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19/05 Menschenrechte;Norm
MRKZP 07te Art4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Neumair, über die Beschwerde des Ali M in Bregenz, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 15. September 1998, Zl. 1-0709/97/E2, betreffend Übertretung des Sicherheitspolizeigesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Bezirkshauptmannschaft Bregenz (BH) wurde am 30. Jänner 1997 vom Gendarmerieposten V. zur Anzeige gebracht, dass der Beschwerdeführer am 27. Jänner 1997 in einer (näher bezeichneten) Pizzeria in Bregenz um 14.00 Uhr in besonders rücksichtsloser Weise die öffentliche Ordnung gestört habe, indem er mit dem Geschäftsführer lautstark geschrieen habe. Auf der Fahrt zum Gendarmerieposten habe er dann mit dem Gendarmeriebeamten R. lautstark und in äußerst aggressiver Weise geschrieen, weshalb er um 14.15 Uhr abgemahnt worden sei. Ferner habe der Beschwerdeführer um 14.20 Uhr auf dem Gendarmerieposten den Beamten bei der Befragung erneut in äußerst aggressiver Weise angeschrieen und sei erneut abgemahnt worden. Durch diese Wutausbrüche sei eine Befragung nicht möglich und die Amtshandlung behindert worden.
Mit Strafverfügung der BH vom 3. Februar 1997 wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe am 27. Jänner 1997 um 14.00 Uhr dadurch eine Übertretung des § 81 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) begangen, dass er in der genannten Pizzeria durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört habe, indem er lautstark herumgeschrieen habe.
Der Beschwerdeführer erhob gegen die Strafverfügung Einspruch.
Mit Schriftsatz vom 18. Februar 1997 wurde der Beschwerdeführer daraufhin von der BH zur Rechtfertigung als Beschuldigter aufgefordert. Dabei wurde ihm zur Last gelegt,
1.) er habe am 27. Jänner 1997 um 14.00 Uhr durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung in der Pizzeria in Bregenz gestört, indem er lautstark herumgeschrieen habe. Ferner habe er 2.) durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung dadurch ungerechtfertigt gestört, dass er am 27. Jänner 1997 um 14.15 Uhr auf dem Gendarmerieposten den Beamten
R. in äußerst aggressiver Weise angeschrieen habe. In beiden Fällen habe der Beschwerdeführer durch sein Verhalten § 81 Abs. 1 SPG übertreten.
Mit Straferkenntnis vom 17. März 1997 wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört zu haben, indem er 1.) am 27. Jänner 1997 um 14.00 Uhr in der Pizzeria in Bregenz lautstark mit dem Geschäftsführer geschrieen habe und 2.) am 27. Jänner 1997 um 14.15 Uhr auf dem Gendarmerieposten den Beamten R. in äußerst aggressiver Weise angeschrieen habe, wodurch der Dienstbetrieb auf dem Gendarmerieposten erheblich gestört worden sei. Der Beschwerdeführer habe dadurch jeweils § 81 Abs. 1 SPG vertreten. Über den Beschwerdeführer wurden zwei Geldstrafen von jeweils S 700,-- verhängt.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung.
Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 5. Juni 1997 wurde der Berufung insoweit Folge gegeben, als der Spruchpunkt 1.) des Straferkenntnisses der BH aufgehoben und diesbezüglich das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt wurde. Spruchpunkt 2.) des Straferkenntnisses wurde ebenfalls aufgehoben. Nach der Begründung habe der Beschwerdeführer in der Pizzeria mit dem Geschäftsführer nur lautstark diskutiert. Aus diesem Verhalten lasse sich nicht ableiten, dass der Beschwerdeführer damit ein besonders rücksichtsloses Verhalten an den Tag gelegt habe. Das dem Beschwerdeführer zu Spruchpunkt 2.) vorgeworfene Verhalten könne allerdings nicht dem § 81 Abs. 1 SPG unterstellt werden, sondern käme allenfalls als Verwirklichung des Tatbestandes nach § 82 Abs. 1 SPG in Betracht. Deshalb sei auch dieser Spruchpunkt zwar aufzuheben gewesen, ohne gleichzeitig das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.
