TE Vfgh Erkenntnis 1998/6/9 V151/97, V152/97

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Veröffentlicht am 09.06.1998
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6405 Fleischuntersuchung

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsmaßstab
Bgld FleischuntersuchungsgebührenV §6

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit der rückwirkenden Inkraftsetzung einer FleischuntersuchungsgebührenV mangels gesetzlicher Ermächtigung; strenger Maßstab bei Prüfung des Vorhandenseins einer gesetzlichen Grundlage für die Rückwirkung von Verordnungen

Spruch

§6 der Verordnung der Burgenländischen Landesregierung vom 21. November 1995 über die Höhe der Fleischuntersuchungsgebühren (Bgld. Fleischuntersuchungsgebühren-Verordnung), LGBl. Nr. 74/1995, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Burgenländische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B4731/96 und B4732/96 protokollierte Beschwerden gegen Bescheide der Bgld. Landesregierung vom 24.9.1996 bzw. 1.10.1996, Zl. III-403-1996 und III-403/1-1996, anhängig, mit welchen der beschwerdeführenden Gesellschaft für die durchgeführten Schlachttier- und Fleischuntersuchungen im Zeitraum vom 1. Juli 1995 bis 31. Dezember 1995 bzw. 1. November 1995 bis 31. Dezember 1995 Gebühren in bestimmter Höhe vorgeschrieben wurden. Als rechtliche Grundlage wird in diesen Bescheiden u.a. die Bgld.

Fleischuntersuchungsgebühren-Verordnung, LGBl. 74/1995, angeführt.

2. Aus Anlaß dieses Verfahrens beschloß der Verfassungsgerichtshof am 30. September 1997, die Gesetzmäßigkeit des §6 der Verordnung der Bgld. Landesregierung vom 21.11.1995, LGBl. 74/1995, von Amts wegen zu prüfen.

Das Gesetz vom 26. April 1995 über die Erhebung von Fleischuntersuchungsgebühren, LGBl. 43/1995, (Bgld. Fleischuntersuchungsgebühren-Gesetz) wurde am 20. Juli 1995 im Landesgesetzblatt kundgemacht; gemäß dessen §9 trat dieses Gesetz - rückwirkend - mit 1. Mai 1995 in Kraft. Die Bgld. Fleischuntersuchungsgebühren-Verordnung, LGBl. 74/1995, wurde aufgrund dieses Gesetzes erlassen. Diese - am 30. November 1995 im Landesgesetzblatt kundgemachte - Verordnung enthält folgende Inkrafttretensbestimmung:

"§6

Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt mit 1. Mai 1995 in Kraft. "

Der Verfassungsgerichtshof hegt das Bedenken, daß für diese Rückwirkungsbestimmung in der Fleischuntersuchungsgebühren-Verordnung - entgegen dem Art18 Abs1 und 2 B-VG - eine gesetzliche Grundlage fehlt.

3. Die Bgld. Landesregierung hält in ihrer Äußerung diesem verfassungsrechtlichen Bedenken folgendes entgegen:

" Das Bgld. Fleischuntersuchungsgebühren-Gesetz wurde im LGBl. Nr. 43/1995, das am 20. Juli 1995 ausgegeben und versendet wurde, verlautbart. Im §9 Abs1 ist bestimmt, daß dieses Gesetz rückwirkend mit 1. Mai 1995 in Kraft tritt.

Der Landesgesetzgeber ging dabei - entgegen der vorläufigen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes im Einleitungsbeschluß - nach Maßgabe der folgenden Darlegungen offenkundig davon aus, daß die aufgrund der §§2, 6 und 7 des Bgld.

Fleischuntersuchungsgebühren-Gesetzes zu erlassenden Verordnungsregelungen rückwirkend in Kraft gesetzt werden können, da ansonsten die rückwirkende Inkraftsetzung des Gesetzes keinen dem Gesetzgeber vertretbarerweise zusinnbaren Gehalt hätte:

Dies kommt insbesondere darin zum Ausdruck, daß im §9 Abs2 dieses Gesetzes ausdrücklich normiert ist, daß die Verordnung des Landeshauptmannes vom 27. Jänner 1992 über die Festsetzung der Gebühren für die Durchführung der Schlachttier- und Fleischuntersuchung, LGBl. Nr. 14, mit 1. November 1994 bis zum Ablauf des 30. April 1995 als Landesgesetz galt. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage betreffend das Bgld. Fleischuntersuchungsgebühren-Gesetz (XVI.Gp., RV 622) wird zu §9 dieses Gesetzes wörtlich folgendes ausgeführt:

'Diese Bestimmung enthält Regelungen über das Inkrafttreten des Bgld. Fleischuntersuchungsgebühren-Gesetzes. Gleichzeitig wird eine gesetzliche Regelung für die Einhebung der Gebühren für die Zeit vom 1. November 1994 bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes geschaffen.'

