TE OGH 2010/6/28 Ds5/10

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Veröffentlicht am 28.06.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat am 28. Juni 2010 durch Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende sowie durch Dr. Danek, Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Jensik und Dr. Höllwerth als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen den Richter des Bezirksgerichts ***** Dr. A***** über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts ***** als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte vom 28. Jänner 2010, GZ Ds 7/07-53, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und der Antrag des Disziplinaranwalts auf Verhängung einer Ordnungsstrafe abgewiesen.

Text

Gründe:

Das Oberlandesgericht ***** als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte leitete mit Beschluss vom 5. März 2009 gegen Dr. A***** die Disziplinaruntersuchung ein. Dieser liegt der Verdacht zugrunde, Dr. A***** habe am 8. März 2007 bei der Rechtsanwaltskammer ***** eine haltlose Disziplinaranzeige gegen den Rechtsanwalt Dr. W***** und bei der Staatsanwaltschaft ***** eine haltlose Strafanzeige gegen Dr. E***** und Dr. W***** erstattet (ON 34). Die in diesen Schreiben erhobenen Vorwürfe waren auch Gegenstand von zwei mittlerweile rechtskräftig durch Freispruch des Dr. A***** beendeten Privatanklageverfahren des Bezirksgerichts ***** zu AZ 3 U 151/07i und zu AZ 3 U 152/07m.

Das Oberlandesgericht ***** stellte das Disziplinarverfahren mit Beschluss vom 17. Dezember 2009 gemäß § 130 Abs 1 RStDG ein (ON 51). Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass dem Disziplinarbeschuldigten von Rechtsanwalt Dr. W***** im zu AZ 10 C 126/07s des Bezirksgerichts ***** geführten Verfahren in einem Zusatz zum Protokoll vom 23. Februar 2007 zu Unrecht Protokollierungsfehler vorgeworfen worden seien. Im Anschluss daran erstattete der Disziplinarbeschuldigte die beiden inkriminierten Anzeigen, wobei nach den Annahmen des Oberlandesgerichts ***** die von Dr. A***** in seinen Eingaben angeführten Prozessschritte der Rechtsanwälte Dr. E***** und Dr. W***** in mehreren Verfahren beim Bezirksgericht ***** nicht den Interessen ihrer Mandanten gedient hätten, was unter anderem durch eine Instanzentscheidung bestätigt worden sei. Aus diesem Grund könnten die an die Rechtsanwaltskammer ***** und die Staatsanwaltschaft ***** erstatteten Anzeigen des Dr. A***** nicht als zur Gänze haltlos angesehen werden, zumal § 9 RAO den Rechtsanwalt verpflichte, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Parteien gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Die Anzeigen des Disziplinarbeschuldigten verwirklichten daher aus seiner subjektiven Sicht auf der Basis seines damaligen Wissensstandes nach Meinung des Oberlandesgerichts ***** gerade noch kein Dienstvergehen im Sinn des § 101 RStDG. Die Diktion der Eingaben und Schlüsse des Beschwerdeführers, insbesondere jene, wonach die Anwälte Dr. E***** und Dr. W***** ihre Mandanten A***** und F***** E***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz gewerbsmäßig über die Erfolgsaussichten in den von ihnen geführten Zivilprozessen getäuscht hätten, seien aber mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht mehr zu rechtfertigen, sondern widersprächen § 57 RStDG genauso wie dem in § 52 Geo normierten Sachlichkeitsgebot. Sie seien daher jedenfalls als Ordnungswidrigkeit zu beanstanden, weshalb nach Rechtskraft des Einstellungsbeschlusses über den Disziplinarbeschuldigten gemäß § 121 RStDG eine Ordnungsstrafe wegen des ihm zur Last gelegten Verstoßes gegen die Pflicht zu vorwurfsfreiem Verhalten nach § 57 Abs 3 erster Satz RStDG zu verhängen wäre.

