TE OGH 2010/7/8 2Ob111/10b

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Veröffentlicht am 08.07.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** G*****, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei K***** H*****, vertreten durch Dr. Franz Gölles und Mag. Robert Pöschl, Rechtsanwälte in Graz, wegen 6.964,03 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 19. März 2010, GZ 17 R 12/10z-21, womit das Urteil des Bezirksgerichts Leibnitz vom 18. November 2009, GZ 6 C 87/09v-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 556,99 EUR (darin 92,83 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt vom Beklagten den Ersatz von aufgewendeten Detektivkosten in Klagshöhe mit der Begründung, er habe sich durch das Verhalten seiner damaligen Ehegattin genötigt gesehen, zum Zweck der Aufklärung, ob sie eine außereheliche Beziehung unterhalte, ein Detektivunternehmen einzuschalten. Der Detektivbericht habe ergeben, dass eine solche Beziehung mit dem Beklagten, der gewusst habe, dass sie verheiratet war, bestünde.

Der Beklagte wendete ein, er habe nicht erkennen können, dass er sich in eine bestehende Ehe einmische.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende entscheidungswesentliche Feststellungen: Am 2. 9. 2008 stellte die vormalige Ehegattin des Klägers (die im Folgenden als Frau bezeichnet wird) beim Bezirksgericht den Antrag auf Bewilligung der vorübergehenden gesonderten Wohnungnahme gemäß § 92 ABGB. Noch bis Mitte/Ende September 2008 hatten der Kläger und seine Frau sexuellen Kontakt. Die Frau und der Beklagte kennen einander zumindest seit 10. 11. 2008 und jedenfalls seit Anfang Dezember 2008 gab es zwischen ihnen Geschlechtsverkehr. Während der Kontakte der Frau mit dem Beklagten lebte sie allein in einer eigenen Wohnung, pflegte keinen wie in einer Ehe üblichen Kontakt mit dem Kläger und trug keinen Ehering. Sie erzählte dem Beklagten Ende Dezember 2008, dass sie verheiratet sei. Es steht nicht fest, ob der Beklagte schon im Zeitpunkt der Beauftragung der Detektei (15. 12. 2008) und während der dann folgenden Observierung von der Ehe der Frau wusste. Bis zum 17. 12. 2008 wollte sich der Kläger nicht scheiden lassen. Erst nach Vorliegen des Detektivberichts am 30. 12. 2008 wollte der Kläger die Ehe nicht mehr fortsetzen. Bis zur einvernehmlichen Ehescheidung am 13. 1. 2009 bestritt die Frau gegenüber dem Kläger, sexuelle Kontakte zu einem anderen Mann zu haben.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, eine Schadenersatzpflicht setze Verschulden voraus. Ein solches Verschulden sei einem Dritten, hier dem Beklagten, dann vorzuwerfen, wenn er eine ehewidrige Beziehung zu einer Person eingehe, von der er wisse, dass sie verheiratet sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, der Kläger habe den ihm oblegenen Nachweis, dass der Beklagte bereits zu Beginn seiner Beziehung mit der Frau, zumindest aber im Observierungszeitraum, gewusst habe, dass sie verheiratet sei, nicht erbringen können. Die Rechtsansicht des Berufungswerbers, das Verschulden des Beklagten sei darin gelegen, dass er wissen hätte können, dass die Frau verheiratet gewesen sei, und dass den Beklagten diesbezüglich eine Erkundigungspflicht getroffen habe, werde nicht geteilt.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu: Es gebe keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob zum Nachweis, dass sich der Ehestörer des Eingriffs bewusst gewesen sei, der Anscheinsbeweis zulässig sei, sowie zu der vom Berufungswerber ins Treffen geführten Erkundigungspflicht.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. An die Begründung des berufungsgerichtlichen Zulässigkeitsausspruchs anknüpfend führt der Revisionswerber aus, ihm sei ein Beweis, dass der Beklagte schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Dektektivunternehmens vom aufrechten Bestand der Ehe gewusst habe, unmöglich. Ein Beweismittel für den Wissensstand des Beklagten gebe es nicht. Kenntnisse und Wissensstände seien nämlich innere Tatsachen, die nicht unmittelbar bewiesen werden könnten, sondern es müsse mit Hilfe von Erfahrungssätzen auf sie geschlossen werden.

