TE OGH 2010/5/11 9ObA69/09a

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Veröffentlicht am 11.05.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Eva Pernt und Mag. KR Michaela Haydter als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** B*****, vertreten durch Mag. Martin Reihs, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei F***** GmbH in Liquidation, *****, vertreten durch Petsch Frosch Klein Arturo, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kündigungsanfechtung (Streitwert 21.800 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Februar 2009, GZ 8 Ra 100/08x-52, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 18. Februar 2008, GZ 1 Cga 12/07a-47, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.327,68 EUR (darin 221,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

              Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass zur Frage, ob bei einem Sozialvergleich auch Arbeitnehmer einbezogen werden können, die zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr im Betrieb beschäftigt seien, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege. Dieser Begründung des Zulassungsausspruchs schloss sich die Revisionswerberin an. Die Revisionsgegnerin bestritt demgegenüber ausdrücklich das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und wendete ein, dass die vom Berufungsgericht als erheblich qualifizierte Frage für die Revisionsentscheidung nicht präjudiziell sei. Es werde deshalb die Zurückweisung der Revision der Klägerin beantragt.

Rechtliche Beurteilung

              Der Oberste Gerichtshof ist bei Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

              Die Klägerin war bei der Beklagten seit 11. 1. 1999 als Näherin von Sieben beschäftigt. Mit Schreiben der Beklagten vom 26. 4. 2006 wurde die Klägerin zum 31. 7. 2006 gekündigt. Der Betriebsrat hatte zuvor gegen die Kündigungsabsicht der Beklagten ausdrücklich Widerspruch erhoben, focht allerdings die Kündigung nicht an. Mit der vorliegenden Klage ficht die Klägerin die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit an und begehrt auch einen Sozialvergleich mit anderen Arbeitnehmern der Beklagten. Diese seien weitaus jünger als die Klägerin, ein Arbeitsplatzwechsel hätte sie weniger schwer getroffen. Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass die gegenständliche Kündigung wesentliche Interessen der Klägerin iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG beeinträchtigte. Es ist auch nicht strittig, dass die Kündigung durch betriebliche Erfordernisse der Beklagten, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG entgegenstanden, begründet war. Umstritten ist jedoch der von der Klägerin angestrebte Sozialvergleich gemäß § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG, den sie im Revisionsverfahren nur mehr in Bezug auf zwei ehemalige Arbeitnehmer der Beklagten angewendet wissen will.

              In diesem Zusammenhang tauchte im Berufungsverfahren die dem Zulassungsausspruch zugrundegelegte Frage auf, ob in den Sozialvergleich auch Arbeitnehmer einbezogen werden können, die zum Zeitpunkt der Entscheidung (des Gerichts über die Kündigungsanfechtung) nicht mehr im Betrieb beschäftigt seien. Diese Frage ist jedoch, wie die Revisionsgegnerin zutreffend einwendet, nicht „präjudiziell“ (vgl dazu Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 502 Rz 10, 60 mwN; 9 ObA 125/08k ua), weil die Sachentscheidung nicht von der Lösung dieser Frage abhängt. Sie wäre nur dann zu lösen, wenn - aufgrund ausreichenden Vorbringens der die Kündigung anfechtenden Partei - tatsächlich ein Sozialvergleich durchzuführen wäre. Dies ist hier aber nicht der Fall.

              Die Kündigung kann gemäß § 105 Abs 3 ArbVG beim Gericht angefochten werden, wenn sie sozial ungerechtfertigt und der gekündigte Arbeitnehmer bereits sechs Monate im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, beschäftigt ist. Sozial ungerechtfertigt ist eine Kündigung, die wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG), es sei denn, der Betriebsinhaber erbringt den Nachweis, dass die Kündigung durch betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen, begründet ist (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG). Hat der Betriebsrat gegen eine derartige Kündigung ausdrücklich Widerspruch erhoben, so ist die Kündigung des Arbeitnehmers sozial ungerechtfertigt, wenn ein Vergleich sozialer Gesichtspunkte für den Gekündigten eine größere soziale Härte als für andere Arbeitnehmer des gleichen Betriebs und derselben Tätigkeitssparte, deren Arbeit der Gekündigte zu leisten fähig und willens ist, ergibt (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG).

