Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Eva Pernt und Mag. KR Michaela Haydter als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Miroslava G*****, Krankenschwester, *****, vertreten durch die Freimüller/Noll/Obereder/Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Gemeinde Wien, Rathaus, 1082 Wien, vertreten durch die Dr. Gustav Teicht & Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft, Rechtsanwälte in Wien, wegen 441,08 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Jänner 2009, GZ 8 Ra 157/08d-23, womit über die Berufungen beider Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 29. Juli 2008, GZ 20 Cga 107/07m-16, hinsichtlich der Kapitalforderung bestätigt, hinsichtlich des Zinsenbegehrens jedoch abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts, das hinsichtlich der Bestätigung des Ersturteils bezüglich des Kapitals und der erstinstanzlichen Kosten bestätigt wird, wird hinsichtlich des Zinsenausspruchs dahin abgeändert, dass insoweit das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 53,76 EUR (darin 8,96 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 222,91 EUR (darin 37,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Rechtliche Beurteilung
Bestätigt der Oberste Gerichtshof das Urteil des Berufungsgerichts (hier: hinsichtlich der Bejahung der Kapitalforderung der Klägerin) und erachtet er dessen Begründung für zutreffend, so reicht es aus, wenn er auf deren Richtigkeit hinweist (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Zusammenfassend ist nochmals festzuhalten:
Die Klägerin ist seit 1. 1. 1993 als Vertragsbedienstete der Beklagten beschäftigt, zuletzt in der Verwendungsgruppe K4, Gehaltsstufe 4. Die von der Klägerin davor, und zwar vom 12. 8. 1985 bis 8. 7. 1991 erbrachte Vordienstzeit als Krankenschwester im Dienst der medizinischen Akademie, Nationalzentrum für kardiovaskuläre Krankheiten (Universitätskrankenhaus) in S*****, Bulgarien, wurde von der Beklagten nur zur Hälfte angerechnet. In den Jahren 1971-1990 wurde die medizinische Versorgung in Bulgarien in staatlichen Krankenanstalten - Ambulanzen, Polikliniken, Krankenhäusern, Sanatorien, Dispensaire-Ambulanzen ua durchgeführt. Gemäß Art 2 des damals geltenden, mittlerweile außer Kraft getretenen Volksgesundheitsgesetzes waren die staatlichen Krankenanstalten dem Ministerium für Volksgesundheit, Ministerium für Transport, Ministerium der Verteidigung, Ministerium für innere Angelegenheiten und den Volksräten unterstellt. Die staatlichen Krankenanstalten wurden aus den Haushalten der Behörden oder der Volksräte finanziert (Art 2 Abs 2 der Vorschriften zum Volksgesundheitsgesetz). Die Haushalte der Volksräte waren damals ein Bestandteil des Staatshaushalts. Gemäß Art 25 Abs 3 des Volksgesundheitsgesetzes war die Privat-Arzt-Praxis sogar verboten. Erst mit den Änderungen des Volksgesundheitsgesetzes vom 22. 2. 1991 konnte medizinische Hilfe sowohl in staatlichen Krankenanstalten als auch in privaten Krankenanstalten und in Privatpraxen medizinischer Spezialisten erbracht werden. Dass die Anstalt, an der die Klägerin beschäftigt war, einer Änderung (Privatisierung) unterzogen wurde, ist nicht hervorgekommen. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich bei der medizinischen Akademie, Nationalzentrum für kardiovaskuläre Krankheiten, bis zum Ende der Beschäftigung der Klägerin um eine staatliche Anstalt handelte und die dort beschäftigten Personen aus dem Staatshaushalt bezahlt wurden.
Unstrittig unterliegt im vorliegenden Fall die Anrechnung von Vordienstzeiten dem § 14 Abs 1 Z 1 des Gesetzes über das Dienstrecht der Beamten der Bundeshauptstadt Wien (Dienstordnung 1994 - DO 1994), LGBl 1994/56. Danach ist für die Vorrückung unter anderem die Zeit, die in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft zurückgelegt wurde, anzurechnen. Die Revisionswerberin räumt ein, dass die Klägerin im hier interessierenden Zusammenhang einer Inländerin gleichgestellt ist, weil Wanderarbeitnehmer insbesondere auch nicht bei der Dienstzeitenanrechnung diskriminiert werden dürfen. Soweit die Revisionswerberin jedoch hilfsweise den Einwand aufrechterhält, dass sich die gegenständliche Anrechnungsbestimmung nur auf die Hoheitsverwaltung beziehe, ist sie darauf zu verweisen, dass der Gesetzeswortlaut des § 14 Abs 1 Z 1 DO 1994 für die Einschränkung der Vollanrechnung auf Tätigkeiten in der Hoheitsverwaltung keinen Anhaltspunkt bietet (9 ObA 19/09y uva).
