TE OGH 2010/6/1 10Ob27/10h

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Veröffentlicht am 01.06.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Samantha R*****, geboren am 27. September 1999, *****, vertreten durch das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf, Jugendwohlfahrt, Schönkirchner Straße 1, 2230 Gänserndorf), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 9. Februar 2010, GZ 20 R 143/09h-26, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Gänserndorf vom 9. Oktober 2009, GZ 2 PU 297/09p-15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts zu lauten hat:

„Die dem Kind mit Beschluss des Bezirksgerichts Gänserndorf, 2 PU 163/07w-9, vom 15. 01. 2008 gewährten Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 170 EUR monatlich werden mit Ablauf des 30. 9. 2009 eingestellt.

Das darüber hinausgehende Begehren des Kindes, die Vorschüsse auch für den Zeitraum vom 01. 01. 2008 bis 30. 09. 2009 einzustellen, wird abgewiesen.“

Text

Begründung:

Die am 27. September 1999 geborene Samantha R***** ist die Tochter von Siegfried R***** und Renée R*****. Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Gänserndorf vom 26. 8. 2009 geschieden (ON 12).

Der vom Vater für Samantha zu leistende Geldunterhalt wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Gänserndorf vom 15. 11. 2007 (ON 5) ab 1. 6. 2007 mit 170 EUR monatlich festgesetzt. Aufgrund seines am 14. 1. 2008 gestellten Antrags wurden dem Kind mit Beschluss vom 15. 1. 2008 für die Zeit vom 1. 1. 2008 bis 31. 12. 2010 Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe gewährt. Dieser Beschluss ist in Rechtskraft erwachsen.

Am 17. 9. 2009 ersuchte der Jugendwohlfahrtsträger um sofortige gänzliche Innehaltung, da der Vater die Unterhaltszahlungen direkt an die Mutter geleistet habe (ON 10). Die Mutter bestätigte, dass sie den monatlichen Unterhalt von 170 EUR seit der Festsetzung direkt auf ihr Konto überwiesen bekommen habe. Gegenüber dem Jugendwohlfahrtsträger erklärte sie sich zur Rückzahlung der insgesamt ausbezahlten Unterhaltsvorschüsse (3.950,80 EUR) bereit, ersuchte aber im Hinblick auf ihr fehlendes Einkommen um die Möglichkeit einer Ratenzahlung. Der Jugendwohlfahrtsträger ersuchte um Einstellung der Vorschüsse ab Gewährungsbeginn (1. 1. 2008).

              Mit Beschluss vom 9. 10. 2009 (ON 15) stellte daraufhin das Erstgericht die Vorschüsse „mit Ablauf des 1. 1. 2008 (bzw. ab Gewährungsbeginn)“ mit der Begründung ein, dass die Mutter bestätigt habe, dass der Unterhaltsschuldner die monatlichen Unterhaltsbeträge seit Unterhaltsfestsetzung direkt an sie ausbezahlt habe.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, nicht Folge. Nach herrschender Ansicht (10 Ob 55/08y, 10 Ob 100/08s) bestehe auch dann ein Grund für eine Einstellung von Unterhaltsvorschüssen, wenn der Einstellungsgrund materiell bereits am Beginn der Vorschussgewährung vorgelegen, aber erst nach Vorschussbewilligung hervorgekommen sei. In diesem Fall sei die Einstellung rückwirkend ab dem Tag des Beginns der Vorschussgewährung anzuordnen. Die Rechtskraft des Gewährungsbeschlusses stehe der Einstellung der Unterhaltsvorschüsse nicht entgegen, weil der Umstand, dass der Unterhaltsschuldner seine Unterhaltsverpflichtung bereits vollständig erfüllt habe, für das Erstgericht erst mit der Antragstellung des Kindes auf Vorschusseinstellung offenkundig geworden sei; dieser Aspekt sei dem Vorschussgewährungsbeschluss noch nicht zugrunde gelegen.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage der Folgen einer Vorschussgewährung ohne Unterhaltsverletzung keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung in Richtung einer gänzlichen Beseitigung der Beschlüsse der Vorinstanzen betreffend den Zeitraum vom 1. 1. 2008 bis einschließlich 30. 9. 2009.

Die anderen Verfahrensparteien haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist im Hinblick auf die Verkennung der Rechtslage durch das Rekursgericht zulässig; er ist auch berechtigt.

In seinem Revisionsrekurs macht der Bund neuerlich geltend, dass keiner der taxativ aufgezählten Einstellungsgründe vorliege; (entgegen § 26 Abs 2 UVG) direkt an den Erziehungsberechtigten geleistete Unterhaltszahlungen verwirklichten keinen Einstellungsgrund. Mangels Gesetzeslücke sei auch eine Analogie ausgeschlossen.

Diese Ausführungen sind zutreffend.

1. Die - hier evidente - Beeinträchtigung der Rückforderungsmöglichkeiten durch die rückwirkende Vorschusseinstellung begründet eine Beschwer des Bundes (RIS-Justiz RS0076934; 10 Ob 71/09b = RIS-Justiz RS0125542).

