TE OGH 2010/9/1 6Ob161/10k

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.09.2010
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller 1. F***** R*****, 2. A***** R*****, vertreten durch Dr. Josef Olischar und Dr. Johannes Olischar, Rechtsanwälte in Wien, gegen die Antragsgegnerin Republik Österreich, vertreten durch A***** GmbH, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Festsetzung einer Enteignungsentschädigung, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. Mai 2010, GZ 14 R 59/10i-54, womit der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 2. Februar 2010, GZ 26 Nc 3/08x-44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Parteien haben die Kosten des Revisionsrekursverfahrens jeweils selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Niederösterreich vom 14. 6. 2007 wurde eine Teilfläche im Ausmaß von 10.990 m² eines im Eigentum der Antragsteller stehenden Grundstücks zugunsten der Antragsgegnerin zum Zweck der Errichtung der Wiener Außenringschnellstraße S 1 Ost enteignet. Die Höhe der Entschädigung wurde mit 65.292,84 EUR bemessen. Dieser Betrag wurde bezahlt.

Die Antragsteller begehrten bei Gericht die Festsetzung einer Entschädigung mit 345.443,89 EUR. Dem Enteignungsbescheid liege ein unzureichendes Gutachten zugrunde. Die Entwicklungsmöglichkeiten der Umgebung des Grundstücks seien nicht hinreichend berücksichtigt worden.

Das Erstgericht setzte die Enteignungsentschädigung mit 223.000 EUR fest und verpflichtete im Hinblick auf die geleistete (Teil-)Zahlung die Antragsgegner zur Zahlung von 157.707,16 EUR. Das Mehrbegehren wies es ab.

Dabei ging das Erstgericht davon aus, dass es sich bei den gegenständlichen Flächen um landwirtschaftlich genützte Äcker handle. Das Gebiet rund um Wien zeige jedoch eine rasante Entwicklung von einer eher landwirtschaftlich dominierten Region zu einer vielschichtigen Wohn-, Erwerbs- und Erholungsregion mit multifunktionalen Entwicklungsmöglichkeiten. Es sei sowohl die Entwicklung zu einem Betriebsbaugebiet als auch die Entwicklung zu einem begünstigten Agrarland mit Erholungsflächen innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre realistisch, aber auch nicht wahrscheinlicher, als dass die Liegenschaft wie bisher genutzt bleibe. Bei einer Gewichtung der enteigneten Flächen vom niederösterreichischen zum Wiener Regionalraum von 3 : 1 bei Berücksichtigung der Entwicklungsmöglichkeiten ergebe sich ein Preis von 15 EUR pro m². Damit ergebe sich ein Preis von 164.850 EUR. Hinzukomme der durch die Enteignung eingetretene Schaden durch Feldverkürzung, Feldverkleinerung etc in Höhe von 42.969 EUR. Die Wiederbeschaffungskosten würden 14.836,50 EUR betragen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.

Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, das bereits Planungskonzepte Auswirkungen auf den Verkehrswert der möglicherweise betroffenen Liegenschaften haben könnten. Der Sachverständige habe nachvollziehbar dargelegt, dass sich bereits die Entwicklungsmöglichkeit in einer Werterhöhung niederschlage. Rechtlich sei nicht nur auf die Verwendung des Grundstücks zur Zeit der Enteignung abzustellen; vielmehr seien auch die konkreten wirtschaftlichen Verwendungsmöglichkeiten zu berücksichtigen, sofern sie nicht in unbestimmter Zukunft lägen.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine oberstgerichtliche Judikatur zu der Frage bestehe, ob die bloß 50%ige Möglichkeit der Entwicklung der Liegenschaft in begünstigtes Agrar- bzw Bauerwartungsland innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre bei der Ermittlung der Entschädigung zu berücksichtigen sei.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

Das Wesen der Enteignungsentschädigung besteht in der Ersatzleistung für das dem Enteigneten durch besonderen Hoheitsakt abgenötigte Sonderopfer am Vermögen, wobei nur der positive Schaden zu ersetzen ist (RIS-Justiz RS0030513). Nach ständiger Rechtsprechung sind enteignungsbedingte Vermögensnachteile, bezogen auf den Zeitpunkt der Aufhebung des durch Bescheid enteigneten Rechts (SZ 71/4), unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Enteigneten, jedoch unter Heranziehung eines objektiven Wertermittlungsmaßstabs festzustellen (1 Ob 76/00h uva).

