Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gentijana A***** und Hysni S***** wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 12. Februar 2010, GZ 13 Hv 184/09s-18, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Gentijana A***** und Hysni S***** des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB schuldig erkannt.
Danach haben sie am 17. September 2009 in Gabelhofen im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter Verfügungsberechtigten des Geschäfts K***** fremde bewegliche Sachen, nämlich Jeans im Wert von 149 Euro sowie einen Ledergürtel im Wert von 44,95 Euro, somit Waren im Gesamtwert von 193,95 Euro, mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei sie auf frischer Tat [betreten] Gewalt gegen den als Privatdetektiv im Geschäft tätigen Emmerich K***** anwendeten, um sich oder einem Dritten die weggenommenen Sachen zu erhalten, indem Gentijana A***** Emmerich K***** mit beiden Händen einen Stoß versetzte sowie auf ihn einschlagen wollte (US 5) und Hysni S***** mit seinem Pkw auf Emmerich K***** zufuhr, sodass dieser einen schnellen Schritt zur Seite machen musste, um nicht vom Fahrzeug überfahren zu werden.
Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten jeweils aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 10 StPO.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Erstangeklagten Gentijana A*****:
Entgegen der in der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) vorgetragenen Kritik hat der Schöffensenat die Konstatierung, die Genannte habe Emmerich K***** mit beiden Händen einen Stoß versetzt und weiters versucht, mit beiden Händen auf ihn einzuschlagen (US 5), auf die Depositionen des Letzteren vor der Polizei (ON 2 S 18) sowie in der Hauptverhandlung (ON 17 S 9 ff) gestützt und - logisch und empirisch unbedenklich - dargelegt, weshalb der Verantwortung der Beschwerdeführerin, die lediglich eine Abwehrhandlung einräumte (ON 17 S 7), kein Glauben geschenkt wurde (US 6 f).
Der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen (aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks) führende kritisch-psychologische Vorgang als solcher ist der Anfechtung mit Mängelrüge entzogen (RIS-Justiz RS0106588; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431).
Soweit sie eine fehlende Auseinandersetzung zur Frage der Intensität des geführten Stoßes vermisst, zeigt die Nichtigkeitswerberin wegen fehlender Bezugnahme auf ein bestimmtes, in der Hauptverhandlung vorgekommenes Verfahrensergebnis keinen Begründungsmangel im Sinne der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO auf, sondern unternimmt bloß den (im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen) Versuch, aus der Schilderung des Zeugen K*****, wonach er durch den Stoß nicht verletzt worden und auch nicht umgefallen sei (ON 17 S 15), eigene, für sie günstigere Schlüsse abzuleiten.
Unter den Begriff der Gewalt im Sinne des § 131 StGB fällt im Übrigen jeder Einsatz einer physischen Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder vermeintlichen Widerstands, wobei eine besondere körperliche Kraftanstrengung nicht erforderlich ist; genug daran, dass es gerade der tätergewollte Krafteinsatz ist, der einen anderen dazu veranlasst, von seinem Bestreben, die weggenommene Sache wieder zu erlangen, Abstand zu nehmen und der solcherart dazu führt, dass der Dieb den Gewahrsam an der Diebsbeute aufrecht erhalten kann. Dass die Intensität der aufgewendeten physischen Kraft eine zur Willensbrechung beim Opfer geeignete Schwere erreicht hat, ist nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0093597).
Die Tatsachenrüge (Z 5a) moniert zunächst das Unterbleiben einer vollständigen amtswegigen Ausschöpfung aller dem Gericht zugänglichen Beweismittel, legt aber nicht dar, welcher weiteren Beweise es zur Erforschung der materiellen Wahrheit bedurft hätte und wodurch die Beschwerdeführerin an der Ausübung ihres Rechts, entsprechende Beweisaufnahmen in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen, gehindert gewesen sei; solcherart verfehlt sie die gesetzeskonforme Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480; RIS-Justiz RS0115823, RS0114036).
Mit der (von beiden Beschwerdeführern) geäußerten Kritik, die Tatrichter hätten eine Würdigung der Umstände unterlassen (der Sache nach Z 5 zweiter Fall), dass die Erstangeklagte selbst Kratzspuren an den Unterarmen erlitten, die Polizei verständigt und sich dann mit einer freiwilligen Nachschau in ihrer Tasche und im Fahrzeug einverstanden erklärt habe, wird - wie mit der Behauptung, Emmerich K***** habe sich fragwürdig verhalten, weil er seinen Ausweis nicht vorgezeigt und weder das Kennzeichen des Fahrzeugs der Angeklagten notiert noch die Polizei verständigt habe - weder eine entscheidende noch eine erhebliche Tatsache angesprochen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399, 409), zumal die Angeklagten vor der freiwilligen Nachschau (die hinsichtlich der Beute ergebnislos blieb) einige Zeit unbeobachtet waren (US 5; ON 2 S 6, ON 17 S 7 und 13).
Soweit mit dieser Argumentation die Glaubwürdigkeit des Zeugen K***** in Frage gestellt werden soll, übersehen die Beschwerden, dass der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen (s fallbezogen US 6 unter Einbeziehung der in den Rechtsmitteln thematisierten Umstände) aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch-psychologische Vorgang als solcher einer Anfechtung (auch - s oben zu Z 5) aus Z 5a des § 281 Abs 1 StPO entzogen ist (RIS-Justiz RS0099649).
