Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christine G*****, vertreten durch Dr. Andreas Rudolph und Dr. Sigrid Urbanek, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagten Parteien 1. Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, 2. Land Niederösterreich, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, und 3. B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Thomas Lederer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 69.049,60 EUR sA, über die außerordentliche Revision (Revisionsinteresse 28.447,41 EUR sA) und den Rekurs (Rekursinteresse 49.522,53 EUR sA) der klagenden Partei gegen das Teilzwischen- und Teilurteil bzw den Beschluss (Punkt 3.) des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. August 2009, GZ 14 R 35/09h-99, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 20. September 2008, GZ 34 Cg 1/99i-90, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Die Revision wird zurückgewiesen.
II. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.666,80 EUR (darin enthalten 277,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft, die durch einen Hausbrunnen mit Trinkwasser versorgt wurde. Auf einer benachbarten Liegenschaft befindet sich eine Tankstelle. Im November 1996 wurde der Hausbrunnen der Klägerin durch ausgetretenes Benzin verunreinigt.
Die Klägerin machte zuletzt folgende Forderungen geltend:
1. Kosten für Mineralwasser 1.348,08 EUR/18.550 ATS
2. Kosten für Privatgutachten 6.001,27 EUR/82.579,25 ATS
3. Rechtsanwaltskosten 17.441,48 EUR/240.000 ATS
4. Wertminderung 21.075,12 EUR/290.000 ATS
5. Schmerzengeld 5.005,03 EUR/68.870,75 ATS
6. Sanierung Hauseinfahrt 18.178,62 EUR
in Summe 69.049,60 EUR.
Zur Position Wertminderung führte die Klägerin in der Klage Folgendes aus:
„Ich mache aus diesem Grund nur primär geltend (aushilfsweise aus den übrigen weiteren) 290.000 ATS, insgesamt aushilfsweise bis zu 700.000 ATS.“
Diese „aushilfsweise“ Geltendmachung von insgesamt 700.000 ATS sollte auch für die Positionen 2, 3 und 5 des Klagebegehrens gelten. Insgesamt sollte die Summe der Positionen 1 - 5 aber 700.000 ATS nicht überschreiten.
Thema des Revisions-/Rekursverfahrens ist die Zulässigkeit dieses „aushilfsweise“ gestellten Begehrens und seine Behandlung durch die Vorinstanzen.
Rechtliche Beurteilung
I. Zur Revision:
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es für die Zulässigkeit der Revision nicht auf das Revisionsinteresse an, sondern auf den Wert des Streitgegenstands, über den das Berufungsgericht entschieden hat (RIS-Justiz RS0085801). Da dieser über 30.000 EUR lag, ist eine außerordentliche Revision zulässig. Als solche ist das Rechtsmittel der Klägerin ungeachtet des darin enthaltenen Antrags auf Zulassung der ordentlichen Revision zu behandeln.
2. Das Berufungsgericht hat in seinem Teilzwischenurteil ausgesprochen, dass das Klagebegehren, die erstbeklagte und die drittbeklagte Partei seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 21.075,12 EUR (= 290.000 ATS) an Wertminderung samt 4 % Zinsen seit Klagstag zu zahlen, dem Grunde nach zu Recht bestehe. Das Erstgericht hatte das gesamte Klagebegehren gegenüber der erstbeklagten und der zweitbeklagten Partei sowie die „Eventualbegehren“ gegenüber der erstbeklagten und der zweitbeklagten Partei abgewiesen (Pkte 1 bis 3) sowie die drittbeklagte Partei zur Zahlung von 21.075,12 EUR (Wertminderung) sA und von 28.447,12 EUR (Eventualbegehren - Wertminderung) sA verpflichtet (Pkte 8 und 9). Das Berufungsgericht wertete die Entscheidung über 28.447,12 EUR (Eventualbegehren - Wertminderung) als Verstoß gegen § 405 ZPO, der mangels Rüge (durch die drittbeklagte Partei) aber nicht von Amts wegen aufgegriffen werden könne.
