TE OGH 2010/7/28 9Ob53/09y

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Veröffentlicht am 28.07.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Rekurs- und Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil, Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagende Partei V***** N*****, vertreten durch Dr. Christian Nurschinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei F. W***** KEG, *****, und den Einschreiter J***** S*****, Komplementär, *****, vertreten durch Dr. Christof Pöchhacker, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in Wien, wegen 21.075,12 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei und den Rekurs des Einschreiters gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungs- und Rekursgericht vom 29. April 2009, GZ 30 R 1/09a, 30 R 2/09y-53, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 14. Oktober 2008, GZ 13 Cg 149/02t-47, abgeändert und die Berufung gegen das Versäumungsurteil des Handelsgerichts Wien vom 27. März 2003, GZ 13 Cg 149/02t-9, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Dem Rekurs des Einschreiters wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei und der Einschreiter haben die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Zum Revisionsrekurs des Klägers:

Das Berufungsgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass keine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den prozessualen Folgen der Vollbeendigung einer beklagten Personengesellschaft während des Prozesses vorliege. Die Entscheidung 8 ObA 72/07g lasse zahlreiche Fragen offen und sei in der Lehre auf Kritik gestoßen. Weder der Kläger noch der Einschreiter äußern sich in ihren Rechtsmittelschriften zum Vorliegen (oder Fehlen) einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO. Der Einschreiter beantragt, dem Revisionsrekurs des Klägers nicht Folge zu geben.

              Der Oberste Gerichtshof ist bei Prüfung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses an den diesbezüglichen Ausspruch des Rekursgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 iVm § 526 Abs 3 ZPO nicht gebunden (§ 526 Abs 2 ZPO). Gemäß § 528 Abs 1 ZPO ist der Revisionsrekurs nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dies ist hier nicht der Fall. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO, der über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung zukäme, muss fallbezogen nicht gelöst werden. Die Zurückweisung des ordentlichen Revisionsrekurses kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Zum besseren Verständnis sei vorangestellt, dass der Kläger mit der am 19. 7. 2002 eingebrachten Klage von der Beklagten aus der Übergabe eines Fahrzeugs zum Weiterverkauf die Zahlung des Klagebetrags begehrt. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, die Klage und den Auftrag zur Erstattung der Klagebeantwortung an die Beklagte zuzustellen, erfolgte am 17. 1. 2003 die Hinterlegung der Sendung. Eine Klagebeantwortung wurde allerdings in der Folge nicht erstattet. Über Antrag des Klägers wurde daher vom Erstgericht am 27. 3. 2003 gegen die Beklagte ein klagestattgebendes Versäumungsurteil erlassen, das jedoch in der Folge nicht an die Beklagte zugestellt werden konnte. Am 18. 11. 2003 wurde die beklagte Kommanditerwerbsgesellschaft (KEG), deren (seit 28. 9. 2001) einziger persönlich haftender Gesellschafter der Einschreiter ist, über Antrag sämtlicher Gesellschafter im Firmenbuch des Erstgerichts gelöscht. Der Kläger begehrt nun zur Fortsetzung des Verfahrens einen Parteiwechsel auf Beklagtenseite unter Einbeziehung des Einschreiters. Der zunächst ebenfalls begehrte Parteiwechsel unter Beiziehung auch noch eines weiteren, schon früher im Firmenbuch gelöschten Komplementärs und mehrerer Kommanditisten spielt im Rechtsmittelverfahren keine Rolle mehr. Der vom Kläger begehrte Parteiwechsel auf den Einschreiter wurde vom Erstgericht bewilligt, vom Rekursgericht hingegen abgewiesen.

