Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Elias S*****, vertreten durch das Land Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur, Bereich Jugendwohlfahrt, Dr. Theodor Körner-Straße 34, 8600 Bruck an der Mur), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 30. April 2010, GZ 1 R 161/10v-U37, womit infolge Rekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, der Beschluss des Bezirksgerichts Stainz vom 4. Februar 2010, GZ 1 PU 15/10k-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt lauten:
Der am 28. 1. 2010 eingebrachte Antrag des Kindes, ihm Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 250 EUR monatlich zu gewähren, wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Der am 30. 12. 2006 geborene Elias S***** ist der Sohn von Andrea S***** und Robert K*****. Letzterer war mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 14. 7. 2008, GZ 3 Pu 6/08d-18, zu einem monatlichen Unterhalt von 250 EUR ab 30. 12. 2006 verpflichtet worden; die Rechtskraft wurde am 4. 8. 2008 bestätigt.
Am 28. 1. 2010 brachte das Kind, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, bei Gericht einen Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Titelhöhe gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG mit folgender Begründung ein: „Die laufenden Unterhaltsbeiträge können trotz Exekution ***** E 1271/09t des Bezirksgerichtes G***** auf das Arbeitseinkommen nicht hereingebracht werden. Die Führung einer Exekution scheint aussichtslos, weil ...“.
Mit Beschluss vom 4. 2. 2010, GZ 1 Pu 15/10k-23, bewilligte das Erstgericht dem Kind Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in der monatlichen Höhe von 250 EUR für den Zeitraum vom 1. 1. 2010 bis 31. 12. 2014. Zur Begründung wurde angegeben, dass der Unterhaltsschuldner nach der am 4. 8. 2008 eingetretenen Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhalt nicht zur Gänze geleistet habe; beim Bezirksgericht G***** sei gegen den Unterhaltsschuldner am 25. 2. 2009 eine Forderungsexekution eingebracht worden.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge. Das Kind habe am 23. 2. 2009 gegen den Vater einen Exekutionsantrag nach § 294a EO eingebracht, der am 22. 4. 2009 bewilligt worden sei. Wie aus dem Versicherungsdatenauszug ersichtlich sei, sei der Vater bei Stellung des Exekutionsantrags bei der Firma P***** GmbH gewesen. Nach Ende seiner Beschäftigung (17. 4. 2009) habe er Arbeitslosengeld bezogen. Vom 1. 7. 2009 bis 18. 12. 2009 sei er wiederum bei der Firma P***** GmbH beschäftigt gewesen. Seit 19. 12. 2009 stehe er in einem aufrechten Arbeitsverhältnis zur Firma C***** GmbH. Für den Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter des Kindes sei der Grund für die Erfolglosigkeit der Exekution nicht ersichtlich gewesen. Da er vom Drittschuldner auch keine Mitteilung über einen „Austritt“ des Unterhaltsschuldners erhalten habe, habe auch kein Anlass bestanden, durch Versicherungsdatenabfrage einen allfällig neuen Drittschuldner herauszufinden. Zu Recht habe das Erstgericht die Vorschüsse bewilligt, weil das Kind seiner Bescheinigungspflicht nachgekommen sei.
Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nachträglich mit der Begründung zu, dass zu § 3 Z 2 UVG in der Fassung des FamRÄG 2009 im Zusammenhang mit der hier strittigen Frage keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Abweisung des Vorschussantrags. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Das Kind, die Mutter und der Vater haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.
Die Rechtsmittelausführungen des Bundes lassen sich dahin zusammenfassen, dass das Kind auch nach der durch das FamRÄG 2009 geschaffenen neuen Rechtslage den „richtigen“ Exekutionsschritt setzen müsse. Zum Zeitpunkt der seinerzeitigen Exekutionsbewilligung im April 2009 sei der Vater nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis gestanden, sondern habe Arbeitslosengeld bezogen. Zum Zeitpunkt der Vorschussantragstellung sei der Vater wiederum in einem Arbeitsverhältnis gestanden. Aus diesem Grund hätte der Exekution, die der Bewilligung der Vorschüsse zugrunde gelegt worden sei, von vornherein Erfolglosigkeit unterstellt werden müssen. Das Kind hätte daher vor Stellung des Vorschussantrags eine aktuelle Forderungsexekution nach § 294a EO beantragen müssen, da die von § 3 Z 2 UVG nF geforderten tauglichen Exekutionsmaßnahmen in einem engen zeitlichen Verhältnis zum Vorschussantrag bzw der Bewilligung der Vorschüsse stehen müssten. Auf eine Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung sei der Vorschussantrag nicht gestützt worden.
Der Senat hat dazu erwogen:
Bis zum Inkrafttreten der Novellierung des UVG mit dem FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, setzte § 3 UVG neben dem Bestehen eines im Inland vollstreckbaren Unterhaltstitels (Z 1) voraus, „dass eine wegen der laufenden Unterhaltsbeiträge geführte Exekution nach § 291c Abs. 1 EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder eine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, eine Exekution nach § 372 EO auch nur einen in den letzten sechs Monaten vor Stellung des Antrags auf Vorschußgewährung fällig gewordenen Unterhaltsbeitrag nicht voll gedeckt hat“.
