1994 bis 30. 9. 1997, während der sie ihre Ausbildung zur Kindergartenpädagogin absolvierte und andere bereits ausgebildete Kindergartenpädagoginnen unterstützte, um anrechenbare Berufsjahre im Sinne der Gehaltstafel des Mindestlohntarifs handelt.

              Von der Anrechenbarkeit der früheren Tätigkeit als Kindergartenassistentin ausgehend, begehrt die Klägerin vom Beklagten - nach dem erstgerichtlichen Teilanerkenntnisurteil vom 4. 6. 2008 über 562,63 EUR brutto - Zahlung von restlichen 777,66 EUR brutto sA. Sie sei vom Beklagten mangels Anrechnung der Vordienstzeiten „unterkollektivvertraglich“ entlohnt worden.

              Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete ein, dass es sich bei der Vordienstzeit der Klägerin vom 1. 8. 1994 bis 30. 9. 1997 um keine Tätigkeit im Sinne des Mindestlohntarifs, sondern um eine nicht anrechenbare Ausbildungszeit gehandelt habe.

              Das Erstgericht wies das nach dem Teilanerkenntnisurteil verbliebene restliche Klagebegehren der Klägerin ab. Es folgte in rechtlicher Hinsicht dem Standpunkt des Beklagten. Die Klägerin habe erst ab 1. 10. 1997 als diplomierte Kindergartenpädagogin gearbeitet. Vorhergehende Ausbildungszeiten seien nicht als Vordienstzeiten zu berücksichtigen. Die Tätigkeit der Klägerin als Kindergartenassistentin sei nach dem Mindestlohntarif nicht anrechenbar.

              Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es der Klägerin den Betrag von 685,72 EUR brutto sA zusprach, wohingegen es bei der Abweisung des Begehrens von 90,94 EUR brutto sA bezüglich der Karenzzeit der Klägerin bei einem früheren Arbeitgeber blieb. Das Berufungsgericht schloss sich hinsichtlich der Anrechenbarkeit der Tätigkeit als Kindergartenassistentin der Auffassung der Klägerin an. Der Formulierung „Tätigkeiten in der Kinderbetreuung im Sinne dieses Mindestlohntarifes“ sei keine Einschränkung auf eine besondere Qualifikation zu entnehmen. So würden in Art II Abschnitt C Z 1 auch Tätigkeiten ohne Ausbildung vom Mindestlohntarif erfasst. Es könne daher nicht schaden, dass die Klägerin in der Zeit vom 1. 8. 1994 bis 30. 9. 1997 als Kindergartenassistentin ihre Ausbildung zur Kindergartenpädagogin absolviert habe. Es handle sich auch bei diesem Zeitraum um Berufsjahre gemäß Mindestlohntarif. Die Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen.

              Erkennbar nur gegen den klagestattgebenden Teil des Berufungsurteils richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn der vollinhaltlichen Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

              Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

              Die außerordentliche Revision des Beklagten ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig. Der gegenständlichen Auslegungsfrage kommt über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Die Revision ist auch berechtigt.

              Das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum Beklagten vom 4. 9. 2006 bis 31. 10. 2007 unterlag unstrittig dem Mindestlohntarif für Angestellte in privaten Kinderbetreuungseinrichtungen, und zwar den Fassungen vom 1. 1. 2006 und 1. 1. 2007. Der Fassungsfrage kommt allerdings für das vorliegende Auslegungsproblem keine besondere Bedeutung zu, weil insofern beide Fassungen übereinstimmen. Wenn daher in der Folge nur kurz vom „Mindestlohntarif“ die Rede ist, sind damit stets beide Fassungen gemeint.