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Annahme eines gewillkürten Parteiwechsels äußerst zurückhaltend und lässt diesen (mit Ausnahme der als Einzelfall anzusehenden Entscheidung 8 Ob 650/91) nur in den im Prozessrecht geregelten Fällen zu (1 Ob 12/80, SZ 53/83; 4 Ob 157/07b; RIS-Justiz RS0035139 [T12] ua). Außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fälle wird ein Parteiwechsel auch von der herrschenden Lehre abgelehnt (Fucik in Rechberger, ZPO³ Vor § 1 Rz 8; Schubert in Fasching/Konecny² II/1 Vor § 1 ZPO Rz 89 je mwN; Schneider, Die Berichtigung der Parteibezeichnung und der formelle Parteibegriff, JBl 2006, 555 [562 f, 566 mwN] ua). Der Oberste Gerichtshof stellte daher in 8 ObA 72/07g (GesRZ 2008, 222 [Geroldinger]) - unter Zugrundelegung der Entscheidung des verstärkten Senats 8 ObA 2344/96f (SZ 71/175; GesRZ 1999, 34 [Dellinger]; Oberhammer, JBl 1999, 268) - klar, dass er sich, ausgehend von der vorstehenden herrschenden Auffassung, nicht der Meinung anzuschließen vermag, dass im Fall der Löschung einer geklagten Personengesellschaft während des Prozesses die bisherigen Gesellschafter im Wege eines Parteiwechsels in den Prozess einzubeziehen seien. Schneider (JBl 2006, 555 [562]) weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass auch der eintretenden Partei die Verfahrensgarantien des Art 6 EMRK, insbesondere das rechtliche Gehör, zu gewähren seien, was bei einer Bindung an die bisherigen Verfahrensergebnisse nicht der Fall oder bei einer Wiederholung des Verfahrens der Verfahrensökonomie abträglich wäre. Auch Schubert (in Fasching/Konecny² II/1 Vor § 1 ZPO Rz 40 mwN) vertritt die Auffassung, dass die Frage, ob die weitere Rechtsverfolgung für den Kläger von Wert sei, dieser allein zu entscheiden habe.

Entgegen der von Dellinger in seiner Glosse zur Entscheidung 8 ObA 2344/96f (GesRZ 1999, 34 [42]) vertretenen Meinung, dass sich die Lösung des verstärkten Senats nicht auf die „gesetzestypischen Gesamthandgemeinschaften des Personengesellschaftsrechts“ übertragen lasse, vertrat der Oberste Gerichtshof in 8 ObA 72/07g die Auffassung, dass die grundsätzlichen Erwägungen des verstärkten Senats auch dann anzuwenden sind, wenn es sich bei der Beklagten um eine im Firmenbuch gelöschte Kommanditerwerbsgesellschaft handelt, deren einziger Komplementär und einziger Kommanditist natürliche Personen sind. Dem von Dellinger (GesRZ 1999, 34 [42]) vertretenen Standpunkt, dass die Vermögensprämisse für die aus natürlichen Personen gebildeten Gesamthandgemeinschaften des Personengesellschaftsrechts deshalb falsch sei, weil es weder eine Konkursantragspflicht bei Überschuldung noch ein zwingendes Liquidationsrecht gebe, konnte in dieser Form nicht beigetreten werden. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung, die dem Grundsatz eines fairen Verfahrens iSd Art 6 EMRK zukommt, ist der Grundgedanke, dass aus der Löschung der beklagten Gesellschaft während des Verfahrens die Vermutung der Vermögenslosigkeit nicht abgeleitet werden kann, auch für die beklagte KEG zu übernehmen (8 ObA 72/07g). Davon ausgehend, verneinte das Berufungs- und Rekursgericht zutreffend den vom Kläger begehrten Parteiwechsel.

