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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 27. März 1973 geborenen AM in Graz, vertreten durch Dr. Reinhard Hohenberg, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Hartenaugasse 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. Oktober 1998, Zl. 203.075/0- XI/33/98, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 23. Dezember 1997 in das Bundesgebiet ein und stellte am 26. Dezember 1997 einen Antrag auf Gewährung von Asyl.
In seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er im Wesentlichen an, seit 1. Februar 1996 Mitglied der UNCP gewesen zu sein; am 14. Dezember 1997 hätte eine Versammlung der Parteimitglieder in Abuja stattgefunden und sei dabei beschlossen worden, dass Abacha zum Präsidenten gewählt werden solle. Der Beschwerdeführer sei mit anderen Mitgliedern dagegen gewesen. Am 19. Dezember 1997 seien Angehörige der "SSS" zu seinem Haus gekommen und hätten dieses zerstört. Man hätte ihn auch verhaften wollen, weil er gegen Abacha gewesen sei. Aus diesem Grunde sei er am 20. Dezember 1997 von Lagos mit einem Flugzeug nach Moskau geflogen und von dort mit einem LKW zwei Tage nach Graz gefahren, wo er am 23. Dezember 1997 angekommen sei. Er hätte keine Grenzkontrollstellen bemerkt und sei während der Fahrt nicht kontrolliert worden. Er sei bei seiner Ausreise aus Nigeria mittels eines geborgten Reisepasses in das Flugzeug gelangt.
Das Bundesasylamt wies den Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 3. April 1998 gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG), ab und sprach gemäß § 8 leg. cit. aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Die Behörde erster Instanz begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Aussagen des Beschwerdeführers auf Grund näher dargestellter Widersprüche und Ungereimtheiten unglaubwürdig seien und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers daher kein Glauben geschenkt werden könne. Dies gelte auch für die Angaben betreffend eine Gefährdung gemäß § 57 Fremdengesetz 1997 (FrG).
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er ausführlich auf die ihm vorgehaltenen widersprüchlichen Angaben einging und versuchte, diese Widersprüchlichkeiten - unter Hinweis auf Protokollierungs- und Verständnisprobleme - aufzuklären.
Eine von der Berufungsbehörde für den 2. Juni 1998 mit dem Beschwerdeführer anberaumte mündliche Verhandlung wurde - ohne dass die Gründe dafür dem Akt zu entnehmen sind - abberaumt.
Während des Berufungsverfahrens brachte die belangte Behörde schließlich in Erfahrung, dass der Beschwerdeführer "wegen § 148 StGB" rechtskräftig zu 15 Monaten Freiheitsstrafe, davon 10 Monate bedingt, verurteilt und am 4. Oktober 1998 bedingt entlassen worden sei. Eine Ausfertigung des Urteils findet sich nicht im Akt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 20. Oktober 1998 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 leg. cit. festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Die belangte Behörde begründete dies nach Wiedergabe des erstinstanzlichen Verfahrensablaufes und der wesentlichen Berufungsausführungen damit, dass auch nach Ansicht der belangten Behörde die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht gegeben sei. Seine Einwendungen gegen die Protokollierung seiner Aussagen vor der Behörde erster Instanz seien unbegründet; es könnten dem aufgenommenen Protokoll keine Indizien dafür entnommen werden, dass es im Zuge der Vernehmung zu etwaigen Verständnis- oder Verständigungsproblemen durch den Antragsteller gekommen wäre. Der Beschwerdeführer habe, nachdem ihm der Inhalt der aufgenommenen Niederschrift vom Dolmetsch rückübersetzt zur Kenntnis gebracht worden sei, die Richtigkeit und Vollständigkeit des Protokolles mit seiner Unterschrift bestätigt und beigefügt, diesem nichts mehr hinzufügen zu können, weshalb der in der Berufung gerügte Verfahrensmangel nicht erkannt werden könne. Es könne der Behörde erster Instanz daher nicht mit Erfolg entgegen getreten werden, wenn sie dem Beschwerdeführer jegliche persönliche Glaubwürdigkeit abgesprochen habe.
