Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** P*****, vertreten durch Dr. Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Dr. Alfred Boran, Rechtsanwalt in Wien, wegen 80.831 EUR sA (Schmerzengeld, Begräbniskosten, entgangener Unterhalt), 16.200 EUR sA (Ersatz für künftig entgehenden Unterhalt) und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2009, GZ 16 R 128/09z-79, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 24. April 2009, GZ 12 Cg 65/07b-72, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben, und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin, ihr Sohn und ihr Enkel sprechen Serbokroatisch als Muttersprache; die Klägerin kann nur sehr schlecht Deutsch, die beiden Männer überhaupt nicht. Die genannten Personen nächtigten vom 26. auf den 27. März 2006 in einer Wohnung in W*****. Diese Wohnung wurde mit einem gebrauchten Ölofen geheizt, den der Sohn der Klägerin mit Hilfe eines Kollegen unfachgemäß installiert hatte. Über diesen Ofen war bereits 2002 wegen eines Defekts ein „gesetzliches Heizverbot” verhängt worden. Wenn er in Betrieb war, trat Kohlenmonoxid aus.
Gegen halb vier Uhr früh erwachte die Klägerin, weil ihr schlecht war; sie musste erbrechen. Ihr Enkelsohn wachte wenig später auf, auch ihm war schlecht. Er brach zusammen und verlor das Bewusstsein, das er erst wieder erlangte, als ihn sein Vater mit Wasser bespritzte. Anschließend fiel der Sohn der Klägerin selbst in Ohnmacht und wurde ebenfalls durch Besprengen mit Wasser wiederbelebt. Der Enkel rief eine Bekannte an, die sich auf Deutsch verständlich machen konnte, und ersuchte sie, die Rettung zu holen. Die Bekannte verständigte die Rettung, wobei sie ihrem Gesprächspartner aber nicht zu verstehen gab, dass es drei Personen gleichermaßen schlecht gehe, vielmehr bezog sich ihr Ersuchen um Hilfe allein auf die Klägerin. Dies führte dazu, dass nur ein Rettungsfahrzeug (mit der Aufnahmekapazität für einen Patienten) an die angegebene Adresse geschickt wurde.
Mittlerweile war die Klägerin von den beiden Männern auf die Straße geführt worden, sie wurde gestützt und trug ein Nachthemd, auf dem sich noch Erbrochenes befand. Sohn und Enkel erholten sich an der frischen Luft. Als die Rettung um 4:12 Uhr eintraf, wurde die Klägerin auf das Bett im Rettungswagen gelegt. Der Sanitäter stellte fest, dass ihr Blutdruck sehr niedrig und die Sauerstoffsättigung sehr gering war, und verabreichte ihr Sauerstoff. Eine Verständigung mit der Klägerin und den beiden Angehörigen war nicht möglich. Sohn und Enkel wiesen keine äußerlichen Anzeichen einer Erkrankung auf. Das Rettungspersonal nahm daher an, dass sie die Klägerin bloß zu begleiten beabsichtigten, und wollten nach den einschlägigen Vorschriften zunächst nur einen von ihnen mitnehmen. Da sich die Männer darüber aber erheblich aufregten, durften schließlich beide mitfahren.
In der von der Rettung angefahrenen Notfallambulanz des von der Beklagten betriebenen Spitals versahen ein Krankenpfleger, ein Pflegehelfer und ein Oberarzt Dienst. Krankenpfleger und Pflegehelfer übernahmen die Klägerin und wurden in Kenntnis gesetzt, dass die Patientin an Atemnot gelitten und erbrochen habe. Der herbeigerufene Oberarzt sah sich die Klägerin an und ordnete aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters, ihres äußerlichen Zustands und der erhaltenen Informationen an, sie ohne weitere Untersuchungen stationär aufzunehmen. Der Versuch einer verbalen Kontaktaufnahme zur Klägerin unterblieb infolge dieser Entscheidung. Während sich der Arzt mit der Klägerin beschäftigte, warteten die beiden Männer vor dem Untersuchungszimmer. Sodann entfernte sich der Arzt.