              Soll ein solcher Sozialvergleich erfolgen, dann muss nicht nur eine bestimmte Vergleichsperson namhaft gemacht werden, es muss auch ein entsprechendes Vorbringen erstattet werden (RIS-Justiz RS0051837, RS0051897 ua). Dieses Vorbringen muss nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG dartun, dass die Kündigung für die gekündigte Person eine größere soziale Härte darstellt als für einen anderen Arbeitnehmer des gleichen Betriebs und derselben Tätigkeitssparte. Um das Ausmaß der sozialen Härte für die gekündigte Person mit jenem für die Vergleichsperson vergleichen zu können, bedarf es der Substantiierung und genauen Beleuchtung der persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der in den Sozialvergleich einzubeziehenden Personen einschließlich der jeweiligen Beschäftigungszeit im Betrieb und der jeweiligen individuellen Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG; RIS-Justiz RS0051417 ua). Zutreffend wies das Berufungsgericht darauf hin, dass die Klägerin diesbezüglich so gut wie kein Vorbringen erstattet hat. Die bloße Behauptung der anfechtenden Partei, ein anderer Arbeitnehmer wäre jünger als der gekündigte Arbeitnehmer, genügt nicht. Bei entsprechender Betriebsgröße wird es meistens einen anderen Arbeitnehmer geben, der jünger ist als der gekündigte Arbeitnehmer. Der Sozialvergleich wird nicht automatisch durch das Alter der Vergleichspersonen entschieden. Vom Senat wird nicht verkannt, dass ein höheres Lebensalter eines Arbeitnehmers häufig mit Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess einhergeht. Die Klägerin nannte aber nicht einmal das Alter der Vergleichspersonen. Sie stellte auch keinen konkreten Vergleich an, in welchem Ausmaß sich ihr eigenes Alter und das jeweilige Alter der Vergleichspersonen bei der Wiedereingliederung auf dem Arbeitsmarkt auswirken. Bloße Pauschalbehauptungen, die Vergleichspersonen seien „wesentlich jünger“ und hätten es „wesentlich leichter“, reichen für einen Sozialvergleich nicht aus.

Es bleibt einem gekündigten Arbeitnehmer unbenommen, wieviele Arbeitnehmer er in den angestrebten Sozialvergleich einbeziehen will. Generell ist dabei aber zu beachten, dass es nicht die Aufgabe des Gerichts oder eines von ihm bestellten Sachverständigen ist, die Vergleichspersonen für den gekündigten Arbeitnehmer zu suchen und auszuwählen. Dem Erfordernis der namentlichen Benennung der Vergleichspersonen (9 ObA 323/92, 9 ObA 324/92 ua) kam die Klägerin - nach mehr als einjähriger Prozessdauer - letztlich nach. Ob es sinnvoll ist, möglichst viele Vergleichspersonen zu benennen, braucht hier nicht erörtert zu werden. Die Benennung von 13 anderen Arbeitnehmern entband sie aber jedenfalls nicht von der vorstehend behandelten Konkretisierung der für die Beurteilung der sozialen Härte der Kündigung bei ihr und jeder einzelnen Vergleichsperson maßgeblichen Umstände. Dieser Anforderung kam die Klägerin allerdings - trotz Erörterung durch das Erstgericht und obwohl sie sich schon vorher in einem Schriftsatz ausdrücklich zu der sie treffenden Beweislast bekannt hatte - nicht nach.

              Es genügt im Übrigen auch nicht, dass die vom Anfechtungswerber benannte Vergleichsperson im selben Betrieb beschäftigt ist. Sie muss gemäß § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG auch in derselben Tätigkeitssparte wie die gekündigte Person beschäftigt sein. Es reicht auch nicht aus, dass der Anfechtungswerber willens ist, die Arbeit der Vergleichsperson zu leisten; er muss dazu auch gemäß § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG fähig sein. Die Beurteilung dieses Umstands setzt ebenfalls wieder ein entsprechend detailliertes Vorbringen des Anfechtungswerbers voraus, welche konkrete Tätigkeit die Vergleichsperson im selben Betrieb und in derselben Tätigkeitssparte verrichtet, welche Anforderungen damit verbunden sind und welche Anforderungen der Anfechtungswerber zu leisten in der Lage ist. Weder das Gericht noch ein allfälliger Sachverständiger können dem Anfechtungswerber die Erstattung dieses Vorbringens abnehmen. Die vom Erstgericht dennoch - ohne entsprechendes Vorbringen der Klägerin - ansatzweise getroffenen überschießenden Feststellungen erlauben im vorliegenden Fall noch keine verlässliche Beurteilung der sozialen Härte der Kündigung bei der Klägerin und den Vergleichspersonen (vgl 9 ObA 153/05y ua). Eine Aufhebung der Instanzentscheidungen, damit weitere überschießende Feststellungen getroffen werden, kommt nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0040308 ua). Aus überschießenden Feststellungen, denen kein Vorbringen gegenübersteht, kann keine erhebliche Rechtsfrage abgeleitet werden (9 ObA 43/08a ua).

              Zusammenfassend mag die vom Berufungsgericht als erheblich qualifizierte Frage von rechtlichem Interesse sein; sie muss aber fallbezogen nicht gelöst werden, weil auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens in erster Instanz kein Sozialvergleich vorgenommen werden kann. Die dem Zulassungsausspruch zugrundegelegte Frage ist somit nicht präjudiziell und vermag daher die Zulässigkeit der Revision nicht zu tragen. Mangels Geltendmachung einer anderen erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, die fallbezogen gelöst werden muss, ist die Revision der Klägerin - ungeachtet ihrer Zulassung durch das Berufungsgericht - zurückzuweisen.

              Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung ausdrücklich auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen (vgl RIS-Justiz RS0035979 ua).

Schlagworte

11 Arbeitsrechtssachen,

Textnummer

E94103

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:009OBA00069.09A.0511.000

Im RIS seit

07.07.2010

Zuletzt aktualisiert am

29.02.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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