Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juni 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Lässig, Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Rumpl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Matthias M***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 7. Jänner 2010, GZ 7 Hv 81/09p-22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Matthias M***** im zweiten Rechtsgang (zum ersten 13 Os 41/09t) vierer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I) und ebenso vieler Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II) schuldig erkannt.
Danach hat er in S*****
I. mit der am 5. Juli 1980 geborenen, sohin damals unmündigen Andrea K***** den Beischlaf unternommen, und zwar
1. im Winter 1985/86 „im Wohnzimmer“ dadurch, dass er seinen Penis an ihrer Scheide ansetzte und beischlafähnliche Bewegungen vollzog,
2. im Sommer 1987 „im Schuppen“ dadurch, dass er mit ihr einen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durchführte,
3. im Winter 1988 „im Schlafzimmer“ dadurch, dass er seinen Penis an ihrer Scheide ansetzte, und
4. im Spätsommer/Herbst 1990 in einem Waldstück dadurch, dass er seinen Penis in ihre Scheide einführte;
II. durch die unter Punkt I geschilderten Handlungen mit einer minderjährigen Person, die seiner Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen vom Angeklagten aus (nominell) Z 3 (der Sache nach Z 8), weiters Z 4, 5, 5a und „9“ (ersichtlich gemeint 9 lit a) des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.
Der Verteidiger hatte in der Hauptverhandlung die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zum Beweis dafür beantragt, dass der Angeklagte die in Rede stehenden Taten nicht begangen habe, vielmehr die Zeugin Andrea K***** in allen ihn belastenden Aussagen „nicht persönlich Erlebtes wiedergibt, sondern ihr von Dritten vorgegebenes Wissen“ (ON 21 S 18).
Durch Ablehnung dieses Antrags (ON 21 S 19) wurden Verteidigungsrechte nicht verletzt (Z 4). Gutachten über die Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit von Zeugen sind nur in besonderen Ausnahmefällen einzuholen. Voraussetzung für die psychologische oder psychiatrische Untersuchung des Zeugen ist (abgesehen von seiner Zustimmung), dass objektive Momente seine Fähigkeit, Wahrnehmungen zu machen und diese gedächtnisgetreu wiederzugeben, in Frage stellen. Solche eine nur ausnahmsweise Psychiatrierung eines Zeugen rechtfertigende persönlichkeitsbedingte Zweifel müssen ganz erheblich sein und nach Bedeutung und Gewicht dem Grad der in § 11 StGB erfassten Geistesstörungen nahe kommen (RIS-Justiz RS0097576; Kirchbacher, WK-StPO § 154 Rz 6; vgl Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 9).
Derartiges wurde aber bei der Antragstellung auch mit dem Vorbringen, ein Abgleich der Aussagen der Zeugin mit denen ihrer Mutter lege die Vermutung nahe, dass sie fremdsuggestiven Einflüssen ausgesetzt gewesen sei, zudem würden „an sich typische Begleitumstände derartiger Sexualstraftaten“ fehlen (ON 21 S 18 f), nicht dargetan, ebenso wenig ihre weiters erforderliche Zustimmung zur Untersuchung ihres Geisteszustands (RIS-Justiz RS0108614; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350).
Dem ergänzenden Vorbringen der Verfahrensrüge steht das aus dem Wesen des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes folgende Neuerungsverbot entgegen.
Auch die Mängelrüge (Z 5) geht fehl.
Die Erwägungen der Tatrichter in Ansehung von Ferienaufenthalten von Volksschulkindern bei Großeltern im Allgemeinen und der Aussage der Zeugin Elfriede K***** (US 5, 9) zum konstatierten Aufsichtsverhältnis (US 3; vgl Schick in WK² § 212 Rz 4) lassen den geltend gemachten Widerspruch (Z 5 dritter Fall) nicht erkennen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 438).
Entgegen der Beschwerde (Z 5 vierter Fall) ist unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden, dass das Schöffengericht das Aussageverhalten der Zeugin Andrea K*****, die einräumte, sich an manche Details des Geschehens nicht mehr erinnern zu können, zu Gunsten ihrer Glaubwürdigkeit veranschlagte (US 9 unten f).
Der zum Schuldspruch I/2 geltend gemachte „Widerspruch“ in Betreff des Tatorts (US 1: „Schuppen“; US 3: „Garage“; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 437) betrifft keine subsumtionsrelevante Tatsache.
Die Tatsachenrüge (Z 5a) weckt mit dem vorgebrachten Hinweis auf ohnedies vom Erstgericht bedachte Unstimmigkeiten von Angaben der Zeugin Andrea K***** zum näheren Tatort zu I/2 und 4 (und insoweit auch II; vgl US 4 f) keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen (RIS-Justiz RS0118780).
Nicht zu ersehen ist, weshalb das Urteil im Schuldspruch I/3 eine andere Tat, mit anderen Worten ein anderes historisches Geschehen als die Anklage (ON 9) in Punkt I/3 betreffen soll (formal Z 3, der Sache nach Z 8).
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) geht nicht von den zu I/3 in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen aus, wonach der Angeklagte seinen Penis in die Scheide der Andrea K***** einführte (US 3 Mitte), sondern von der anders lautenden Fassung des für die rechtliche Beurteilung aber irrelevanten Referats der entscheidenden Tatsachen im Urteilsspruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 583 f; RIS-Justiz RS0099810), das übrigens, wie anzumerken bleibt, ein aus dem Blickwinkel des § 206 Abs 1 StGB gleichbedeutendes Geschehen bezeichnet (Schick in WK² § 206 Rz 10; vgl zur inneren Tatseite US 3 unten).
Auch zu I/1 vernachlässigt die Rechtsrüge den konstatierten Sachverhalt, wonach der Angeklagte die Scheide der Andrea K***** mit auf Beischlaf gerichtetem Vorsatz berührte (US 3).
Welche Feststellungen zur inneren Tatseite über die ohnedies getroffenen hinaus (US 3, vgl auch 10) für die vorliegenden Schuldsprüche erforderlich sein sollen (formal auch Z 5, der Sache nach Z 9 lit a), wird in der Beschwerde nicht gesagt.
Die dazu vermisste Begründung (Z 5 vierter Fall) findet sich auf US 10.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E94346European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00021.10B.0617.000Im RIS seit
02.08.2010Zuletzt aktualisiert am
02.08.2010