Als die beiden Männer erfassten, dass die Klägerin im Spital bleiben musste, regten sie sich neuerlich auf; besonders der Sohn gestikulierte. Was die beiden sagten, war nicht verständlich. Es war mittlerweile 4:30 Uhr, und im Spital war keine Person greifbar, die Dolmetschdienste hätte leisten können. Da die beiden Männer keine Krankheitssymptome zeigten, nahmen der Krankenpfleger und der Pflegehelfer an, dass sie sich über die stationäre Aufnahme der Klägerin aufregten. Ein solches Verhalten von Angehörigen kommt häufig vor. Erneut wurde der Arzt gerufen, der die Auffassung der Pfleger teilte. Er deutete den Männern, sie sollten sich beruhigen und heimgehen. Diese blieben aufgeregt, nichts wies aber darauf hin, dass sie zu verstehen geben wollten, selbst Hilfe zu benötigen. Schließlich entschied der Arzt, dem Sohn ein Beruhigungsmittel verabreichen zu lassen, worauf dessen Erregung abklang. Der Enkel saß inzwischen im Wartesaal. Schließlich verließen beide Männer ruhig das Spital. Die Klägerin wurde im Zuge ihrer Aufnahme gefragt, ob sie Alkohol trinke, rauche und ob sie Gas in der Wohnung habe. Sie gab an, nicht zu rauchen; die Frage nach Gas in der Wohnung bejahte sie. Auf der Station sagte die Klägerin, dass es auch ihrem Sohn und Enkel schlecht gehe. Es steht nicht fest, wem sie das sagte und ob ihre Erklärung für den Adressaten verständlich war.
Die beiden Männer trafen vor dem Spital auf jene Bekannte, die für sie die Rettung verständigt hatte, und teilten ihr mit, dass sie das Spital verlassen mussten. Die Bekannte begab sich daraufhin mit den beiden Männern in das Krankenhaus und traf dort auf den Krankenpfleger. Sie fragte ihn, wieso die beiden Männer nicht behandelt würden, wo es ihnen doch schlecht gehe. Der Krankenpfleger erwiderte, dass die beiden Männer wegen der Erkrankung der Klägerin und deren stationärer Aufnahme erregt gewesen seien und dass man dem Sohn ohnehin mit einem Beruhigungsmittel geholfen habe. Die Bekannte wiederholte hierauf, dass es den beiden Männern schlecht gehe, was der Krankenpfleger auf deren körperlichen Zustand bezog. Da sich die Frau auf die Erklärung beschränkte, es sei doch sichtbar, dass es den Männern schlecht gehe und man sie behandeln müsse, der Krankenpfleger jedoch keinerlei äußerliche Anzeichen einer Erkrankung bemerken konnte, informierte er nicht nochmals den Arzt, sondern forderte alle auf, das Spital zu verlassen. Die Bekannte sagte dem Krankenpfleger nicht, dass die beiden Männer in der Wohnung erbrochen hatten. Sie reagierte auf die Aufforderung, das Spital zu verlassen, mit der Ankündigung, ein anderes Spital aufsuchen zu wollen, und alle entfernten sich. Inzwischen war es etwa 6:00 Uhr. Die beiden Männer begaben sich in weiterer Folge weder in ein anderes Spital noch zu einem Arzt. Sie besuchten vielmehr im Laufe des Tages zweimal die Klägerin im Spital. Die folgende Nacht verbrachten sie wieder in deren Wohnung, wo sie am Abend des nächsten Tages tot aufgefunden wurden. Todesursache war eine Kohlenmonoxidvergiftung, die sie in der Nacht von 27. auf den 28. März 2006 aufgrund des defekten Ofens erlitten hatten.
