Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19. August 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Lässig, Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Oliver P***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 1, 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 15 Hv 132/09s des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom 4. Dezember 2009 (ON 29) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Staatsanwältin MMag. Sauter und des Verteidigers Dr. Eberhart zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 4. Dezember 2009, GZ 15 Hv 132/09s-29, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 57 Abs 2 und Abs 3 und 58 Abs 2 StGB.
Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in den Schuldsprüchen B/1 und 2, C/1 und 2 und D/1 sowie im Strafausspruch einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung aufgehoben und es wird im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Oliver P***** wird von der Anklage, er habe
B/ Pamela P***** durch Drohungen mit dem Tod zur Unterlassung einer Mitteilung davon, dass er im Herbst 1995 in Graz mit ihr als seiner am 22. Mai 1984 geborenen, somit unmündigen Stieftochter den Beischlaf unternommen habe, indem er die auf seinem Schoß liegende Elfjährige, nachdem er sie an den Brüsten und im Genitalbereich gestreichelt und ihr zwei Finger in die Scheide eingeführt hatte, zu sich hochzog, um mit ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, wobei es infolge der Gegenwehr der Unmündigen beim Versuch blieb, an ihre Mutter und zur Unterlassung der Anzeigeerstattung genötigt, und zwar
1. im Herbst 1995 in Graz durch die Äußerung: „Es tut mir leid, ich weiß, dass es falsch war, aber wehe du sagst etwas, dann bringe ich dich und deine Mutter um!“;
2. im Dezember 1997 in Gran Canaria durch die Äußerung, wenn sie den Vorfall ihrer Mutter erzähle, werde er ihre Mutter und sie umbringen;
C/ mit der am 4. Mai 1983 geborenen, somit minderjährigen Daniela G*****, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen, und zwar
1. im Dezember 1997 in Gran Canaria, indem er ihre Brüste betastete;
2. im September 1998 in Graz, indem er in zumindest fünf Angriffen mit ihr Geschlechtsverkehr und Oralverkehr sowie einmal Analverkehr vollzog;
D/1/a in Graz Manuela P***** durch geschlechtliche Handlungen an ihr belästigt, und zwar im Mai 2007, indem er in zwei Angriffen ihre Brüste betastete,
gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Er wird für die ihm weiter zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich das Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 1, 15 StGB (A/1) und die Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (A/2), der sexuellen Belästigung nach §§ 218 Abs 1 Z 1, 15 StGB (D/2) sowie der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (§ 107 Abs 1) StGB (E), unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 206 Abs 1 StGB zu einer
Freiheitsstrafe von 18 Monaten
verurteilt.
Über die Anrechnung der Vorhaft hat das Erstgericht zu entscheiden.
Text
Gründe:
Oliver P***** wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 4. Dezember 2009, GZ 15 Hv 132/09s-29, eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 1, 15 StGB (A/1), (richtig:) eines Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (A/2) und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (C/1 und 2), zweier Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (B/1 und 2), dreier Vergehen der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB, von denen eines beim Versuch blieb (D/1 und 2), und eines Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (§ 107 Abs 1) StGB (E) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
Danach hat er
A/ im Herbst 1995 in Graz
1. mit der am 22. Mai 1984 geborenen, somit unmündigen Pamela P***** den Beischlaf zu unternehmen versucht, indem er die auf seinem Schoß liegende Elfjährige, nachdem er sie an den Brüsten und im Genitalbereich gestreichelt und ihr zwei Finger in die Scheide eingeführt hatte, zu sich hochzog, um mit ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, wobei es infolge der Gegenwehr der Unmündigen beim Versuch blieb;
2. durch die Tat A/1 mit seiner minderjährigen Stieftochter Pamela P***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen;
B/ Pamela P***** in Bezug auf die Tat A/1 durch Drohungen mit dem Tod zur Unterlassung einer Mitteilung an ihre Mutter und zur Unterlassung der Anzeigeerstattung genötigt, und zwar
1. am Tag der Tat A/1 in Graz durch die Äußerung: „Es tut mir leid, ich weiß, dass es falsch war, aber wehe du sagst etwas, dann bringe ich dich und deine Mutter um!“;
2. im Dezember 1997 in Gran Canaria durch die Äußerung, wenn sie den Vorfall ihrer Mutter erzähle, werde er ihre Mutter und sie umbringen;
C/ mit der am 4. Mai 1983 geborenen, somit minderjährigen Daniela G*****, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen, und zwar
1. im Dezember 1997 in Gran Canaria, indem er ihre Brüste betastete;
2. im September 1998 in Graz, indem er in zumindest fünf Angriffen mit ihr Geschlechtsverkehr und Oralverkehr sowie einmal Analverkehr vollzog;
D/ in Graz Manuela P***** durch geschlechtliche Handlungen an ihr belästigt, und zwar
1. im Mai 2007, indem er in zwei Angriffen ihre Brüste betastete;
2. am 20. August 2009, indem er ihre Brüste zu betasten versuchte;
E/ sich am 20. August 2009 in Graz, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und im Rausch eine Handlung begangen, die ihm außer diesem Zustand als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB zugerechnet würde, indem er Manuela P***** mit den Worten: „Du Drecksau, ich krieg Dich noch, ich bringe Dich um!“, gefährlich mit zumindest einer Verletzung am Körper bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.