Ergänzend führte die belangte Behörde aus, selbst wenn es möglich sein sollte, mit einem geborgten Reisepass Nigeria verlassen zu können und in Russland ohne Probleme einzureisen, so sei eine Fahrtdauer von Moskau nach Graz in nur zwei Tagen unwahrscheinlich. Es gebe keine durchgehende Autobahnverbindung, die eine dementsprechend benötigte Geschwindigkeit eines LKW erlauben würde und habe das Fahrzeug nach Aussagen des Beschwerdeführers darüber hinaus auch einen technischen Defekt gehabt. Darüber hinaus erscheine die Aussage, dass dem Beschwerdeführer keine Grenzkontrollstationen aufgefallen seien, als nicht glaubwürdig. Auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei seit 1. Februar 1996 Mitglied der UNCP, entspreche nicht den Tatsachen, weil diese Partei erst nach einem ausführlichen Selektionsverfahren am 30. September 1996 zugelassen worden sei. Eine Mitgliedschaft vor diesem Zeitpunkt sei daher nicht möglich gewesen, umso mehr als diese Partei (erst) durch den Zusammenschluss von drei Parteien nicht vor dem Sommer 1996 gegründet worden sei. Weiters sei festzuhalten, dass alle fünf Parteien Diktator Abacha zum Präsidentschaftskandidaten für die geplanten Wahlen im Oktober nominiert hätten, weshalb eine Verfolgung des Asylwerbers durch die "SSS" auf Grund seiner angeblichen fehlenden Unterstützung als nicht glaubwürdig erscheine.
Auch den Ausspruch betreffend § 8 AsylG stützte die belangte Behörde auf die fehlende Glaubwürdigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers, weshalb diesem auch keine konkreten Angaben zu einer Gefahr im Sinn des § 57 FrG gelungen seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der unabhängige Bundesasylsenat ist gemäß Art. 129 und 129c B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 87/1997 ein unabhängiger Verwaltungssenat. Er hat gemäß § 23 AsylG das AVG anzuwenden, weshalb für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat grundsätzlich auch die Bestimmungen des AVG für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, insbesondere die Bestimmung des § 67d AVG über die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, Anwendung finden. Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG ist § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässiger Weise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).
In seiner Berufung hat der Beschwerdeführer zu allen im Rahmen der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes dargestellten Widersprüchen ausführlich Stellung genommen und versucht, diese Widersprüche zu erklären. Dem Berufungsvorbringen kann entnommen werden, der Beschwerdeführer sei seiner Meinung nach in der Lage, jene Bedenken, die gegen seine Glaubwürdigkeit sprechen, durch Klarstellungen auszuräumen und damit die relevante Beweisgrundlage zu verbreitern.
Die belangte Behörde hätte sich in Anbetracht dieses Vorbringens nicht bloß auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung anhand der Aktenlage beschränken dürfen, sondern hätte den Beschwerdeführer im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu den Punkten, auf die sie die mangelnde Glaubwürdigkeit des Gesamtvorbringens des Beschwerdeführers stützte, vernehmen müssen.
Allerdings führt nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Aufhebung eines Bescheides, sondern nur dann, wenn die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Im vorliegenden Fall ist nicht von vornherein auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Durchführung der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung gelangt wäre, das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers, also insbesondere seine Darstellung der Fluchtgründe in der Berufung, sei glaubwürdig, und dieses ihrer rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt hätte. Ginge man von der Glaubwürdigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers aus, dann wäre dieser aber als politisch tätiger Staatsbürger, der sich - im Gegensatz zur offiziellen Meinung seiner Partei - ausdrücklich gegen eine Wahl von Abacha zum Präsidenten ausgesprochen hatte, von den Angehörigen der "SSS" verfolgt worden, wobei ein Teil seines Hauses im Zuge dieser Verfolgungshandlungen zerstört worden sei. Es erschiene auf Grund dieser Fluchtgeschichte dann aber nicht gänzlich unmöglich, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner politischen Gesinnung in asylrelevanter Weise verfolgt worden wäre. Der aufgezeigte Verfahrensmangel der - im Übrigen auch nicht begründeten - Unterlassung der mündlichen Verhandlung erweist sich daher für den Verfahrensausgang als relevant.
Der angefochtene Bescheid war somit (aus dem im hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0207, näher ausgeführten Erwägungen auch hinsichtlich des den Ausspruch gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG betreffenden Spruchteiles) zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 25. Jänner 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999200015.X00Im RIS seit
03.04.2001