Bei der Klägerin wurde in den frühen Morgenstunden des Aufnahmetags ein Blutbild erstellt, in den späteren Morgenstunden ein Lungenröntgen durchgeführt. Am 28. März 2006 wurde kurz nach 8:00 Uhr eine Blutgasanalyse vorgenommen, die einen Kohlenmonoxidwert von 3 % ergab. Dieser Wert gilt für einen durchschnittlichen Erwachsenen im innerstädtischen Bereich bei Nichtrauchern zumindest im oberen Normalbereich, wenn nicht als überhöht. Daraus war medizinisch abzuleiten, dass die Klägerin Kohlenmonoxid eingeatmet hatte. Ein beim Landesgericht für Strafsachen Wien gegen den behandelnden Arzt und den Krankenpfleger anhängiges Strafverfahren wurde nach § 90 Abs 1 StPO eingestellt.
Die Klägerin begehrt Schmerzengeld wegen des Todes ihrer Angehörigen (60.000 EUR), Begräbniskosten (8.249 EUR), entgangenen Unterhalt für die Vergangenheit (5.850 EUR) und die Zukunft (monatlich 450 EUR) sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Verlust ihrer Angehörigen. Obwohl ihr Sohn und ihr Enkel von einer Rauchgasvergiftung schwer beeinträchtigt gewesen seien, habe der in der Notfallambulanz tätige Arzt nicht erkannt, dass die beiden ärztlicher Hilfe bedurft hätten. Nach dem Spitalsverweis sei es ihnen bei einer neuerlichen Vorsprache trotz ihres selbst für einen Laien ersichtlichen schlechten Gesundheitszustands nicht gelungen, zu einem Arzt vorzudringen. Wäre im Spital der Beklagten eine Untersuchung durchgeführt worden, hätte die Kohlenmonoxidvergiftung entdeckt und deren Ursache geklärt werden können; in diesem Fall wären die beiden Männer nicht in die Wohnung zurückgekehrt und am Leben geblieben. Die Klägerin habe von ihrem Sohn Unterhalt bekommen, sie habe aufgrund der Todesnachricht einen Nervenzusammenbruch erlitten und sei noch immer schwer gezeichnet.
Die Beklagte bestreitet ein Verschulden ihrer Mitarbeiter. Bei der Klägerin habe es keine Anzeichen auf eine Gasvergiftung gegeben. Die Angehörigen hätten sich zunächst unauffällig verhalten, erst nach der stationären Aufnahme der Klägerin hätten sie aggressiv reagiert. Krankheitssymptome, insbesondere Hinweise auf eine Vergiftung, seien nicht erkennbar gewesen. Jedenfalls liege ein Mitverschulden der Klägerin und ihrer Angehörigen vor, weil der Sohn der Klägerin den Ofen unsachgemäß installiert habe und die Anlage trotz eines Heizverbots betrieben worden sei. Das begehrte Schmerzengeld sei überhöht. Der Klägerin entgehe kein Unterhalt; allfällige Zahlungen ihrer Angehörigen seien Entgelt für Unterkunft und Verpflegung gewesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Krankenhauspersonal habe nicht schuldhaft gehandelt. Es sei ihm nicht vorzuwerfen, um halb fünf Uhr früh keinen Dolmetsch organisiert zu haben. Die Angehörigen hätten keine Krankheitssymptome gezeigt, sodass kein Verdacht auf eine Kohlenmonoxidvergiftung bestanden habe. Eine sofortige Blutgasanalyse bei der Klägerin sei medizinisch nicht erforderlich gewesen. Der Schaden sei auch nicht adäquat verursacht worden.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
