TE OGH 2010/7/27 10ObS97/10b

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Veröffentlicht am 27.07.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und VPr. Susanne Höller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Peter K*****, vertreten durch Mag. Michael Kadlicz, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. März 2010, GZ 9 Rs 168/09f-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. Mai 2009, GZ 6 Cgs 375/08h-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 23. 10. 2008 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des am 11. 8. 1970 geborenen Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension mangels Erfüllung der Wartezeit ab.

In seiner Klage brachte der Kläger sinngemäß vor, seine Invalidität sei Folge eines Arbeitsunfalls. Daraus ergäbe sich, dass die Wartezeit entfalle. Es stehe ihm daher die Invaliditätspension zu.

Das Erstgericht wies dieses auf Gewährung der Invaliditätspension ab 1. 11. 2008 gerichtete Klagebegehren ab. Es ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass der Kläger 141 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit, 26 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Teilversicherung und 35 Monate einer Ersatzzeit, insgesamt somit 202 Versicherungsmonate, erworben hat. Weiters stellte das Erstgericht fest, dass sich der Kläger im Zeitraum vom 16. 11. 2006 bis 16. 5. 2008 als Strafgefangener in der Justizanstalt Wiener Neustadt befand. Im Zuge von Schlosserarbeiten als Strafgefangener erlitt er am 31. 1. 2007 einen Arbeitsunfall, bei dem er sich einen Querbruch der Kniescheibe im mittleren Drittel mit Diasthase zuzog. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Kläger erfülle zum Stichtag 1. 11. 2008 die Wartezeit für den Anspruch auf eine Pensionsleistung gemäß § 236 ASVG nicht, zumal er in den letzten 120 Kalendermonaten vor dem Stichtag nur 51 Versicherungsmonate erworben habe. Ein während einer Strafhaft erlittener Arbeitsunfall führe nicht zu einem Entfall der Wartezeit gemäß § 235 Abs 3 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es teilte mit ausführlicher Begründung die Rechtsansicht des Erstgerichts. Das Berufungsgericht sprach weiters aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob ein Entfall der Wartezeit gemäß § 235 Abs 3 ASVG auch im Hinblick auf einen während einer Strafhaft erlittenen Arbeitsunfall eintrete, noch nicht vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Kläger macht geltend, im vorliegenden Fall entfalle die Wartezeit gemäß § 235 Abs 3 lit a ASVG, weil sein Unfall als gleichgestellter Arbeitsunfall iSd § 176 Abs 1 Z 3 ASVG zu werten sei. Soweit § 235 Abs 3 lit a ASVG die einschlägigen Normen des StVG nicht aufzähle, handle es sich überdies um eine durch Analogie zu schließende unplanmäßige Lücke, sodass auch ein während einer Strafhaft erlittener Arbeitsunfall zu einem Entfall der Wartezeit nach dieser Gesetzesstelle führe.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Da Strafgefangene nicht zum Kreis der Dienstnehmer nach § 4 Abs 2 ASVG zu zählen sind, unterliegen sie nicht der Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs 1 ASVG und sind daher auch nicht kranken-, unfall- und pensionsversichert aufgrund dieses Bundesgesetzes (vgl Teschner/Widlar/Pöltner, MGA ASVG 109. Erg-Lfg Anm 8g zu § 4 128/6 f mwN; VwSlg (A) 8162 ua). Es liegt daher auch dann keine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung vor, wenn der Strafgefangene im Rahmen seiner Arbeitspflicht Arbeitsleistungen erbringt, für die eine Arbeitsvergütung gebührt und die zu einer Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung führt (vgl 10 ObS 7/10t, 10 ObS 203/09i, 10 ObS 66/90 = SSV-NF 4/31 mwN). Die von Strafgefangenen aufgrund einer gesetzlichen und nicht aufgrund einer freiwillig übernommenen Arbeitsverpflichtung erbrachten Arbeitsleistungen unterliegen somit nicht der Pflichtversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung.

