Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. ***** G***** Gesellschaft m.b.H. & Co KG, *****, und 2. H***** Gesellschaft m.b.H., *****, beide vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*****-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Doralt Seist Czoklich, Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, wegen 18.500 EUR sA (erstklagende Partei) und 6.500 EUR sA (zweitklagende Partei), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. April 2009, GZ 1 R 42/09t-16, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 15. Dezember 2008, GZ 27 Cg 107/07a-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen, und zwar die erstklagende Partei 1.212,80 EUR (darin enthalten 202,14 EUR USt) und die zweitklagende Partei 404,25 EUR (darin enthalten 67,37 EUR USt).
Text
Begründung:
Gemäß § 9 Abs 6 des Bundesstraßenmautgesetzes (BStMG) in der - hier relevanten - Fassung vor der Novelle BGBl I Nr 82/2007 kann der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen für Mautabschnitte, die in § 10 Abs 2 BStMG genannt sind oder deren Herstellung, Erweiterung und bauliche und betriebliche Erhaltung überdurchschnittliche Kosten verursachen, höhere Mautabschnittstarife festsetzen. § 10 Abs 2 BStMG zählt jene Mautabschnitte auf, für die die Kläger eine erhöhte Maut zu entrichten hatten. Die entsprechenden Tarife ergeben sich aus § 2 der aufgrund von § 9 Abs 2 BStMG erlassenen Mauttarifverordnung.
Die Kläger begehren die Rückzahlung der von der Beklagten eingehobenen Sondermauttarife für Teilbereiche der A 10 und der S 16. Die Wortfolge „die in § 10 Abs 2 genannt sind oder“ in § 9 Abs 6 BStMG aF sei wegen des Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig. Die §§ 2, 3 und 4 der Mauttarifverordnung seien gesetzwidrig. Den genannten Normen fehle eine sachliche Begründung. Erhöhte Herstellungs- und Erhaltungskosten seien für die genannten Mautabschnitte nicht angefallen. Durch § 9 Abs 6 BStMG würden Unternehmen, die ihre Produkte vorwiegend in Ostösterreich vertreiben, unsachlich gegenüber solchen bevorzugt, welche in West- und Südösterreich im Bereich der genannten Mautabschnitte tätig sind.
Die Beklagte bestritt die Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Gesetzesbestimmung. Die Festsetzung höherer Mautabschnittstarife für die in § 10 Abs 2 BStMG genannten Strecken sei aufgrund der örtlichen Umweltsituation und des Nachbarschutzes zulässig. Bei den in § 10 Abs 2 BStMG angeführten Strecken seien die Finanzierungsaufwendungen deutlich höher als bei anderen Bundesstraßen und im Hinblick auf ihre Lage in inneralpinen Gebieten seien erhöhte Kosten für ihre betriebliche Erhaltung und die Gewährleistung sicherer Verkehrsbedingungen erforderlich.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Sie stellten fest, dass die betroffenen Autobahnabschnitte überdurchschnittlich kostenintensiv sind. Rechtlich erwog das Berufungsgericht, aus den Gesetzesmaterialien zu § 9 Abs 6 BStMG aF lasse sich durchaus eine sachliche Begründung für die Einhebung einer erhöhten Maut auf den in § 10 Abs 2 BStMG genannten Mautabschnitten entnehmen, nämlich deren Lage in sensiblen hochalpinen Gebieten. Es liege weder eine gleichheitswidrige, noch unbestimmte Gesetzeslage vor, weshalb das Berufungsgericht der Anregung der Kläger auf Einleitung des Verfahrens gemäß Art 89 Abs 2 B-VG iVm Art 140, 139 B-VG nicht nähertrat. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Rückforderung von an die Beklagte bezahlten Mautentgelten fehle und die Frage der Verfassungsmäßigkeit der präjudiziellen Bestimmungen des BStMG 2002 in der hier maßgeblichen Fassung und der darauf beruhenden Mauttarifverordnung von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung sei.
Die Kläger machen in ihrer Revision geltend, dass der Verfassungsgerichtshof ihren Individualprüfungsantrag zurückgewiesen und sie auf den Rechtsweg verwiesen habe. Sie wiederholen ihren Standpunkt, dass für jene Mautabschnitte, die in § 10 Abs 2 BStMG 2002 (aF) ausdrücklich genannt seien, höhere Mautabschnittstarife festgesetzt würden, ohne dass für diese Autobahnabschnitte zusätzliche Kriterien erfüllt werden müssten. Es werde daher die Prüfung der oben genannten Wortfolge des § 9 Abs 6 BStMG 2002 (aF) angeregt, weil diese gegen den Gleichheitssatz verstoße. Dieser verbiete es nämlich dem Gesetzgeber, andere als sachlich begründbare Differenzierungen zu schaffen. Die Gesetzesbestimmung sei auch unbestimmt im Sinne von Art 18 B-VG.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Kläger ist nicht zulässig.