Eine Handlungspflicht für Ärzte und Personal einer Krankenanstalt bestehe nur gegenüber Personen, deren geistiger oder körperlicher Zustand Lebensgefahr oder die Gefahr einer sonst nicht vermeidbaren schweren Gesundheitsschädigung und die Notwendigkeit einer sofortigen Behandlung (Anstaltsbehandlung) erkennen lasse. Weder Sohn noch Enkelsohn der Klägerin hätten sich bei ihrem ersten Auftreten in der Krankenanstalt als unabweisbar hilfsbedürftig zu erkennen gegeben. Sie seien auch bei ihrer Rückkehr ins Spital soweit im Besitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte gewesen, dass ihnen zuzumuten gewesen sei, sich durch ihre dolmetschende Bekannte verständlich zu machen und bekanntzugeben, dass auch sie in der Wohnung der Klägerin erbrochen hätten und ohnmächtig gewesen seien. Der vage Hinweis, dass es ihnen „auch (körperlich) schlecht“ oder „nicht gut“ gehe, habe diesen Anforderungen nicht genügt; die beiden Männer seien für das medizinische Personal nicht als Patienten, sondern nur als Begleitpersonen der als krank eingelieferten Klägerin wahrzunehmen gewesen. Weder für den Krankenpfleger noch für den Arzt sei ihr Auftreten Anlass und Verpflichtung gewesen, den Grund für ein nicht offensichtliches Unwohlsein der beiden Begleitpersonen zu erforschen. Die Anforderungen an die Aufnahme- und Behandlungspflicht einer Krankenanstalt dürften nicht überspannt werden, auch wenn es sich um eine Notfallambulanz handle.
Eine erhebliche Rechtsfrage liege vor, weil Rechtsprechung zum Umfang der Nachforschungspflicht von Ärzten und Krankenpflegern einer Notfallambulanz bei nur undeutlich geäußerten körperlichen Beschwerden fehle. Es könne mit guten Gründen die Auffassung vertreten werden, dass ein Krankenpfleger einen Arzt informieren müsse, wenn Personen behaupteten, dass es ihnen körperlich schlecht gehe. Dies hätte im vorliegenden Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu geführt, dass aufgrund eines ordnungsgemäßen Anamnesegesprächs und weiterer Untersuchungen die Kohlenmonoxidvergiftung erkannt worden wäre.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Die Klägerin macht einen Schaden geltend, den die Beklagte infolge schuldhafter Unterlassung der Erstuntersuchung ihres Sohnes und Enkelsohnes zu verantworten habe.
1.1. Eine Unterlassung ist rechtswidrig, wenn jemand zur aktiven Schadensabwehr verpflichtet ist (Karner in KBB² § 1294 Rz 6; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1294 Rz 2 mN aus der Rsp). Eine Pflicht zum Handeln kann sich aus einer vertraglichen Verpflichtung, einem vorvertraglichen Schuldverhältnis oder einer gesetzlichen Verpflichtung ergeben.
1.2. Im vorliegenden Fall ergibt sich eine Handlungspflicht der Beklagten aus § 36 Abs 8 Wiener Krankenanstaltengesetz. Diese Bestimmung setzt die (gleichlautende) Grundsatzbestimmung des § 23 Abs 1 Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (KAKuG) um und sieht vor, dass in öffentlichen Krankenanstalten niemandem unbedingt notwendige erste ärztliche Hilfe verweigert werden darf. Damit soll eine Basisversorgung für den Notfall gewährleistet werden (4 Ob 140/07b = ÖJZ-LS 2008/3). Anders als die (allgemeine) Behandlungspflicht nach § 48 ÄrzteG setzt § 23 Abs 1 KAKuG nicht Lebensgefahr voraus, sondern greift schon dann ein, wenn eine in eine Krankenanstalt eingelieferte oder dort erschienene Person dringend behandlungsbedürftig ist (Graziani-Weiss in Radner ua, Krankenanstaltenrecht, § 23 KAKuG Rz 1; Radner, Aufnahmepflicht öffentlicher Krankenanstalten, RdM 1996, 7, 9).