              Der in diesem Sinn ergangene nunmehr angefochtene Beschluss des Diziplinargerichts erster Instanz vom 28. Jänner 2010 (ON 53) wiederholt in seiner Begründung im Wesentlichen die Ausführungen der Entscheidung des Oberlandesgerichts ***** vom 17. Dezember 2009. Nicht das in den inkriminierten Anzeigen Dr. E***** und Dr. W***** vorgeworfene standeswidrige Verhalten und der dort dargelegte Verdacht eines Vergehens der Verleumdung durch den von Dr. W***** gegenüber dem Disziplinarbeschuldigten zu Unrecht erhobenen Vorwurf einer falschen Protokollierung, sondern allein der von ihm geäußerte Verdacht eines von diesen Anwälten zum Nachteil der von ihnen vertretenen Mandanten begangenen Verbrechens des gewerbsmäßigen Betrugs begründe nach Meinung des Erstgerichts eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 101 Abs 1 zweiter Fall RStDG, weil dieser Vorwurf einer sachlichen Grundlage entbehrt habe und daher nicht in Ausübung der Dienstpflichten erfolgt sei. Der Disziplinarbeschuldigte habe damit die Verpflichtung des § 57 Abs 3 RStDG verletzt, sich im und außer Dienst vorwurfsfrei zu benehmen und alles zu unterlassen, was die Achtung vor dem Richterstand schmälern könnte. Im Speziellen habe er gegen das Gebot der Sachlichkeit im Umgang mit den Parteien und deren Vertretern nach § 52 Geo verstoßen (S 10 f in ON 53). Über Dr. A***** wurde daher gemäß § 103 Abs 1 lit b RStDG die Ordnungsstrafe der Verwarnung verhängt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die (zulässige; vgl RIS-Justiz RS0120572) Beschwerde des Dr. A*****, in welcher er als Beschwerdegründe einen Verfahrensmangel, unrichtige bzw fehlende Feststellungen und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht. Ihr kommt in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur Berechtigung zu.

Im angefochtenen Beschluss wird Dr. A***** vorgeworfen, er habe sowohl in seiner Disziplinaranzeige als auch in seiner an die Staatsanwaltschaft ***** gerichteten Anzeige den Verdacht geäußert, die Rechtsanwälte Dr. E***** und Dr. W***** hätten ihre Mandanten „mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und gewerbsmäßigem Tatbegehungsvorsatz über die Erfolgsaussichten in den von ihnen geführten Zivilprozessen getäuscht“. Dies wird im angefochtenen Beschluss als Äußerung des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs qualifiziert (S 11 in ON 53).

In den Feststellungen zum Inhalt der Disziplinaranzeige an die Rechtsanwaltskammer ***** (S 6 in ON 53) ist dazu nichts dergleichen zu finden. Nach der Aktenlage (S 9 in ON 1) äußerte der Disziplinarbeschuldigte bloß den Verdacht, die Klage sei eingebracht worden, um den Umsatz der Kanzlei zu heben.

Die an die Staatsanwaltschaft ***** gerichtete Anzeige bezeichnete der Disziplinarbeschuldigte hingegen als „Sachverhaltsdarstellung zur Überprüfung der Frage, ob Dr. W***** durch vorsätzliche Täuschung seiner Mandanten ... über bestehende Erfolgsaussichten in den ... genannten Verfahren versucht hat, sich unrechtmäßig zu bereichern“, wobei er in der Folge diesen Vorwurf auch auf Dr. E***** ausdehnte und beiden Anwälten anlastete, dies zwecks Steigerung des Umsatzes der von ihnen geführten Kanzlei vorgenommen zu haben (vgl Ermittlungsakt 7 St 90/07a der Staatsanwaltschaft *****). Damit bringt der Disziplinarbeschuldigte zumindest den Verdacht einer Straftat nach § 146 StGB zum Ausdruck.

Der Beschwerdeführer argumentiert nun, dass das Oberlandesgericht ***** als Disziplinargericht den Inhalt seiner Anzeigen bei der Rechtsanwaltskammer ***** und der Staatsanwaltschaft ***** nur auf Grundlage des Rechts zur freien Meinungsäußerung (Art 13 Abs 1 StGG, Art 10 EMRK) geprüft, hingegen übergangen habe, dass er mit den Anzeigen seiner auf § 6a ZPO fußenden Fürsorgepflicht (für die seines Erachtens uneinsichtigen und richterlichen Belehrungen nicht zugänglichen Parteien F***** und A***** E*****) sowie der Anzeigepflicht nach § 84 StPO aF (nunmehr § 78 StPO) habe entsprechen wollen. Der Sache nach macht er damit den Rechtfertigungsgrund des § 114 Abs 1 StGB geltend, wonach jener Täter rechtmäßig handelt, der durch eine üble Nachrede (§ 111 StGB) oder durch den Vorwurf einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung (§ 113 StGB) eine Rechtspflicht erfüllt oder ein Recht ausübt.

In dem Dr. A***** von der durch Dr. E***** erhobenen Privatanklage freisprechenden Urteil vom 27. Mai 2008, GZ 3 U 151/07i-24, stützte sich das Bezirksgericht ***** explizit auf § 114 Abs 1 StGB.

