Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eva-Maria C*****, vertreten durch Dr. Christian Perner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Bernhard R*****, vertreten durch Freimüller Obereder Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Aufkündigung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 6. Mai 2009, GZ 39 R 63/09t-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 15. Dezember 2008, GZ 17 C 722/08x-9, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz, § 528a ZPO).
Die in den USA lebende Klägerin kündigte dem Beklagten die in Wien 9 gelegene Wohnung auf. Als Kündigungsgrund machte sie Eigenbedarf gemäß § 30 Abs 2 Z 8 MRG geltend. Dazu brachte sie im Wesentlichen vor, sie benötige ihre Eigentumswohnung, die ihre einzige Wohnmöglichkeit in Österreich sei, dringend für sich selbst, weil sich der Gesundheitszustand ihrer in Wien lebenden, über 70 Jahre alten Eltern zuletzt deutlich verschlechtert habe. Es sei vorgesehen, dass sie alle sechs Wochen nach Wien kommen und sich jeweils rund zwei Wochen hier aufhalten werde.
Das Erstgericht hob die gerichtliche Aufkündigung vom 29. 9. 2008 als rechtsunwirksam auf und wies das Räumungsbegehren - mit Ausnahme der Einsicht in den Mietvertrag - ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Das Vorbringen der Klägerin reiche nicht aus, um den dringenden Eigenbedarf an der aufgekündigten Wohnung darzutun.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die Klägerin habe ein Vorbringen erstattet, das im Falle seiner Erweisung die Aufkündigung rechtfertigen könnte und deshalb nicht zur sofortigen Aufhebung der Aufkündigung führen hätte dürfen. Der Wunsch der im Ausland lebenden Klägerin, vermehrten Kontakt zu ihren altersschwachen Eltern zu pflegen und sich während eines beträchtlichen Zeitraums des Jahres, nämlich rund 18 Wochen hindurch, an deren Wohnort aufzuhalten, müsse als wichtiges persönliches Bedürfnis gewertet werden. Könne dieses nur durch die Benützung des gekündigten Wohnobjekts befriedigt werden, könnte Eigenbedarf der Klägerin zu bejahen sein. Es handle sich dabei auch nicht bloß um vage, in der Zukunft liegende Umstände, sondern um eine konkrete Absicht der Klägerin.
Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss an den Obersten Gerichtshof mit der Begründung für zulässig, es existiere keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob die Absicht einer im Ausland lebenden Wohnungseigentümerin, sich künftig ca ein Drittel des Jahres in der Nähe ihrer alten, kränklichen Eltern aufzuhalten, dringenden Eigenbedarf an der im Wohnort der Eltern gelegenen Eigentumswohnung begründe.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Beklagten erhobene Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in dessen Zulässigkeitsbegründung noch im Rekurs des Beklagten wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan.
1. Geht es darum, ob das Sachbegehren eines Klägers materiellrechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann, betrifft dies die Schlüssigkeit des Klagebegehrens bzw (wie hier) der gerichtlichen Aufkündigung (vgl 2 Ob 248/05t; RIS-Justiz RS0037516; Rechberger/Klicka in Rechberger, ZPO3 Vor § 226 Rz 13). Dass sich das Sachbegehren aus den vorgetragenen Tatsachen nicht rechtlich ableiten lässt, kann zwei Ursachen haben: Entweder sind die vorgetragenen Tatsachen zu unvollständig geblieben, um die begehrte Rechtsfolge daraus ableiten zu können (Unschlüssigkeit wegen Unvollständigkeit) oder es lässt sich auch im Fall eines ergänzten Sachvortrags der behauptete Tatbestand nicht unter die für die Rechtsfolge maßgebenden Rechtsnormen subsumieren (Unschlüssigkeit im eigentlichen Sinn; 7 Ob 155/09h; Fasching in Fasching/Konecny2 III § 226 ZPO Rz 94). Die Prüfung der Schlüssigkeit erfolgt aufgrund des jeweiligen Tatsachenvorbringens des Klägers in erster Instanz; ihr kommt im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0116144, RS0037780).