2. Die Unfallfürsorge für Strafgefangene wird in den §§ 76-84 StVG geregelt. Nach § 76 Abs 2 StVG sind Arbeitsunfälle Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der einem Strafgefangenen zugewiesenen oder auf Rechnung des Bundes oder für wohltätige Zwecke in der Freizeit geleisteten Arbeit ereignen. Nach § 76 Abs 3 StVG sind den Arbeitsunfällen Unfälle gleichgestellt, die sich auf einem mit der dem Strafgefangenen zugewiesenen oder auf Rechnung des Bundes oder für wohltätige Zwecke in der Freizeit geleisteten Arbeit zusammenhängenden Weg zu oder von der Arbeitsstätte, bei Rettung eines Menschen aus tatsächlicher oder vermuteter Lebensgefahr, dem Versuch einer solchen Rettung, bei der Hilfeleistung in sonstigen Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr oder Not oder bei Heranziehung zum Blutspenden ereignen. Ebenso sind in dieser Hinsicht den Arbeitsunfällen die in der Anlage 1 des ASVG bezeichneten Krankheiten gleichgestellt, sofern die vom Strafgefangenen nicht selbst vorsätzlich herbeigeführte Krankheit durch eine ihm zugewiesene oder auf Rechnung des Bundes oder für wohltätige Zwecke in der Freizeit geleistete Arbeit verursacht ist (§ 76 Abs 4 StVG). Über die aus Anlass eines Unfalls (§ 76 Abs 2 und 3 StVG) oder einer Krankheit (§ 76 Abs 4 StVG) zu gewährenden Leistungen entscheidet die Vollzugsdirektion (§ 84 Abs 1 StVG).

3. Gemäß § 235 Abs 3 lit a ASVG entfällt die Wartezeit für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder aus dem Versicherungsfall des Todes, wenn der Versicherungsfall die Folge eines Arbeitsunfalls (§§ 175 und 176 dieses Bundesgesetzes, §§ 148c und 148d BSVG, §§ 90 und 91 B-KUVG) oder einer Berufskrankheit (§ 177 dieses Bundesgesetzes, § 148e BSVG, § 92 B-KUVG) ist, der (die) bei einer in der Pensionsversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz Pflichtversicherten oder bei einem nach § 19a Selbstversicherten eingetreten ist.

3.1 Der im vorliegenden Fall allein in Betracht kommende Entfall der Wartezeit gemäß § 235 Abs 3 lit a erster Fall ASVG setzt somit voraus, dass der Betroffene zu dem Zeitpunkt, als er den Arbeitsunfall erlitt, in der Pensionsversicherung nach dem ASVG oder einem anderen Bundesgesetz versichert war (10 ObS 2334/96z = SSV-NF 11/44; 10 ObS 182/95 = SSV-NF 9/80; 10 ObS 49/89; RIS-Justiz RS0085423). Der Zweck dieser Bestimmung geht somit ganz offenbar dahin, den in der Pensionsversicherung Versicherten eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit jedenfalls dann zu gewähren, wenn die Arbeitsfähigkeit infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verloren gegangen ist. Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung ist jedoch nach dem völlig eindeutigen Gesetzeswortlaut, dass der Leistungswerber im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit in der Pensionsversicherung pflicht- oder selbstversichert war. Dieses Anwendungserfordernis erfüllt der Kläger, wie bereits das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, unbestritten nicht.

3.2 Der Gesetzgeber hat, wie bereits erwähnt, die Strafgefangenen nicht in die Unfallversicherung nach dem ASVG einbezogen, sondern hat für die Unfallfürsorge für Strafgefangene eine weitgehend eigenständige Regelung in den §§ 76-84 StVG geschaffen. Dass der Gesetzgeber Arbeitsunfälle von Strafgefangenen iSd § 76 StVG nicht unter die Bestimmung des § 235 Abs 3 lit a ASVG subsumieren wollte, zeigt sich auch durch in dieser Gesetzesstelle ausdrücklich erfolgte Bezugnahme auf die §§ 175 ff ASVG, §§ 148c ff BSVG und §§ 90 ff B-KUVG. Durch diese Bezugnahme kommt deutlich zum Ausdruck, dass nur Arbeitsunfälle bzw Berufskrankheiten im Sinne dieser Bestimmungen den Entfall der Wartezeit bewirken können (vgl 10 ObS 182/95 = SSV-NF 9/80). Auch der Umstand, dass es sich bei der Regelung des Entfalls der Wartezeit nach § 235 Abs 3 ASVG inhaltlich um eine Ausnahmebestimmung handelt, spricht gegen die vom Kläger vertretene extensive Auslegung dieser Bestimmung. Eine planwidrige, durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke liegt daher nicht vor.

Da somit ein Entfall der Wartezeit gemäß § 235 Abs 3 ASVG im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt und der Kläger unbestritten die Wartezeit für die von ihm begehrte Leistung gemäß § 236 ASVG nicht erfüllt, musste die Revision erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Schlagworte

12 Sozialrechtssachen,

Textnummer

E94787

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:010OBS00097.10B.0727.000

Im RIS seit

16.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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