Eine Bestrafung nach §§ 111, 113 StGB kommt bei jemandem, der in Ausübung einer gesetzlichen Befugnis ehrenrührige Behauptungen vorbringt, dann nicht in Betracht, wenn sich der Berechtigte im Rahmen der jeweiligen Rechtspflicht oder der eingeräumten Befugnisse hält und dazu in objektiver Hinsicht die Schranken des Notwendigen einhält (vgl Kienapfel/Schroll BT II5 § 114 Rz 8; Foregger in WK2 § 114 Rz 5; EvBl 1981/56). In subjektiver Hinsicht wird dazu vorausgesetzt, dass der Befugnisträger die abfällige Äußerung nicht wider besseres Wissen kundtut (vgl Kienapfel/Schroll BT II5 § 114 Rz 8 f und Rz 13; Foregger in WK2 § 114 Rz 4; Fabrizy StGB10 § 114 Rz 1; EvBl 2001/107; SSt 60/47).

Ein Richter ist nach § 78 StPO (§ 84 StPO aF) verpflichtet, bei Bekanntwerden des Verdachts einer Straftat eine Anzeige an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zu erstatten. Darüber hinaus hat er das Recht, Personen, welche der Disziplinargewalt einer Standesbehörde unterliegen, bei einem Verstoß gegen die Standesregeln bei der Disziplinarbehörde anzuzeigen.

Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte sind bei Erfüllung einer ihnen obliegenden Anzeigepflicht und bei Ausübung eines Anzeigerechts dann gerechtfertigt, wenn sie die ihrer Sachverhaltsdarstellung zugrunde liegenden maßgeblichen Tatsachen nach bestem Wissen und Gewissen erhoben haben, und sich ihre Äußerung zugleich im Rahmen tatsachenadäquater Wertungen hält (vgl Kienapfel/Schroll BT II5 § 114 Rz 15).

              Der Rechtfertigungsgrund des § 114 Abs 1 StGB ist der Sache nach auch in einem Disziplinarverfahren beachtlich, denn der Befugnisträger soll der ihm auferlegten Pflicht, eine Strafanzeige nach § 84 StPO aF (nunmehr § 78 StPO) zu erstatten bzw dem ihm eingeräumten Recht, eine Disziplinaranzeige einzubringen, einerseits ohne Furcht vor strafrechtlicher Verfolgung durch den Angezeigten wegen einer Ehrverletzung nach § 111 StGB oder § 113 StGB (vgl Kienapfel/Schroll BT II5 § 114 Rz 3), andererseits aber auch ohne Befürchtung disziplinärer Verfolgung nachkommen können.

Unter dem Aspekt der von einem Richter einzuhaltenden Standes- und Amtspflichten ist ein Richter bei der Erstattung einer Anzeige verhalten, die Schranken des Notwendigen unter Beachtung des bereits vom Erstgericht hervorgehobenen Sachlichkeitsgebots nach § 57 Abs 3 RStDG iVm § 52 Geo zu wahren. Um aber insbesondere die Pflicht zur Anzeige nach § 78 StPO nicht ungebührlich einzuschränken, darf bei der Prüfung der objektiv geforderten Notwendigkeit der Anzeige kein zu restriktiver Maßstab angelegt werden, zumal die Behandlung einer Strafanzeige durch ein Organ der Gerichtsbarkeit (Art 90a B-VG) sicherstellt, dass damit verbundene Eingriffe in das Rechtsgut der Ehre des Angezeigten schon mit Blick auf das von den Strafverfolgungsorganen zu wahrende Amtsgeheimnis eng begrenzt sind.

Da nach den Feststellungen im Beschluss und nach der Aktenlage lediglich die Anzeige an die Staatsanwaltschaft ***** den Vorwurf einer strafbaren Handlung nach § 146 StGB enthält, diese jedoch im Hinblick auf die aufgezeigte mehrfach, aussichtslose Prozessführung namens einer geistig offenbar nicht mehr ganz rüstigen Person den Rahmen des Notwendigen nicht sprengt und der Disziplinarbeschuldigte die subjektive Voraussetzung des Rechtfertigungsgrundes nach § 114 Abs 1 StGB erfüllt, weil er bei der Erstattung der Anzeige nicht wider besseres Wissen gehandelt hatte, begründet die Einbringung der inkriminierten Anzeigen kein disziplinär vorwerfbares Verhalten.

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und der Antrag des Disziplinaranwalts auf Verhängung einer Ordnungsstrafe (ON 52) abzuweisen.

Textnummer

E94475

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0000DS00005.1.0628.000

Im RIS seit

13.08.2010

Zuletzt aktualisiert am

13.08.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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