3. Die Revisionswerberin meint nun, dass das Teilzwischenurteil den Zuspruch aus dem Titel Wertminderung endgültig auf 21.075,12 EUR beschränke und das Aufgreifen eines gar nicht gerügten Verfahrensmangels eine Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens begründe. Dabei übersieht sie aber zunächst, dass das Berufungsgericht gar keine Konsequenz aus einem Verstoß gegen § 405 ZPO gezogen hat, indem es ein Mehrbegehren aus dem Titel Wertminderung (28.447,12 EUR) abgewiesen hätte. Vielmehr hat das Berufungsgericht ua zur Position Wertminderung eine Verfahrensergänzung angeordnet und (ua deshalb) das Urteil des Erstgerichts, soweit es nicht in Rechtskraft erwachsen ist bzw durch das Teilurteil (Zuspruch von 1.348,08 EUR an Mineralwasserkosten) und das Teilzwischenurteil abgeändert wurde, aufgehoben. Generell widerspricht der Wunsch der Revisionswerberin, im Fall der Abweisung eines auf einen bestimmten Anspruchsgrund gestützten Zahlungsbegehrens diesen Betrag (zB Abweisung von 5.005,03 EUR Schmerzengeld) einem anderen Anspruchsgrund (zB Wertminderung) zuzuordnen, dem Grundsatz, dass von mehreren in einer Klage geltend gemachten Schadenersatzansprüchen jeder ziffernmäßig bestimmt und individualisiert sein muss (RIS-Justiz RS0031014) und die teilweise Aberkennung eines Anspruchs nicht durch einen Mehrzuspruch bei einem anderen ausgeglichen werden kann (RIS-Justiz RS0030516). In diesem Sinn ist die Auffassung des Berufungsgerichts, den aus dem Titel Wertminderung „aushilfsweise“ geltend gemachten Betrag von 700.000 ATS/50.870,98 EUR im Vergleich zu dem unbedingt gestellten Begehren auf Zahlung von 290.000 ATS/21.075,12 EUR aus eben diesem Titel nicht als Eventualbegehren im zivilprozessualen Sinn zu qualifizieren, keine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung (vgl 4 Ob 618/89). Es handelt sich vielmehr um eine bedingte Ausdehnung des Klagebegehrens, die - weil sie die Vorhersehbarkeit des weiteren Prozessablaufs beeinträchtigt - in dieser Form nicht zulässig ist (RIS-Justiz RS0033461; 8 Ob 25/08x). Die im ersten Rechtsgang ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 1 Ob 188/01f zwingt entgegen der Auffassung der Revisionswerberin nicht zu einer anderen Beurteilung: Entscheidungsrelevant war nämlich nur die Schlüssigkeit des in der Klage geltend gemachten Zahlungsbegehrens über insgesamt 700.000 ATS. Der Oberste Gerichtshof wertete - im Gegensatz zu den Vorinstanzen - das aus den Einzelpositionen 1 - 5 zusammengesetzte, die genannte Summe erreichende Zahlungsbegehren als ausreichend bestimmt und damit schlüssig und stellte lediglich klar, dass über jegliches „als Eventualbegehren bezeichnetes Begehren“ erst nach Abweisung des Primär-(Haupt-)Begehrens zu entscheiden wäre.
II. Zum Rekurs:
1. Die Revisionswerberin vertritt die Auffassung, dass die ersatzlose Behebung des Punkts 3 des erstinstanzlichen Urteils (Abweisung der Eventualbegehren gegenüber der erstbeklagten und der zweitbeklagten Partei) der Klägerin die Möglichkeit nehme, insbesondere auch gegenüber der zweitbeklagten Partei einen (Mehr-)Zuspruch aus dem Titel Wertminderung zu erreichen, was analog § 519 Abs 1 Z 1 ZPO mit Rekurs an den Obersten Gerichtshof bekämpfbar sei. Diese Meinung wurde in Lehre und (älterer) Judikatur bereits geteilt (Zechner in Fasching/Konecny² § 519 ZPO Rz 7; Kodek in Rechberger3 § 519 ZPO Rz 9; Rsp 1930, 151). Der Rekurs ist damit zulässig.
2. Seit der - aufgrund des Datums der Entscheidung der zweiten Instanz - bereits anzuwendenden ZVN 2009 beträgt die Rekursfrist im Fall des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO nur mehr 14 Tage. Da aber eine einheitliche Entscheidung des Berufungsgerichts vorliegt, gilt die längere, 4-wöchige Revisionsfrist (RIS-Justiz RS0002105), weshalb auch die Rechtzeitigkeit gegeben ist.
3. Der Rekurs ist aber nicht berechtigt. Wie bereits zu Pkt I. ausgeführt, liegt hier gar kein Eventualbegehren im zivilprozessualen Sinn vor, sondern eine bedingte und in der gewählten Fassung damit unzulässige Ausdehnung des Klagebegehrens. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die ersatzlose Behebung der „Eventualbegehren“ ist damit nicht zu beanstanden.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
Schlagworte
Gruppe: Amtshaftungsrecht,ZivilverfahrensrechtTextnummer
E94253European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0010OB00058.10A.0601.000Im RIS seit
22.07.2010Zuletzt aktualisiert am
08.09.2010