Mit Schriftsatz vom 18. Juni 1997 (dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 23. Juni 1997 zugestellt) wurde der Beschwerdeführer neuerlich aufgefordert, sich als Beschuldigter zu rechtfertigen. Dabei wurde ihm zur Last gelegt, er habe sich am 27. Jänner 1997 um 14.20 Uhr auf dem Gendarmerieposten trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht, welches in Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgaben tätig gewesen sei, aggressiv verhalten und dadurch eine Amtshandlung behindert zu haben, indem er den Gendarmeriebeamten R. mehrmals lautstark angeschrieen habe, wodurch eine geordnete Befragung des Beschwerdeführers vorläufig nicht möglich gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe dadurch § 82 Abs. 1 SPG übertreten.
Mit Straferkenntnis der BH vom 16. Juli 1997 wurde dem Beschwerdeführer daraufhin vorgeworfen, er habe dadurch eine Übertretung gemäß § 82 Abs. 1 SPG begangen, dass er sich am 27. Januar 1997 um 14.20 Uhr auf dem Gendarmerieposten trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht, welches in Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgaben tätig gewesen sei, aggressiv verhalten habe. Er habe eine Amtshandlung behindert, indem er den Gendarmeriebeamten R. mehrmals lautstark angeschrieen habe, wodurch eine geordnete Befragung zu einem Vorfall, der sich kurz zuvor abgespielt habe, erheblich erschwert worden sei. Es wurde eine Geldstrafe in der Höhe von S 700,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 18 Stunden) verhängt.
Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 15. September 1998 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung keine Folge gegeben. Begründend wurde nach Wiedergabe des Verfahrensganges und Darstellung der Rechtslage ausgeführt, dass der in der mündlichen Verhandlung als Zeuge einvernommene Gendarmeriebeamte R. den von ihm wahrgenommenen Sachverhalt detailliert und glaubwürdig geschildert habe. Danach sei der Beschwerdeführer im Einvernahme-Zimmer des Gendarmeriepostens aufgrund seines aggressiven Verhaltens abgemahnt worden. Der einschreitende Beamte habe sich während der gesamten Amtshandlung korrekt verhalten, weshalb die Verhaltensweise des Beschwerdeführers auf dem Gendarmerieposten nicht durch die Amtshandlung veranlasst gewesen sei. Trotz der erfolgten Abmahnung sei der Beschwerdeführer während seiner Einvernahme aber neuerlich von seinem Stuhl aufgesprungen und unter Gebrauch lautstarker Worte in aggressiver Haltung ganz nahe an den Gendarmeriebeamten herangetreten, was zu einer Behinderung der Amtshandlung, insbesondere zu einer Verzögerung bei der Aufnahme der Niederschrift, geführt habe.
Die Bestimmung des Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK sei nach Auffassung der belangten Behörde nicht verletzt worden, weil diese Bestimmung nur vor einer neuerlichen Verfolgung und Bestrafung für ein und dasselbe Delikt schütze. Diese Voraussetzung liege aber nicht vor, weil sich die dem Beschuldigten im ursprünglichen Verfahren unter Spruchpunkt 2. des Straferkenntnisse vom 17. März 1997 angelastete Tat auf einen anderen Zeitpunkt, nämlich 14.15 Uhr des 27. Jänner 1997, bezogen habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 82 Abs. 1 erster Satz SPG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu S 3.000,-- zu bestrafen, wer sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während diese ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen, aggressiv verhält und dadurch eine Amtshandlung behindert.
Nach Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.
Die Beschwerde bringt zunächst unter Hinweis auf Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK vor, ein Beschuldigter dürfe nicht zweimal wegen ein und derselben Sache verfolgt werden. Gegenstand der Strafverfügung (vom 3. Februar 1997) sei allein das Verhalten des Beschwerdeführers in der Pizzeria gewesen. Anstatt im Verfahren über den Einspruch das "Verschlimmerungsverbot" des § 49 Abs. 2 letzter Satz VStG zu respektieren und sich an den Verfahrensgegenstand zu halten, habe die Erstbehörde dem Beschwerdeführer nach der Einbringung des Einspruches (mit der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 18. Februar 1997) plötzlich zwei Delikte vorgeworfen, wobei hinsichtlich des zweiten Deliktes zwei unterschiedliche Tatzeiten angenommen worden seien.
Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun.
Von einer "Doppelbestrafung" iS des Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK kann im Beschwerdefall nicht die Rede sein, weil eine (zunächst angenommene) Ordnungsstörung in der Pizzeria um 14.00 Uhr mit der den Gegenstand der Bestrafung bildenden Übertretung des § 82 Abs. 1 erster Satz SPG, begangen am Gendarmerieposten um 14.20 Uhr des 27. Jänner 1995, auch bei weiter Auslegung dieses Begriffes nicht im Verhältnis "derselben strafbaren Handlung" steht.
Die Erlassung einer Strafverfügung stellt kein Hindernis dafür dar, den Beschuldigten wegen einer anderen Verwaltungsübertretung zu bestrafen, die gar nicht Gegenstand dieser Strafverfügung war. Im Hinblick auf die diesbezüglich innerhalb von sechs Monaten gesetzten Verfolgungshandlungen (Anzeige der Gendarmerie vom 27. Jänner 1997, Aufforderung zur Rechtfertigung als Beschuldigter vom 18. Juni 1997) stand der gegenständlichen Strafverfolgung auch nicht Verjährung entgegen.
Aus diesem Grunde kann auch nicht die in der Beschwerde behauptete Unrechtmäßigkeit der inhaltlichen Abänderung des Verfahrensgegenstandes nach Erlassung der Strafverfügung erblickt werden, da die Strafverfügung der BH vom 3. Februar 1997 das Verhalten des Beschwerdeführers am 27. Januar 1997 um 14.00 Uhr betroffen hat.
Wenn der Beschwerdeführer ferner rügt, die belangte Behörde habe ihm "im ersten Rechtsgang" die Akteneinsicht verweigert, indem sie ihm nicht, wie beantragt, die Strafanzeige zugeschickt habe und er somit nicht über alle Einzelheiten der gegen ihn erhobenen Anklage informiert worden sei, so ist ihm zu erwidern, dass dies nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdefalles ist.
Im gegenständlichen Beschwerdefall wurde von der belangten Behörde nach Ladung des Beschwerdeführers bei Vorliegen des gesamten Verwaltungsstrafaktes eine mündliche Verhandlung durchgeführt, bei der sein Rechtsvertreter anwesend war. Eine Verletzung der Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers ist nicht ersichtlich.
Unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt der Beschwerdeführer schließlich, die belangte Behörde habe die von ihm in der mündlichen Verhandlung beantragten Zeugen, den Postenkommandanten M. und den Gendarmerieinspektor Sch., nicht vernommen. Hätte der Beschwerdeführer die Ordnung auf dem Gendarmerieposten wirklich massiv gestört, so hätten auch diese Beamten die Störung wahrnehmen müssen.
Damit zeigt die Beschwerde keinen relevanten Verfahrensmangel auf. Im Verwaltungsverfahren hat der Beschwerdeführer das Beweisthema nicht konkret bezeichnet; in der Beschwerde legt er dar, durch den Zeugenbeweis hätte unter Beweis gestellt werden können, dass "der Gendarmeriebeamte R. überempfindlich war und eine überflüssige Strafanzeige erstattet hat". Diese Umstände zählen nicht zum entscheidungswesentlichen Sachverhalt. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass die belangte Behörde bei Durchführung der beantragten Zeugenbeweise zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Nach Lage der Verwaltungsakten waren diese Beamten im Übrigen bei der Vernehmung des Beschwerdeführers, dem auch keine Ordnungsstörung zur Last gelegt wurde, gar nicht anwesend.
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung wurde gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG Abstand genommen werden.
Hinsichtlich der Anregung, § 24 Abs. 3 erster Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 88/1997, in eventu daraus die Wortfolge "von 2.500 S" beim Verfassungsgerichtshof anzufechten, ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Ausführungen im Erkenntnis vom 13. November 2000, Zl. 98/10/0151, zu verweisen.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 29. Jänner 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998100372.X00Im RIS seit
02.04.2001