1.3. Ob Behandlungsbedarf vorliegt, kann nur von einem Arzt entschieden werden. Denn die dafür erforderliche Diagnose von (behaupteten) Krankheitszuständen fällt unter § 2 Abs 2 Z 1 ÄrzteG und ist daher den Ärzten vorbehalten (4 Ob 114/89; 4 Ob 14/00p = ÖBl-LS 2000/33 - Auspendeln; 4 Ob 50/01h = ÖBl-LS 2001/109 - Bachblüten). Demgegenüber erfasst die Ausübung des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege nach § 14 Abs 1 Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (nur) die „eigenverantwortliche Diagnostik [...] aller pflegerischen Maßnahmen im intra- und extramuralen Bereich (Pflegeprozess)“. Daher steht es einem (auch diplomierten) Gesundheits- und Krankenpfleger (selbstverständlich) nicht zu, hilfesuchende Personen in einer Krankenanstalt ohne Befassung eines Arztes abzuweisen. Diese eindeutige Rechtslage muss Angehörigen des Krankenpflegepersonals aufgrund ihrer Ausbildung bekannt sein.
2. Im vorliegenden Fall waren die Angehörigen der Klägerin zunächst aufgrund einer Entscheidung eines Arztes nicht behandelt worden, weil sie wegen fehlender Sprachkenntnisse ihre Beschwerden nicht schildern konnten und nach außen keine Krankheitssymptome aufwiesen. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass darin aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls noch keine schuldhafte Verletzung der Behandlungspflicht nach § 23 Abs 1 KAKuG lag, ist vertretbar. Allerdings erschienen die Angehörigen kurz darauf neuerlich in der Krankenanstalt, wobei sie nun von einer der deutschen Sprache mächtigen Bekannten begleitet waren. Die Bekannte gab dem Krankenpfleger zu verstehen, dass es den Angehörigen körperlich schlecht gehe, und sie ersuchte um deren Behandlung. In dieser Situation war der Krankenpfleger verpflichtet, einen Arzt zu informieren. Denn die vorangegangene ärztliche Entscheidung, die beiden Angehörigen - abgesehen von der Verabreichung eines Beruhigungsmittels - nicht zu behandeln, war nun überholt: Anders als früher war klar, dass sich die Angehörigen selbst als behandlungsbedürftig ansahen, und wegen der Anwesenheit der Bekannten war jetzt ein Anamnesegespräch möglich.
3. Das Fehlverhalten des Krankenpflegers ist der Beklagten als Trägerin der Krankenanstalt nach § 1313a ABGB zuzurechnen. Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung ist eine rechtliche Sonderbeziehung zwischen den Parteien, die auch durch ein Gesetz begründet sein kann (Karner in KBB2 § 1313a Rz 2; Harrer in Schwimann3 § 1313a Rz 21; Reischauer in Rummel3 § 1313a Rz 2). Das trifft bei der Behandlungspflicht nach § 23 Abs 1 KAKuG zu. Diese Bestimmung begründet für den Fall der Behandlungsbedürftigkeit einen Kontrahierungszwang der Krankenanstalt. Daraus ergibt sich zwingend die gesetzliche Verpflichtung der Krankenanstalt, durch geeignete Maßnahmen festzustellen, ob eine Behandlung hilfesuchender Personen erforderlich ist. Zwischen den eine Behandlung anstrebenden Angehörigen und der Beklagten bestand daher eine rechtliche Sonderbeziehung, in deren Rahmen der Krankenpfleger tätig wurde.