Die Enteignungsentschädigung bildet das Entgelt für die durch die Aufhebung des enteigneten Rechts eintretenden vermögensrechtlichen Nachteile. Maßgeblich für die Höhe der Entschädigung ist das Maß der verursachten vermögensrechtlichen Nachteile, die dem Enteigneten erwachsen (1 Ob 76/00h; 1 Ob 245/09g uva). Die dem Enteigneten gebührende Entschädigung muss alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile erfassen, wobei bei ihrer Bemessung auch auf sämtliche bestehende wirtschaftliche Möglichkeiten bedacht zu nehmen ist (VwGH 28. 6. 1978, 815/78). Dabei stellt der Verkehrswert der entzogenen Liegenschaft den wichtigsten Faktor für die Bemessung der Enteignungsentschädigung dar (Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch des Enteignungsrechts 242).

Die Ermittlung der Höhe des Verkehrswerts stellt eine Tatfrage dar, die vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr bekämpft werden kann (RIS-Justiz RS0043122, RS0043704, RS0099292). Die Auswahl der Bewertungsmethode im Enteignungsverfahren ist nur dann revisibel, wenn gegen zwingende Denkgesetze verstoßen wird (RIS-Justiz RS0109006, RS0043122). Besteht - wie im vorliegenden Fall - für die Wertermittlung durch einen Sachverständigen keine gesetzlich vorgeschriebene Methode, so unterliegt das von den Tatsacheninstanzen gebilligte Ergebnis eines Gutachens keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof, weil es um die Tatfrage geht (RIS-Justiz RS0118604).

Nach ständiger Rechtsprechung kann auch eine nachträgliche Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse, die im Zeitpunkt der Enteignung als wahrscheinlich vorausgesehen werden konnte, die Höhe des zu ersetzenden Verkehrswerts beeinflussen (RIS-Justiz RS0058043). Dies entspricht auch der Auffassung der Lehre (Rummel, Bewertung von Bauerwartungsland, Der Sachverständige 2002, 115 [118, 121]). Demnach ist für die Bewertung eines Grundstücks allgemein nicht die bestehende Widmung, sondern die realistisch beurteilte künftige Verwendungsmöglichkeit samt ihrer Auswirkung auf den Marktwert das Entscheidende. Bei Verwendung der Abzinsungsmethode sind die derzeitigen Baulandpreise je nach Zeitfaktor und Unsicherheit der möglichen Umwidmung abzuzinsen. Voraussetzung ist, dass die Erwartungen auf dem Grundstücksmarkt tatsächlich bereits preisbestimmend sind, also nach der Verkehrsauffassung schon zum Zeitpunkt der Enteignung ein zusätzliches werterhöhendes Moment darstellen (RIS-Justiz RS0058403, RS0110846; 6 Ob 517/90; 6 Ob 647/84) und nicht eine bloße Werterhöhungschance (6 Ob 647/84). Entscheidend ist daher lediglich, ob das Entwicklungspotential sich zum derzeitigen Zeitpunkt auf den Marktpreis auswirkt.

Dies hat der Sachverständige im vorliegenden Fall aber aufgrund seiner Marktkenntnis, eingehenden Erhebungen und Berücksichtigung des Stadtentwicklungsplans der Stadt Wien STEP 05 und des Landesentwicklungsplans Niederösterreich (WIN) sowie eines Berichts des Österreichischen Instituts für Raumplanung betreffend die Region zwischen Wien und Pressburg mit eingehender Begründung bejaht. Dabei hat der Sachverständige keineswegs den Wert für Bauland herangezogen, sondern einen Mischpreis zugrunde gelegt, der einen entsprechenden Risikoabschlag berücksichtigt und einen Mittelwert zwischen den Preis für „begünstigtes Agrarland“ und Bauland darstellt.

Durch seine Beurteilung, dass diese Vorgangsweise der allgemeinen Lebenserfahrung entspreche, hat das Rekursgericht diese Frage auf der Tatsachenebene abschließend beurteilt.

Durch Heranziehung der angeführten Bewertungsmethode haben die Vorinstanzen weder gegen ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen noch gegen die Denkgesetze verstoßen. In der Bemessung der Enteignungsentschädigung durch die Vorinstanzen ist daher eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung nicht zu erblicken.

Damit bringt der Revisionsrekurs aber keine Rechtsfrage der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität zur Darstellung, sodass dieser spruchgemäß zurückzuweisen war.

Dabei war auszusprechen, dass die Parteien die Kosten ihrer Beteiligung am Revisionsrekursverfahren jeweils selbst zu tragen haben. Die Antragsteller haben in ihrer Revisionsrekursbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen.

Textnummer

E94936

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0060OB00161.10K.0901.000

Im RIS seit

27.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

07.08.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten