TE OGH 2010/7/6 1Ob96/10i

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Veröffentlicht am 06.07.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** reg GenmbH, *****, vertreten durch Wildmoser, Koch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Puttinger Vogl & Partner Rechtsanwälte GmbH in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei Stadt W*****, vertreten durch Mag. Dipl.-Ing. Markus Petrovsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 70.994,10 EUR sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. April 2010, GZ 16 R 224/09t-38, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 11. September 2009, GZ 12 Cg 51/08w-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Fragen der Vertragsauslegung kommt im Regelfall nicht die Qualität einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu, sofern keine auffallende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht erfolgt ist (RIS-Justiz RS0042776, RS0112106 ua). Eine solche Fehlbeurteilung wird von der Revisionswerberin nicht aufgezeigt.

2. Nicht zu teilen ist die Rechtsauffassung der Revisionswerberin bei komplexeren Vertragswerken, in welchen verschiedenste historisch gewachsene Dokumente und Bedingungen zusammengefasst würden, sei es auch bei sorgfältigster Vertragserrichtung häufig geradezu unvermeidbar, dass in den einzelnen Vertragsgrundlagen für bestimmte Sachverhaltskonstellationen Widersprüche oder Mehrdeutigkeiten auftreten können. Unter Zuhilfenahme der Möglichkeiten der automatisierten Datenverarbeitung ist es regelmäßig nicht erforderlich „historisch gewachsene Dokumente und Bedingungen“ in - insbesondere für den Vertragspartner - unübersichtlicher Form zusammenzufügen. Vielmehr sollte im Regelfall ohne weiteres ein einheitlicher Vertragstext ausgearbeitet werden können, der allenfalls in einzelnen Teilen auf den konkreten Vertragszweck zugeschnittene besondere Textbausteine enthält.

Auch in - häufig unnötig - komplizierten Vertragswerken wie dem vorliegenden, das zudem von einem wirtschaftlich bedeutenden öffentlichen Auftraggeber vorformuliert wurde, gelten selbstverständlich in erster Linie die allgemeinen gesetzlichen Auslegungsbestimmungen, zu denen vor allem auch die Unklarheitenregel des § 915 Fall 2 ABGB gehört. Damit ist auch die Auffassung des Berufungsgerichts unbedenklich, dass Unklarheiten eines Vertragswerks, die auch bei ernsthaftem Bemühen des Vertragspartners nicht bereinigt oder verstanden werden können, auch dann zu Lasten des Formulierers des Vertragstextes ausgelegt werden, wenn es mit übergroßem Aufwand allenfalls möglich wäre, die Auslegungsfrage unter Berücksichtigung des gesamten Vertragstextes auch anders zu lösen. Die Unklarheitenregel des § 915 ABGB will durchaus verhindern, dass eine Vertragspartei für den anderen kaum verständliche Vertragsbestimmungen formuliert, und sich dadurch als einzige „Eingeweihte“ eine bessere Rechtsposition verschafft, weil die andere wegen einer Fehlinterpretation allenfalls nicht vertragskonform handelt.

3. Die Revisionswerberin beruft sich vor allem auf die Regelung in Punkt 2.2 der ÖNorm A 2060, wonach die in Abschnitt 2.1 angeführten Unterlagen in der dort angegebenen Reihenfolge gelten, wenn sich aus dem Vertrag Widersprüche ergeben. Sie will daraus ableiten, dass die Regelungen im Vertragsbestandteil „SD 75“ (Beilage ./1) jenen im Vertragsbestandteil „SD 44“ (Beilage ./2) im Hinblick auf die Zulässigkeit der Beiziehung von Subunternehmern durch die Nebenintervenientin vorgingen.

Das Berufungsgericht hat einen Widerspruch zwischen den jeweiligen Regelungen der genannten Vertragsbestandteile verneint und diese zudem als gleichrangig nebeneinander stehend qualifiziert. Die Revisionsausführungen sind nicht geeignet, das Verneinen eines Widerspruchs als unvertretbares Auslegungsergebnis erscheinen zu lassen, zumal das allfällige Bestehen eines Widerspruchs nach den allgemeinen Auslegungsregeln des ABGB zu beurteilen ist. Danach sind vertragliche Vereinbarungen - gegebenenfalls unter Anwendung von § 915 ABGB - regelmäßig so auszulegen, dass sie möglichst keine inhaltlichen Widersprüche enthalten.