Dem ist folgendermaßen zu entgegnen: Der Anscheinsbeweis ist nur zulässig, wenn eine typisch formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement besteht; er darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RIS-Justiz RS0040287). Der Anscheinsbeweis beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RIS-Justiz RS0040266).

Der Revisionswerber lässt nicht erkennen, aufgrund welcher bewiesenen Tatsache es eine typisch formelhafte Verknüpfung mit dem zu beweisenden Umstand, dass der Beklagte von der Ehe der Frau wusste, geben soll. Der Kläger wendet sich vielmehr gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die aber nicht revisibel ist.

Überdies liegt regelmäßig kein derartiger Beweisnotstand vor, der Voraussetzung für die Anwendung des Anscheinsbeweises wäre (vgl RIS-Justiz RS0106890 [T14]; RS0043249 [T1]; RS0077168). Die zahlreichen einschlägigen Entscheidungen (RIS-Justiz RS0022959; RS0022943), belegen, dass häufig das Wissen des Dritten von der Ehe seines Geschlechtspartners festgestellt werden konnte.

2. Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung hat der Ehestörer unabhängig vom Erfolg einzelner Beobachtungen all jene Detektivkosten zu ersetzen, die der in seinen Rechten verletzte Ehegatte nach objektiven Maßstäben für notwendig ansehen konnte, um sich über das Verhalten seines Ehepartners Gewissheit zu verschaffen (RIS-Justiz RS0022959; vgl auch RS0022943). Soweit aus den zahlreichen in den zitierten Rechtssätzen indizierten oberstgerichtlichen Entscheidungen ersichtlich ist, wurde ein derartiger Schadenersatz gegen den Dritten nur bei seiner Kenntnis von der Ehe seines Sexualpartners bejaht.

In der Entscheidung 4 Ob 52/06k hat der Oberste Gerichtshof ausgeführt, eine Nachforschungspflicht des Dritten (über besondere Vereinbarungen zwischen den Ehegatten, wie sie ihre Beziehungen zu dritten Personen gestalten) sei im Interesse der allgemeinen Handlungsfreiheit zu verneinen. Denn es entspräche weder der gesellschaftlichen Realität noch der Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen, Dritten die Pflicht aufzuerlegen, vor engeren, das heißt „freundschaftlichen“ Kontakten mit einer verheirateten Person nachzufragen, ob diese Kontakte aufgrund der konkreten Gestaltung des ehelichen Verhältnisses möglicherweise als ehewidrig anzusehen sein könnten oder nicht. Die Verantwortung für die Beurteilung dieser Frage treffe grundsätzlich nur jenen Ehegatten, der diese Kontakte aufnehme. Er müsse wissen, was er seinem Ehepartner zumuten könne, und er habe dafür sowohl auf scheidungs- als auch auf schadenersatzrechtlicher Ebene einzustehen. Eine Haftung des Dritten sei auf dieser Grundlage weder angemessen noch notwendig.

Ebenso ist es primär Pflicht des Verheirateten, ehestörende oder ehebrecherische Verhältnisse hintanzuhalten. Die Freiheit der Menschen, ihre Beziehungen zueinander zu gestalten, wäre übermäßig eingeschränkt, wollte man jedem, der sich einer anderen Person partnerschaftlich annähern und allenfalls in intimen Kontakt mit ihr treten will, Erkundigungspflichten über ihren Familienstand abverlangen.

Ob bei deutlichen Indizien dafür, dass der andere verheiratet ist, den Dritten eine solche Erkundigungspflicht trifft, kann dahingestellt bleiben, weil hier für den Beklagten derartige deutliche Indizien für den Ehestand der Frau im Observierungszeitraum nicht vorlagen.

Der Revision des Klägers muss daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO.

Schlagworte

Familienrecht

Textnummer

E94724

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0020OB00111.10B.0708.000

Im RIS seit

09.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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