Daraus ergibt sich nach Auffassung der Burgenländischen Landesregierung klar, daß der Landesgesetzgeber - mag dies auch im Gesetzestext auch nicht mit wünschenswerter Klarheit zum Ausdruck kommen - eine rückwirkende Inkraftsetzung der betreffenden Verordnungsregelungen als zulässig erachtete, wäre doch andernfalls vom 1. Mai 1995 bis zum Ablauf des Tages, an dem die betreffenden Verordnungsregelungen im Landesgesetzblatt verlautbart wurden (s. §9 Abs1 des Bgld. Verlautbarungsgesetzes, LGBl. Nr. 17/1991), mangels Konkretisierung durch Verordnung notwendigerweise keine einzige Bestimmung des Gesetzes vollziehbar gewesen. Daß der Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Beschlußfassung des Gesetzes (26. April 1995; danach war bis zur Verlautbarung im Landesgesetzblatt noch das Verfahren nach Art98 B-VG durchzuführen) davon ausgegangen wäre, kann ihm - zumal im übrigen die rückwirkende Inkraftsetzung des Gesetzes dann überhaupt sinnlos gewesen wäre - vertretbarerweise nicht unterstellt werden.

An diesem Ergebnis vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß in der dem Burgenländischen Landtag zugeleiteten Regierungsvorlage im §9 Abs2 noch eine - ausdrückliche - Regelung mit dem Inhalt enthalten war, daß Verordnungen aufgrund dieses Gesetzes frühestens mit 1. Mai 1995 in Kraft gesetzt werden dürfen: Auch bei Heranziehung der - durch den zuständigen Landtagsausschuß - im Vergleich zur Regierungsvorlage geänderten Fassung der Erläuterungen zu §9 des Gesetzes ergibt sich nach dem eben Dargelegten kein klarer Anhaltspunkt dafür, daß der Landesgesetzgeber am Inhalt des §9 in der Fassung der Regierungsvorlage - im Hinblick auf die Zulässigkeit einer rückwirkenden Inkraftsetzung von entsprechenden Verordnungsregelungen - etwas ändern wollte (der Ausschuß hat im betreffenden Ausschußbericht (XVI. Gp., AB 636) der dem Bezugsakt beiliegt - dazu keine ausdrücklichen Erwägungen dargetan)."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Da der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung über die zu B4731/96 und B4732/96 eingebrachten - zulässigen - Beschwerden die Rückwirkungsvorschrift des §6 der Fleischuntersuchungsgebühren-Verordnung vom 21.11.1995 anzuwenden hat, weil die Fleischuntersuchungen zum überwiegenden Teil vor der Kundmachung der Verordnung erfolgten, und auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

2. Das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erweist sich in der Sache als berechtigt:

Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Judikatur (vgl. VfSlg. 2966/1956, 7139/1973, 8946/1980, 12843/1991, 13370/1993) die Auffassung vertreten, daß eine Rückwirkung von Verordnungen nur zulässig ist, wenn das Gesetz dies ausdrücklich einräumt, wenn sohin das der Verordnung zugrundeliegende Gesetz die Verwaltungsbehörde ausdrücklich dazu ermächtigt, die Verordnung mit rückwirkender Kraft zu erlassen.

Daß eine solche ausdrückliche Ermächtigung vorliegt, wurde auch von der Bgld. Landesregierung in ihrer Äußerung nicht behauptet. Jedoch vertritt die Bgld. Landesregierung die Auffassung, daß aus dem Umstand, daß auch das Fleischuntersuchungsgebühren-Gesetz rückwirkend in Kraft getreten ist, eine gesetzliche Ermächtigung für die rückwirkende Erlassung der verfahrensgegenständlichen Verordnung gegeben ist, da man sonst dem Gesetzgeber unterstellen würde, daß er eine "sinnlose" Regelung erlassen hat.

Aus der zuvor zitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist ersichtlich, daß bei Verordnungen, die rückwirkend in Kraft treten, ein strenger Maßstab ("ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung") anzulegen ist. Allein aus dem Umstand, daß auch das Fleischuntersuchungsgebühren-Gesetz, das die rechtliche Grundlage der gegenständlichen Verordnung bildet, rückwirkend in Kraft getreten ist, kann nicht abgeleitet werden, daß eine gesetzliche Deckung für den §6 der Bgld.

Fleischuntersuchungsgebühren-Verordnung vorliegt. Daher ist im vorliegenden Fall die in Prüfung gezogene Rückwirkungsbestimmung mangels ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung gemäß Art139 Abs1 B-VG als gesetzwidrig aufzuheben.

Die Verpflichtung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

3. Dies konnte vom Verfassungsgerichtshof ohne mündliche Verhandlung gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsmaßstab, Veterinärwesen, Fleischuntersuchung, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:V151.1997

Dokumentnummer

JFT_10019391_97V00151_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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