Ein Grund, von dieser Rechtsprechung abzugehen, wird vom Kläger nicht aufgezeigt. Er releviert in seinem Revisionsrekurs den vom Berufungs- und Rekursgericht als erheblich bezeichneten Problemkreis der Rechtsfolgen der Vollbeendigung einer Personengesellschaft nur kurz, ohne konkret darzulegen, worin nun die „zahlreichen Fragen“ gelegen sein sollen, die die Entscheidung 8 ObA 72/07g offen gelassen habe. Der Hauptvorwurf des Klägers im Revisionsrekurs besteht vielmehr darin, dass sich das Berufungs- und Rekursgericht in der angefochtenen Entscheidung über seine in der früheren Entscheidung vom 18. 12. 2006, in der ein Teilabschnitt des erstinstanzlichen Verfahrens aus Anlass eines Rekurses des Klägers als nichtig aufgehoben wurde (ON 23), vertretene Rechtsauffassung, dass ein Parteiwechsel zulässig wäre, unzulässigerweise hinweggesetzt habe. Auch damit wird keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO aufgezeigt. Ein Abgehen des Berufungs- und Rekursgerichts von seiner früheren Rechtsansicht im Zuge einer neuerlichen Beurteilung ist nämlich unerheblich, wenn sich die in der nunmehr angefochtenen Entscheidung zugrundegelegte Rechtsansicht als zutreffend herausstellt (RIS-Justiz RS0042181 ua). Dies ist hier der Fall. Das Berufungs- und Rekursgericht war in der vorliegenden Entscheidung nicht mehr an seine früher vertretene Rechtsauffassung gebunden, weil der Oberste Gerichtshof in der Zwischenzeit in 8 ObA 72/07g gegenteilig entschieden hat (RIS-Justiz RS0042181 ua).

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO ist der Revisionsrekurs des Klägers zurückzuweisen.

Zum Rekurs des Einschreiters:

Mit der angefochtenen Entscheidung wies das Berufungs- und Rekursgericht die Berufung des Einschreiters gegen das Versäumungsurteil des Erstgerichts vom 27. 3. 2003 zurück. Dabei vertrat es die Rechtsauffassung, dass dem Einschreiter mangels Parteiwechsels weder Parteistellung noch Rechtsmittellegitimation zukomme.

Dagegen - und gegen die Kostenentscheidung im Zusammenhang mit der Abweisung des begehrten Parteiwechsels - richtet sich der Rekurs des Einschreiters mit dem Antrag, dem Berufungs- und Rekursgericht aufzutragen, in die Entscheidung über die Berufung einzutreten, und den Kläger zu verpflichten, dem Einschreiter die gesamten Kosten des Verfahrens zu ersetzen.

Der Rekurs gegen die Zurückweisung der Berufung ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und den Wert des Entscheidungsgegenstands zulässig (RIS-Justiz RS0043882 ua); er ist jedoch nicht berechtigt. Soweit sich der Rekurs gegen die Entscheidung des Berufungs- und Rekursgerichts im Kostenpunkt richtet, ist die Entscheidung unanfechtbar (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO).

Auch das Rechtsmittel des Einschreiters setzt sich im Zusammenhang mit der Zurückweisung der Berufung mit der Frage der Zulässigkeit des Parteiwechsels von der KEG auf den Komplementär nach Löschung der Gesellschaft im Firmenbuch auseinander, ohne allerdings - wie der Kläger - konkret aufzuzeigen, welche präjudizielle erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO in der bisherigen Rechtsprechung unbeantwortet geblieben sein soll. Insoweit kann daher auf die Ausführungen zum Revisionsrekurs des Klägers verwiesen werden. Da ein Parteiwechsel auf den Einschreiter nicht zulässig ist, ging das Berufungs- und Rekursgericht zu Recht davon aus, dass dem Einschreiter mangels Parteistellung die Rechtsmittelbefugnis für eine Berufung gegen das Versäumungsurteil fehlt (Kodek in Rechberger, ZPO³ Vor § 461 Rz 8 ua). Dem Rekurs des Einschreiters muss daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO. Der Einschreiter hat in seiner Revisionsrekursbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses des Klägers zufolge Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage hingewiesen (vgl RIS-Justiz RS0035979 ua). Gegen welche Entscheidung sich der Revisionsrekurs des Klägers richtet, ist entgegen der Bedenken des Einschreiters ebenso erkennbar wie der Anfechtungsumfang.

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht

Textnummer

E94714

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0090OB00053.09Y.0728.000

Im RIS seit

11.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

07.03.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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