              Die Klägerin legte der Klageforderung gemäß dem von ihr vorgelegten Berechnungsblatt Beil ./C - von ihrer Qualifikation als Kindergartenpädagogin her gesehen, die jedoch keine Kindergartenleiterin war - das höchstmögliche Entgelt des Mindestlohntarifs im 11. und 12. Berufsjahr zugrunde. Dabei differenzierte sie nicht näher, ob sie beim Beklagten den Entgeltbestimmungen für Kindergartenpädagog/inne/en gemäß Art II Abschnitt A Z 1 oder für Kinderbetreuer/innen in selbst organisierten/elternverwalteten Kindergruppen gemäß Art II Abschnitt C Z 1 dritter Fall des Mindestlohntarifs unterlag. Diese Frage kann aber, wie auch das Berufungsgericht zutreffend ausführte, für die gegenständliche Anrechnungsfrage dahingestellt bleiben. Die Höhe des monatlichen Bruttogehalts hängt in beiden Fällen davon ab, in welchem „Berufsjahr“ sich die Kindergartenpädagogin bzw Kinderbetreuerin befindet. Dazu bestimmt Art II Abschnitt A Z 7 lit a des Mindestlohntarifs näher, dass als Berufsjahre für die Gehaltstafeln nach Z 1 und 4 die Zeiten gelten, in welchen überwiegend Tätigkeiten in der Kinderbetreuung im Sinne dieses Mindestlohntarifs ausgeübt wurden. Art II Abschnitt C Z 3 lit a des Mindestlohntarifs stellt ebenfalls auf die überwiegende Tätigkeit in der Kinderbetreuung im Sinne des Mindestlohntarifs ab.

              In der Frage, was als anrechenbare Tätigkeit in der Kinderbetreuung im Sinne dieses Mindestlohntarifs gilt, gehen nun im vorliegenden Fall die Meinungen auseinander. Mindestlohntarife sind als Verordnungen nach den §§ 6 und 7 ABGB auszulegen (9 ObA 92/08g; RIS-Justiz RS0008777 ua). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist nicht jede Tätigkeit „in der Kinderbetreuung“ anrechenbar; es muss sich nach dem insoweit klaren Wortlaut um eine Kinderbetreuungstätigkeit „im Sinne dieses Mindestlohntarifes“ handeln. Die Tätigkeit der Klägerin als Kindergartenassistentin bei der Stadt Wien in der Zeit vom 1. 8. 1994 bis 30. 9. 1997, in der sie ihre Ausbildung zur Kindergartenpädagogin absolvierte und bereits ausgebildete Kindergartenpädagoginnen unterstützte, war nun aber (noch) keine Tätigkeit im Sinne dieses Mindestlohntarifs. Im Sinne dieses Mindestlohntarifs wäre - soweit hier fallbezogen von Bedeutung - nur eine Tätigkeit der Klägerin als Kindergartenpädagogin (Art II Abschnitt A Z 1) oder allenfalls als Leiterin einer Gruppe in Selbstverantwortung (Art II Abschnitt A Z 4) anrechenbar gewesen. Beides war vor dem 1. 10. 1997 nicht der Fall. Nach den Feststellungen war die Klägerin vor diesem Zeitpunkt nicht als Leiterin, sondern lediglich als „Springerin“ im Einsatz, die andere, bereits ausgebildete Kindergartenpädagoginnen unterstützt hat. Dass die Klägerin bei der Stadt Wien eine selbstorganisierte/elternverwaltete Kindergruppe betreut habe (Art II Abschnitt C Z 1), wurde nicht geltend gemacht. Aus der Überlegung des Berufungsgerichts, dass der Mindestlohntarif auch Tätigkeiten als Kinderbetreuerinnen in selbst organisierten/elternverwalteten Kindergruppen ohne Ausbildung als Kindergartenpädagogin erfasse, ist daher für die Berechtigung der Klageforderung nichts zu gewinnen. Es ist schon richtig, wenn das Berufungsgericht ausführt, dass der Mindestlohntarif verschiedene Kinderbetreuungstätigkeiten erfasst. Keine davon wurde allerdings von der Klägerin vor dem 1. 10. 1997 verrichtet. Die Klägerin war erst ab 1. 10. 1997 als Kindergartenpädagogin tätig; ab diesem Zeitpunkt wurden ihre Berufsjahre berücksichtigt. Die vorhergehende Tätigkeit der Klägerin bei der Stadt Wien war keine Tätigkeit „im Sinne dieses Mindestlohntarifes“. Die Revision des Beklagten erweist sich daher als berechtigt, weshalb das klageabweisende Ersturteil wiederherzustellen ist.

              Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Am Berufungsverfahren hat sich der Beklagte nicht beteiligt.

Schlagworte

11 Arbeitsrechtssachen,

Textnummer

E94104

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:009OBA00027.09Z.0511.000

Im RIS seit

07.07.2010

Zuletzt aktualisiert am

18.04.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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