4. Der vom Berufungsgericht herangezogene Abweisungsgrund des mangelnden Verschuldens trägt daher nicht. Das führt zur Aufhebung in die erste Instanz. Im fortgesetzten Verfahren werden folgende Punkte zu beachten sein:
4.1. Erfolgt die (angebliche) Schädigung - wie hier - durch ein Unterlassen, so ist Kausalität dann anzunehmen, wenn die Vornahme einer bestimmten aktiven Handlung das Eintreten des Erfolgs verhindert hätte (RIS-Justiz RS0022913; zuletzt etwa 4 Ob 98/08b = ZVB 2008, 317 [Pachner] und 2 Ob 178/07a = Zak 2008, 376, beide mwN; Harrer in Schwimann3 § 1295 Rz 4; Reischauer in Rummel3 § 1295 Rz 2). Es muss daher versucht werden, den hypothetischen Ablauf bei Vermeiden der Unterlassung durch Setzen des gebotenen Verhaltens herauszufinden. Das gebotene Verhalten ist hinzuzudenken (Koziol, Wegdenken und Hinzudenken bei der Kausalitätsprüfung, RdW 2007, 12, 13; 4 Ob 98/08b = ZVB 2008/83; 4 Ob 28/09k = ÖBA 2010, 126). Die Beweislast, dass der Schaden bei pflichtgemäßem Verhalten nicht eingetreten wäre, trifft den Geschädigten (RIS-Justiz RS0022700, RS0022900 [T5, T11]). Lediglich die Anforderungen an den Beweis des bloß hypothetischen Kausalverlaufs sind geringer als die Anforderungen an den Nachweis der Verursachung bei einer Schadenszufügung durch positives Tun. Denn die Frage, wie sich die Geschehnisse entwickelt hätten, wenn der Schädiger pflichtgemäß gehandelt hätte, lässt sich naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten, weil dieses Geschehen eben nicht stattgefunden hat (10 Ob 103/07f mwN; RIS-Justiz RS0022900 [T14]).
4.2. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht daher Feststellungen zu treffen haben, ob eine Information des Arztes den Tod der Männer verhindert hätte. Dabei ist von einem sorgfältig handelnden Arzt auszugehen, der nach der pflichtgemäßen Verständigung durch den Krankenpfleger ein Anamnesegespräch mit den beiden Männern geführt hätte. Es wird - außer bei einer diesbezüglichen Außerstreitstellung - unter Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen zu klären sein, ob ein solcher Arzt unter den Umständen des Einzelfalls eine Kohlenmonoxidvergiftung für möglich gehalten und daher eine sofortige Blutgasanalyse bei den drei Patienten angeordnet hätte. Dass eine solche Analyse das Vorliegen einer Vergiftung bestätigt hätte, steht fest, da sogar noch am Tag darauf bei der Großmutter ein erhöhter Kohlenmonoxidwert festgestellt worden war. Dass die Männer noch am Leben wären, wenn sie auf eine Kohlenmonoxidvergiftung hingewiesen worden wären, liegt auf der Hand.
4.3. Ist die Kausalität zu bejahen, so bestünden keine Zweifel am Rechtswidrigkeitszusammenhang und an der Adäquanz. Die Pflicht zur Leistung erster ärztlicher Hilfe dient zwar in erster Linie dazu, einer akuten Gesundheitsbeeinträchtigung abzuhelfen. Muss der pflichtgemäß herbeigerufene Arzt dabei aber aufgrund seines medizinischen Wissens erkennen, dass diese Beeinträchtigung auf einer möglicherweise weiterhin vorhandenen, dem Patienten jedoch nicht bekannten Gefahrenquelle beruht, so ist er selbstverständlich zur Warnung verpflichtet. Unter dieser Voraussetzung hat die Hilfeleistungspflicht auch den Zweck, eine neuerliche Verwirklichung der Gefahr zu verhindern. Der im konkreten Fall eingetretene Schaden ist daher vom Schutzzweck der Norm erfasst (RIS-Justiz RS0022933). Dass es bei einem Unterbleiben der Warnung zu einer neuerlichen Vergiftung kommen konnte, lag nach der Lebenserfahrung nahe; der Schaden wäre daher auch adäquat verursacht (RIS-Justiz RS0098939).
4.4. Ist die Haftung aufgrund dieser Erwägungen dem Grunde nach zu bejahen, wird sich das Erstgericht mit den geltend gemachten Ansprüchen auseinanderzusetzen haben.
