TE OGH 2010/9/1 7Ob45/10h

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Veröffentlicht am 01.09.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** S*****, vertreten durch Dr. Karl Claus & Mag. Dieter Berthold Rechtsanwaltspartnerschaft KEG in Mistelbach, gegen die beklagten Parteien 1.) W***** S*****, und 2.) R***** S*****, beide *****, beide vertreten durch Mag. Michael Pfleger, Rechtsanwalt in Amstetten, wegen Räumung, über die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 6. Oktober 2009, GZ 21 R 248/09t-60, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Amstetten vom 19. Juni 2009, GZ 20 C 18/07v-52, infolge Berufung der Beklagten bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Beklagten sind schuldig, dem Kläger die mit 408,67 EUR (darin enthalten 68,11 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Der Kläger begehrte von den Beklagten, denen von seinen Rechtsvorgängern ein (verbüchertes) Gebrauchsrecht an einem Pferdestall samt Nebenräumen eingeräumt worden war, die Räumung der Liegenschaft. Die Beklagten nutzten die Räumlichkeiten vertragswidrig und entgegen ein gegen sie erwirktes Unterlassungsurteil weiter zu Wohnzwecken, was für den Kläger unzumutbare Nachteile zur Folge habe.

Das Berufungsgericht bestätigte die dem Räumungsbegehren stattgebende erstinstanzliche Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige. Seinen ursprünglichen weiteren Ausspruch, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, änderte es über Antrag der Beklagten nach § 508 Abs 1 ZPO dahin ab, dass es die ordentliche Revision doch für zulässig erklärte. Von den Revisionswerbern werde darauf hingewiesen, dass das Berufungsgericht in seiner (im zweiten Rechtsgang gefällten) Entscheidung von der Rechtsansicht im Aufhebungsbeschluss abgewichen sei. Dies sei insofern zutreffend, als sich der Berufungssenat, ausgehend von den vom Erstgericht im zweiten Rechtsgang getroffenen ergänzenden Feststellungen, an die (von einem damals zuständigen anderen Senat des Berufungsgerichts vorgenommene) Beurteilung im ersten Rechtsgang nicht gebunden erachtet habe. Die Frage, inwieweit eine derartige Bindung bestehe, sei eine grundlegende Frage des Verfahrensrechts.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem, den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts ist die von den Beklagten erhobene Revision (deren Bezeichnung als „außerordentliche“ schadet nach § 84 Abs 2 letzter Satz ZPO nicht) mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

Die vom Berufungsgericht im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO für erheblich erachtete Frage einer Bindung an die im Aufhebungsbeschluss geäußerte Rechtsansicht stellt sich im Hinblick darauf, dass im zweiten Rechtsgang die Sachverhaltsgrundlage verändert wurde und der Berufungssenat im zweiten Rechtsgang daher eine andere Sachlage rechtlich zu beurteilen hatte, gar nicht. Im Übrigen erstreckt sich die im § 499 Abs 2 ZPO normierte Bindungswirkung zwar auch auf das Berufungsgericht (RIS-Justiz RS0042181), doch es stellt selbst eine Abweichung von der im Aufhebungsbeschluss ausgesprochenen Rechtsansicht nach ständiger Rechtsprechung keinen Revisionsgrund dar, weil die rechtliche Beurteilung letztlich dem Revisionsgericht zusteht und es daher gleichgültig ist, ob das Berufungsgericht von seiner ursprünglichen Rechtsansicht abgegangen ist, wenn die Rechtsansicht in der nunmehrigen Berufungsentscheidung die richtige ist (RIS-Justiz RS0042173; RS0042181).

Eine erhebliche Rechtsfrage wird auch sonst von den Revisionswerbern weder in ihrer (an das Berufungsgericht gerichteten) Zulassungsbeschwerde noch in der Rechtsrüge aufgezeigt:

Ein wichtiger Grund zur Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses, der in der Person des Vertragspartners gelegen sein muss, liegt vor, wenn die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses dem einen Teil unter Berücksichtigung der Eigenart des Schuldverhältnisses, des gesamten Verhaltens des Vertragspartners und der Interessen beider Vertragsteile nicht zugemutet werden kann. Als solcher Grund ist nicht jeder objektive Verstoß gegen die Vertragspflichten, sondern bloß ein rechtswidriges Verhalten wider besseres Wissen oder ein solches anzusehen, bei dem dem Vertragspartner grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, zu dem er sich also nicht etwa aus vertretbaren Gründen für berechtigt halten durfte. Dabei kommt den Umständen des Einzelfalls besondere Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0018842). Diese Grundsätze für die Auflösung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigen Gründen gelten nach ständiger Rechtsprechung auch für sonstige Dauerrechtsverhältnisse wie Dienstbarkeiten und ähnliche Gebrauchsrechte. Ihre Auflösung kann aber wegen der stärkeren dinglichen Bindung nur „äußerstes Notventil“ sein; die für die Auflösung in Betracht kommenden Gründe müssen ein noch größeres Gewicht haben als jene, die für die Auflösung von sonstigen Dauerschuldverhältnissen genügen (RIS-Justiz RS0018813; vgl RS0011519). Selbst ein auf Lebensdauer eingeräumtes Wohnungsrecht kann aus wichtigen Gründen durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung gelöst werden (RIS-Justiz RS0011875). Ob die für die Auflösung in Betracht kommenden Gründe ein so großes Gewicht haben, dass die Auflösung des Dauerschuldverhältnisses gerechtfertigt ist, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0018842; RS0018886). Zufolge dieser Einzelfallbezogenheit kommt der Frage, welche schwerwiegenden Gründe im konkreten Fall die Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines Dauerschuldverhältnisses bewirken und zu dessen Auflösung berechtigen, zur Wahrung der Rechtseinheit und für die Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zu, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die aus Gründen der Rechtssicherheit einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte (RIS-Justiz RS0042834).

Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Die angefochtene Entscheidung weicht nicht, wie die Beklagten meinen, von oberstgerichtlicher Rechtsprechung ab, sondern folgt den hier wiedergegebenen, in ständiger Judikatur vertretenen Grundsätzen zur Auflösung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigen Gründen. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Interessenabwägung falle zu Gunsten des Klägers aus, dem eine Aufrechterhaltung des Gebrauchsrechtsverhältnisses aufgrund des geradezu systematisch fortgesetzten vertragswidrigen Verhaltens der Beklagten nicht zumutbar sei, ist jedenfalls vertretbar. Zu billigen ist insbesondere die Auffassung des Berufungsgerichts, bei der Interessenabwägung sei im vorliegenden Fall vor allem das bei Einräumung des Gebrauchsrechts erklärte und von den Beklagten akzeptierte Vertragsziel zu beachten, eine von den Beklagten auf der Liegenschaft betriebene Diskothek weiter betreiben zu können. Es steht fest, dass die Beklagten die Erreichung dieses Ziels entgegen dem Kläger und dessen Vater wiederholt gegebenen Zusicherungen nicht nur nicht gefördert, sondern geradezu hintertrieben und unmöglich gemacht haben. Da den Beklagten nur ein Gebrauchsrecht an Stallungen samt Nebenräumen eingeräumt wurde und deren – den Betrieb einer Diskothek verhindernde – Verwendung als Wohnung daher rechtswidrig war und ist, muss der Einwand, ihnen werde „die einzige Unterkunftsmöglichkeit“ genommen, ins Leere gehen.

Auch die Auslegung der Vereinbarung vom 11. 5. 2004 dahin, dass damit die Rechte der Beklagten nicht im Sinn der Einräumung eines Wohnungsrechts erweitert wurden, stellt entgegen der Meinung der Revisionswerber keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar. Fragen der Vertragsauslegung im Einzelfall begründen aber nur bei einem unvertretbaren Ergebnis eine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0042936 uva).

Ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist weiters auch die Einschätzung, ob die Beklagten als Einheit aufgetreten und daher auch rechtlich als solche zu behandeln sind. Da vom Berufungsgericht auch in diesem Zusammenhang die Rechtslage nicht verkannt wurde, ist auch diese Frage entgegen der Ansicht der Beklagten nicht revisibel.

Soweit die Revisionswerber schließlich eine erhebliche Rechtsfrage darin erblicken, dass ihnen, abweichend von der Entscheidung 7 Ob 287/02k, keine Ausgleichszahlung zuerkannt wurde, übersehen sie, dass die genannte Entscheidung einen sogenannten „Unvergleichsfall“ im Rahmen eines Übergabsvertrags betraf und auch sonst mit dem vorliegenden Rechtsfall nicht vergleichbar ist. Im Übrigen hat schon das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass betreffend die mit 300.000 ATS vereinbarte „Ablöse“ ein Zug-um-Zug-Einwand hinsichtlich des Restes des vereinbarten Betrags für den Fall ihres vorzeitigen Auszugs von den Beklagten nicht erhoben wurde. Da darauf nicht von Amts wegen Bedacht zu nehmen ist (RIS-Justiz RS0020997), kann hier unerörtert bleiben, ob den Beklagten bei vorzeitiger Beendigung des Dauerschuldverhältnisses auch wegen vertragswidrigen Verhaltens allenfalls eine Restzahlung zustehen könnte und inwieweit ein solcher Anspruch durch vom Kläger behauptete Gegenforderungen kompensiert wäre.

Da im vorliegenden Rechtsfall sohin insgesamt keine Rechtsfrage zu beantworten war, der über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukäme, ist die Revision der Beklagten ungeachtet des nachträglichen Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels seiner Prozessgegner hingewiesen, die ihm daher die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen haben. Als Einheitssatz für Nebenleistungen (§ 23 RATG) stehen dem Klagevertreter nicht, wie verzeichnet, 200 %, sondern nur 60 % der Verdienstsumme zu.

Textnummer

E94944

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0070OB00045.10H.0901.000

Im RIS seit

27.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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