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19/05 Menschenrechte;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des SW in Wien, geboren am 15. Februar 1955, vertreten durch Mag. Barbara Bach-Kresbach, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schottengasse 4/4/29, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. August 2000, Zl. 202.271/3-V/14/98, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 7 AsylG und Feststellung gemäß § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Sierra Leones, betrat am 31. Dezember 1997 das Bundesgebiet und stellte am 5. Jänner 1998 einen Asylantrag, den er bei seiner Vernehmung durch das Bundesasylamt am 26. Jänner 1998 damit begründete, dass er für einen Politiker der "Sierra Leone's People's Liberation Party" ("SPLP"), namens Kulu Collins, als Kraftfahrer tätig gewesen und auch selbst seit 1984 Mitglied dieser Partei gewesen sei. Am 27. Mai 1997 habe sich Präsident Major Johnny Paul Koroma durch einen Staatsstreich an die Macht gebracht. Am 18. August 1997 sei der Beschwerdeführer als einer von 15 Anführern einer Demonstration gegen Koroma von dessen Soldaten verhaftet, während der dreimonatigen Inhaftierung misshandelt und gefoltert und schließlich von ECOMOG-Truppen befreit worden. Im Falle der Rückkehr nach Sierra Leone befürchtet der Beschwerdeführer, von den Leuten des Präsidenten Koroma getötet zu werden, weil dieser nicht mit seiner Befreiung einverstanden gewesen sei.
Mit Bescheid vom 11. März 1998 wies das Bundesasylamt diesen Asylantrag gemäß § 6 Z 3 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei. Nach Aufhebung dieses Bescheides durch einen Bescheid der belangten Behörde vom 25. März 1998 wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 27. Juli 1998 den Asylantrag des Beschwerdeführers nunmehr gemäß § 7 AsylG ab und sprach neuerlich aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Das Bundesasylamt schenkte dem Beschwerdeführer keinen Glauben, weil dieser trotz seiner langjährigen Tätigkeit als Chauffeur nicht habe angeben können, in welcher Funktion Herr Kulu Collins in der "Sierra Leone's People's Liberation Party" tätig gewesen sei. Von einem langjährigen Mitglied dieser Partei müsse auch erwartet werden, dass dieses den Namen und die Abkürzung seiner Partei richtig ("Sierra Leone People's Party - SLPP") wiedergeben könne. Der Beschwerdeführer habe sich auch bei der Schilderung der Misshandlungen in Widersprüche verwickelt. Widersprüchliche Aussagen des Beschwerdeführers könnten durch eine Hörbehinderung nicht gerechtfertigt werden. Seine Angaben hätten durch das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten nicht bestätigt werden können. Ein vom Beschwerdeführer beigebrachtes privates Sachverständigengutachten könne zu keiner anderen Entscheidung führen. Die festgestellten Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten seien derart gravierend, dass auf weitere Teile des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht mehr einzugehen gewesen sei.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung rügte der Beschwerdeführer, nicht ergänzend vernommen worden zu sein, obwohl er bereits in der (ersten) Berufung vorgebracht habe, auf Grund seiner psychischen Situation und seines Hörfehlers Schwierigkeiten gehabt zu haben, dem Verfahren zu folgen. Die Behörde hätte von Amts wegen ein Gutachten über seine Hörbehinderung einholen müssen. Dem Beschwerdeführer sei es nicht möglich gewesen, seine Hörschwierigkeiten durch ein medizinisches Sachverständigengutachten zu belegen, weil er sich die ganze Zeit nach der Entscheidung des unabhängigen Bundesasylsenates in Untersuchungshaft befunden habe. Gegen die Beweiswürdigung bringt die Berufung vor, dass die Behörde erster Instanz nicht dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. G, sondern dem vom Beschwerdeführer beigebrachten Gutachten des Dr. M hätte folgen müssen. Der Beschwerdeführer sei von den Anhängern Koromas inhaftiert und gefoltert worden. Diese Verfolgung sei aus politischen Gründen auf Grund seiner Teilnahme an einer Demonstration und nicht zuletzt auch wegen seiner langjährigen Tätigkeit für den Politiker Kulu Collins erfolgt. Nur durch Glück habe der Beschwerdeführer überlebt und sei von den ECOMOG-Truppen befreit worden. Die Lage in Sierra Leone sei nach wie vor so instabil, dass keine zureichende Garantie für seine Sicherheit bestehe. Sierra Leone sei nicht willens oder aber auch nicht fähig, ihn vor Übergriffen zu schützen. Es sei nicht abzusehen, ob sich der wieder im Amt befindliche Präsident Kabbah an der Macht halten könne. Derzeit sei er ein Präsident ohne reale Macht, der sich lediglich auf die ECOMOG-Truppen stütze, die aber eine funktionierende Exekutive nicht ersetzen könnten.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 7 AsylG abgewiesen und (neuerlich) festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei.
Die belangte Behörde stellte fest, dass die Hauptstadt Freetown, deren Umgebung sowie der Süden und Osten von Sierra Leone gegenwärtig und für die nähere Zukunft sicher seien und die Staatsmacht soweit aufrecht sei, dass diese im Stande sei, Gefahren, die sich aus Übergriffen von Rebellen ergeben, wirksam zu begegnen. Die Vertreterin des Beschwerdeführers habe in der mündlichen Berufungsverhandlung vorgebracht, dass Freetown und große Teile des Landes sicher seien und der Beschwerdeführer, der Mitglied der "SLPP" gewesen sei, in Freetown grundsätzlich nichts zu befürchten habe.