(a) In Bezug auf das von ihr begehrte Schmerzengeld hat die Klägerin behauptet, dass ihre Beeinträchtigung aufgrund des Todes der nahen Angehörigen Krankheitswert habe (Nervenzusammenbruch, Notwendigkeit psychologischer Betreuung). Wenn das zutrifft, läge ein Schockschaden vor, und es käme, anders als beim bloßen Trauerschmerzengeld, nicht auf das Vorliegen grober Fahrlässigkeit an (RIS-Justiz RS0116865). In Bezug auf die Höhe eines allfälligen Anspruchs wird sich das Erstgericht an der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu orientieren haben (vgl die Nachweise in 2 Ob 292/04m = ZVR 2005, 370 sowie bei Danzl in Danzl/Gutièrrez-Lobos/Müller, Das Schmerzengeld in medizinischer und juristischer Sicht9 [2008] 186 ff).
(b) Entgangener Unterhalt gebührte zumindest in Höhe eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs der Klägerin gegen ihre Angehörigen (2 Ob 243/99w = SZ 72/135; RIS-Justiz RS0112431). Sind nicht alle Beteiligten österreichische Staatsbürger, wären Grund und Höhe dieses Anspruchs nach dem darauf anwendbaren Recht zu beurteilen (7 Ob 626/95 = ZfRV 1996/23). Dieses Recht ist nach § 24 oder § 25 Abs 2 IPRG zu ermitteln. Diese Bestimmungen erfassen - vorbehaltlich hier nicht anwendbarer Staatsverträge wie des nur Ansprüche von Kindern erfassenden Haager Unterhaltsstatutübereinkommens 1956 - jeweils das gesamte Eltern-Kind-Verhältnis, insbesondere daher die wechselseitigen Unterhaltsansprüche (Verschraegen in Rummel3, § 24 IPRG Rz 2, § 25 IPRG Rz 9; 6 Ob 705/89). Maßgebend ist daher das Personalstatut des in Anspruch genommenen Kindes (gegebenenfalls in entsprechender Anwendung der genannten Bestimmungen des in Anspruch genommenen Enkels); Rück- oder Weiterverweisungen wären nach § 5 IPRG zu beachten. Wurde tatsächlich mehr als der nach dem anwendbaren Recht zustehende Unterhalt geleistet, gebührt der höhere Betrag, wenn er noch einigermaßen ins Verhältnis zur gesetzlichen Unterhaltspflicht gesetzt werden kann (2 Ob 3/08t = Zak 2008, 418 mwN; RIS-Justiz RS0031410).
4.5. Weiters wird das Erstgericht über den Mitverschuldenseinwand der Beklagten zu entscheiden haben.
(a) In diesem Zusammenhang wird grundsätzlich auch das Mitverschulden des Sohnes der Klägerin (unsachgemäße Montage des Ofens) zu berücksichtigen sein. Für die Ansprüche nach § 1327 ABGB ist das wegen der Analogie zu § 7 Abs 2 EKHG unstrittig (RIS-Justiz RS0026892, RS0027341; Danzl in KBB2 § 1327 Rz 10 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Mitverschulden des Getöteten aber auch beim Schmerzengeld für Schockschäden zu beachten (2 Ob 178/04x = ZVR 2004/105 [Danzl], 2 Ob 212/04x = Zak 2006, 134; 2 Ob 233/04k; 2 Ob 65/06g = Zak 2006, 376).
