TE OGH 2010/8/19 13Os51/10i

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Veröffentlicht am 19.08.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. August 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Lässig, Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mario P***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden der Privatbeteiligten Lukas S***** und Tobias S***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. Jänner 2010, GZ 72 Hv 64/09x-61, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreter der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, und des Privatbeteiligtenvertreters Mag. Lang, des Angeklagten Mario P***** und seines Verteidigers Dr. Dietrich zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Tobias S***** wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im zu Punkt I genannten Freispruch, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie in der Verweisung des Privatbeteiligten Tobias S***** auf den Zivilrechtsweg aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die auf die Erledigung dieser Nichtigkeitsbeschwerde bezogenen Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Lukas S***** wird verworfen.

Die auf deren Erledigung entfallenden Kosten werden dem Privatbeteiligten Lukas S***** auferlegt.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mario P***** - soweit im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren von Bedeutung - von der Anklage freigesprochen, er habe in Wien

(I) im August 2004 mit einer unmündigen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er an dem am 16. November 1990 geborenen Tobias S***** einen Oralverkehr vornahm.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich auf Z 4 des § 281 Abs 1 StPO gegründete Nichtigkeitsbeschwerden der Privatbeteiligten Lukas und Tobias S*****.

Während jene des Lukas S***** mangels eines aus dieser Tat (auch) für ihn entstandenen Schadens und demnach einer zur Rechtsmittellegitimation erforderlichen Stellung als Privatbeteiligter (§ 282 Abs 2 StPO; vgl Spenling, WK-StPO Vorbem zu §§ 366 bis 379 Rz 50, § 366 Rz 15) unzulässig ist, kommt der Nichtigkeitsbeschwerde des Tobias S***** Berechtigung zu.

Sie beruft sich auf den in der Hauptverhandlung am 14. Jänner 2010 gestellten Antrag des Privatbeteiligtenvertreters, worin dieser (wörtlich bloß) „die Einvernahme des Dr. Gerald S*****“ begehrt hat (ON 60 S 99).

Dieser entsprach nicht den vom Gesetz und von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs verlangten formalen Mindestanforderungen. Danach hat jeder Beweisantrag neben dem (auch hier genannten) Beweismittel das Beweisthema zu enthalten und anzugeben, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis (= Beweisthema) erwarten lasse, schließlich, inwieweit dieses für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage (im Fall analoger Anwendung der Z 4 im Rahmen einer Sanktionsrüge: für die Sanktionsfrage [Z 11 erster Fall]) von Bedeutung ist (§ 55 Abs 1 und 2 StPO; RIS-Justiz RS0118444; Danek, WK-StPO § 238 Rz 7; Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 16 ff; Schmoller, WK-StPO § 3 [2005] Rz 63; zust Hinterhofer, ÖJZ 2007, 887 mwN; Lässig, ÖJZ 2006, 408; Schroll/Schillhammer, AnwBl 2006, 447; Markel, RZ 2006, 110; Burgstaller, JBl 2006, 537 [Entscheidungsanmerkung]; grundsätzlich auch Fuchs, 33. Ottensteiner Fortbildungsseminar 2005, 18 ff; kritisch, jedoch ohne inhaltliche Argumentation, vor allem ohne Auseinandersetzung mit dem grundrechtlichen Beschleunigungsgebot, Moos, ÖJZ 2003, 374).

Mit den solcherart formalisierten Antragserfordernissen verfolgen Gesetz und Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs das Ziel, Vertreter von Beteiligten des Hauptverfahrens nicht im Unklaren darüber zu lassen, was zu tun ist, wenn sie mit ihren Anliegen durchdringen wollen. Absicht der Rechtsprechung ist es, klare Strukturen für sinnvolle Mitarbeit am Verfahrensergebnis aufzuzeigen, statt sich dezisionistisch auf die ex post-Beurteilung eines inhaltlich unbestimmten „Ermessensspielraums“ des Erstgerichts zurückzuziehen. Es geht nicht darum, „den Beschwerdeführer durch Ablehnung seiner Nichtigkeitsbeschwerde dafür zu bestrafen, dass er in seinem Beweisantrag die nun bestehenden Bedenken nicht vorweg ausgeräumt hat“ (so aber Hollaender/Mayerhofer, ÖJZ 2005, 451), sondern darum, ihn davor zu bewahren, sich erst wenn es zu spät ist darüber klar zu werden, was er mit seinem Antrag bezwecken wollte, also um Inhalte. Soweit diese für das vom Antragsteller befasste Gericht offensichtlich, dem Antragsvorbringen mithin auch ohne explizite Darlegung zwanglos zu entnehmen waren, kann auf die Einhaltung der - dann sinnentleerten - formalen Anforderungen bei Erledigung einer Nichtigkeitsbeschwerde verzichtet werden (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327 bis 329). Das ist hier der Fall:

Der Vertreter des Privatbeteiligten Tobias S***** hatte im unmittelbaren Anschluss an die Vernehmung des Zeugen Lukas S***** zur Frage, ob dem Angeklagten im Zeitpunkt der dem Freispruch zugrunde liegenden Tat das Alter des Tobias S***** bekannt war, die Vernehmung dessen Vaters, Dr. Gerald S*****, beantragt. Lukas S***** hatte eben auf eine vor der Tat gelegene „lange“ Unterhaltung P*****s mit seinen Eltern hingewiesen und betont, dass diese den Angeklagten dabei „sicher“ über das Alter ihrer Kinder ins Bild gesetzt hätten. Tobias habe damals nämlich „die Konfirmation im Alter von 13 Jahren gehabt“ und der Angeklagte habe „das sicher wegen der Konfirmation gewusst“; über Nachfrage durch die Vorsitzende ergänzte der Zeuge: „Meine Eltern sagten, so glaube ich, er hat jetzt Konfirmation, weil er jetzt 13 ist, deswegen wünscht er sich eine DJ-Anlage. Gehört habe ich das aber nicht. Ich glaube, dass sie es sagten (ON 60 S 91, 93)“. Gleich eingangs der Vernehmung hatte der Zeuge vom Wunsch seines Bruders nach einer solchen Anlage als Konfirmationsgeschenk und davon berichtet, dass seine Eltern just deshalb mit dem Angeklagten Kontakt aufgenommen hätten. Dieser habe nämlich „auf Festen aufgelegt“ (ON 60 S 83).

Das erkennende Gericht hat anlässlich seiner abweisenden Entscheidung ON 60 S 103 (und erneut in US 35: „offenbar“) keinen Zweifel an dem im Alter des Tobias S***** zur Tatzeit bestehenden Beweisthema und am tatsächlichen Zusammenhang von erwartetem Beweisergebnis und den in der Anklage genannten tatsächlichen Vorwürfen aus Sicht des Antragstellers (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 328) erkennen lassen.

Mit Blick auf das kurz zuvor vom Zeugen Lukas S***** geschilderte Gespräch zwischen dem Angeklagten und seinen Eltern, welches diese gesucht hätten, weil der Angeklagte sich bei Veranstaltungen als Discjockey betätigt und Tobias S***** sich anlässlich seiner für das Alter von 13 Jahren geplanten Konfirmation eine DJ-Anlage gewünscht habe, musste für das erkennende Gericht aber auch auf der Hand liegen, dass das im Ersuchen um Mithilfe bei der Erfüllung dieses Wunsches bestehende Gesprächsanliegen die Erwartung rechtfertigte, Dr. S***** werde die Vermutung seines Sohnes Lukas bestätigen, er habe den Angeklagten über das Alter des Konfirmanden ins Bild gesetzt.

Da das Alter des Tobias S***** eine erhebliche Tatsache darstellte, durfte der Antrag nicht abgelehnt werden, was die geltend gemachte Nichtigkeit aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO zur Folge hat.

Die mit dem Erfolg der Verfahrensrüge verbundene Aufhebung des bekämpften Freispruchs zieht die Aufhebung der Verweisung des erfolgreichen Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg nach sich (Spenling, WK-StPO § 366 Rz 17).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Über allfällige Kostenseparation nach § 389 Abs 2 StPO ist erst nach Urteilsrechtskraft durch Beschluss zu entscheiden (Lendl, WK-StPO § 389 Rz 14).

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E95125

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00051.10I.0819.000

Im RIS seit

18.10.2010

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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