Der Angeklagte erhob gegen das Urteil Berufung, über die bisher nicht entschieden wurde.
Rechtliche Beurteilung
Dieses Urteil verletzt, wie die Generalprokuratur in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, das Gesetz.
Ausgehend von den getroffenen Feststellungen ist Verjährung der Strafbarkeit der Taten B/1 und 2 sowie C/1 und 2 mit Ablauf des 1. Juli 2006 und der Tat D/1 im Mai 2008 eingetreten, was den betreffenden Schuldsprüchen entgegenstand:
1. Die Strafbarkeit der Taten B/1 (begangen im Herbst 1995 nach der Tat A/1, US 7 oben) und 2 (begangen im Dezember 1997) wäre angesichts der bei der Strafdrohung des § 106 Abs 1 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) fünfjährigen Verjährungsfrist (§ 57 Abs 3 dritter Fall StGB) und des Grundsatzes, dass die Verjährung einer Tat im Fall der Begehung einer weiteren Tat, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruht, während der Verjährungsfrist nicht eintritt, bevor auch für diese Tat die Verjährungsfrist abgelaufen ist (§ 58 Abs 2 StGB), gemeinsam im Dezember 2002 erloschen.
Weil die Taten C/1 und 2 (begangen im Dezember 1997 und im September 1998) auf der gleichen schädlichen Neigung beruhten wie die Taten B/1 und 2 (Beeinträchtigung der sexuellen Integrität in Verbindung mit der Willensbildungs- und -betätigungsfreiheit durch Autoritäts- und Abhängigkeitsverhältnisse; § 71 dritter Fall StGB; vgl Schick in WK² § 212 Rz 1), konnte zwar die Verjährung der Strafbarkeit Letzterer wie auch der Tat C/1 infolge des erwähnten Grundsatzes nicht eintreten, bevor die Tat C/2 verjährte. Die Strafbarkeit jener Tat und damit auch die der Taten B/1 und 2 sowie C/1 erlosch jedoch - entgegen der Ansicht des Erstgerichts, das (den erwähnten Grundsatz ersichtlich missverstehend; vgl Fuchs in WK² § 58 Rz 6) vermeinte, „die übrigen Sexualdelikte“ könnten nicht vor der Tat A/1 verjähren (US 16) - mit Ablauf des 1. Juli 2006.
Dies folgt daraus, dass mit 1. Oktober 1998 die Bestimmung des § 58 Abs 3 Z 3 StGB idF des StrafrechtsänderungsG 1998, BGBl I 1998/153, in Kraft trat. Demnach wird die Zeit bis zur Erreichung der Volljährigkeit des Verletzten einer strafbaren Handlung nach §§ 201, 202, 205, 206, 207, 212 oder 213 StGB in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet. Volljährigkeit hätte die am 4. Mai 1983 geborene Daniela G***** (C/1 und 2) nach früherem Recht mit Vollendung des neunzehnten Lebensjahres, somit am 4. Mai 2002 erreicht. Mit Wirkung vom 1. Juli 2001 wurde die Altersgrenze jedoch auf 18 Jahre herabgesetzt (Art I Z 1, XVIII § 1 Abs 1 KindRÄG 2001, BGBl I 2000/135), womit die Genannte die Volljährigkeit erlangte und demzufolge die bei der Strafdrohung des § 212 Abs 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren) fünfjährige Frist der Strafbarkeitsverjährung (§ 57 Abs 3 dritter Fall StGB) zu laufen begann. Sie endete daher mit 1. Juli 2006.