(b) An dieser Rechtsprechung ist trotz der Einwände von Beisteiner (Geteiltes Leid ist halbes Leid? Anmerkungen zur Mitverschuldensanrechnung bei Schockschädigungen, ZVR 2010, 4) festzuhalten: Wäre der Sohn in der ersten Nacht allein in der Wohnung gewesen und dort gestorben, so hätte die Klägerin gegen dessen Nachlass keinen Anspruch auf Schockschadenersatz gehabt. Denn seine Selbstschädigung wäre grundsätzlich nicht rechtswidrig gewesen (Beisteiner, ZVR 2010, 7 mwN in FN 24). Die Sorglosigkeit des Sohnes in seinen eigenen Angelegenheiten hätte daher ausschließlich zum Lebensrisiko der Klägerin gehört (vgl 2 Ob 178/04x). Das Hinzutreten eines für den Tod mitverantwortlichen Dritten kann nicht dazu führen, dass diese auf § 1311 Satz 1 ABGB beruhende und daher - entgegen Beisteiner - nicht mit bloßen „Billigkeitserwägungen“ begründete Risikozuordnung zur Gänze unbeachtlich würde. Vielmehr ist der Schaden noch immer teilweise der Sphäre der Klägerin zuzurechnen; sie hat ihn daher anteilig selbst zu tragen.
(c) Diese Situation unterscheidet sich grundlegend von der Verursachung eines Schadens durch mehrere Personen, die jeweils auch gegenüber dem Geschädigten vorwerfbar gehandelt haben. Insofern hat es bei der Regel des § 1302 ABGB zu bleiben; das Verhalten eines der mehreren Schädiger kann daher nicht als „Zufall“ der Sphäre des Geschädigten zugerechnet werden (1 Ob 1/09t = JBl 2009, 644 = Zak 2009, 176 [Kletecka]). Muss hingegen der Geschädigte das selbstschädigende Verhalten einer ihm nahestehenden Person als Teil seines Lebensrisikos hinnehmen, so kann die bloß mitwirkende Verursachung durch einen fahrlässig handelnden Dritten nicht zu einer Haftung für den gesamten Schockschaden führen. Insofern besteht unter Bedachtnahme auf die Wertung des § 7 Abs 2 EKHG kein tragfähiger Unterschied zum Schadenersatz nach § 1327 ABGB oder zum (bloßen) Trauerschmerzengeld, das auch nach der Auffassung Beisteiners bei einem Mitverschulden des Getöteten zu kürzen ist (ZVR 2010, 8 f).
(d) Anders verhält es sich jedoch bei der Tötung des Enkels. Hier war der Sohn wegen der unsachgemäßen Installation des Ofens zweifellos Mittäter. Er (sein Nachlass) haftete daher insofern solidarisch mit der (allenfalls) ersatzpflichtigen Beklagten; einen Grund für die Zurechnung seines Verhaltens zur geschädigten Klägerin gibt es nicht (1 Ob 1/09t). Soweit sich daher die geltend gemachten Ansprüche auf den Tod des Enkels gründen, bleiben sie vom Verschulden des Sohnes unberührt. Ein allfälliges Mitverschulden der Klägerin selbst wäre aber auch hier zu berücksichtigen.
(e) Den Feststellungen des Erstgerichts kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden, von wem das „gesetzliche Heizverbot“ verhängt wurde und ob es der Klägerin bekannt war. Davon wird abhängen, ob sie sich (auch) ein eigenes Mitverschulden anrechnen lassen muss. Daher ist im gegenwärtigen Verfahrensstadium noch keine umfassende Beurteilung der Mitverschuldensfrage möglich.
5. Aus diesen Gründen sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben, und die Rechtssache ist zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
6. Allgemein gilt: Die Pflicht zur Leistung erster ärztlicher Hilfe nach § 23 Abs 1 KAKuG begründet eine rechtliche Sonderbeziehung zwischen der Krankenanstalt und Personen, die eine solche Hilfeleistung anstreben. Der Träger der Krankenanstalt haftet daher für ein bei der Erfüllung dieser Verpflichtung gesetztes Fehlverhalten seines Personals nach § 1313a ABGB. Zunächst ist zu prüfen, ob ärztliche Hilfe erforderlich ist. Darüber hat jedenfalls ein Arzt zu entscheiden.
Textnummer
E94010European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00036.10P.0511.000Im RIS seit
26.06.2010Zuletzt aktualisiert am
09.05.2014