1. Abgesehen davon, dass der Umstand, dass die zu lösenden Fragen in einer Vielzahl von Fällen auftreten, für sich allein nicht ihre Erheblichkeit iSd § 502 Abs 1 ZPO bewirkt (RIS-Justiz RS0042816), begründet auch das Fehlen höchstgerichtlicher Judikatur, die ausdrücklich zur Verfassungsmäßigkeit bestimmter gesetzlichen Bestimmungen Stellung nimmt, nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0122865). Ebenso liegt keine die Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigende Rechtsfrage vor, wenn der Oberste Gerichtshof die verfassungsrechtlichen Bedenken des Rechtsmittelwerbers wegen klarer Gesetzeslage nicht teilt (RIS-Justiz RS0116943). Das ist hier der Fall:
2. Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass die betroffenen Autobahnabschnitte überdurchschnittlich kostenintensiv sind, weil sie im überwiegenden Ausmaß im Gebirgsbereich liegen und demnach höhere Erhaltungskosten mit sich ziehen. Aus den Materialien zu § 9 Abs 6 BStMG 2002 aF ergibt sich nach Auffassung der Vorinstanzen, dass die in § 10 Abs 2 BStMG genannten Mautstrecken in sensiblen alpinen Gebieten liegen und sensible oder aufwändige Streckenabschnitte bilden. Aus dieser Überlegung erachtete das Berufungsgericht die höheren Mautabschnittstarife für die hier betreffenden Mautstrecken als sachlich gerechtfertigt; die betreffenden Regelungen seien auch ausreichend bestimmt.
3. Der Senat hält die Beurteilung des Berufungsgerichts für vertretbar und hegt seinerseits keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der oben angeführten Bestimmungen des BStMG 2002 aF und der darauf beruhenden Mauttarifverordnung.
3.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt bei der Beurteilung des aus dem Gleichheitssatz abgeleiteten Sachlichkeitsgebots für Gesetze die Auffassung, dass es dem Gesetzgeber nicht verwehrt sei, „einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen“. Er darf von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen. Der Verfassungsgerichtshof hat auch aus Erfordernissen des Umweltschutzes eine sachliche Rechtfertigung abgeleitet (Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht4 [2007] 571 f).
3.2. Die Formulierung „oder“ in § 9 Abs 6 BStMG aF (nunmehr in § 9 Abs 7 BStMG nF „klargestellt“) mag zwar sprachlich nicht überaus geglückt (gewesen) sein, im Zusammenhang mit den Gesetzesmaterialien ergibt sich aber eindeutig, dass die in § 10 Abs 2 BStMG genannten Strecken „in sensiblen alpinen Gebieten liegen“ und somit erhaltungsintensiver als durchschnittliche Strecken sind. Abgesehen davon findet die höhere kostenmäßige Belastung des Benützers im Vergleich zu anderen Strecken ihre sachliche Rechtfertigung auch im Umweltschutz. Dieser wird auch vom EuGH als tragfähiger Grund für bestimmte Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Verkehrs anerkannt (vgl 1 Ob 57/04w mwN).
3.3. Vertretbar ist auch die Auffassung des Berufungsgerichts im Hinblick auf die Bestimmtheit der genannten Regelungen im Lichte des Art 18 B-VG. Schließlich sind die betroffenen Mautstrecken ausdrücklich im Gesetz genannt (§ 10 Abs 2 BStMG). Die Rechtsunterworfenen können ihr Verhalten danach einrichten (vgl Mayer aaO 136).
4. Die wegen des Fehlens von erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässige Revision der Kläger war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 46 und 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass ihre Revisionsbeantwortung der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung diente. Aufgrund der erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung der Kläger am Rechtsstreit (etwa Verhältnis 3 : 1), waren die von ihnen zu leistenden Ersatzanteile nach diesem Verhältnis zu bestimmen.
Textnummer
E94101European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00151.09Y.0511.000Im RIS seit
07.07.2010Zuletzt aktualisiert am
07.07.2010