Die Neufassung des § 58 Abs 3 Z 3 StGB durch das 2. GeSchG, BGBl I 2009/40, zum 1. Juni 2009, welche die Nichteinrechnung der Zeit bis zur Erreichung des 28. Lebensjahres des zur Zeit der Tatbegehung minderjährigen Opfers einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung anordnete, änderte an der eingetretenen Verjährung, wie angemerkt sei, nichts (Art XIV Abs 2 2. GeSchG).
2. Die - vom Schöffengericht nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB beurteilte - Strafbarkeit der Tat D/1 (begangen im Mai 2007) erlosch infolge der Androhung von Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten (oder Geldstrafe) nach einem Jahr (§ 57 Abs 3 letzter Fall StGB), also im Mai 2008. Die nächste auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Tat (D/2) wurde erst nach Ablauf der Verjährungsfrist begangen (20. August 2009) und änderte daher an dieser nichts (vgl § 58 Abs 2 StGB).
3. Daher war das Urteil in den genannten Schuldsprüchen und im Strafausspruch aufzuheben und infolge Verjährung der Strafbarkeit im aufgezeigten Umfang in der Sache selbst mit Freispruch zu entscheiden.
Bei Bemessung der Strafe für die dem Angeklagten weiterhin zur Last liegenden strafbaren Handlungen war deren Zusammentreffen erschwerend (§ 33 Z 1 StGB), mildernd hingegen, dass es zu A/1 beim Versuch geblieben ist (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB).
Den Milderungsgrund eines bis zu den dem Schuldspruch zugrunde liegenden Taten ordentlichen, mit dem sonstigen Verhalten des Angeklagten in auffallendem Widerspruch stehenden Verhaltens (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) in Anschlag zu bringen, sah sich der Oberste Gerichtshof hingegen nicht bestimmt.
Der Angeklagte wurde bereits rechtskräftig schuldig erkannt, die zu B/1 und 2, C/1 und 2 sowie D/1 genannten Taten begangen zu haben. Der Oberste Gerichtshof, dem zur Frage der Tatbegehung keine Aussage zukommt, verstößt demnach nicht gegen Art 6 Abs 2 MRK, wenn er diesen Umstand bei der Beurteilung der Täterpersönlichkeit im Rahmen der Strafbemessung derart in Anschlag bringt, dass er der Annahme eines bis zu den nicht verjährten Straftaten ordentlichen Lebenswandels, so zwar, dass diese mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch stünden, entgegensteht (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB; vgl auch EGMR 3. 10. 2002, Nr 37.568/97, Böhmer gegen Deutschland [Rz 55]).
Daher sah sich der Oberste Gerichtshof zur Verhängung der aus dem Spruch ersichtlichen Strafe bestimmt.
Auch nur teilweiser bedingter Nachsicht standen im Hinblick auf den schweren sexuellen Missbrauch eines elfjährigen Mädchens, der gegen dessen Willen erfolgte, vor allem generalpräventive Erwägungen entgegen.
Die Anrechnung der Vorhaft obliegt gemäß § 400 Abs 1 StPO dem Erstgericht.
Die beim Oberlandesgericht Graz anhängige Berufung des Angeklagten ist durch die Strafneubemessung obsolet geworden.
Zu amtswegiger Prüfung der Frage, ob durch die zu A/1 genannte Tat angesichts der festgestellten - wenngleich im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) nicht referierten - Digitalpenetration (vgl US 6) statt schwerem sexuellen Missbrauchs nach § 206 Abs 1 StGB dem zur Tatzeit in Geltung stehenden Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idF StGB 1975 zu subsumieren gewesen wäre (vgl Fabrizy StGB10 § 201 Rz 2a), sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst, weil § 206 Abs 1 StGB idgF als alternatives Mischdelikt angelegt ist, gleichartige Idealkonkurrenz damit ausscheidet und Fragen der Strafzumessung beim - auf der Grundlage des konkreten Falls anzustellenden - Günstigkeitsvergleich außer Betracht bleiben (RIS-Justiz RS0091928; Höpfel in WK2 § 61 Rz 14 f, Fabrizy StGB10 § 61 Rz 2; zur Unterscheidung von Vollendung und Versuch erst auf der Ebene der Strafbemessung s 12 Os 119/06a, SSt 2007/35 = EvBl 2007/130, 700 = JBl 2008, 401 [Burgstaller]). Dass die nachträgliche Verschärfung des Tatbestands bei der Strafbemessung nicht zum Nachteil des Angeklagten in Rechnung zu stellen ist, bleibt anzumerken.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E95037European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00077.10P.0819.000Im RIS seit
12.10.2010Zuletzt aktualisiert am
29.01.2013