Die Vorinstanzen haben die Schlüssigkeit des Sachbegehrens der Klägerin nach beiden Gesichtspunkten geprüft. Während das Erstgericht die Schlüssigkeit verneinte, wurde sie vom Berufungsgericht bejaht. Eine krasse Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof zwecks Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit zu Gunsten des Beklagten wahrgenommen werden müsste, ist ihm dabei nicht unterlaufen:
2. Gemäß § 30 Abs 2 Z 8 MRG ist es als wichtiger Grund, der den Vermieter zur Kündigung des Mietvertrags berechtigt, anzusehen, wenn er die gemieteten Wohnräume für sich selbst oder für Verwandte in absteigender Linie dringend benötigt, wobei, wenn es sich um eine vom Wohnungseigentümer nach Wohnungseigentumsbegründung vermietete Eigentums-wohnung handelt, die sonst vorgesehene Interessenabwägung entfällt. Die jüngere Rechtsprechung geht von einem gemäßigteren Verständnis der im Zusammenhang mit dem dringenden Eigenbedarf ausgeformten Begriffe „Notstand“ und „Existenzgefährdung“ aus (1 Ob 111/01g; 7 Ob 146/06f; 3 Ob 110/09m; 6 Ob 203/09k), wenngleich bei der Beurteilung des dringenden Bedarfs nach wie vor ein strenger Maßstab anzulegen ist (4 Ob 169/09w; 3 Ob 110/09m; 6 Ob 203/09k). Mehrfach wurde ausgesprochen, dass der Eigentümer einer Wohnung in erster Linie sein Eigentum zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses heranziehen darf. Der Vermieter, der über keine ausreichende Wohnmöglichkeit verfügt, darf im Allgemeinen mit seiner Eigenbedarfskündigung nicht schon deshalb auf die Möglichkeit einer anderweitigen Wohnversorgung verwiesen werden, weil eine solche Wohnmöglichkeit an sich gegeben wäre. Bei der Beurteilung, ob ein Wohnsitzwechsel und die damit verbundene Kündigung unabweislich notwendig sind, muss jede Art der Benötigung des Bestandgegenstands, die sich für den Vermieter aus einem wichtigen persönlichen oder wirtschaftlichen Bedürfnis ergibt, das nur durch die Benützung der gekündigten Wohnung befriedigt werden kann, berücksichtigt werden (4 Ob 105/98i; 6 Ob 282/98h; 1 Ob 223/02d; 7 Ob 146/06f mwN; RIS-Justiz RS0068227, RS0109791).
3. Nach den Tatsachenbehauptungen der Klägerin verfügt sie in Österreich über keine ausreichende Wohnmöglichkeit. Als wichtigen persönlichen Grund für den beabsichtigten temporären Wohnsitzwechsel machte sie geltend, sich in der Nähe ihrer alten, kränklichen Eltern aufhalten zu wollen. In den bereits vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen 1 Ob 619/95 und 1 Ob 223/02d wurde das Interesse, verstärkten Kontakt zu den nächsten Angehörigen zu unterhalten bzw den alten kranken Vater zu pflegen, unter den dort jeweils maßgeblichen Begleitumständen iSd § 30 Abs 2 Z 8 MRG als schutzwürdig angesehen. Die auf der Grundlage des Prozessvorbringens der Klägerin vom Berufungsgericht angestellten, oben wiedergegebenen Erwägungen halten sich im Rahmen dieser Judikatur. Die Rechtsansicht, ein dringender Eigenbedarf der Klägerin an der vermieteten Eigentumswohnung könne - selbst bei Anlegung eines strengen Maßstabs - ohne Kenntnis der näheren Umstände nicht schon von vornherein ausgeschlossen werden, begründet daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Eine allgemeine Aussage zu der den Zulassungsausspruch begründenden Fragestellung des Berufungsgerichts kommt schon wegen der typischen Einzelfallbezogenheit der Beurteilung der besonderen Dringlichkeit des Eigenbedarfs nicht in Betracht (vgl 4 Ob 54/07f; 4 Ob 169/09w; 3 Ob 110/09m; RIS-Justiz RS0107878).
4. Da es der Klärung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedurfte, war der Rekurs als unzulässig zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO (vgl RIS-Justiz RS0123222). Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht hingewiesen, weshalb ihr für die Rekursbeantwortung kein Kostenersatz gebührt.
Schlagworte
Streitiges WohnrechtTextnummer
E94398European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0020OB00215.09W.0617.000Im RIS seit
06.08.2010Zuletzt aktualisiert am
22.03.2012