Strittig ist im Revisionsverfahren die Frage, ob die Klägerin in der Zeit vom 12. 8. 1985 bis 8. 7. 1991 bei einer ausländischen Gebietskörperschaft beschäftigt war. Richtig ist, dass die Frage der Vergleichbarkeit von Beschäftigungszeiten - hier also die Frage, ob die Vordienstzeiten der Klägerin in Bulgarien der Beschäftigung in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft gleichzuhalten seien - nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen ist (EuGH 12. 3. 1998, C-187/96, Kommission/Republik Griechenland, Slg 1998, I-1095; 9 ObA 19/09y; 8 ObA 10/09t ua). Die Revisionswerberin bezweifelt, dass in Bulgarien alle Arbeitnehmer beim Staat beschäftigt gewesen seien, ist aber darauf zu verweisen, dass das vorliegende Verfahren keine Anhaltspunkte für die Annahme ergab, dass die Klägerin zwar bei einer „staatlichen Einrichtung“ beschäftigt gewesen, deren Träger aber nicht der bulgarische Staat gewesen sei. Für die Existenz eines anderen als Dienstgeber in Betracht kommenden Rechtsträgers als des bulgarischen Staates fehlt im Fall der Klägerin für den gegenständlichen Zeitraum jeglicher Hinweis. Dass aber der bulgarische Staat als solcher dem österreichischen Verständnis von einer Gebietskörperschaft entspricht (vgl dazu schon 9 ObA 19/09y), wird auch von der Revisionswerberin nicht in Frage gestellt. Aus Überlegungen, dass in Österreich zufolge Ausgliederung staatliche Einrichtungen existieren, die keine Gebietskörperschaften sind, ist für die Beurteilung des Dienstverhältnisses der Klägerin in Bulgarien nichts zu gewinnen. Das Berufungsurteil ist daher hinsichtlich der Bejahung der Kapitalforderung der Klägerin zu bestätigen.
Berechtigt ist hingegen die Revision der Beklagten, soweit sie sich gegen den Zuspruch höherer Zinsen als 4 % richtet. Nach § 49a Satz 2 ASGG gebühren die erhöhten Zinsen gemäß § 49a Satz 1 ASGG nämlich dann nicht, wenn die Verzögerung der Zahlung auf einer vertretbaren Rechtsansicht des Schuldners beruht. Dies ist hier der Fall. Die Beklagte hat im Verfahren erster Instanz nicht nur ausdrücklich das erhöhte Zinsenbegehren der Klägerin bestritten, sondern auch umfangreiches Rechtsvorbringen zur Begründung ihres Rechtsstandpunkts erstattet. Der von der Beklagten eingenommene Rechtsstandpunkt beruhte auf einer vertretbaren Rechtsansicht (vgl 8 ObA 10/09t ua), sodass das Erstgericht zu Recht nur Zinsen gemäß § 1000 Abs 1 ABGB in der Höhe von 4 % zuerkannt hat. In teilweiser Stattgebung der Revision war daher insoweit das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 43 Abs 2, 50 ZPO. Der Klägerin sind die gesamten Kosten der Berufungsbeantwortung und der Revisionsbeantwortung zu ersetzen, weil sie nur mit einem Teil des Zinsenbegehrens unterlegen ist. Hingegen ist die Klägerin zur Gänze mit ihrer Berufung gegen den Nichtzuspruch höherer Zinsen als 4 % durch das Erstgericht unterlegen. Insoweit besteht ein Ersatzanspruch der Beklagten für die Kosten ihrer Berufungsbeantwortung, der mit dem höheren Ersatzanspruch der Klägerin für deren Berufungsbeantwortung aufzurechnen war (Fucik in Rechberger, ZPO² § 43 Rz 2 mwN ua). Dabei war zu beachten, dass die Bemessungsgrundlage für die Berufungsbeantwortung der Beklagten mit dem Höchstbetrag des § 12 Abs 4 RATG (= der Hälfte des ursprünglich eingeklagten Kapitalsbetrags) anzusetzen war.
Schlagworte
11 Arbeitsrechtssachen,Textnummer
E94082European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:009OBA00058.09H.0511.000Im RIS seit
07.07.2010Zuletzt aktualisiert am
30.09.2011