Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juni 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Lässig, Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Rumpl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Goran S***** wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und der Finanzstrafbehörde sowie die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 19. Oktober 2009, GZ 29 Hv 136/09i-111, und die Beschwerde des Angeklagten gegen den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Mag. Holzleithner, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde wird das angefochtene Urteil, das im Schuldspruch unberührt bleibt, im Freispruch (von der Anklage wegen Finanzvergehen) aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Der Berufung der Staatsanwaltschaft, nicht jedoch der des Angeklagten, wird Folge gegeben und die ausgesprochene Freiheitsstrafe auf zwei Jahre erhöht.
Der Beschwerde des Angeklagten wird nicht Folge gegeben.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Goran S***** des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB (I) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.
Danach hat er in Innsbruck
(I) in der Zeit vom 1. Jänner 2004 bis zum 31. Dezember 2008 in dem zu 25 S 7/07m des Bezirksgerichts Innsbruck geführten Schuldenregulierungsverfahren Vermittlungsprovisionen verheimlicht und dadurch die Befriedigung seiner Gläubiger in einem insgesamt 50.000 Euro nicht übersteigenden Ausmaß vereitelt sowie
(II) am 3. August 2008 Zeljko C***** durch wiederholte Tritte gegen Kopf und Körper zahlreiche Prellungen zugefügt.
Unter einem erging ein Freispruch von den Vorwürfen, Goran S***** habe in Innsbruck gewerbsmäßig
(1) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten vorsätzlich Abgabenverkürzungen bewirkt, nämlich für die Jahre 2004 bis 2008 um 167.560,48 Euro an Umsatzsteuer und für die Jahre 2004 bis 2007 um 39.661,16 Euro an Einkommensteuer, sowie
(2) unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von § 76 EStG entsprechenden Lohnkonten bezüglich der Jahre 2004 bis 2008 wissentlich Verkürzungen von Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen um 22.251,95 Euro bewirkt.
Rechtliche Beurteilung
Von den dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden, welche die Staatsanwaltschaft auf Z 4, die Finanzstrafbehörde auf Z 5, (richtig:) 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO stützt, ist nur Letztere im Recht.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Diese bekämpft einerseits den Freispruch und strebt andererseits in Bezug auf den Schuldspruch I eine Verurteilung nach § 156 Abs 1 und Abs 2 StGB an.
Entgegen der Verfahrensrüge wurden jedoch durch die Abweisung (ON 110 S 31 f) des Antrags auf „Einholung sämtlicher sichergestellter Unterlagen und Auswertungen der Daten des PCs des Angeklagten sowie sämtliche Kontoverdichtungen und Bankbelege, die aufgrund der Anordnungen der Staatsanwaltschaft Innsbruck im Ermittlungsverfahren eingeholt wurden, zum Beweis dafür, dass der Angeklagte als faktischer Unternehmer tätig wurde und tatsächliche Strohmänner und Strohfrauen vorschob“ (ON 110 S 31), Parteienrechte nicht verletzt:
Im Hinblick darauf, dass ohnedies zahlreiche Urkunden, die auf Veranlassung der Beschwerdeführerin sichergestellt worden sind, zu den Akten genommen wurden (s insbesonders ON 28, 36, 38, 55a, 77, 83), sind dem Beweisantrag nämlich nicht einmal die angebotenen Beweismittel mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen.
Hinzu kommt, dass der Antrag nicht erkennen ließ, warum die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse und solcherart auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung zielte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330). Der Beschwerde zuwider sind Ausführungen zur Tauglichkeit hier keineswegs aufgrund der Aktenlage entbehrlich, sondern vielmehr zwingend geboten. Im Hinblick darauf, dass die angesprochenen Unterlagen über Anordnung der Beschwerdeführerin zum Zweck der Anklageerhebung sichergestellt worden sind, ist nämlich nicht ersichtlich, aus welchem Grund angeblich vorhandene Urkunden, die im Ermittlungsverfahren nicht zum Akt genommen worden sind, nunmehr Aufschlüsse über schuld- oder subsumtionsrelevante Umstände geben sollen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde:
Diese bekämpft mit Recht den Freispruch vom Vorwurf mehrjähriger Abgabenhinterziehung.
Im Ergebnis zutreffend wendet die Mängelrüge (Z 5) ein, dass die diesbezügliche Urteilsbegründung in sich widersprüchlich ist (Z 5 dritter Fall).
Die von der Anklage umfassten Verkürzungsbeträge errechnen sich nach dem Akteninhalt aus der Geschäftstätigkeit mehrerer Reinigungsunternehmen. Die dabei zu Grunde gelegte Annahme, diese sei wirtschaftlich dem Angeklagten zuzurechnen, erachtete das Erstgericht mit der Begründung als nicht erweislich, die hiezu vernommenen Zeugen hätten nur Gefühle, Eindrücke oder Meinungen, nicht jedoch konkrete Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Anklageprämisse vermittelt, der Angeklagte habe die involvierten Reinigungsunternehmen de facto geleitet (US 16, 19). Bei der konkreten Wiedergabe der Depositionen der insoweit angesprochenen Zeugen Albert O*****, Renate P*****, Elisabeth Sz*****, Helmut H*****, Hannes Sch*****, Anna-Lena M*****, Mag. Tamara V***** und Hasime Sy***** hielten die Tatrichter - im diametralen Gegensatz dazu - aber fest, dass der Angeklagte „seit etlichen Jahren für die U***** als Subunternehmer tätig“ sei und sich dabei „immer unterschiedlicher Firmenbezeichnungen bedient“ habe (US 13), er „unter verschiedenen Firmennamen abgerechnet“, über Anruf Aufträge übernommen und „sodann die Reinigungskräfte organisiert und die Stundenabrechnungen gemacht“ habe, es klar gewesen sei, „dass Goran S***** der Chef bzw Inhaber der Subunternehmerfirma sei“ (US 15), davon ausgegangen wurde, dass der Angeklagte „das Unternehmen M***** Gebäudereinigung leiten würde“ (US 16), der Angeklagte immer der „Ansprechpartner“ bzw die „Ansprechperson“ gewesen und „alles mit ihm erledigt“ worden sei, er „den Vertrag unterfertigt“ habe (US 18) und dass er „der Ansprechpartner gewesen sei und es so schien als ob er der Chef der Firma wäre“ (US 19).
Gründet das Gericht einen Freispruch auf die Annahme, dass ein Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt sei, und trifft es - wie hier - demnach keine Feststellungen zu den übrigen, reicht es unter dem Aspekt erfolgreicher Urteilsanfechtung nicht hin, allein die den Freispruch begründende Annahme zu bekämpfen. Vielmehr ist überdies hinsichtlich jener Tatbestandsmerkmale, zu denen das Urteil keine Konstatierungen enthält, ein Feststellungsmangel (Z 9 lit a) geltend zu machen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 607, 608).
Auch diesem Erfordernis entspricht die Beschwerde, indem sie - wenngleich zum Teil nominell verfehlt aus Z 5 - zusammengefasst vorbringt, die vom gesetzlich geforderten Vorsatz getragene Abgabenhinterziehung sei aufgrund der (in der Hauptverhandlung vorgekommenen) Ergebnisse des abgabenbehördlichen Ermittlungsverfahrens, insbesondere der Berichte der Außenprüfung, des vorgelegten Schriftverkehrs und der sichergestellten (Schein-)Rechnungen, festzustellen gewesen.
Der bekämpfte Freispruch war daher zur Gänze aufzuheben.
Im zweiten Rechtsgang wird schon bei der Befragung der Zeugen besonderes Augenmerk darauf zu legen sein, deren Wahrnehmungen über die im Zusammenhang mit den gegenständlichen Umsätzen entfalteten Tätigkeiten des Angeklagten zu spezifizieren. Dabei werden etwaige Zeugenaussagen, wonach der Angeklagte „Chef“ oder „Ansprechperson“ gewesen sei, in Richtung konkreter Äußerungen oder Tätigkeiten zu hinterfragen sein. Sodann wird im Rahmen der Beweiswürdigung auf der Basis sämtlicher Zeugenaussagen, der Ergebnisse des abgabenbehördlichen Ermittlungsverfahrens sowie aller übrigen im Akt befindlichen Urkunden, insbesondere jener, aus denen Auftragserteilungen, Rechnungslegungen und Geldflüsse hervorgehen, anhand einer den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechenden Gesamtschau die Schuldfrage zu beurteilen sein.
Zu den Berufungen und zur Beschwerde:
Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten nach § 156 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 (zu ergänzen:) Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Monaten (US 3) und wertete dabei das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen und den langen Tatzeitraum, mehrere auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorstrafen, den raschen Rückfall sowie die Tatbegehung während anhängiger Strafverfahren erschwerend, das Geständnis mildernd (US 25).
Ausgehend von der Urteilsannahme, der Angeklagte habe dem Masseverwalter fünf Jahre hindurch Provisionen in der Höhe von zumindest 1.200 bis 1.300 Euro monatlich verschwiegen (US 10), ist der Ansatz der Berufung des Angeklagten, die Schadenshöhe liege im „unteren Bereich“ des § 156 Abs 1 StGB, selbst unter Berücksichtigung der Sorgepflichten gegenüber zwei oder drei minderjährigen Kindern unverständlich.
Eine Einschränkung der Dispositions- oder der Diskretionsfähigkeit des Angeklagten ist nach der Aktenlage nicht objektivierbar, womit ihm der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 11 StGB nicht zu Gute zu halten ist.
Somit ist die Berufung des Angeklagten insgesamt nicht, wohl aber jene der Staatsanwaltschaft im Recht:
Diese wendet zutreffend eine unrichtige Gewichtung der Strafbemessungsgründe ein, weil einem einzigen Milderungsgrund zahlreiche erhebliche Erschwerungsgründe gegenüberstehen. Insbesondere im Hinblick darauf, dass sich der Angeklagte durch mehrere, teils empfindliche Vorstrafen nicht von weiterer Delinquenz abhalten ließ, sondern vielmehr - während anhängiger Strafverfahren und auch unmittelbar nach strafgerichtlichen Verurteilungen - neuerlich Straftatbestände verwirklichte, erweist sich die im untersten Sechstel des Strafrahmens (sechs Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe) ausgemessene Sanktion als nicht tat- und schuldangemessen und war daher auf ein den gesetzlichen Vorgaben entsprechendes Ausmaß zu erhöhen. Zudem war aus den von § 53 Abs 1 StGB genannten Gründen mit Blick auf das Gesagte der Widerruf der zum AZ 22 Hv 6/06s des Landesgerichts Innsbruck gewährten bedingten Strafnachsicht erforderlich.
Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E94343European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00018.10M.0617.000Im RIS seit
29.07.2010Zuletzt aktualisiert am
27.09.2010