Zu Unrecht geht die Revisionswerberin davon aus, dass im ersten Vertragsbestandteil eine Klausel über die „Unzulässigkeit der Beiziehung vertraglich nicht vereinbarter Subunternehmer ohne schriftliche Genehmigung“ enthalten wäre. Richtigerweise enthält das entsprechende (von der Beklagten vorformulierte) Vertragsangebot der Nebenintervenientin die bloße Absichtserklärung, die Gesamtleistung ohne Beiziehung von Subunternehmern zu erbringen, nicht aber eine Verpflichtung, die Arbeiten durch eigene Mitarbeiter durchführen zu lassen. Die darüber hinausgehenden Regelungen über eine Änderung „der angegebenen Subunternehmer“ bzw die „in Erwägung gezogenen“ Subunternehmer bezieht sich nur auf Fälle, in denen überhaupt die Absicht der Heranziehung von Subunternehmern erklärt wird, nicht aber auf die erklärte Absicht, die Gesamtleistung zur Gänze durch eigene Mitarbeiter zu erbringen. Für diesen Fall wurde der Nebenintervenientin durch die von der Beklagten vorformulierte Passage des Vertragsanbots eine (verbindliche) Erklärung für die zukünftige Vertragsabwicklung somit gar nicht abverlangt.

Unbedenklich ist somit die Auffassung des Berufungsgerichts, die Nebenintervenientin sei gemäß Punkt 4 letzter Absatz des weiteren Vertragsbestandteils berechtigt gewesen, die Arbeiten (durch bekannt zu gebende) Subunternehmer durchführen zu lassen, die im Auftragnehmerkataster der Beklagten „ordnungsgemäß eingetragen“ sind, wenn sie zum Zeitpunkt des Beginns der Wartungsarbeiten die erforderliche Gewerbeberechtigung nicht besitzt, welche Voraussetzung hier unstrittig erfüllt war.

4. Ins Leere geht der Einwand der Revisionswerberin, die Nebenintervenientin sei erst nach erfolgter Inanspruchnahme der Bankgarantien wieder in Erscheinung getreten und habe gefordert, die Wartungsarbeiten mit neuen Subunternehmern durchführen zu dürfen. Warum dieses Vorgehen dazu führen sollte, dass die Beklagte berechtigt wäre, die aus den Bankgarantien abgerufenen Geldbeträge zu behalten, ist nicht nachvollziehbar. Unstrittigermaßen hat die Nebenintervenientin als Subunternehmerin eine im „Auftragnehmerkataster“ der Beklagten aufscheinende Gesellschaft namhaft gemacht. Hat die Beklagte nun entgegen den entsprechenden vertraglichen Bestimmungen die Arbeitsdurchführung durch die namhaft gemachte Subunternehmerin abgelehnt, hat sie die ihr dadurch entstandenen Nachteile selbst zu tragen. Nachdem sie der Nebenintervenientin nicht einmal die Möglichkeit gegeben hat, mit der Arbeitsdurchführung durch die genannte Subunternehmerin zu beginnen, ist es auch unerheblich, ob die Beklagte Zweifel am Willen und der Fähigkeit der Nebenintervenientin zur Vertragserfüllung hatte. Auch der Umstand, dass die von der Beklagten ursprünglich (ohne vertragliche Verpflichtung dazu) akzeptierte Subunternehmerin, nämlich eine „Auffanggesellschaft“, in Konkurs verfallen war, rechtfertigte es nicht, der Nebenintervenientin den Versuch einer Vertragserfüllung durch eine von vornherein zugelassene Subunternehmerin zu verweigern.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E94596

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0010OB00096.10I.0706.000

Im RIS seit

27.08.2010

Zuletzt aktualisiert am

27.08.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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