Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gernot Nachtnebel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Franz K*****, vertreten durch Dr. Witt & Partner Rechtsanwalt KG in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. Februar 2010, GZ 39 R 368/09w-14, womit das Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 28. Juli 2009, GZ 7 C 557/09h-10, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können vom Berufungsgericht verneinte angebliche Verfahrensmängel erster Instanz nicht nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden. Auf die von diesem Grundsatz bestehenden Ausnahmen, dass das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (RIS-Justiz RS0042963 [T12, T28, T52]; RS0043086), hat sich die Revisionswerberin nicht berufen. Nach einem Teil der Rechtsprechung soll dieser Grundsatz (allenfalls) unanwendbar sein, wenn das Berufungsgericht die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer unhaltbaren rechtlichen Beurteilung verworfen hat (RIS-Justiz RS0042963 [T37]). Selbst wenn man dem folgt, muss mit Zechner (in Fasching/Konecny, ZPO² § 503 Rz 35) diese Ausnahme vom einleitend wiedergegebenen Grundsatz auf krasse Fälle ohne Beurteilungsspielraum beschränkt bleiben. Davon kann bei der vom Berufungsgericht vorgenommenen einschränkenden Auslegung des (noch in der Stammfassung geltenden) § 345 ZPO aber keine Rede sein:
Verzichtet ein Beweisführer auf einen beantragten Zeugen, dann kann der Gegner seine Einvernahme oder deren Fortsetzung verlangen, wenn der Zeuge bereits zur Vernehmung erschienen ist bzw die Vernehmung schon begonnen hat (§ 345 zweiter Satz ZPO). Nach den Materialien zur ZPO soll dieses Recht des Beweisgegners diesem einen eigenen Beweisantrag und dem Gericht einen (mittlerweile durch das Prozessprogramm ersetzten) Beweisbeschluss ersparen (Neumann, Kommentar zu den ZPG4 II 1067 [wie auch schon in der vom Berufungsgericht zitierten 1. Auflage], und ihm folgend Fasching, ZPO1 III 461). Da sich das Prozessprogramm jederzeit leicht ergänzen lässt, vermag diese Erwägung diese Regelung wohl nicht zu tragen. Daher wird man nur die Vermeidung einer Verfahrensverzögerung (oder - mit Frauenberger in Fasching/Konecny, ZPO² § 345 Rz 1 - das neuerliche Erscheinen des Zeugen vor Gericht) als Folge eines eigenen Beweisantrags des Gegners als Zweck dieser Norm ansehen können. Nur so scheint die Einschränkung des Beharrungsrechts auf schon bei Gericht anwesende und daher regelmäßig verzögerungsfrei zu vernehmende Zeugen erklärbar. Dann ist aber die Ansicht, ein der deutschen Sprache unkundiger Zeuge sei nicht als im Sinne des § 345 ZPO bei Gericht erschienen anzusehen, wenn kein geeigneter Dolmetscher anwesend ist, zumindest gut vertretbar, jedenfalls nicht unhaltbar. Schließlich würde die in der Revision vertretene Rechtsansicht gerade dazu führen, dass die durch den Verzicht ermöglichte Verfahrensverkürzung zunichte gemacht würde. Es hätte eine weitere Verhandlung anberaumt, ein Dolmetscher geladen werden und die Zeugin nochmals zur Gericht kommen müssen. Demnach kann die klagende Partei auch in diesem Punkt den verneinten Verfahrensmangel erster Instanz nicht mehr mit Erfolg in ihrer Revision rügen.
Dazu kommt, dass die klagende Partei nicht nur Gelegenheit hatte, einen eigenen Beweisantrag zu stellen, sondern ihn auch tatsächlich stellte. Wie schon Neumann (aaO) überzeugend darlegt, ist § 345 ZPO im Grunde nicht notwendig, weil ein solcher eigener Beweisantrag des Gegners des Verzichtenden, sofern er nicht überflüssig ist, zu bewilligen wäre. Daraus ist aber zu folgern, dass für den Fall der Stellung eines eigenen Beweisantrags ein allfälliger Verstoß des Erstgerichts gegen § 345 zweiter Satz ZPO keinen wesentlichen Verfahrensmangel (iSd § 496 Abs 1 Z 2 ZPO) zu begründen vermag.
Ob allerdings das Berufungsgericht zu Recht den Beweisantrag der Revisionswerberin, obwohl sie dazu erst durch den Verzicht des Beweisführers veranlasst wurde, als nach § 179 zweiter Satz ZPO verspätet beurteilte (gegenteilig, freilich zur früheren Rechtslage, Neumann und Fasching, je aaO), kann aus den folgenden Erwägungen dahingestellt bleiben:
Der Beurteilung des Berufungsgerichts, dass in der Berufung nur gerügt worden sei, die Zeugin sei nicht zum Beweis dafür einvernommen worden, dass eine andere Wohnung als die aufgekündigte dem Sohn des Beklagten zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses diene bzw als dienlich anzusehen sei, und dass damit ein erheblicher Verfahrensmangel nicht aufgezeigt worden sei, setzt die Revisionswerberin in Wahrheit gar keine sachlichen Argumente entgegen. Umso weniger vermag sie eine erhebliche Rechtsfrage des Verfahrensrechts darzustellen.
Auch sonst sind Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten.
Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Schlagworte
Zivilverfahrensrecht,Streitiges WohnrechtTextnummer
E94806European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0030OB00085.10M.0804.000Im RIS seit
17.09.2010Zuletzt aktualisiert am
21.02.2017