2. Nach der dem UVG zugrunde liegenden Konstruktion bleibt das vom Jugendwohlfahrtsträger vertretene Kind ungeachtet der Gewährung von Vorschüssen vorerst Gläubiger des Unterhaltsanspruchs und Schuldner gegenüber dem Bund (RIS-Justiz RS0076924). Der Jugendwohlfahrtsträger (als Vertreter des Kindes) hat für die Eintreibung des Unterhalts beim Unterhaltsschuldner zu sorgen; dieser hat ab Zustellung des Gewährungsbeschlusses an ihn die Unterhaltsbeiträge an den Jugendwohlfahrtsträger zu leisten (§ 26 Abs 2 UVG), worauf er auch im Gewährungsbeschluss hinzuweisen ist (§ 13 Abs 1 Z 4 UVG).

Mit Beendigung der gesetzlichen Vertretung des Jugendwohlfahrtsträgers gehen die noch nicht hereingebrachten Unterhaltsforderungen des Kindes gemäß § 30 UVG auf den Bund über. Bis zum Eintritt der Legalzession hat der Jugendwohlfahrtsträger bei der Eintreibung des Geldunterhalts im Interesse des Kindes unter Berücksichtigung der Regressinteressen des die Vorschüsse auszahlenden Bundes vorzugehen (2 Ob 575/95; 10 Ob 71/09b).

3. Nach § 20 Abs 1 Z 1 UVG sind Vorschüsse auf Antrag des Kindes einzustellen. Dies ist für die Zukunft betrachtet unproblematisch, weil Vorschüsse nicht gegen den Willen des Kindes gewährt werden dürfen. An sich ist auch ein Antrag des Kindes auf rückwirkende Einstellung möglich, allerdings nur im Zusammenhang mit dem Eintritt eines Einstellungsgrundes (§ 20 Abs 2 UVG; 10 Ob 71/09b = RIS-Justiz RS0125543), weil es das durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretene Kind ansonsten in der Hand hätte, die Rechtsposition des Bundes durch einen Antrag auf rückwirkende Einstellung zu beeinträchtigen. Dies würde im Übrigen der unter 2. genannten Aufgabe des Jugendwohlfahrtsträgers widersprechen, auch die Regressinteressen des Bundes zu wahren. In diesem Sinn hat eine Hereinbringung der Unterhaltsforderung gegen den Unterhaltsschuldner gemäß § 26 UVG Vorrang vor einem Rückersatzverfahren nach den §§ 22, 23 UVG.

4. Die Vorschusseinstellungsgründe sind in § 20 Abs 1 UVG erschöpfend aufgezählt (2 Ob 5/07k = RIS-Justiz RS0077219 [T1]).

4.1. Ein - allein in Betracht kommender - Einstellungsgrund nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a und b UVG ist nicht erkennbar: Nach dem Akteninhalt ist weder eine Gewährungsvoraussetzung weggefallen noch ein Versagungsgrund nach § 7 Abs 1 UVG eingetreten.

4.2. Eine Ausdehnung der Einstellungsgründe nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a und b UVG durch Analogie ist im Fall einer planwidrigen Gesetzeslücke nicht ausgeschlossen (7 Ob 601/90 = SZ 63/122; RIS-Justiz RS0077219).

Gerade für den Fall, dass der Unterhaltsschuldner die Unterhaltszahlungen entgegen der im Gewährungsbeschluss enthaltenen rechtskräftigen Anordnung nach § 26 Abs 2 UVG an die erziehungsberechtigte Person und nicht an den Jugendwohlfahrtsträger erbringt, ist eine planwidrige Gesetzeslücke entgegen der Ansicht des Rekursgerichts nicht erkennbar. Zum einen zeigt schon der (zukunftsbezogene) Einstellungsgrund nach § 20 Abs 1 Z 2 UVG, dass nicht einmal eine Vollzahlung des Unterhalts für sich allein einen Einstellungsgrund verwirklicht. Auch die unter 2. dargestellte Konstruktion des österreichischen Unterhaltsvorschusses, spricht gegen eine planwidrige Lücke: Ab Vorschussgewährung hat der Unterhaltsschuldner den Unterhalt zwar weiterhin an das Kind, allerdings zu Handen des Jugendwohlfahrtsträger zu leisten. Tut er das nicht, erfüllt er - anders als das Rekursgericht meint - seine gesetzliche Verpflichtung gegenüber dem Kind nicht. Die Nichtleistung des Unterhalts an den Unterhaltsgläubiger soll aber gerade keinen Anlass für eine Vorschusseinstellung bilden, sondern in der Regel den Vorschussanspruch begründen bzw aufrecht erhalten.

5. Mangels eines Einstellungsgrundes nach § 20 Abs 1 Z 4 UVG waren die Vorschüsse nicht rückwirkend einzustellen, sondern gemäß § 20 Abs 1 Z 1 UVG auf Antrag des Kindes nur für die Zukunft (hier ab 1. 10. 2009). In diesem Sinn sind die Entscheidungen der Vorinstanzen entsprechend dem Antrag des Bundes abzuändern.

Schlagworte

Unterhaltsrecht

Textnummer

E94220

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0100OB00027.10H.0601.000

Im RIS seit

16.07.2010

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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