Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Johann Ellersdorfer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alois S*****, Maurer, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltgesellschaft mbH in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Mai 2010, GZ 7 Rs 33/10t-17, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Der am 19. Mai 1954 geborene Kläger, der den erlernten Beruf eines Maurers ausgeübt hat, wurde nach Einholung eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens auf den Beruf eines Baustofffachmarktberaters verwiesen.
Zur Zulässigkeit seiner außerordentlichen Revision macht er geltend, dass die die Verweisbarkeit bejahende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0084541) jüngst vom Oberlandesgericht Wien zu 8 Rs 5/09b zutreffenderweise in Zweifel gezogen worden sei: Zwischen dem erlernten Beruf und dem Verweisungsberuf bestehe keinerlei Verwandtschaft, was sich etwa darin zeige, dass eine Anrechnung der Lehrzeit des Maurers auf die Lehrzeit des Einzelhandelskaufmanns mit Schwerpunkt Baustoffhandel nicht vorgesehen sei. Die erforderliche Nahebeziehung fehle auch bei einer Verweisung auf die Tätigkeit eines Baustofffachmarktberaters in Mischmärkten, wo umfassende, komplexe und individuelle Fachberatungen einschließlich kaufmännischer Aspekte gefordert würden. Der Schwerpunkt liege auf der Beratungs- und Verkaufstätigkeit, die jedenfalls keine Teiltätigkeit des Lehrberufs Maurer darstelle, weshalb eine Verweisung mit dem Verlust des Berufsschutzes als Maurer verbunden sei.
2. Nach den unangefochtenen Feststellungen des Erstgerichts handelt es sich bei Baustofffachmarktberatern vielfach um kaufmännisch (vornehmlich Einzelhandel-Baustoffe) und teils handwerklich ausgebildete Arbeitnehmer, wie Maurer. Letztere werden innerbetrieblich durch Mitarbeit mit einem erfahrenen Arbeitnehmer des Dienstgebers - unterbrochen durch mehrere ein- bis zweitägige externe Schulungen (Baustoffexkursionen bei Lieferanten, Verkaufstraining zB beim Baustoffausbildungszentrum) - in Summe in einer Dauer von drei bis sechs Monaten (zB Bestellwesen, Waren buchen, interne Organisation und EDV) eingewiesen. Die Arbeitnehmer werden zumeist in die Verwendungsgruppe 2 oder 3 des Handelskollektivvertrags eingestuft. Sie werden in einem von knapp 600 in Österreich existierenden Mischbetrieben, wo sowohl Privat- wie auch gewerbliche Kunden betreut werden, beschäftigt. Der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt in der fachkundigen Beratung und im Verkauf.
In Mischmärkten kaufen sowohl Laien als auch Profis ein. Die Mitarbeiter der Baustoffabteilungen erkundigen sich nach den Wünschen der (auch gewerblichen) Kunden, beraten diese fachkundig und erteilen ihnen Informationen über Eigenschaften der geforderten Artikel (Verarbeitung, Handhabung, unterschiedliche Qualitätsmerkmale, Haltbarkeitsdauer, Menge, Preis, Folgekosten, Alternativen usw). Dabei gibt es in der Beratung grundlegende Erstberatungen (mehr als 100 Arbeitsplätze in Österreich), bei größeren Vorhaben oder speziellen Produkten (Bauelemente) eigene Spezialisten (mehr als 100 Arbeitsplätze) und die Mitarbeiter im Außendienst (mehr als 100 Arbeitsplätze). Alle nehmen Bestellungen auf, erstellen einen Lieferschein und organisationsabhängig auch eine Rechnung, soweit dies nicht entweder automatisch durch die EDV oder die betriebliche Buchhaltung erledigt wird.
Das Berufsausbildungsgesetz bietet keine Möglichkeit, die Lehrzeit des Maurers auf die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann im Baustoffhandel anzurechnen. Handwerkliche Tätigkeiten sind mit dem Beruf des Baustofffachmarktberaters nicht verbunden; es handelt sich vorwiegend um beratende und kaufmännische Tätigkeiten. Das im Handwerk erworbene Fachwissen ist ein wesentlicher Teil der notwendigen Kenntnisse.
3. Ausgehend von dieser Tatsachengrundlage hat das Berufungsgericht bereits darauf hingewiesen, dass nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (10 ObS 194/02f; 10 ObS 218/03m = SSV-NF 18/3) der Umstand, dass die am 1. 7. 2000 in Kraft getretene Einzelhandel-Ausbildungsordnung für den Lehrberuf Einzelhandel mit Schwerpunkt Baustoffhandel (BGBl II 2000/186) keine Anrechnung von im Lehrberuf Maurer zurückgelegten Lehrzeiten vorsieht, noch nicht bedeutet, dass beim Baustofffachmarktberater die Kenntnisse eines Maurers nicht gefragt sind und eine entsprechende Nahebeziehung des Verweisungsberufs zum bisher ausgeübten Beruf fehlt. Zuletzt hat der Oberste Gerichtshof in der Begründung zur Zurückweisung einer außerordentlichen Revision (10 ObS 106/09z) ausgeführt, dass keine Veranlassung bestehe, von der gefestigten Rechtsprechung zur Verweisbarkeit von qualifizierten Facharbeitern auf korrespondierende Angestelltentätigkeiten abzugehen.
4. Der Befürchtung des Klägers, dass er durch die Verweisung seinen Berufsschutz als Maurer verlieren würde, ist entgegen zu halten, dass die schon genannte ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor allem darauf gründet, dass die handwerkliche Ausbildung und die dabei erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten ein Anstellungs- und Ausübungskriterium des Verweisungsberufs bilden und diese qualifizierten Facharbeiter als Kunden- und Verkaufsberater in Baustofffachmärkten auch tatsächlich Verwendung finden. Daher handelt es sich bei diesem Verweisungsberuf um eine qualifizierte Teiltätigkeit des jeweiligen Lehrberufs. Der Wechsel eines qualifizierten Facharbeiters in eine Angestelltentätigkeit führt zu keinem Verlust des Berufsschutzes, wenn eine entsprechende Nahebeziehung zum bisher ausgeübten Beruf besteht (10 ObS 71/06y; 10 ObS 263/01a = SSV-NF 15/107 ua).
5. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass nach den vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbaren Feststellungen die Verweisungstätigkeit eines Baustofffachmarktberaters eine entsprechende Nahebeziehung zum bisher ausgeübten Beruf hat, bedarf keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.
Schlagworte
Sozialrecht,Textnummer
E94798European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:010OBS00120.10K.0817.000Im RIS seit
15.09.2010Zuletzt aktualisiert am
15.09.2010