Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 12. August 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Reich als Schriftführerin in der Strafsache gegen Julian N***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 142 Abs 1, 12 dritter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Julian N***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 29. April 2010, GZ 5 Hv 31/10s-48, sowie über die Beschwerde dieses Angeklagten gegen den unter einem gefassten Beschluss nach §§ 50 Abs 1, 52 StGB nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Schuldsprüche betreffend Usman Z*****, Kevin G*****, Stephan F***** und Alexander S***** enthaltenden Urteil wurde Julian N***** des Verbrechens des Raubes nach §§ 142 Abs 1, 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 29. Jänner 2010 in Graz zur Ausführung der Tat des Usman Z***** und Kevin G*****, welche im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter dem Martin M***** dadurch, dass Usman Z***** ihn an der Jacke erfasste, zu Boden warf und dort festhielt, sich auf ihn kniete und am Boden fixierte, während Usman Z***** und Kevin G***** mehrmals die Herausgabe von Geld forderten, Usman Z***** insbesondere ankündigte: „Wenn du mir dein Geld nicht gibst, erlebst du den 16. Geburtstag nicht!“, sowie Kevin G***** für den Fall der Nichtherausgabe des Geldes ankündigte, dass bereits einige Leute zum Tatort unterwegs seien und ihn dann herrichten (gemeint: zumindest am Körper verletzen) werden und Usman Z***** ihm sodann die Geldbörse mit 220 Euro entriss, also mit Gewalt sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz abnötigten, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, dadurch beigetragen, dass er Martin M***** fernmündlich in Kenntnis des Tatplans der unmittelbaren Täter zum Tatort lockte.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.
Der Beschwerdeführer bringt vor, dass mit Beschluss vom 11. Februar 2010 (ON 20) gemäß §§ 173 Abs 5 Z 7, 179 Abs 1 StPO eine vorläufige Bewährungshilfe angeordnet wurde. Daher hätte der Bewährungshelfer des jugendlichen Angeklagten gemäß § 40 JGG zur Hauptverhandlung geladen werden müssen. Die unterlassene Anhörung des Bewährungshelfers in der Hauptverhandlung stelle einen unvertretbaren Verstoß gegen die Bestimmungen über die Strafbemessung dar.
Vorweg bleibt festzuhalten, dass der Beschluss auf vorläufige Bewährungshilfe zwar verkündet (vgl S 11 in ON 19), aber entgegen § 16 BewHG dem Leiter der Geschäftsstelle des Vereins Neustart (§ 24 Abs 2 BewHG) nicht zugestellt wurde (vgl S 9 in ON 1), sodass (ebenso wie beim Angeklagten Kevin G*****; vgl S 9 in ON 18 und S 9 in ON 1) die Bekanntgabe der Bestellung der Person des Bewährungshelfers bis zur Hauptverhandlung unterblieben war.
Die Missachtung des Mitwirkungsrechts eines (im konkreten Fall erst zu bestellenden) Bewährungshelfers nach § 40 JGG stellt eine Gesetzesverletzung dar (vgl Schroll in WK² § 40 JGG Rz 8).
§ 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO stellt hingegen auf eine grobe Verkennung gesetzlicher Vorgaben für eine Ermessensentscheidung im Sanktionsbereich ab (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 677). Eine Nichtigkeit in diesem Sinn liegt auch dann vor, wenn das Gericht - ohne das Erfordernis eines Bezugs zu betroffenen (Strafzumessungs-)Tatsachenfeststellungen, also Feststellungen für die Strafbemessung entscheidender Tatsachen im Sinne des zweiten Falls der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO - nach den Entscheidungsgründen erkennbar dem richterlichen Ermessen entzogene Fallnormen zur Strafbemessung herangezogen hat, welche mit den gesetzlichen Bestimmungen nicht in Einklang zu bringen sind (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 678).
Die Korrektheit der Sachverhaltsermittlung, welche Verfahrens-, Mängel- und Tatsachenrüge bei der Schuldfrage (§§ 259, 260 Abs 1 Z 2 StPO) in formalisierter, solcherart möglichst gleichgerechter Weise sicherstellen, wird hingegen vom Wortlaut und Zweck des § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO nicht erfasst (vgl RIS-Justiz RS0099869). Eine analoge Anwendung von § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO (wie bei Prüfung der Sanktionsbefugnisgrenzen nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) kommt nicht in Betracht, weil jeder Hinweis auf eine diesbezügliche planwidrige Lücke fehlt (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 680; Fabrizy StPO10 § 281 Rz 76). Dass der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO nicht die Korrektheit der Feststellung von Strafzumessungstatsachen betrifft, sondern nur deren (rechts-)fehlerhafte Beurteilung, geht aus dem darauf hinweisenden Klammerausdruck in Gesetzesmaterialien (vgl JAB StRÄG 1987, 359 BlgNR 17. GP, 44: „eine fehlerhafte Beurteilung von sog. Strafzumessungstatsachen“) unmissverständlich hervor (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 680; idS auch Pallin, ÖJZ 1988, 386; vgl Burgstaller, RZ 1982, 148). Eine einwandfreie Sachverhaltsermittlung kann (ohne Behinderung durch das Neuerungsverbot) nur mit Berufung eingefordert werden (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 680; SSt 59/35; RIS-Justiz RS0099869; 15 Os 72/07p, EvBl 2007/153, 831).
Die gerügte Unterlassung der Anhörung des Bewährungshelfers in der Hauptverhandlung, mit der eine mangelhafte (faktisch allerdings gar nicht mögliche, weil eine Bestellung zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgt war) Aufklärung zu der den Nichtigkeitswerber betreffenden Sozialprognose, insbesondere zur reklamierten vollständig bedingten Nachsicht gerügt wird, betrifft eine (im Sinn des § 40 JGG gebotene) erweiterte Sachverhaltsermittlung zur Abklärung der zu verhängenden Sanktion. Solcherart liegt aber der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nicht vor, sondern nur ein Berufungsgrund.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die (implizierte) Beschwerde (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E95009European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0120OS00114.10X.0812.000Im RIS seit
03.10.2010Zuletzt aktualisiert am
20.10.2011