Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19. August 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Lässig, Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Metin Ö***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und Z 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Metin Ö***** und die Berufung des Angeklagten Adem T***** gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 27. Mai 2010, GZ 10 Hv 32/10v-30, sowie die Beschwerde des Angeklagten Metin Ö***** gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten Metin Ö***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung, wurde Metin Ö***** mit dem angefochtenen Urteil des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und Z 2 StGB schuldig erkannt (A/II und III).
Danach hat er im bewussten und gewollten Zusammenwirken (US 6 f) mit Erkan K***** und (nur zu A/II) Adem T***** als Mittäter Gewahrsamsträgern der im Urteil genannten Unternehmen fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz durch Einbruch weggenommen, nämlich
A/II am 15. oder 16. September 2009 in Dietach durch Aufbrechen eines Fensters eines Imbiss-Standes, Einsteigen in diesen und Aufbrechen mehrerer Automaten 800 Euro und mehrere Stangen Zigaretten im Gesamtwert von 216 Euro;
A/III am 15. Oktober 2009 in Enns durch Aufzwängen eines Fensters eines Fahrschulcontainers (US 3 iVm ON 5 S 1), Einsteigen in diesen und Aufbrechen mehrerer Automaten 161,90 Euro.
Rechtliche Beurteilung
Der Angeklagte Metin Ö***** bekämpft das Urteil aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO. Er macht geltend, in der Hauptverhandlung sei die Niederschrift über die polizeiliche Vernehmung des nun gesondert verfolgten Angeklagten Erkan K***** verlesen worden, „ohne dass die Voraussetzungen des § 252 StPO vorgelegen wären“.
Das Erstgericht hatte die kritisierte Verlesung unter Heranziehung des § 252 Abs 1 Z 1 StPO vorgenommen (ON 29 S 16, ON 2 in ON 3 S 71 ff).
Die Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.
Im Ermittlungsverfahren wurde Erkan K***** zu den hier in Rede stehenden und weiteren Einbruchsdiebstählen am 7. November 2009 von der Polizei als Beschuldigter vernommen (ON 2 in ON 3 S 71 ff). Danach konnte er von der Polizei nicht mehr angetroffen und auch nicht telefonisch erreicht werden. Mehrere Versuche der Behörde, ihn zu kontaktieren, scheiterten. Am 20. November 2009 teilte seine Schwester der Polizei telefonisch mit, dass er Österreich verlassen habe und sich in der Türkei aufhalte. Ob und wann er nach Österreich zurückkehren würde, könne sie nicht angeben, ebenso wenig, wo genau er sich in der Türkei aufhalte (ON 2 in ON 3 S 13 unten, 15 oben).
Am 2. April 2010 langte ein die Anklageschrift betreffender Postfehlbericht mit dem Vermerk „Empfänger wieder in die Türkei verzogen“ beim Landesgericht Steyr ein (ON 15). Zufolge einer am selben Tag eingeholten Auskunft aus dem Zentralen Melderegister war Erkan K***** zwar weiter an einer Anschrift in Steyr gemeldet (ON 16). Eine vom Landesgericht Steyr mit dem Ersuchen um Erhebung, wann Erkan K***** wieder zurückkehrt und wo genau er sich aufhält (ON 1 S 6), veranlasste polizeiliche Nachschau an dieser Adresse führte aber am 7. April 2010 zur Auskunft des dort angetroffenen Vaters des Gesuchten, dass Erkan K***** vermutlich im Oktober 2009 aus der Wohnung ausgezogen und in die Türkei zurückgekehrt sei und sich in Izmir aufhalten dürfte, wobei er eine nähere Adresse nicht angeben konnte. Fallweise bestehe telefonischer Kontakt. Seines Wissens beabsichtige sein Sohn, ständig in der Türkei zu bleiben (ON 17 S 3).
Am 13. April 2010 ordnete das Landesgericht Steyr auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Festnahme des Erkan K***** und dessen Ausschreibung zur Verhaftung im Inland an (ON 1 S 7 f, ON 18). Da die Polizeierhebungen zum Aufenthalt dieses Angeklagten negativ verliefen, wurde am 19. April 2010 seine Ausschreibung veranlasst (ON 26).
Die diesbezüglichen Sachverhaltsannahmen des Vorsitzenden über mangelnde Bekanntheit des Aufenthalts des Erkan K***** zur Zeit der genannten Verlesung der über dessen Vernehmung als Beschuldigter aufgenommenen Niederschrift (ON 29 S 16, ON 2 in ON 3 S 71 ff; vgl US 9 vorletzter Absatz) wurden in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht im Sinn der Z 5 oder 5a des § 281 Abs 1 StPO kritisiert (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 41, 43, 45 f, 51).
Ausgehend davon stellt - entgegen der Ansicht des Angeklagten - die auf § 252 Abs 1 Z 1 StPO gestützte Verlesung der Aussage des Erkan K***** nach Lage des konkreten Einzelfalls keine rechtsirrige Anwendung dieser Bestimmung dar. Weitere Ausforschungsversuche musste der Vorsitzende bei der gegebenen Sachlage nicht unternehmen (RIS-Justiz RS0098248, RS0108361; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 61; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 231).
Zudem wurde dem ungerügten Protokoll der Hauptverhandlung zufolge letztlich „nach § 252 Abs 1 Z 4 und Abs 2 StPO“ der „gegenständliche Akt einverständlich“ - somit auch in Betreff der genannten Niederschrift prozessordnungskonform - gemäß § 252 Abs 2a StPO vom Vorsitzenden referiert (ON 29 S 17). Durch diesen Vorgang wäre ein allenfalls zuvor durch prozessordnungswidrige Verlesung jener Niederschrift geschehener Verstoß gegen § 252 Abs 1 StPO jedenfalls mit Blick auf § 281 Abs 3 StPO saniert (vgl RIS-Justiz RS0118778 [T3]; 13 Os 153/03, SSt 2004/12 = EvBl 2004/142, 649 = JBl 2004, 594 [Burgstaller]; zuletzt: 13 Os 23/10x, EvBl 2010/90, 608).
Auf Kontrollbeweise wurde übrigens in den Erwägungen des Erstgerichts zu beiden Taten Bedacht genommen (US 10 f, 14; vgl Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 25).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war aus den schon zuvor genannten Gründen bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten Metin Ö***** beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Anzumerken ist, dass die Ausfertigung des Beschlusses auf Anordnung der Bewährungshilfe für Adem T***** (US 4 unten) ohne gesetzliche Grundlage mit der Urteilsausfertigung verbunden wurde (siehe demgegenüber - auf Fälle neuerlicher Tatbegehung bereits Verurteilter vor Ablauf ihrer Probezeit bezogen - § 494a Abs 4 und Abs 6 StPO).
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E94704European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00085.10I.0819.000Im RIS seit
08.09.2010Zuletzt aktualisiert am
09.03.2012