Während § 3 Z 1 UVG unverändert blieb, wurde § 3 Z 2 UVG mit dem FamRÄG 2009 novelliert. Die Norm erhielt in ihrem ersten (auf Inlandsverhältnisse bezogenen) Teil folgende Fassung: „Vorschüsse sind zu gewähren, wenn … 2. der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet sowie das Kind glaubhaft macht (§ 11 Abs. 2), einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder keine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen unter Berücksichtigung von § 372 EO eingebracht zu haben“.
Die Formulierung der novellierten Gesetzesstelle ist relativ allgemein gehalten; sie bringt insbesondere nicht eindeutig zum Ausdruck, ob ein gewisser zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang zwischen Exekutionsführung und Vorschussantrag bestehen muss. Ganz offensichtlich schwebte dem Gesetzgeber als eine Art Leitlinie vor, dass der Vorschussantrag ab 1. 1. 2010 im Regelfall in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Exekutionsantrag gestellt wird (Neumayr, Unterhaltsvorschuss neu, ÖJZ 2010, 164 [168]). Der erkennbare Zweck der Novellierung des § 3 Z 2 UVG, den Auszahlungszeitpunkt für die Vorschüsse vorzuverlagern (IA 673/A 24. GP 1 und 39), nicht aber die Anspruchsvoraussetzungen für die Vorschussgewährung zu verringern, deutet darauf hin, dass Exekutionsführung und Vorschussantrag nicht völlig losgelöst voneinander gesehen werden dürfen.
In den Gesetzesmaterialien (IA 673/A 24. GP 39) wird die Novellierung des § 3 Z 2 UVG mit folgenden Erwägungen erklärt:
„Durch die Neufassung dieser Bestimmung sollen die Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen geändert werden, sodass diese im Vergleich zur geltenden Rechtslage zu einem früheren Zeitpunkt an die Kinder ausgezahlt werden können. Die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 3 setzt in der unverändert bleibenden Z 1 weiterhin einen im Inland vollstreckbaren Exekutionstitel für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch voraus, in Z 2 jedoch nicht mehr das Kriterium der erfolglosen Exekutionsführung. Stattdessen soll es ausreichen, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Titels den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet und das Kind „taugliche“ Exekutionsmaßnahmen eingeleitet hat. Ob allenfalls bestehende Unterhaltsrückstände nicht gezahlt werden, spielt für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss keine Rolle. Damit wird der Charakter der Vorschussleistungen als Substitut für laufende Unterhaltsleistungen unterstrichen. Vorschussleistungen dienen in erster Linie dem Zweck, die Versorgung der Kinder bei Ausbleiben der Unterhaltszahlungen zu sichern. Die Bestimmung der Z 2 legt außerdem fest, welche Schritte der Exekutionsführung vorzunehmen und bei Antragstellung dem Gericht zu bescheinigen sind. Dabei orientiert sich das Gesetz an jenen exekutiven Maßnahmen, die im Regelfall zielführend sind, und legt einen Mindeststandard fest, dessen Erfüllung ausreicht, um die Bewilligung von Unterhaltsvorschuss zu erlangen. Jedoch soll der Unterhaltsgläubiger die Vollstreckung seines Unterhaltsanspruchs in jedem Fall ernsthaft verfolgen und allenfalls darüber hinausgehende Exekutionsmittel ergreifen, wenn diese im konkreten Fall zweckmäßig erscheinen. Wenn er etwa weiß, dass andere pfändbare Vermögenswerte, wie beispielsweise ein GmbH-Anteil oder Wertpapiere, beim Unterhaltsschuldner vorhanden sind, so ist er angehalten, entsprechende exekutive Maßnahmen zu setzen, selbst wenn die Gewährung des Unterhaltsvorschusses nicht davon abhängt. Für die Erlangung von Unterhaltsvorschuss reicht es aber aus, dass das Kind bei behauptetem Vorliegen von Forderungen des Verpflichteten iSd § 290a EO (wiederkehrende Leistungen mit Entgelt- bzw. Entgeltersatzcharakter) iSd § 11 Abs 2 UVG glaubhaft macht, dass es die Exekution nach Maßgabe des § 294a EO beantragt hat. Dies kann etwa dadurch geschehen, dass es eine Kopie des Exekutionsantrags dem Antrag auf Vorschussgewährung anschließt. Der Unterhaltsgläubiger hat dabei den Vorteil, dass er den Drittschuldner im Exekutionsantrag nicht näher bezeichnen muss. Wenn der Unterhaltsschuldner jedoch offenbar keine Gehaltsforderung oder keine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, so muss gegen ihn (zumindest) Fahrnisexekution geführt werden. Dabei muss der Unterhaltsberechtigte überdies versuchen, den Unterhalt im Wege einer Exekution nach § 372 EO sicherzustellen. Auch dieses Vorgehen ist - etwa durch Beilage einer Kopie des entsprechenden Exekutionsantrags - im Antrag auf Vorschussgewährung zu bescheinigen.“