Zu den Fluchtgründen traf die belangte Behörde auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Berufungsverhandlung folgende Feststellungen:
"Der Asylwerber ist Staatsangehöriger von Sierra Leone und reiste - über Algier und Zürich - am 31.12.1997 in das Bundesgebiet ein. Der Asylwerber hat von 1961 die Volksschule und von 1968 - 1973 eine höhere Schule in Accra/Ghana besucht. Zur Wende 1974/1975 kam er wieder nach Sierra Leone (Freetown) zurück, wo er in Folge als Fahrer ausgebildet wurde und ab 1984 als Chauffeur für einen Mann namens Kulu Collins tätig war. Dieser Mann war Diamentenhändler und Mitglied der SLPP. Kulu Collins war innerhalb der Partei nie mit einer politischen Funktion betraut, sondern war als Geldgeber tätig und war mit wichtigen Persönlichkeiten befreundet. Er nützte diese Verbindungen um seine Schattengeschäfte abzuwickeln, indem er maßgebliche Stellen beeinflusste, um dadurch seinen Reichtum auszubauen und zu schützen.
Er selbst - als einfaches Mitglied der SLPP - war zeitweise beschäftigt, Wahlveranstaltungsvorbereitungen zu treffen. Er stellte Mikrofone auf und hängte Wahlplakate auf. Am 18.8.1997 wurde er auf Grund seiner Teilnahme an einer Demonstration gegen Koromah im östlichen Teil des Landes, bei Pudjehun, verhaftet und in ein Gefängnis verbracht. Während der Haft wurde er misshandelt. Etwa drei Tage nach seiner Verhaftung verlangten die Rebellen von ihm, sie zu Kulu Collins Haus zu führen. Als die Rebellen das Haus aufbrachen, fanden sie einen Fetisch, der die Quelle der Macht dieses Mannes war. Die Rebellen verbrannten den Fetisch und stahlen die Diamanten und Dokumente. Dann wurde er selbst wieder in das Gefangenenlager gebracht und von ECOMOG-Truppen befreit. Der Asylwerber hat nun deshalb Angst vor diesem Mann, weil dieser durch den Verlust seines Fetisches und seines Reichtums seine Macht verloren hat und ihn für dies verantwortlich macht."
In rechtlicher Hinsicht gelangte die Behörde zur Auffassung, dass der Beschwerdeführer von der nunmehr herrschenden Staatsmacht keine Verfolgung zu befürchten habe und die sierra-leonische Staatsgewalt hinreichend organisiert erscheine, um Übergriffe in den von ihr kontrollierten Gebieten abzuwehren. Der nach den Angaben des Beschwerdeführers von Kulu Collins ausgehenden Bedrohung in Form eines Racheaktes wegen des Verlustes von Vermögen, Macht und Einfluss liege kein asylrelevantes Motiv zu Grunde. Sierra Leone sei auch in der Lage, den Beschwerdeführer in den bezeichneten sicheren Landesteilen vor derartigen privaten Verfolgungshandlungen zu schützen. Überdies habe der Beschwerdeführer vorgebracht, dass sich Kulu Collins nicht mehr in Sierra Leone aufhalte.
Zur Refoulement-Entscheidung führte die belangte Behörde insbesondere aus, dass in Sierra Leone keine das gesamte Staatsgebiet erfassende mit dem immer wieder aufflammenden Bürgerkrieg verbundene extreme Gefahrenlage für die Zivilbevölkerung herrsche.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde hätte vor ihrer Entscheidung von Amts wegen alles unternehmen müssen, um das Ausmaß seiner Gehörbeeinträchtigung festzustellen. Die belangte Behörde habe die Begründung des abweisenden Bescheides letztlich insbesondere auf die Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers gestützt. Hätte die belangte Behörde festgestellt, dass der Beschwerdeführer schwerhörig ist, so hätte sich dies auf die Entscheidung maßgeblich ausgewirkt. Darüber hinaus hätte die belangte Behörde in Übereinstimmung mit dem Privatgutachten des Dr. M feststellen müssen, dass der Beschwerdeführer während seiner Inhaftierung durch Gefolgsleute des Koroma im Sinn des Art. 3 MRK schwer misshandelt worden sei. Dies hätte zu einer anderen Beurteilung gemäß § 8 AsylG geführt.
Dieses Vorbringen lässt völlig ausser Acht, dass die belangte Behörde den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 2. März 2000 im Wesentlichen Glauben schenkte und insbesondere feststellte, dass der Beschwerdeführer als Mitglied der "SLPP" wegen der Teilnahme an einer Demonstration gegen die Rebellenherrschaft von Johnny Paul Koroma von dessen Truppen verhaftet und in der Haft misshandelt worden war. Es ist sohin nicht ersichtlich, in welcher Weise die in der Beschwerde gerügten Verfahrensmängel relevant sein könnten.
Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Soweit der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde überhaupt noch eine Verfolgung durch Koroma wegen der Teilnahme an einer Demonstration befürchten müsste, könnte er sich unter den Schutz seines Heimatlandes stellen, weil der 1997 von Koroma gestürzte Präsident Tejan Kabbah, dessen Partei "SLPP" auch der Beschwerdeführer angehört, schon im März 1998 wieder an die Macht gelangte und seine Staatsmacht in den im angefochtenen Bescheid bezeichneten Gebieten auch mit Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft aufrecht erhalten kann.
Gemäß § 57 Abs. 1 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie Gefahr liefen, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass im gesamten Staatsgebiet von Sierra Leone und insbesondere in Freetown als möglichem Zielort einer Abschiebung im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde (16. August 2000) eine extreme Gefahrenlage herrschte, durch die praktisch jeder, der dort hin abgeschoben wird, auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei der konkreten Gefahr einer Verletzung im Besonderen der auch durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0465).
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Anspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 25. Jänner 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000200438.X00Im RIS seit
03.04.2001