Die gegen die Annahme eines durch Gewaltanwendung qualifizierten Diebstahls (§ 131 StGB) gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) lässt die Gesamtheit der tatrichterlichen Feststellungen außer Betracht, indem sie nur die Handlungen der Erstangeklagten rechtlich beurteilt; wirken allerdings - wie hier - mehrere Personen an der Ausführung einer strafbaren Handlung im gemeinsamen Einverständnis (das auch während der Tatbegehung spontan zustande kommen kann) zusammen, so sind ihre Handlungen als einheitliches Ganzes aufzufassen, weshalb jeder Täter nicht bloß das eigene, sondern auch das Verhalten des Mittäters und den aus ihrer gemeinsamen Tätigkeit hervorgegangenen Erfolg verantwortet (Fabrizy in WK2 § 12 Rz 26). Fallaktuell wurde das von den Angeklagten beabsichtigte „Erhalten der gestohlenen Gegenstände“ dadurch bewirkt, dass die Erstangeklagte dem Detektiv, der gerade die Beifahrertür des Autos zu öffnen versuchte, einen mit beiden Händen geführten Stoß versetzte und weiter auf ihn einzuschlagen suchte, worauf der Zweitangeklagte mit dem von ihm gelenkten Fahrzeug zurückfuhr, sodass der nunmehr hinter dem Fahrzeug stehende Zeuge Emmerich K***** weichen musste, um nicht überfahren zu werden (US 5 und 8).
Der Vollständigkeit halber (§ 290 Abs 1 Satz 2 erster Fall StPO) ist überdies auf den bereits oben dargestellten, in der Judikatur weiter als in Teilen der Literatur (Bertel in WK2 § 131 Rz 2, 3; im Sinne der Rechtsprechung etwa Kienapfel/Schmoller, StudB BT II § 131 Rz 14) gesehenen Gewaltbegriff zu verweisen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Zweitangeklagten Hysni S*****:
Die als unbegründet (Z 5 vierter Fall) bemängelte Feststellung, der Zweitangeklagte habe Emmerich K***** hinter seinem Fahrzeug wahrgenommen (US 5), ergibt sich aus der als glaubwürdig erachteten Schilderung dieses Zeugen (US 5 f; ON 17 S 13) und steht auch mit anderen Beweismitteln - insbesondere mit der Verantwortung des Zweitangeklagten, wonach er in den Rückspiegel geblickt habe (ON 17 S 9) - nicht im Widerspruch.
Die Argumente der Tatsachenrüge (Z 5a) wurden bereits im Rahmen der Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde der Erstangeklagten behandelt.
Soweit der Zweitangeklagte in der Subsumtionsrüge (Z 10) behauptet, ein „Rückwärtsausparken“ sei nicht als Gewalthandlung im Sinne des § 131 StGB zu werten, verfehlt er mangels einer - bei Darlegung materiellrechtlicher Nichtigkeit erforderlichen - Zugrundelegung sämtlicher Urteilsfeststellungen (nämlich, dass der Zweitangeklagte in der Absicht, sich oder einem Dritten die weggenommenen Sachen zu erhalten, sein Fahrzeug startete, den Rückwärtsgang einlegte und nach hinten fuhr, sodass der von ihm wahrgenomme Emmerich K***** einen schnellen Schritt zur Seite machen musste, um nicht überfahren zu werden [US 5]), die gebotene Ausrichtung am Verfahrensrecht. Dass diese Feststellungen den Erfordernissen des § 131 StGB nicht genügten und es auf ein „Auf-die-Seite-Springen-Müssen“ des Opfers ankäme, wird von der Beschwerde bloß begründungslos unterstellt, jedoch nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz abgeleitet (vgl Jerabek in WK2 § 74 Rz 35).
Die ebenfalls vorgetragene Rechtsauffassung, aufgrund des Umstands, „dass sich die Tasche bereits im Fahrzeug des Zweitangeklagten befand“, sei eine vom § 131 StGB erfasste Situation nicht mehr gegeben gewesen und das Zurücksetzen des Fahrzeugs sei erst zu einem Zeitpunkt gesetzt worden, zu welchem die Qualifikationsmerkmale des § 131 StGB nicht mehr verwirklicht werden konnten, legt nicht dar, weshalb der (unmittelbar nach dem Ergreifen der Sache durch den Dieb beginnende) Zeitraum, in welchem die angewendete Gewalt für den Tatbestand des § 131 StGB relevant ist, bereits beendet gewesen wäre. Nach den vom Schöffengericht getroffenen Feststellungen waren beide Beschwerdeführer vom Detektiv bei Verlassen des Geschäfts bis zum Parkplatz verfolgt und die Erstangeklagte überdies aufgefordert worden, ihre Tasche zu öffnen (US 4). Weshalb die Diebsbeute solcherart bereits in Sicherheit gebracht worden sei, als die beiden Angeklagten gegen ihren Verfolger vorgingen, zeigt die Beschwerde nicht auf (vgl der Vollständigkeit halber die bei Mayerhofer, StGB6 § 131 E 1 und 3 zitierte Judikatur).
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren somit - aus den schon von der Generalprokuratur dargelegten Gründen, jedoch entgegen der dazu vom Zweitangeklagten erstatteten Äußerung - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen erfolgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E94118European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0110OS00048.10H.0518.000Im RIS seit
03.09.2010Zuletzt aktualisiert am
10.09.2010