Im Sinne dieser Erwägungen ist der weite Wortlaut des § 3 Z 2 UVG in der novellierten Fassung teleologisch dahin zu reduzieren, dass sich das Kind nicht die Voraussetzungen des § 3 Z 2 UVG dadurch erhalten kann, dass es „irgendwann“, also ohne konkreten Zusammenhang mit einem Vorschussantrag, einen Exekutionsantrag gestellt hat. Vielmehr muss der Vorschussantrag - aufgrund der Subsidiarität der Vorschussgewährung gegenüber der Hereinbringung der Geldunterhaltsleistungen des Unterhaltsschuldners - grundsätzlich erfolgversprechend in dem Sinn sein, dass damit die Möglichkeit besteht, den Geldunterhaltsanspruch auch zu lukrieren. Für dieses Erfordernis sprechen vor allem zwei Erwägungen: Zum einen würde sonst der Vorschussgrund der Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung (§ 4 Z 1 UVG) einen sehr großen Teil seines Anwendungsbereichs verlieren, ohne dass eine gesetzgeberische Absicht in diese Richtung erkennbar wäre. Zum anderen hat sich durch die Novellierung die Notwendigkeit, dass das Kind vor einem Vorschussantrag bei der Exekutionsführung den „richtigen Schritt“ setzt (2 Ob 64/03f; 10 Ob 14/10x), nicht geändert. Zusammenfassend orientiert sich das Gesetz in der novellierten Fassung an jenen exekutiven Maßnahmen, die im Regelfall zielführend sind (Gröger, Unterhaltsvorschuss nach dem FamRÄG 2009, EF-Z 2010, 16). Um der Subsidiarität der Vorschussgewährung zum Durchbruch zu verhelfen, muss die von § 3 Z 2 UVG geforderte Exekutionsführung bis zur Vorschussantragstellung auch grundsätzlich zielführend bleiben (etwa weil der Geldunterhaltsschuldner noch immer beim selben Arbeitgeber beschäftigt ist); die bloße Tatsache einer Exekutionsführung allein führt nicht zu einer dauerhaften Möglichkeit, in Zukunft Vorschüsse auf der Grundlage von § 3 Z 2 UVG zu beantragen. Wechselt dagegen der Geldunterhaltsschuldner immer wieder seine Arbeit, um einen exekutiven Zugriff auf sein Einkommen zu verhindern, müsste nicht immer wieder neu ein Exekutionsantrag gestellt werden; hier wäre die Exekutionsführung als aussichtslos zu qualifizieren (ebenso Neumayr in Schwimann3 § 4 UVG Rz 6 mit Hinweisen auf entsprechende zweitinstanzliche Rechtsprechung).
Nach § 11 Abs 2 UVG hat das Kind die Voraussetzungen für die Vorschussgewährung nachzuweisen oder zumindest durch eine der Wahrheit entsprechende Erklärung des Vertreters zu bescheinigen, damit das Gewährungsverfahren rasch und ohne weitwendige Ermittlungen abgewickelt werden kann (RIS-Justiz RS0088823 [T3]). Maßgeblicher Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vorschussgewährung ist dann stets das Datum der Entscheidung erster Instanz (RIS-Justiz RS0076052 [T5]). Auch für die Beurteilung, ob der Anschein der Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung gegeben ist, wäre die objektive Lage zur Zeit der Fassung des Beschlusses erster Instanz entscheidend (RIS-Justiz RS0076052 [T1]); darauf hat sich das Kind allerdings im konkreten Fall nicht gestützt.
Zum Zeitpunkt der Vorschussantragstellung im Jänner 2010 wäre bereits ohne besonderen Aufwand, nämlich durch eine Hauptverbandsabfrage, erkennbar gewesen, dass die seinerzeit gegen den Unterhaltsschuldner eingeleitete Exekution nach § 294a EO nicht zum Erfolg führen konnte, weil der Vater schon seit einiger Zeit nicht mehr bei dem Arbeitgeber beschäftigt war, der als Drittschuldner in das Exekutionsverfahren einbezogen worden war. Das Kind wäre gehalten gewesen, vor der Vorschussantragstellung nochmals einen Exekutionsantrag nach § 294a EO (oder wohl auch nach § 294 EO) zu stellen oder die Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung nachzuweisen bzw zumindest zu bescheinigen.
Da der Vorschussantrag aufgrund der dargestellten Erwägungen nicht berechtigt ist, ist dem Revisionsrekurs des Bundes Folge zu geben.
Schlagworte
UnterhaltsrechtTextnummer
E95018European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0100OB00047.10Z.0817.000Im RIS seit
01.10.2010Zuletzt aktualisiert am
15.02.2013